This book presents the story of a unique collection of 140 manuscripts of 'learned magic' that was sold for a fantastic sum within the clandestine channels of the German book trade in the early eighteenth century. The book will interpret this collection from two angles - as an artefact of the early modern book market as well as the longue-durée tradition of Western learned magic -, thus taking a new stance towards scribal texts that are often regarded as eccentric, peripheral, or marginal. The study is structured by the apparent exceptionality, scarcity, and illegality of the collection, and provides chapters on clandestine activities in European book markets, questions of censorship regimes and efficiency, the use of manuscripts in an age of print, and the history of learned magic in early modern Europe. As the collection has survived till this day in Leipzig University Library, the book provides a critical edition of the 1710 selling catalogue, which includes a brief content analysis of all extant manuscripts. The study will be of interest to scholars and students from a variety of fields, such as early modern book history, the history of magic, cultural history, the sociology of religion, or the study of Western esotericism.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2017Wie consecriert man ein Buch?
Zauber und Geschäft: Zwei junge Forscher stellen eine in Leipzig verwahrte Sammlung alter Magietraktate vor
Ob Mistel, Kristall oder Hühnerkralle, Spucke, Urin oder Blut, Kochkessel, Kleiderbügel oder Haarnadel: Die Magie kennt keine Grenzen, wenn es darum geht, Gegenstände in Zauberwerkzeug zu verwandeln. Es gibt jedoch ein Ding, zumindest in der europäischen Geschichte, das alle anderen an magischer Bedeutung übertrifft. Es ist das Buch.
Magiebücher waren mehr als nur Sammlungen von Zaubersprüchen, Kochrezepten und Ritualanleitungen für lesekundige Freunde des Übernatürlichen. Sie galten als Objekte mit eigener magischer Macht, die ihren Schriftzeichen, Symbolen, Gebrauchsspuren oder schlicht ihrer Materialität entsprang. Noch in Zeiten, als in jeder Kleinstadt eine Druckerpresse stand, wurden Magiebücher fast nur von Hand geschrieben. Sie mussten einzigartig wirken, und das konnten sie in Manuskriptform offenbar am besten.
Um den Büchern ihre magische Macht zu entlocken, wurden sie geweiht, und damit beim Weihen alles korrekt ablief, gab es eine Art Meta-Magieliteratur, die Anweisung gab, wie Bücher zu "consecrieren" seien, bevor man sie zur Geisterbeschwörung verwenden könne. Die Weihe funktionierte dabei wie ein Zugangscode: Wer sie vollzog, erschloss für sich den ganzen Buchzauber, während er anderen Benutzern verschlossen blieb.
Heute findet man Überlebensspuren dieses wunderlichen Buchgebrauchs am ehesten noch in Kinder- und Jugendbüchern, etwa im "Krabat", Otfried Preußlers großartiger Schauersage, in der die sorbischen Müllergesellen, wenn sie von ihrem Meister in die schwarze Magie eingeführt werden, als Raben verwandelt über das Zauberbuch hinwegfliegen und dabei mit ihren Flügelspitzen das Buch berühren.
Sachsen war ein blühendes Land magischer Phantasie
"Krabat" spielt in der Oberlausitz bei Hoyerswerda, und Sachsen erscheint bei Preußler als Spielball zerstörerischer Zauberer. In Wirklichkeit war es eher ein blühendes Land der magischen Phantasie. Sachsen besitzt einen außergewöhnlich reichen Schatz an magischer Literatur, nur wussten das bisher die wenigsten. 1710, fast zur gleichen Zeit, in der die Krabat-Sage spielt, verkaufte in Leipzig der Arzt Samuel Schröer eine Sammlung von 140 Manuskripten mit magischer Literatur aus eineinhalb Jahrtausenden. Es soll die größte Kollektion dieser Art im deutschsprachigen Raum sein. Das Einzige, was von der Sammlung in den Druck gelangte, war ein Übersichtskatalog, den Schröer im fernen Augsburg anfertigen ließ, um gutbetuchte Magieinteressierte auf seine verbotenen Früchte aufmerksam zu machen.
