»Regener ist noch nie so gut gewesen - lakonisch wie immer, aber mit zarter Melancholie. Herzzerreißend schön.« Elke Heidenreich.
Als Karl Schmidt, Opfer eines depressiven Nervenzusammenbruchs am Tag der Maueröffnung, nach Jahren der Versenkung von alten Kumpels zufällig in Hamburg als Bewohner einer drogentherapeutischen Einrichtung wiedergefunden wird, ist das der Anfang einer seltsamen Zusammenarbeit: Die alten Freunde, mittlerweile zu Ruhm und Reichtum gelangt, wollen mit ihrem Plattenlabel auf einer Tour durch Deutschland den Rave der Neunzigerjahre mit dem Hippiegeist der Sechziger versöhnen und brauchen dazu einen, der immer nüchtern bleiben muss. Das kommt Karl Schmidt gerade recht, denn der hat keine Lust mehr, sich in einer Parallelwelt aus Drogen-WG, Hilfshausmeisterjob und gruppendynamischen Wochenendausflügen zu verschanzen.Und so beginnt eine Reise durch ein Land und eine Zeit im Umbruch, unternommen von einer Handvoll Techno-Freaks, betreut von einem psychisch labilen Ex-Künstler, für den dies der Weg zurück in ein unabhängiges Leben sein soll.
Als Karl Schmidt, Opfer eines depressiven Nervenzusammenbruchs am Tag der Maueröffnung, nach Jahren der Versenkung von alten Kumpels zufällig in Hamburg als Bewohner einer drogentherapeutischen Einrichtung wiedergefunden wird, ist das der Anfang einer seltsamen Zusammenarbeit: Die alten Freunde, mittlerweile zu Ruhm und Reichtum gelangt, wollen mit ihrem Plattenlabel auf einer Tour durch Deutschland den Rave der Neunzigerjahre mit dem Hippiegeist der Sechziger versöhnen und brauchen dazu einen, der immer nüchtern bleiben muss. Das kommt Karl Schmidt gerade recht, denn der hat keine Lust mehr, sich in einer Parallelwelt aus Drogen-WG, Hilfshausmeisterjob und gruppendynamischen Wochenendausflügen zu verschanzen.Und so beginnt eine Reise durch ein Land und eine Zeit im Umbruch, unternommen von einer Handvoll Techno-Freaks, betreut von einem psychisch labilen Ex-Künstler, für den dies der Weg zurück in ein unabhängiges Leben sein soll.
"Regener ist noch nie so gut gewesen lakonisch wie immer, aber mit zarter Melancholie. Herzzerreißend schön." Elke Heidenreich
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.2013Die Musik kühl, das Herz noch heiß
Der vierte Teil einer Trilogie? Sven Regeners neuer Roman knüpft an die "Herr Lehmann"-Welt an. Nur der Held ist neu: "Die Rückkehr des Karl Schmidt" ist ein humanes Buch, nicht nur für Musiker, die die midlife crisis schon hinter sich haben.
Magical Mystery: "War das nicht eigentlich ein Ding von den Beatles? Und ist das damals nicht irgendwie in die Hose gegangen?" Karl Schmidt ist schwer zu beeindrucken und kennt in Urheberrechtsfragen kein Pardon. Das hat er mit seinem Autor gemein: Sven Regeners Wutanfall wegen allgemeiner Piraterie und flächendeckender Urheberrechtsverstöße im Internet ist auch deswegen noch so gut in Erinnerung, weil mit ihm etwas Seltenes, aber Naheliegendes eingeklagt wurde: künstlerischer Respekt, den zu zollen eben auch Geld koste (F.A.Z. vom 24. März und 2. April 2012).
Nachdem Regener sich wieder beruhigt haben dürfte, lässt er nun einen alten Bekannten auf die Kundschaft los: ebenjenen Karl Schmidt, der in der "Herr Lehmann"-Trilogie der beste Freund des Titelhelden war, ein nicht weiter auffallender Mensch, der hier, im vierten Roman, die alles tragende und, wie sich schnell herausstellt, auch ganz gut durchschauende Figur ist - reserviert und, wenn er erst einmal Sympathien gefasst hat, trotzdem offen, eher ein Kaltblüter, der die Dinge an sich herankommen lässt, ein wenig so wie Döblins Biberkopf, mit dem er auch das Ungeschlachte teilt, und aus Schaden klug geworden. "Ich mag ihn, weil er ein großes Herz hat. Viel größer als das von Frank Lehmann zum Beispiel", teilte Regener gerade dem "Spiegel" mit, eine dieser persönlichen Auskünfte zu seinen Büchern, mit denen er nicht gerade um sich schmeißt.
Karl Schmidt hatte in den Vorgeschichten zwar nichts Weltbewegendes zu sagen, dafür wurde ihm die Ehre zuteil, dass ihn Herr Lehmann am Tag des Mauerfalls in die Psychiatrie bringen musste - eine fast schon welthistorische Pointe, die Regener so unprätentiös setzte wie alles andere auch.
