Schönheit definieren? Genauso gut könnte man eine Seifenblase sezieren. Wir erkennen sie, wenn wir sie sehen - jedenfalls glauben wir das. Die Wissenschaft erklärt Schönheit zur Strategie, Philosophen formulieren sie als moralische Gleichung, Dichter greifen nach dem Erhabenen. "Leute kommen zu mir und sagen: 'Herr Doktor, machen Sie mich schön'", verrät ein Schönheitschirurg. "Und was wollen sie? Hohe Backenknochen und ein markanteres Kinn."
Heute ist das Streben nach dem perfekten Aussehen ein globales Phänomen. Russland lockt mit billigen Schönheitsoperationen. In China sprießen Kliniken für kosmetische Chirurgie schneller aus dem Boden als Bambussprossen im Frühling. Auf jeden Fall ist die Suche nach Schönheit kostspielig ...
Heute ist das Streben nach dem perfekten Aussehen ein globales Phänomen. Russland lockt mit billigen Schönheitsoperationen. In China sprießen Kliniken für kosmetische Chirurgie schneller aus dem Boden als Bambussprossen im Frühling. Auf jeden Fall ist die Suche nach Schönheit kostspielig ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2005Magischer Moment der Verwandlung
Die Globalisierung am Leib Von Michael Jeismann
Marie Antoinette hätte vielleicht nicht unter dem Fallbeil enden müssen. Sie und ihr Gemahl, Ludwig XVI., hätten Tage früher fliehen können, hätte die Königin nicht darauf bestanden, noch eigens Kleider und Wäsche und dazu noch die frühe Version eines Kosmetikkoffers für diese unfreiwillige Reise zu bestellen. Auch auf der Flucht wollte sie Königin sein, und wie selbstverständlich stellte sie die Bedürfnisse der Statusrepräsentation über die Imperative eines möglichst raschen Verschwindens - eine Haltung, die übrigens vom europäischen Adel geteilt wurde und maßgeblich zur Souveränität des letzten Stündleins jener Klasse beitrug, die die Revolutionäre als Ungeheuer und Blutsauger darstellten.
Auch wenn diese Adligen ihrer noblen Kleidung beraubt worden und durch die Tage und Wochen im Gefängnis ausgemergelt und ungepflegt waren, so traten viele doch so vor das Fallbeil, als trügen sie noch untadelige Kleidung, seien frisiert und parfümiert. Sie gaben sich als Angehörige ebenjenes Strandes aus, der aus der Welt verschwinden sollte: als Adlige. Kleidung und innere Haltung waren zu einem Zwillingspaar geworden, bei dem leicht das eine das andere stärken oder gar ersetzen konnte. Den Satz, mit dem Ludwig Feuerbach seinen Materialismus auf eine Formel brachte - "Der Mensch ist, was er ißt" -, könnte man ebensogut dahin wenden, daß der Mensch ist, was er trägt. Aber ganz so einfach ist es doch nicht. "Kleider machen Leute", sagt zwar der zum Sprichwort erhobene Titel des gleichnamigen Romans von Gottfried Keller. Wer aber die Geschichte vom falschen Grafen Wenzel genau studiert, bemerkt, daß es sich doch anders verhält: Nicht die vornehme Kleidung allein hat den wandernden Schneidergesellen in den Augen der Welt zum Grafen werden lassen, es sind vielmehr sein distinguiertes Auftreten und dazu seine feinen Gesichtszüge, die den schüchternen jungen Mann allen Bewohnern des Dorfes Goldach als etwas Besonderes erscheinen lassen. Nach einigen Wirren und nachdem das Hauptmißverständnis aufgelöst ist, wird der romantische junge Mann zu einem sehr tüchtigen Geschäftsmann mit Bauch, der nicht mehr viel von der Sensibilität und Ästhetik seiner jungen Jahre an sich hat. Daran ändert ein samtener Rock, wie er ihn einst trug, auch nichts mehr. Insofern dementiert der Roman am Ende den eigenen Titel.