Das Risiko zahlte sich aus. Die Zensurbehörde reagierte erst, als das Geschäft abgeschlossen war, und Schröer erzielte einen exorbitanten Preis. Ein anonymer Käufer bezahlte 4000 Reichsthaler für die Sammlung, was dem damaligen Wert von etwa zwei bis drei mittelgroßen Stadthäusern in Leipzig entsprach.
Lange erfreuen an der Transaktion konnten sich weder Käufer noch Verkäufer. Beide starben wenige Jahre später, und 1717 ging die Sammlung an die Leipziger Ratsbibliothek, nachdem die städtische Bücherkommission 1714 den Handel mit den magischen Manuskripten verboten hatte. In DDR-Zeiten übernahm die Universitätsbibliothek Leipzig die Bücher, und da liegen sie noch heute.
Es ist der Neugier zweier junger Forscher zu verdanken, dass die Leipziger Sammlung magischer Manuskripte endlich besser bekanntwird. Vor einigen Jahren stieß der in Erfurt lehrende Buchwissenschaftler Daniel Bellingradt bei der Arbeit an seiner Dissertation zufällig auf Schröers Verkaufskatalog. Er kam ins Gespräch mit dem Magiehistoriker Hans-Christian Otto, der darauf in der Leipziger Universitätsbibliothek die zum Katalog passenden Manuskriptbestände fand. Die beiden nahmen den Fund zum Anlass, gemeinsam ein englisches Büchlein über die Geschichte magischer Manuskripte um 1700 zu schreiben, die Otto mit einer kommentierten Ausgabe von Schröers Verkaufskatalog abrundete.
Die drei Hauptkapitel zur "Seltenheit", "Einzigartigkeit" und "Illegalität" magischer Manuskripte sind äußerst aufschlussreich - auch da, wo die Argumente nicht ganz überzeugen. Bellingradt und Otto haben in der Sammlung so viele deutschsprachige Schriften gefunden, dass sie mit gutem Grund vermuten, das an Magie interessierte Lesepublikum habe im siebzehnten Jahrhundert mehr als nur Gelehrte umfasst. Weniger plausibel ist ihre Folgerung, es sei zu einer "Demokratisierung" und "Popularisierung" von "Gelehrtenmagie" gekommen. Magiebücher waren wohl nie exklusives Zauberwerk für Gelehrte und zugleich nie Populärliteratur fürs Volk, sonst hätte man sie kaum so teuer verkaufen können. Wenn es im siebzehnten Jahrhundert mehr deutsche Magiebücher gab als zuvor, so am ehesten wegen vermögender Laien wie Adligen und Ärzten, bei denen neben der Magie auch die Astrologie hoch im Kurs stand. Es gehört zum Faszinierenden an der Geschichte der Magie, dass sie sich gängigen Gegensatzpaaren wie elitär - populär oder gelehrt - ungebildet weitgehend entzieht.
Noch interessanter ist eine andere Beobachtung der beiden Autoren: Von manchen "Magieklassikern" befinden sich in der Sammlung mehrere Abschriften mit teils stark abweichenden Inhalten. Die "Clavicula Salomonis" etwa, eine spätmittelalterliche Anleitung zur Geisterbeschwörung, kommt in sieben Versionen, verteilt auf drei Sprachen, vor. Für Bellingradt und Otto erklärt sich dieser Umstand aus der klandestin-handschriftlichen Überlieferung, die eine Durchsetzung von philologisch "gesäuberten" Klassikereditionen, wie sie frühneuzeitliche Philologen in Zusammenarbeit mit Druckern herstellten, verhindert habe.
Aus dem gleichen Grund habe sich über die Jahrhunderte hinweg die Praxis halten können, magische Schriften falschen Autoren wie König Salomo zuzuschreiben, wodurch sich über den magischen Zauber des Buches zusätzlich der mythische Zauber eines altehrwürdigen Ursprungs legte.