Es ist jetzt fünf Jahre später. Wir treffen Karl Schmidt in einer von Sozialarbeitern betreuten Wohngemeinschaft für (ehemalige) Drogensüchtige in Hamburg-Altona an: "Ich sah Raimund Schulte lange bevor er mich sah. Ich hatte gerade Paranoia und die Tür fest im Blick, weil Werner nicht wollte, dass wir ins Eiscafé gingen, und ich hatte die Pillen abgesetzt und Angst davor, dass Werner beim nächsten Plenum aus einem Eisbecher ,Monteverdi' ein großes Ding machen würde, da hätte ich kaum für mich garantieren können ohne Pillen." Sollte es irgendwann wieder eine Serie oder Umfrage zu den besten Romananfängen geben - dies wäre ein Kandidat.
Hier gibt es kein vornehmes Getue, Regeners längst sprichwörtlich gewordener, vermutlich immer noch unterschätzter Sound sorgt dafür, dass man gleich mittendrin ist und, noch ohne nähere Beschreibungen, auch schon ganz gut Bescheid weiß über das Personal; das Adverb "gerade" umreißt meisterlich-beiläufig den Zustand des Karl Schmidt - er hat Depressionen mit paranoiden Schüben, in die so allmählich abzugleiten kein Vergnügen ist: "Am Samstag wachte ich auf und da war es, das dunkle Gefühl, zwar nicht direkt über mir, aber im Zimmer, und es sah mir dabei zu, wie ich unter der Decke lag und mich nicht bewegte, brachte sich in Erinnerung, die alte Sau, zum ersten Mal seit ich die Pillen abgesetzt hatte, und seltsam war nur, dachte ich, als ich da so lag und mich nicht bewegte, dass ich so naiv gewesen war zu glauben, dass es nicht wiederkommen würde, wenn ich die Pillen absetzte, ganz schön blöd." Es ist schon eine ziemliche Kunst, wie Regener auch hier eine Stimmung ausmalt, ohne dabei ins Detail zu gehen oder im mindesten pathetisch zu werden. Wie viele andere Schriftsteller wären hier nicht bildungssprachlich geworden und hätten gesagt: "als ich so dalag"?
Die bleierne, bedrückende Atmosphäre beherrscht den ganzen ersten, in Hamburg spielenden Teil. Von seiner WG aus bricht Karl Schmidt jeden Morgen auf nach Othmarschen in das Kinderkurheim Elbauen, wo er als Hilfshausmeister angestellt ist und auch die Insassen des angeschlossenen Zoos zu versorgen hat. Er widmet sich dieser Arbeit mit der Hingabe eines phlegmatischen Gewohnheitstiers, das instinktiv spürt, wann seine Zeit hier zu Ende ist - in dem Moment nämlich, in dem ihm ein energischerer Mitarbeiter an die Seite gestellt wird und sich am WG-Telefon jener Raimund Schulte meldet, ein Freund aus alten Berliner Tagen, zusammen mit Ferdi Inhaber eines Techno-Labels.
Gewissenhaft zögernd, gibt er diesem Lockruf aus der alten Welt nach, fährt, statt in den vom abgebrühten WG-Aufseher Werner verordneten Urlaub, einfach nach Berlin und steht den alten und einigen neuen Kumpanen als strikt abstinentes Mädchen für alles bei einem nicht sonderlich gut geplanten Unternehmen zur Verfügung, dem der Roman seinen Titel verdankt: der Deutschland-Tournee "Magical Mystery", einem Wanderzirkus aus Discjockeys, die Wert auf minimale Distinktionen legen und den Geist der Sechziger herüberretten wollen in die Zeit von Techno und Rave Mitte der Neunziger, in denen das Ganze spielt: "Leben, Arbeiten, Wohnen, alles zusammen, voll das Hippieding".
Lässt sich die Magie einer vergangenen Zeit noch einmal heraufrufen? Darum geht es in dieser, man muss eigentlich sagen: Abenteuergeschichte. Die "Magical Mystery Tour" der Beatles von 1967 litt, trotz der bisweilen rührenden Szenen und der wunderbaren Musik, darunter, dass die Naivität weg war und sich, nach dem "Sgt. Pepper", schon Überdruss breitmachte; das Unternehmen ist auf seltsame Weise als Flop in Erinnerung.
Sollte es Regener darum gegangen sein, vom Geist dieser Epoche etwas einzufangen und es in eine Zeit hinüberzuretten, in der die Musik erheblich abgekühlt war, dann ist es nur folgerichtig, wenn er sein Personal für die Tournee mit dem Bewusstsein ausgestattet hat, dass das Scheitern jederzeit möglich ist. Spürbar ist es ihm wieder um jene Ernüchterung zu tun, auf die auch seine Trilogie aus war. Man weiß, dass der Rausch seinen Preis hat; Karl Schmidt, für den ein Exzess nicht mehr in Frage kommt, ist mittlerweile sechsunddreißig, Ferdi, der opinion leader, hat die fünfzig schon überschritten - das richtige Alter also, um Bilanz zu ziehen, aber trotzdem noch weiterzumachen. Die midlife crisis ist, sofern es überhaupt eine gab, überstanden; Vorsicht und eine gewisse, für Spontaneität immer noch offene Abgeklärtheit haben bei der Generation fünfzig plus das Ruder übernommen.