Die Beziehung zwischen der Kleidung und den Leuten ist jedenfalls subtiler, als der Titel glauben machen will. In der Tat erlebt man die eigene Kleidung als Ausweis der Herkunft erst in fremder Umgebung - sei sie sozial fremd oder geographisch fern und nicht von westlichen Normen und Anschauungen geprägt. Um diese Erfahrung zu machen, braucht man kein Flugticket, es reicht, wenn man sich auf eine optische Weltreise "durch Mode, Kleidung und Schmuck" begibt, wie sie der im Jahr 2001 erschienene und heute vergriffene Band von Cathy Newman "Magie der Schönheit" anhand von Fotografien aus dem Archiv des "National Geographic" vor unseren Augen unternimmt. Die Ethnologen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts haben festgehalten, was Modefotografen und Modescouts heute noch als Inspirationsquelle zu nutzen suchen: den Moment der Verwandlung. Jenen Augenblick, in dem ein Individuum seiner äußeren Erscheinung keine zufällige, sondern eine gewählte und bewußt geschaffene Bedeutung verleiht, die mit der sozialen Welt ebenso korrespondiert wie mit dem Selbstempfinden der Person. Dabei kommt es ebenso oft zur Offenbarung wie zum Versteckspiel, und manchmal ist das eine genau das andere.
In welcher Person wird also der Leser auf dieser Seite die amerikanische Studentin der Jurisprudenz entdecken? Es ist ebenjene exotische Pfauengestalt, die einige Augenblicke nach dieser Aufnahme zur "Miss Welt" gekürt wurde. Sie stammt aus Trinidad, und ihr bürgerlicher Name lautet Wendy Fitzwilliam. Ihr prüfender Blick in den Spiegel gilt nun einer Wandlung, die anschaulich eine Symbiose oder eine vielfache Spiegelung herstellt zwischen der amerikanischen Kultur und einer imaginierten exotischen Herkunft - im Rahmen eines "Miss"-Wettbewerbs. Dieser Vorgang verweist auf die Anverwandlung, die seit den Tagen der europäischen Expansion zu einem beherrschenden Prinzip weltweiter gegenseitiger Wahrnehmung geworden ist. Es ist in diesem Prozeß keineswegs so, daß etwa nur die kolonialisierten Völker sich Kleidung und Schmuck der Kolonialherren und -damen zum Vorbild genommen hätten. Es kam zu ganz neuen Kombinationen zwischen dem Gewohnten und dem Neuartigen auf beiden Seiten; die europäische Kultur griff Stilelemente aus Afrika oder dem Fernen Osten auf, und das nicht nur in Kleidung und Schmuck, sondern auch in den Künsten, allen voran der Architektur und der Malerei. Und mehr noch: Es wurden gegenseitig auch Körperhaltungen entlehnt.
Es wäre indessen ein Irrtum, dies als reine Oberflächenerscheinungen ohne weitere Rückwirkung auf das Selbstverständnis zu betrachten. Es ist vielmehr ein Prozeß, der wortwörtlich bis in die letzte Faser der Kulturen geht und diese nicht nur bis in die Wolle färbt. Daran zu erinnern ist heute nicht nur politisch nützlich, sondern ästhetisch reizvoll. Einige Beispiele von der geradezu magischen Qualität solcher Übernahmen oder Ablehnungen verdeutlichen, wie sehr Kleidung und Schmuck zum kulturellen Selbstverständnis und zum eigenen Körperbewußtsein beitragen. So hatte der königliche Couturier Sir Norman Hartnell im Jahr 1947 sehr genau zu klären, woher die Seide für das Kleid stammte, das Prinzessin Elisabeth bei ihrer Hochzeit mit Philip tragen sollte. Kam sie etwa aus den ehemaligen Feindländern Japan oder Italien?
Der Lieferant konnte den Hofschneider beruhigen, als er versicherte, daß die Seidenraupen chinesischer Abstammung seien - nationalchinesischer Abstammung, wie er nicht vergaß hinzuzufügen. Es war, als ob mit den fremden Fasern sich der Fremde und das Feindliche des eigenen Körpers hätten bemächtigen können. Mahatma Gandhi ist das Gegenstück zu dieser Art Besorgnis. Seine äußerst schlichte Kleidung, die der untersten Kaste Indiens entsprach, legte er erst an, als er, aus Südafrika zurückgekehrt, sich als geistiger Führer Indiens in die Unabhängigkeit verstand. Das baumwollene Lendentuch und der Umhang waren als Botschaft deutlicher, als jedes Wort es hätte sein können. Auch der amerikanische Patriot, der beim Mardi Gras in New Orleans sein Gesicht in den Farben der Vereinigten Staaten angemalt hat, trägt seine Überzeugung und sein Zugehörigkeitsgefühl als sichtbares Bekenntnis. Dabei ist diese Art der Gesichtsbemalung natürlich ihrerseits alles andere als amerikanisch, so daß dem Patriotismus ein Universalismus im Gesicht geschrieben steht, der von sich selbst nicht weiß.