Der Wert der Sammlung lag am Anfang des Aufklärungszeitalters schon weniger in der vermuteten Zauberkraft als in der Seltenheit der Schriften. Der magische Manuskriptkult ging nahtlos in den bibliophilen über. Der Verkaufskatalog warb, wie die Autoren zu Recht hervorheben, mit "raren", nicht mit magischen Manuskripten, wurde von einem klassischen Buchhändler vertrieben und richtete sich besonders an Raritätenjäger im Umkreis der Leipziger Buchmesse.
Zum andern lebte der Glaube an die Wirksamkeit magischer Rituale gerade nicht von der Erwartung standardisierter Verfahren mit einheitlichem Ausgang, sondern vom Kult um einzelne Manuskripte als magische Unikate. Will man die Funktionslogik der Magie verstehen, sollte man in ihr keine primitive Vorstufe zu den modernen Experimentalwissenschaften sehen.
Genau so aber haben schon aufklärerische Gelehrte die Magie eingeordnet. Die Encylopédie von Diderot und d'Alembert verkündete, der Name "Magie" werde bald nur noch für eine "ebenso illusorische wie verächtliche Wissenschaft" stehen, die allein in jenen Ländern auf dem Thron sitze, wo "die Barbarei und Ungeschlachtheit regieren". Die Naturwissenschaft erschien als aufgeklärte Erbin der "magia naturalis", einer naiven Naturkunde, die sich in ihrer Harmlosigkeit vom "Fanatismus" der "magia diabolica" abhob.
Die Ausführungen über Magie in der Encyclopédie enthalten aber eine Pointe, die eine Fortschrittserzählung mit abgründigem Humor unterläuft. Sollte Europa, spekulierten die Autoren, in die Barbarei zurückfallen, der es gerade entstiegen sei, würden die Helden der aufgeklärten Wissenschaften mit ihren Teleskopen und Mikroskopen bei den Neo-Barbaren glatt als Magier durchgehen.
Man muss nicht zwingend die Perspektive von Primitiven einnehmen, um in der Wissenschaft eine Fortsetzung der Magie mit anderen Mitteln zu sehen. Mochte in der Magie keine Wissenschaft stecken, so steckt in der Wissenschaft sehr wohl noch Magie. Sie hat sich weniger im Maschinenpark der modernen Naturwissenschaften als im Manuskriptkult der Geisteswissenschaften gehalten.
Digitalisierte Texte sind deshalb noch lange nicht gut bekannt
Hätte es dafür eines weiteren Belegs bedurft, so lieferte ihn just ein Bericht über die bevorstehende Publikation des Buchs von Bellingradt und Otto. Unter dem Titel "Es ist Magie! 10 000 Seiten uralter Zaubersprüche entdeckt" war zu lesen, wie die zwei Wissenschaftler bei ihren Archivrecherchen auf den magischen Manuskriptschatz gestoßen seien, "verstaubt in der Unibibliothek, Jahrhunderte alt". Aus eben jener Bibliothek, die kurz zuvor vom deutschen Bibliotheksverband zur Bibliothek des Jahres gekürt worden war, kam kurz darauf die Replik: "Nix verstaubt und nix entdeckt, sondern gut bekannt und digital: Magische Handschriften in Leipzig". Tatsächlich steht der ganze Manuskriptschatz seit 2011 volldigitalisiert und frei zugänglich im Netz. Die Autoren machen in ihrem Buch auch kein Geheimnis daraus.
Es tut dem Verdienst von Bellingradt und Otto um die Leipziger Magiemanuskripte auch keinen Abbruch, dass ihre Funde im Netz abrufbar sind, bedeutet doch "digital" in Zeiten der massendigitalisierten Archivbestände noch längst nicht das, was die Unibibliothek Leipzig in ihrer verschnupften Antwort unterstellt: "gut bekannt". Es kann einer Forschungsbibliothek nichts Besseres passieren, als wenn zwei tatendurstige Junghistoriker kaum beachtete Bestände für die internationale Forschergemeinschaft aus der digitalen Obskurität heben.