In diesem Punkt steht Regener seinem Bruder im Geiste, Frank Schulz, besonders nahe. Was Schulz am Ende seiner "Hagener Trilogie" mit allerdings ungleich größerem Kunstverstand vorführte - das weitere Tun und Lassen eines gebrochenen Helden, der sich nicht unterkriegen lässt, aber sein Heil nur noch in der Nüchternheit finden kann -, wird uns auch hier zum exemplarischen Versuch, dem ehemals wilden Leben auch nach dem Höhenrausch noch etwas abzugewinnen. Regener tut das mit allem Herzblut, das ihm zur Verfügung steht, und es ist erstaunlich, was er dem Milieu dabei noch so alles abgewinnt. Seine humane Prosa, eine mäandrierende, meistens parataktisch vorgehende Annäherung an die Wirklichkeit, verströmt ein ausgesprochen warmes Gefühl.
"Ich fand, dass ich ihm noch was schuldig war", äußerte Regener diese Woche über Karl Schmidt. Die Schuld dürfte hiermit abgetragen sein.
EDO REENTS
Sven Regener: "Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt". Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2013. 512 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der vierte Teil einer Trilogie? Sven Regeners neuer Roman knüpft an die "Herr Lehmann"-Welt an. Nur der Held ist neu: "Die Rückkehr des Karl Schmidt" ist ein humanes Buch, nicht nur für Musiker, die die midlife crisis schon hinter sich haben.
Magical Mystery: "War das nicht eigentlich ein Ding von den Beatles? Und ist das damals nicht irgendwie in die Hose gegangen?" Karl Schmidt ist schwer zu beeindrucken und kennt in Urheberrechtsfragen kein Pardon. Das hat er mit seinem Autor gemein: Sven Regeners Wutanfall wegen allgemeiner Piraterie und flächendeckender Urheberrechtsverstöße im Internet ist auch deswegen noch so gut in Erinnerung, weil mit ihm etwas Seltenes, aber Naheliegendes eingeklagt wurde: künstlerischer Respekt, den zu zollen eben auch Geld koste (F.A.Z. vom 24. März und 2. April 2012).
Nachdem Regener sich wieder beruhigt haben dürfte, lässt er nun einen alten Bekannten auf die Kundschaft los: ebenjenen Karl Schmidt, der in der "Herr Lehmann"-Trilogie der beste Freund des Titelhelden war, ein nicht weiter auffallender Mensch, der hier, im vierten Roman, die alles tragende und, wie sich schnell herausstellt, auch ganz gut durchschauende Figur ist - reserviert und, wenn er erst einmal Sympathien gefasst hat, trotzdem offen, eher ein Kaltblüter, der die Dinge an sich herankommen lässt, ein wenig so wie Döblins Biberkopf, mit dem er auch das Ungeschlachte teilt, und aus Schaden klug geworden. "Ich mag ihn, weil er ein großes Herz hat. Viel größer als das von Frank Lehmann zum Beispiel", teilte Regener gerade dem "Spiegel" mit, eine dieser persönlichen Auskünfte zu seinen Büchern, mit denen er nicht gerade um sich schmeißt.
Karl Schmidt hatte in den Vorgeschichten zwar nichts Weltbewegendes zu sagen, dafür wurde ihm die Ehre zuteil, dass ihn Herr Lehmann am Tag des Mauerfalls in die Psychiatrie bringen musste - eine fast schon welthistorische Pointe, die Regener so unprätentiös setzte wie alles andere auch.
Es ist jetzt fünf Jahre später. Wir treffen Karl Schmidt in einer von Sozialarbeitern betreuten Wohngemeinschaft für (ehemalige) Drogensüchtige in Hamburg-Altona an: "Ich sah Raimund Schulte lange bevor er mich sah. Ich hatte gerade Paranoia und die Tür fest im Blick, weil Werner nicht wollte, dass wir ins Eiscafé gingen, und ich hatte die Pillen abgesetzt und Angst davor, dass Werner beim nächsten Plenum aus einem Eisbecher ,Monteverdi' ein großes Ding machen würde, da hätte ich kaum für mich garantieren können ohne Pillen." Sollte es irgendwann wieder eine Serie oder Umfrage zu den besten Romananfängen geben - dies wäre ein Kandidat.