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Die Globalisierung am Leib Von Michael Jeismann
Marie Antoinette hätte vielleicht nicht unter dem Fallbeil enden müssen. Sie und ihr Gemahl, Ludwig XVI., hätten Tage früher fliehen können, hätte die Königin nicht darauf bestanden, noch eigens Kleider und Wäsche und dazu noch die frühe Version eines Kosmetikkoffers für diese unfreiwillige Reise zu bestellen. Auch auf der Flucht wollte sie Königin sein, und wie selbstverständlich stellte sie die Bedürfnisse der Statusrepräsentation über die Imperative eines möglichst raschen Verschwindens - eine Haltung, die übrigens vom europäischen Adel geteilt wurde und maßgeblich zur Souveränität des letzten Stündleins jener Klasse beitrug, die die Revolutionäre als Ungeheuer und Blutsauger darstellten.
Auch wenn diese Adligen ihrer noblen Kleidung beraubt worden und durch die Tage und Wochen im Gefängnis ausgemergelt und ungepflegt waren, so traten viele doch so vor das Fallbeil, als trügen sie noch untadelige Kleidung, seien frisiert und parfümiert. Sie gaben sich als Angehörige ebenjenes Strandes aus, der aus der Welt verschwinden sollte: als Adlige. Kleidung und innere Haltung waren zu einem Zwillingspaar geworden, bei dem leicht das eine das andere stärken oder gar ersetzen konnte. Den Satz, mit dem Ludwig Feuerbach seinen Materialismus auf eine Formel brachte - "Der Mensch ist, was er ißt" -, könnte man ebensogut dahin wenden, daß der Mensch ist, was er trägt. Aber ganz so einfach ist es doch nicht. "Kleider machen Leute", sagt zwar der zum Sprichwort erhobene Titel des gleichnamigen Romans von Gottfried Keller. Wer aber die Geschichte vom falschen Grafen Wenzel genau studiert, bemerkt, daß es sich doch anders verhält: Nicht die vornehme Kleidung allein hat den wandernden Schneidergesellen in den Augen der Welt zum Grafen werden lassen, es sind vielmehr sein distinguiertes Auftreten und dazu seine feinen Gesichtszüge, die den schüchternen jungen Mann allen Bewohnern des Dorfes Goldach als etwas Besonderes erscheinen lassen. Nach einigen Wirren und nachdem das Hauptmißverständnis aufgelöst ist, wird der romantische junge Mann zu einem sehr tüchtigen Geschäftsmann mit Bauch, der nicht mehr viel von der Sensibilität und Ästhetik seiner jungen Jahre an sich hat. Daran ändert ein samtener Rock, wie er ihn einst trug, auch nichts mehr. Insofern dementiert der Roman am Ende den eigenen Titel.
Die Beziehung zwischen der Kleidung und den Leuten ist jedenfalls subtiler, als der Titel glauben machen will. In der Tat erlebt man die eigene Kleidung als Ausweis der Herkunft erst in fremder Umgebung - sei sie sozial fremd oder geographisch fern und nicht von westlichen Normen und Anschauungen geprägt. Um diese Erfahrung zu machen, braucht man kein Flugticket, es reicht, wenn man sich auf eine optische Weltreise "durch Mode, Kleidung und Schmuck" begibt, wie sie der im Jahr 2001 erschienene und heute vergriffene Band von Cathy Newman "Magie der Schönheit" anhand von Fotografien aus dem Archiv des "National Geographic" vor unseren Augen unternimmt. Die Ethnologen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts haben festgehalten, was Modefotografen und Modescouts heute noch als Inspirationsquelle zu nutzen suchen: den Moment der Verwandlung. Jenen Augenblick, in dem ein Individuum seiner äußeren Erscheinung keine zufällige, sondern eine gewählte und bewußt geschaffene Bedeutung verleiht, die mit der sozialen Welt ebenso korrespondiert wie mit dem Selbstempfinden der Person. Dabei kommt es ebenso oft zur Offenbarung wie zum Versteckspiel, und manchmal ist das eine genau das andere.