CASPAR HIRSCHI
Daniel Bellingradt und Bernd-Christian Otto:
"Magical Manuscripts in Early Modern Europe".
The Clandestine Trade In Illegal Book Collections.
Palgrave/Macmillan, London, New York 2017. 166 S., geb., 53,49 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zauber und Geschäft: Zwei junge Forscher stellen eine in Leipzig verwahrte Sammlung alter Magietraktate vor
Ob Mistel, Kristall oder Hühnerkralle, Spucke, Urin oder Blut, Kochkessel, Kleiderbügel oder Haarnadel: Die Magie kennt keine Grenzen, wenn es darum geht, Gegenstände in Zauberwerkzeug zu verwandeln. Es gibt jedoch ein Ding, zumindest in der europäischen Geschichte, das alle anderen an magischer Bedeutung übertrifft. Es ist das Buch.
Magiebücher waren mehr als nur Sammlungen von Zaubersprüchen, Kochrezepten und Ritualanleitungen für lesekundige Freunde des Übernatürlichen. Sie galten als Objekte mit eigener magischer Macht, die ihren Schriftzeichen, Symbolen, Gebrauchsspuren oder schlicht ihrer Materialität entsprang. Noch in Zeiten, als in jeder Kleinstadt eine Druckerpresse stand, wurden Magiebücher fast nur von Hand geschrieben. Sie mussten einzigartig wirken, und das konnten sie in Manuskriptform offenbar am besten.
Um den Büchern ihre magische Macht zu entlocken, wurden sie geweiht, und damit beim Weihen alles korrekt ablief, gab es eine Art Meta-Magieliteratur, die Anweisung gab, wie Bücher zu "consecrieren" seien, bevor man sie zur Geisterbeschwörung verwenden könne. Die Weihe funktionierte dabei wie ein Zugangscode: Wer sie vollzog, erschloss für sich den ganzen Buchzauber, während er anderen Benutzern verschlossen blieb.
Heute findet man Überlebensspuren dieses wunderlichen Buchgebrauchs am ehesten noch in Kinder- und Jugendbüchern, etwa im "Krabat", Otfried Preußlers großartiger Schauersage, in der die sorbischen Müllergesellen, wenn sie von ihrem Meister in die schwarze Magie eingeführt werden, als Raben verwandelt über das Zauberbuch hinwegfliegen und dabei mit ihren Flügelspitzen das Buch berühren.
Sachsen war ein blühendes Land magischer Phantasie
"Krabat" spielt in der Oberlausitz bei Hoyerswerda, und Sachsen erscheint bei Preußler als Spielball zerstörerischer Zauberer. In Wirklichkeit war es eher ein blühendes Land der magischen Phantasie. Sachsen besitzt einen außergewöhnlich reichen Schatz an magischer Literatur, nur wussten das bisher die wenigsten. 1710, fast zur gleichen Zeit, in der die Krabat-Sage spielt, verkaufte in Leipzig der Arzt Samuel Schröer eine Sammlung von 140 Manuskripten mit magischer Literatur aus eineinhalb Jahrtausenden. Es soll die größte Kollektion dieser Art im deutschsprachigen Raum sein. Das Einzige, was von der Sammlung in den Druck gelangte, war ein Übersichtskatalog, den Schröer im fernen Augsburg anfertigen ließ, um gutbetuchte Magieinteressierte auf seine verbotenen Früchte aufmerksam zu machen.
Das Risiko zahlte sich aus. Die Zensurbehörde reagierte erst, als das Geschäft abgeschlossen war, und Schröer erzielte einen exorbitanten Preis. Ein anonymer Käufer bezahlte 4000 Reichsthaler für die Sammlung, was dem damaligen Wert von etwa zwei bis drei mittelgroßen Stadthäusern in Leipzig entsprach.