Hier gibt es kein vornehmes Getue, Regeners längst sprichwörtlich gewordener, vermutlich immer noch unterschätzter Sound sorgt dafür, dass man gleich mittendrin ist und, noch ohne nähere Beschreibungen, auch schon ganz gut Bescheid weiß über das Personal; das Adverb "gerade" umreißt meisterlich-beiläufig den Zustand des Karl Schmidt - er hat Depressionen mit paranoiden Schüben, in die so allmählich abzugleiten kein Vergnügen ist: "Am Samstag wachte ich auf und da war es, das dunkle Gefühl, zwar nicht direkt über mir, aber im Zimmer, und es sah mir dabei zu, wie ich unter der Decke lag und mich nicht bewegte, brachte sich in Erinnerung, die alte Sau, zum ersten Mal seit ich die Pillen abgesetzt hatte, und seltsam war nur, dachte ich, als ich da so lag und mich nicht bewegte, dass ich so naiv gewesen war zu glauben, dass es nicht wiederkommen würde, wenn ich die Pillen absetzte, ganz schön blöd." Es ist schon eine ziemliche Kunst, wie Regener auch hier eine Stimmung ausmalt, ohne dabei ins Detail zu gehen oder im mindesten pathetisch zu werden. Wie viele andere Schriftsteller wären hier nicht bildungssprachlich geworden und hätten gesagt: "als ich so dalag"?
Die bleierne, bedrückende Atmosphäre beherrscht den ganzen ersten, in Hamburg spielenden Teil. Von seiner WG aus bricht Karl Schmidt jeden Morgen auf nach Othmarschen in das Kinderkurheim Elbauen, wo er als Hilfshausmeister angestellt ist und auch die Insassen des angeschlossenen Zoos zu versorgen hat. Er widmet sich dieser Arbeit mit der Hingabe eines phlegmatischen Gewohnheitstiers, das instinktiv spürt, wann seine Zeit hier zu Ende ist - in dem Moment nämlich, in dem ihm ein energischerer Mitarbeiter an die Seite gestellt wird und sich am WG-Telefon jener Raimund Schulte meldet, ein Freund aus alten Berliner Tagen, zusammen mit Ferdi Inhaber eines Techno-Labels.
Gewissenhaft zögernd, gibt er diesem Lockruf aus der alten Welt nach, fährt, statt in den vom abgebrühten WG-Aufseher Werner verordneten Urlaub, einfach nach Berlin und steht den alten und einigen neuen Kumpanen als strikt abstinentes Mädchen für alles bei einem nicht sonderlich gut geplanten Unternehmen zur Verfügung, dem der Roman seinen Titel verdankt: der Deutschland-Tournee "Magical Mystery", einem Wanderzirkus aus Discjockeys, die Wert auf minimale Distinktionen legen und den Geist der Sechziger herüberretten wollen in die Zeit von Techno und Rave Mitte der Neunziger, in denen das Ganze spielt: "Leben, Arbeiten, Wohnen, alles zusammen, voll das Hippieding".
Lässt sich die Magie einer vergangenen Zeit noch einmal heraufrufen? Darum geht es in dieser, man muss eigentlich sagen: Abenteuergeschichte. Die "Magical Mystery Tour" der Beatles von 1967 litt, trotz der bisweilen rührenden Szenen und der wunderbaren Musik, darunter, dass die Naivität weg war und sich, nach dem "Sgt. Pepper", schon Überdruss breitmachte; das Unternehmen ist auf seltsame Weise als Flop in Erinnerung.
Sollte es Regener darum gegangen sein, vom Geist dieser Epoche etwas einzufangen und es in eine Zeit hinüberzuretten, in der die Musik erheblich abgekühlt war, dann ist es nur folgerichtig, wenn er sein Personal für die Tournee mit dem Bewusstsein ausgestattet hat, dass das Scheitern jederzeit möglich ist. Spürbar ist es ihm wieder um jene Ernüchterung zu tun, auf die auch seine Trilogie aus war. Man weiß, dass der Rausch seinen Preis hat; Karl Schmidt, für den ein Exzess nicht mehr in Frage kommt, ist mittlerweile sechsunddreißig, Ferdi, der opinion leader, hat die fünfzig schon überschritten - das richtige Alter also, um Bilanz zu ziehen, aber trotzdem noch weiterzumachen. Die midlife crisis ist, sofern es überhaupt eine gab, überstanden; Vorsicht und eine gewisse, für Spontaneität immer noch offene Abgeklärtheit haben bei der Generation fünfzig plus das Ruder übernommen.
In diesem Punkt steht Regener seinem Bruder im Geiste, Frank Schulz, besonders nahe. Was Schulz am Ende seiner "Hagener Trilogie" mit allerdings ungleich größerem Kunstverstand vorführte - das weitere Tun und Lassen eines gebrochenen Helden, der sich nicht unterkriegen lässt, aber sein Heil nur noch in der Nüchternheit finden kann -, wird uns auch hier zum exemplarischen Versuch, dem ehemals wilden Leben auch nach dem Höhenrausch noch etwas abzugewinnen. Regener tut das mit allem Herzblut, das ihm zur Verfügung steht, und es ist erstaunlich, was er dem Milieu dabei noch so alles abgewinnt. Seine humane Prosa, eine mäandrierende, meistens parataktisch vorgehende Annäherung an die Wirklichkeit, verströmt ein ausgesprochen warmes Gefühl.