In welcher Person wird also der Leser auf dieser Seite die amerikanische Studentin der Jurisprudenz entdecken? Es ist ebenjene exotische Pfauengestalt, die einige Augenblicke nach dieser Aufnahme zur "Miss Welt" gekürt wurde. Sie stammt aus Trinidad, und ihr bürgerlicher Name lautet Wendy Fitzwilliam. Ihr prüfender Blick in den Spiegel gilt nun einer Wandlung, die anschaulich eine Symbiose oder eine vielfache Spiegelung herstellt zwischen der amerikanischen Kultur und einer imaginierten exotischen Herkunft - im Rahmen eines "Miss"-Wettbewerbs. Dieser Vorgang verweist auf die Anverwandlung, die seit den Tagen der europäischen Expansion zu einem beherrschenden Prinzip weltweiter gegenseitiger Wahrnehmung geworden ist. Es ist in diesem Prozeß keineswegs so, daß etwa nur die kolonialisierten Völker sich Kleidung und Schmuck der Kolonialherren und -damen zum Vorbild genommen hätten. Es kam zu ganz neuen Kombinationen zwischen dem Gewohnten und dem Neuartigen auf beiden Seiten; die europäische Kultur griff Stilelemente aus Afrika oder dem Fernen Osten auf, und das nicht nur in Kleidung und Schmuck, sondern auch in den Künsten, allen voran der Architektur und der Malerei. Und mehr noch: Es wurden gegenseitig auch Körperhaltungen entlehnt.
Es wäre indessen ein Irrtum, dies als reine Oberflächenerscheinungen ohne weitere Rückwirkung auf das Selbstverständnis zu betrachten. Es ist vielmehr ein Prozeß, der wortwörtlich bis in die letzte Faser der Kulturen geht und diese nicht nur bis in die Wolle färbt. Daran zu erinnern ist heute nicht nur politisch nützlich, sondern ästhetisch reizvoll. Einige Beispiele von der geradezu magischen Qualität solcher Übernahmen oder Ablehnungen verdeutlichen, wie sehr Kleidung und Schmuck zum kulturellen Selbstverständnis und zum eigenen Körperbewußtsein beitragen. So hatte der königliche Couturier Sir Norman Hartnell im Jahr 1947 sehr genau zu klären, woher die Seide für das Kleid stammte, das Prinzessin Elisabeth bei ihrer Hochzeit mit Philip tragen sollte. Kam sie etwa aus den ehemaligen Feindländern Japan oder Italien?
Der Lieferant konnte den Hofschneider beruhigen, als er versicherte, daß die Seidenraupen chinesischer Abstammung seien - nationalchinesischer Abstammung, wie er nicht vergaß hinzuzufügen. Es war, als ob mit den fremden Fasern sich der Fremde und das Feindliche des eigenen Körpers hätten bemächtigen können. Mahatma Gandhi ist das Gegenstück zu dieser Art Besorgnis. Seine äußerst schlichte Kleidung, die der untersten Kaste Indiens entsprach, legte er erst an, als er, aus Südafrika zurückgekehrt, sich als geistiger Führer Indiens in die Unabhängigkeit verstand. Das baumwollene Lendentuch und der Umhang waren als Botschaft deutlicher, als jedes Wort es hätte sein können. Auch der amerikanische Patriot, der beim Mardi Gras in New Orleans sein Gesicht in den Farben der Vereinigten Staaten angemalt hat, trägt seine Überzeugung und sein Zugehörigkeitsgefühl als sichtbares Bekenntnis. Dabei ist diese Art der Gesichtsbemalung natürlich ihrerseits alles andere als amerikanisch, so daß dem Patriotismus ein Universalismus im Gesicht geschrieben steht, der von sich selbst nicht weiß.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Eine "sehr ästhetische Form" attestiert Ulrike Krüger dieser Zeitreise in die Welt der Mode: Den für den National Geographic gewohnt guten Fotos, korrespondiere eine eher spartanische textliche Ausstattung. Dennoch lässt sich einiges lernen aus dem Band: "Dass Mode nicht auf Zeit und Raum festgelegt ist", zum Beispiel, für Krüger ersichtlich aus der Gegenüberstellung eines Punks und eines indianischen Stammeskriegers beziehungsweise durch die "Magie des Augenblicks", die sich in den Farben und Details der Stoffe und Accessoires verfängt: "Kulte, Traditionen und gesellschaftliche Position manifestieren sich in Tracht und Schmuck."
© Perlentaucher Medien GmbH
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