Lange erfreuen an der Transaktion konnten sich weder Käufer noch Verkäufer. Beide starben wenige Jahre später, und 1717 ging die Sammlung an die Leipziger Ratsbibliothek, nachdem die städtische Bücherkommission 1714 den Handel mit den magischen Manuskripten verboten hatte. In DDR-Zeiten übernahm die Universitätsbibliothek Leipzig die Bücher, und da liegen sie noch heute.
Es ist der Neugier zweier junger Forscher zu verdanken, dass die Leipziger Sammlung magischer Manuskripte endlich besser bekanntwird. Vor einigen Jahren stieß der in Erfurt lehrende Buchwissenschaftler Daniel Bellingradt bei der Arbeit an seiner Dissertation zufällig auf Schröers Verkaufskatalog. Er kam ins Gespräch mit dem Magiehistoriker Hans-Christian Otto, der darauf in der Leipziger Universitätsbibliothek die zum Katalog passenden Manuskriptbestände fand. Die beiden nahmen den Fund zum Anlass, gemeinsam ein englisches Büchlein über die Geschichte magischer Manuskripte um 1700 zu schreiben, die Otto mit einer kommentierten Ausgabe von Schröers Verkaufskatalog abrundete.
Die drei Hauptkapitel zur "Seltenheit", "Einzigartigkeit" und "Illegalität" magischer Manuskripte sind äußerst aufschlussreich - auch da, wo die Argumente nicht ganz überzeugen. Bellingradt und Otto haben in der Sammlung so viele deutschsprachige Schriften gefunden, dass sie mit gutem Grund vermuten, das an Magie interessierte Lesepublikum habe im siebzehnten Jahrhundert mehr als nur Gelehrte umfasst. Weniger plausibel ist ihre Folgerung, es sei zu einer "Demokratisierung" und "Popularisierung" von "Gelehrtenmagie" gekommen. Magiebücher waren wohl nie exklusives Zauberwerk für Gelehrte und zugleich nie Populärliteratur fürs Volk, sonst hätte man sie kaum so teuer verkaufen können. Wenn es im siebzehnten Jahrhundert mehr deutsche Magiebücher gab als zuvor, so am ehesten wegen vermögender Laien wie Adligen und Ärzten, bei denen neben der Magie auch die Astrologie hoch im Kurs stand. Es gehört zum Faszinierenden an der Geschichte der Magie, dass sie sich gängigen Gegensatzpaaren wie elitär - populär oder gelehrt - ungebildet weitgehend entzieht.
Noch interessanter ist eine andere Beobachtung der beiden Autoren: Von manchen "Magieklassikern" befinden sich in der Sammlung mehrere Abschriften mit teils stark abweichenden Inhalten. Die "Clavicula Salomonis" etwa, eine spätmittelalterliche Anleitung zur Geisterbeschwörung, kommt in sieben Versionen, verteilt auf drei Sprachen, vor. Für Bellingradt und Otto erklärt sich dieser Umstand aus der klandestin-handschriftlichen Überlieferung, die eine Durchsetzung von philologisch "gesäuberten" Klassikereditionen, wie sie frühneuzeitliche Philologen in Zusammenarbeit mit Druckern herstellten, verhindert habe.
Aus dem gleichen Grund habe sich über die Jahrhunderte hinweg die Praxis halten können, magische Schriften falschen Autoren wie König Salomo zuzuschreiben, wodurch sich über den magischen Zauber des Buches zusätzlich der mythische Zauber eines altehrwürdigen Ursprungs legte.
Der Wert der Sammlung lag am Anfang des Aufklärungszeitalters schon weniger in der vermuteten Zauberkraft als in der Seltenheit der Schriften. Der magische Manuskriptkult ging nahtlos in den bibliophilen über. Der Verkaufskatalog warb, wie die Autoren zu Recht hervorheben, mit "raren", nicht mit magischen Manuskripten, wurde von einem klassischen Buchhändler vertrieben und richtete sich besonders an Raritätenjäger im Umkreis der Leipziger Buchmesse.