"Ich fand, dass ich ihm noch was schuldig war", äußerte Regener diese Woche über Karl Schmidt. Die Schuld dürfte hiermit abgetragen sein.
EDO REENTS
Sven Regener: "Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt". Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2013. 512 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Allein den ersten Satz aus Sven Regeners neuem Roman "Magical Mystery" möchte Rezensent Edo Reents schon als Kandidat für die nächste Umfrage der besten Romananfänge vorschlagen. Gleichsam hymnisch fährt der Kritiker fort: Die Geschichte um Karl Schmidt, der in den "Lehmann"-Romanen nur eine Nebenrolle spielte, nun aber, fünf Jahre nach dem Mauerfall und entlassen aus der Psychiatrie, in einer Wohngemeinschaft für ehemalige Drogensüchtige in Hamburg-Altona lebt, hat Reents dank des typisch unprätentiösen und mitreißenden Regener-Sounds sofort in ihren Bann gezogen. Und so folgt der Rezensent ganz angetan diesem Wiedergänger von Döblins "Biberkopf", der nicht nur mit Pillen gegen seine Depressionen und seine paranoiden Schübe kämpft, sondern nach seinem Ausbruch aus der Wohngemeinschaft gemeinsam mit alten Berliner-Freunden und einem Wanderzirkus aus Disc-Jockeys versucht, den Geist der Sechziger in die Zeit von Techno und Rave Mitte der Neunziger Jahre hinüberzuretten. Einmal mehr gelinge es Regener, mit Herzblut und Wärme einen gebrochenen Helden vorzuführen, der sein Schicksal mit beeindruckender Nüchternheit erträgt, lobt der Kritiker.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Die Musik kühl, das Herz noch heiß
Der vierte Teil einer Trilogie? Sven Regeners neuer Roman knüpft an die "Herr Lehmann"-Welt an. Nur der Held ist neu: "Die Rückkehr des Karl Schmidt" ist ein humanes Buch, nicht nur für Musiker, die die midlife crisis schon hinter sich haben.
Magical Mystery: "War das nicht eigentlich ein Ding von den Beatles? Und ist das damals nicht irgendwie in die Hose gegangen?" Karl Schmidt ist schwer zu beeindrucken und kennt in Urheberrechtsfragen kein Pardon. Das hat er mit seinem Autor gemein: Sven Regeners Wutanfall wegen allgemeiner Piraterie und flächendeckender Urheberrechtsverstöße im Internet ist auch deswegen noch so gut in Erinnerung, weil mit ihm etwas Seltenes, aber Naheliegendes eingeklagt wurde: künstlerischer Respekt, den zu zollen eben auch Geld koste (F.A.Z. vom 24. März und 2. April 2012).
Nachdem Regener sich wieder beruhigt haben dürfte, lässt er nun einen alten Bekannten auf die Kundschaft los: ebenjenen Karl Schmidt, der in der "Herr Lehmann"-Trilogie der beste Freund des Titelhelden war, ein nicht weiter auffallender Mensch, der hier, im vierten Roman, die alles tragende und, wie sich schnell herausstellt, auch ganz gut durchschauende Figur ist - reserviert und, wenn er erst einmal Sympathien gefasst hat, trotzdem offen, eher ein Kaltblüter, der die Dinge an sich herankommen lässt, ein wenig so wie Döblins Biberkopf, mit dem er auch das Ungeschlachte teilt, und aus Schaden klug geworden. "Ich mag ihn, weil er ein großes Herz hat. Viel größer als das von Frank Lehmann zum Beispiel", teilte Regener gerade dem "Spiegel" mit, eine dieser persönlichen Auskünfte zu seinen Büchern, mit denen er nicht gerade um sich schmeißt.
Karl Schmidt hatte in den Vorgeschichten zwar nichts Weltbewegendes zu sagen, dafür wurde ihm die Ehre zuteil, dass ihn Herr Lehmann am Tag des Mauerfalls in die Psychiatrie bringen musste - eine fast schon welthistorische Pointe, die Regener so unprätentiös setzte wie alles andere auch.
Es ist jetzt fünf Jahre später. Wir treffen Karl Schmidt in einer von Sozialarbeitern betreuten Wohngemeinschaft für (ehemalige) Drogensüchtige in Hamburg-Altona an: "Ich sah Raimund Schulte lange bevor er mich sah. Ich hatte gerade Paranoia und die Tür fest im Blick, weil Werner nicht wollte, dass wir ins Eiscafé gingen, und ich hatte die Pillen abgesetzt und Angst davor, dass Werner beim nächsten Plenum aus einem Eisbecher ,Monteverdi' ein großes Ding machen würde, da hätte ich kaum für mich garantieren können ohne Pillen." Sollte es irgendwann wieder eine Serie oder Umfrage zu den besten Romananfängen geben - dies wäre ein Kandidat.
Hier gibt es kein vornehmes Getue, Regeners längst sprichwörtlich gewordener, vermutlich immer noch unterschätzter Sound sorgt dafür, dass man gleich mittendrin ist und, noch ohne nähere Beschreibungen, auch schon ganz gut Bescheid weiß über das Personal; das Adverb "gerade" umreißt meisterlich-beiläufig den Zustand des Karl Schmidt - er hat Depressionen mit paranoiden Schüben, in die so allmählich abzugleiten kein Vergnügen ist: "Am Samstag wachte ich auf und da war es, das dunkle Gefühl, zwar nicht direkt über mir, aber im Zimmer, und es sah mir dabei zu, wie ich unter der Decke lag und mich nicht bewegte, brachte sich in Erinnerung, die alte Sau, zum ersten Mal seit ich die Pillen abgesetzt hatte, und seltsam war nur, dachte ich, als ich da so lag und mich nicht bewegte, dass ich so naiv gewesen war zu glauben, dass es nicht wiederkommen würde, wenn ich die Pillen absetzte, ganz schön blöd." Es ist schon eine ziemliche Kunst, wie Regener auch hier eine Stimmung ausmalt, ohne dabei ins Detail zu gehen oder im mindesten pathetisch zu werden. Wie viele andere Schriftsteller wären hier nicht bildungssprachlich geworden und hätten gesagt: "als ich so dalag"?
Die bleierne, bedrückende Atmosphäre beherrscht den ganzen ersten, in Hamburg spielenden Teil. Von seiner WG aus bricht Karl Schmidt jeden Morgen auf nach Othmarschen in das Kinderkurheim Elbauen, wo er als Hilfshausmeister angestellt ist und auch die Insassen des angeschlossenen Zoos zu versorgen hat. Er widmet sich dieser Arbeit mit der Hingabe eines phlegmatischen Gewohnheitstiers, das instinktiv spürt, wann seine Zeit hier zu Ende ist - in dem Moment nämlich, in dem ihm ein energischerer Mitarbeiter an die Seite gestellt wird und sich am WG-Telefon jener Raimund Schulte meldet, ein Freund aus alten Berliner Tagen, zusammen mit Ferdi Inhaber eines Techno-Labels.
Gewissenhaft zögernd, gibt er diesem Lockruf aus der alten Welt nach, fährt, statt in den vom abgebrühten WG-Aufseher Werner verordneten Urlaub, einfach nach Berlin und steht den alten und einigen neuen Kumpanen als strikt abstinentes Mädchen für alles bei einem nicht sonderlich gut geplanten Unternehmen zur Verfügung, dem der Roman seinen Titel verdankt: der Deutschland-Tournee "Magical Mystery", einem Wanderzirkus aus Discjockeys, die Wert auf minimale Distinktionen legen und den Geist der Sechziger herüberretten wollen in die Zeit von Techno und Rave Mitte der Neunziger, in denen das Ganze spielt: "Leben, Arbeiten, Wohnen, alles zusammen, voll das Hippieding".
Lässt sich die Magie einer vergangenen Zeit noch einmal heraufrufen? Darum geht es in dieser, man muss eigentlich sagen: Abenteuergeschichte. Die "Magical Mystery Tour" der Beatles von 1967 litt, trotz der bisweilen rührenden Szenen und der wunderbaren Musik, darunter, dass die Naivität weg war und sich, nach dem "Sgt. Pepper", schon Überdruss breitmachte; das Unternehmen ist auf seltsame Weise als Flop in Erinnerung.
Sollte es Regener darum gegangen sein, vom Geist dieser Epoche etwas einzufangen und es in eine Zeit hinüberzuretten, in der die Musik erheblich abgekühlt war, dann ist es nur folgerichtig, wenn er sein Personal für die Tournee mit dem Bewusstsein ausgestattet hat, dass das Scheitern jederzeit möglich ist. Spürbar ist es ihm wieder um jene Ernüchterung zu tun, auf die auch seine Trilogie aus war. Man weiß, dass der Rausch seinen Preis hat; Karl Schmidt, für den ein Exzess nicht mehr in Frage kommt, ist mittlerweile sechsunddreißig, Ferdi, der opinion leader, hat die fünfzig schon überschritten - das richtige Alter also, um Bilanz zu ziehen, aber trotzdem noch weiterzumachen. Die midlife crisis ist, sofern es überhaupt eine gab, überstanden; Vorsicht und eine gewisse, für Spontaneität immer noch offene Abgeklärtheit haben bei der Generation fünfzig plus das Ruder übernommen.