Zum andern lebte der Glaube an die Wirksamkeit magischer Rituale gerade nicht von der Erwartung standardisierter Verfahren mit einheitlichem Ausgang, sondern vom Kult um einzelne Manuskripte als magische Unikate. Will man die Funktionslogik der Magie verstehen, sollte man in ihr keine primitive Vorstufe zu den modernen Experimentalwissenschaften sehen.
Genau so aber haben schon aufklärerische Gelehrte die Magie eingeordnet. Die Encylopédie von Diderot und d'Alembert verkündete, der Name "Magie" werde bald nur noch für eine "ebenso illusorische wie verächtliche Wissenschaft" stehen, die allein in jenen Ländern auf dem Thron sitze, wo "die Barbarei und Ungeschlachtheit regieren". Die Naturwissenschaft erschien als aufgeklärte Erbin der "magia naturalis", einer naiven Naturkunde, die sich in ihrer Harmlosigkeit vom "Fanatismus" der "magia diabolica" abhob.
Die Ausführungen über Magie in der Encyclopédie enthalten aber eine Pointe, die eine Fortschrittserzählung mit abgründigem Humor unterläuft. Sollte Europa, spekulierten die Autoren, in die Barbarei zurückfallen, der es gerade entstiegen sei, würden die Helden der aufgeklärten Wissenschaften mit ihren Teleskopen und Mikroskopen bei den Neo-Barbaren glatt als Magier durchgehen.
Man muss nicht zwingend die Perspektive von Primitiven einnehmen, um in der Wissenschaft eine Fortsetzung der Magie mit anderen Mitteln zu sehen. Mochte in der Magie keine Wissenschaft stecken, so steckt in der Wissenschaft sehr wohl noch Magie. Sie hat sich weniger im Maschinenpark der modernen Naturwissenschaften als im Manuskriptkult der Geisteswissenschaften gehalten.
Digitalisierte Texte sind deshalb noch lange nicht gut bekannt
Hätte es dafür eines weiteren Belegs bedurft, so lieferte ihn just ein Bericht über die bevorstehende Publikation des Buchs von Bellingradt und Otto. Unter dem Titel "Es ist Magie! 10 000 Seiten uralter Zaubersprüche entdeckt" war zu lesen, wie die zwei Wissenschaftler bei ihren Archivrecherchen auf den magischen Manuskriptschatz gestoßen seien, "verstaubt in der Unibibliothek, Jahrhunderte alt". Aus eben jener Bibliothek, die kurz zuvor vom deutschen Bibliotheksverband zur Bibliothek des Jahres gekürt worden war, kam kurz darauf die Replik: "Nix verstaubt und nix entdeckt, sondern gut bekannt und digital: Magische Handschriften in Leipzig". Tatsächlich steht der ganze Manuskriptschatz seit 2011 volldigitalisiert und frei zugänglich im Netz. Die Autoren machen in ihrem Buch auch kein Geheimnis daraus.
Es tut dem Verdienst von Bellingradt und Otto um die Leipziger Magiemanuskripte auch keinen Abbruch, dass ihre Funde im Netz abrufbar sind, bedeutet doch "digital" in Zeiten der massendigitalisierten Archivbestände noch längst nicht das, was die Unibibliothek Leipzig in ihrer verschnupften Antwort unterstellt: "gut bekannt". Es kann einer Forschungsbibliothek nichts Besseres passieren, als wenn zwei tatendurstige Junghistoriker kaum beachtete Bestände für die internationale Forschergemeinschaft aus der digitalen Obskurität heben.
CASPAR HIRSCHI
Daniel Bellingradt und Bernd-Christian Otto:
"Magical Manuscripts in Early Modern Europe".
The Clandestine Trade In Illegal Book Collections.
Palgrave/Macmillan, London, New York 2017. 166 S., geb., 53,49 [Euro].
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