In diesem Punkt steht Regener seinem Bruder im Geiste, Frank Schulz, besonders nahe. Was Schulz am Ende seiner "Hagener Trilogie" mit allerdings ungleich größerem Kunstverstand vorführte - das weitere Tun und Lassen eines gebrochenen Helden, der sich nicht unterkriegen lässt, aber sein Heil nur noch in der Nüchternheit finden kann -, wird uns auch hier zum exemplarischen Versuch, dem ehemals wilden Leben auch nach dem Höhenrausch noch etwas abzugewinnen. Regener tut das mit allem Herzblut, das ihm zur Verfügung steht, und es ist erstaunlich, was er dem Milieu dabei noch so alles abgewinnt. Seine humane Prosa, eine mäandrierende, meistens parataktisch vorgehende Annäherung an die Wirklichkeit, verströmt ein ausgesprochen warmes Gefühl.
"Ich fand, dass ich ihm noch was schuldig war", äußerte Regener diese Woche über Karl Schmidt. Die Schuld dürfte hiermit abgetragen sein.
EDO REENTS
Sven Regener: "Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt". Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2013. 512 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der vierte Teil einer Trilogie? Sven Regeners neuer Roman knüpft an die "Herr Lehmann"-Welt an. Nur der Held ist neu: "Die Rückkehr des Karl Schmidt" ist ein humanes Buch, nicht nur für Musiker, die die midlife crisis schon hinter sich haben.
Magical Mystery: "War das nicht eigentlich ein Ding von den Beatles? Und ist das damals nicht irgendwie in die Hose gegangen?" Karl Schmidt ist schwer zu beeindrucken und kennt in Urheberrechtsfragen kein Pardon. Das hat er mit seinem Autor gemein: Sven Regeners Wutanfall wegen allgemeiner Piraterie und flächendeckender Urheberrechtsverstöße im Internet ist auch deswegen noch so gut in Erinnerung, weil mit ihm etwas Seltenes, aber Naheliegendes eingeklagt wurde: künstlerischer Respekt, den zu zollen eben auch Geld koste (F.A.Z. vom 24. März und 2. April 2012).
Nachdem Regener sich wieder beruhigt haben dürfte, lässt er nun einen alten Bekannten auf die Kundschaft los: ebenjenen Karl Schmidt, der in der "Herr Lehmann"-Trilogie der beste Freund des Titelhelden war, ein nicht weiter auffallender Mensch, der hier, im vierten Roman, die alles tragende und, wie sich schnell herausstellt, auch ganz gut durchschauende Figur ist - reserviert und, wenn er erst einmal Sympathien gefasst hat, trotzdem offen, eher ein Kaltblüter, der die Dinge an sich herankommen lässt, ein wenig so wie Döblins Biberkopf, mit dem er auch das Ungeschlachte teilt, und aus Schaden klug geworden. "Ich mag ihn, weil er ein großes Herz hat. Viel größer als das von Frank Lehmann zum Beispiel", teilte Regener gerade dem "Spiegel" mit, eine dieser persönlichen Auskünfte zu seinen Büchern, mit denen er nicht gerade um sich schmeißt.
Karl Schmidt hatte in den Vorgeschichten zwar nichts Weltbewegendes zu sagen, dafür wurde ihm die Ehre zuteil, dass ihn Herr Lehmann am Tag des Mauerfalls in die Psychiatrie bringen musste - eine fast schon welthistorische Pointe, die Regener so unprätentiös setzte wie alles andere auch.
Es ist jetzt fünf Jahre später. Wir treffen Karl Schmidt in einer von Sozialarbeitern betreuten Wohngemeinschaft für (ehemalige) Drogensüchtige in Hamburg-Altona an: "Ich sah Raimund Schulte lange bevor er mich sah. Ich hatte gerade Paranoia und die Tür fest im Blick, weil Werner nicht wollte, dass wir ins Eiscafé gingen, und ich hatte die Pillen abgesetzt und Angst davor, dass Werner beim nächsten Plenum aus einem Eisbecher ,Monteverdi' ein großes Ding machen würde, da hätte ich kaum für mich garantieren können ohne Pillen." Sollte es irgendwann wieder eine Serie oder Umfrage zu den besten Romananfängen geben - dies wäre ein Kandidat.
Hier gibt es kein vornehmes Getue, Regeners längst sprichwörtlich gewordener, vermutlich immer noch unterschätzter Sound sorgt dafür, dass man gleich mittendrin ist und, noch ohne nähere Beschreibungen, auch schon ganz gut Bescheid weiß über das Personal; das Adverb "gerade" umreißt meisterlich-beiläufig den Zustand des Karl Schmidt - er hat Depressionen mit paranoiden Schüben, in die so allmählich abzugleiten kein Vergnügen ist: "Am Samstag wachte ich auf und da war es, das dunkle Gefühl, zwar nicht direkt über mir, aber im Zimmer, und es sah mir dabei zu, wie ich unter der Decke lag und mich nicht bewegte, brachte sich in Erinnerung, die alte Sau, zum ersten Mal seit ich die Pillen abgesetzt hatte, und seltsam war nur, dachte ich, als ich da so lag und mich nicht bewegte, dass ich so naiv gewesen war zu glauben, dass es nicht wiederkommen würde, wenn ich die Pillen absetzte, ganz schön blöd." Es ist schon eine ziemliche Kunst, wie Regener auch hier eine Stimmung ausmalt, ohne dabei ins Detail zu gehen oder im mindesten pathetisch zu werden. Wie viele andere Schriftsteller wären hier nicht bildungssprachlich geworden und hätten gesagt: "als ich so dalag"?
Die bleierne, bedrückende Atmosphäre beherrscht den ganzen ersten, in Hamburg spielenden Teil. Von seiner WG aus bricht Karl Schmidt jeden Morgen auf nach Othmarschen in das Kinderkurheim Elbauen, wo er als Hilfshausmeister angestellt ist und auch die Insassen des angeschlossenen Zoos zu versorgen hat. Er widmet sich dieser Arbeit mit der Hingabe eines phlegmatischen Gewohnheitstiers, das instinktiv spürt, wann seine Zeit hier zu Ende ist - in dem Moment nämlich, in dem ihm ein energischerer Mitarbeiter an die Seite gestellt wird und sich am WG-Telefon jener Raimund Schulte meldet, ein Freund aus alten Berliner Tagen, zusammen mit Ferdi Inhaber eines Techno-Labels.
Gewissenhaft zögernd, gibt er diesem Lockruf aus der alten Welt nach, fährt, statt in den vom abgebrühten WG-Aufseher Werner verordneten Urlaub, einfach nach Berlin und steht den alten und einigen neuen Kumpanen als strikt abstinentes Mädchen für alles bei einem nicht sonderlich gut geplanten Unternehmen zur Verfügung, dem der Roman seinen Titel verdankt: der Deutschland-Tournee "Magical Mystery", einem Wanderzirkus aus Discjockeys, die Wert auf minimale Distinktionen legen und den Geist der Sechziger herüberretten wollen in die Zeit von Techno und Rave Mitte der Neunziger, in denen das Ganze spielt: "Leben, Arbeiten, Wohnen, alles zusammen, voll das Hippieding".
Lässt sich die Magie einer vergangenen Zeit noch einmal heraufrufen? Darum geht es in dieser, man muss eigentlich sagen: Abenteuergeschichte. Die "Magical Mystery Tour" der Beatles von 1967 litt, trotz der bisweilen rührenden Szenen und der wunderbaren Musik, darunter, dass die Naivität weg war und sich, nach dem "Sgt. Pepper", schon Überdruss breitmachte; das Unternehmen ist auf seltsame Weise als Flop in Erinnerung.
Sollte es Regener darum gegangen sein, vom Geist dieser Epoche etwas einzufangen und es in eine Zeit hinüberzuretten, in der die Musik erheblich abgekühlt war, dann ist es nur folgerichtig, wenn er sein Personal für die Tournee mit dem Bewusstsein ausgestattet hat, dass das Scheitern jederzeit möglich ist. Spürbar ist es ihm wieder um jene Ernüchterung zu tun, auf die auch seine Trilogie aus war. Man weiß, dass der Rausch seinen Preis hat; Karl Schmidt, für den ein Exzess nicht mehr in Frage kommt, ist mittlerweile sechsunddreißig, Ferdi, der opinion leader, hat die fünfzig schon überschritten - das richtige Alter also, um Bilanz zu ziehen, aber trotzdem noch weiterzumachen. Die midlife crisis ist, sofern es überhaupt eine gab, überstanden; Vorsicht und eine gewisse, für Spontaneität immer noch offene Abgeklärtheit haben bei der Generation fünfzig plus das Ruder übernommen.
In diesem Punkt steht Regener seinem Bruder im Geiste, Frank Schulz, besonders nahe. Was Schulz am Ende seiner "Hagener Trilogie" mit allerdings ungleich größerem Kunstverstand vorführte - das weitere Tun und Lassen eines gebrochenen Helden, der sich nicht unterkriegen lässt, aber sein Heil nur noch in der Nüchternheit finden kann -, wird uns auch hier zum exemplarischen Versuch, dem ehemals wilden Leben auch nach dem Höhenrausch noch etwas abzugewinnen. Regener tut das mit allem Herzblut, das ihm zur Verfügung steht, und es ist erstaunlich, was er dem Milieu dabei noch so alles abgewinnt. Seine humane Prosa, eine mäandrierende, meistens parataktisch vorgehende Annäherung an die Wirklichkeit, verströmt ein ausgesprochen warmes Gefühl.
"Ich fand, dass ich ihm noch was schuldig war", äußerte Regener diese Woche über Karl Schmidt. Die Schuld dürfte hiermit abgetragen sein.
EDO REENTS
Sven Regener: "Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt". Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2013. 512 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main