Noch bevor die weltberühmte Agentur Magnum 1947 gegründet wurde, bereiste einer der künftigen Gründerväter, der legendäre Robert Capa, China. Ende der 30er Jahre berichtete er über die japanische Invasion, die das lange isolierte und jetzt von Bürgerkriegen heimgesuchte Riesenreich in einen seiner vielen blutigen Konflikte des 20. Jahrhunderts stürzte. Als Henri Cartier-Bresson 10 Jahre später nach China kam, hatte bereits Mao Zedong die politische Bühne betreten: Am 1. Oktober 1949 rief er die Volksrepublik China aus - was tiefgreifende Folgen nicht nur für das Land selbst haben sollte, sondern langfristig auch die gesamte Weltordnung veränderte. Seit den ersten Reisen von Capa und Cartier-Bresson haben Magnum-Photographen Chinas politische, ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung begleitet. In Bildern, die um die Welt gingen, verfolgten sie den in der Geschichte wohl radikalsten Wandlungsprozess einer ganzen Nation. Magnum China dokumentiert diesen Prozess in vier Kapiteln mit über 350 Bildern der berühmtesten Magnum-Photographen und erläuternden historischen Texten - eine beeindruckende Chronologie von Chinas dramatischem Weg der letzten 80 Jahre vom rückständigen Vielvölkerstaat über Maos kommunistische Revolution und die ersten Schritte zur Öffnung nach seinem Tod 1976 bis zum heutigen Global Player mit Weltmachtansprüchen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2018Made in China
Die 1947 und damit zwei Jahre vor der Volksrepublik China gegründete Fotoagentur Magnum Photos hat diese von Anbeginn in ihrer Geschichte begleitet - mit Ausstellungen ebenso wie mit Büchern. Dieser Band erzählt aus der Sicht von vierzig Fotografen in vier Abschnitten - Bürgerkrieg, Mao, Deng, Supermacht - eine Aufstiegsgeschichte ohne Netz und doppelten Boden, wobei gerade auch Akte der Selbstbehauptung, Zeugnisse der Verweigerung und Wut im Fokus stehen. Da wäre in den Fünfzigern ein Strohhut inmitten lauter Mao-Mützen; 1983 junge Leute, die lachend ein knallrotes Sofa auf einem Lastenfahrrad transportieren und so die Farbe entideologisieren; oder der legendäre, von Stuart Franklin aufgenommene "Tank Man", der sich 1989 beim Tiananmen-Platz in todesmutiger Lässigkeit den Panzern entgegenstellt. Die Porträts der Magnum-Fotografen verraten im zentralistischen Einheitsstaat ein Herz für regionalen und indigenen Eigensinn, für Anachronismen wie alte Menschen mit Vogelkäfigen oder tibetische Rituale in einer von Götzen des Profitdenkens bedrohten Lebenswelt. So zeigt Ian Berrys Serie zum Drei-Schluchten-Staudamm Impressionen alter Städte kurz vor der Evakuierung und stabsplanmäßigen Überflutung. Interessant sind Ansätze, die Erwartungen an die Autorenschaft herausfordern und autochthone Stimmen einbinden wie das Projekt "Wild Pigeon" zur Zwangsassimilation der Uiguren in der Region Xinjiang von Carolyn Drake, die die örtliche Bevölkerung aufforderte, ihre Bilder als Collage oder Zeichnung neu zu erfinden. Oder Jim Goldbergs metaphorische Suche nach dem "genetischen Fingerabdruck" Pekings, als er die Bürger selbstethnographisch um Motivvorschläge bat, was ihn diesseits vom Konsumrausch und Fassadenschwindel als fotografischer Untergrundflaneur zu Tagelöhnern des Glücks, Migranten, blinden Masseuren oder tauben Liebespaaren führte.
sg
"Magnum China" herausgegeben von Colin Pantall und Zheng Ziyu. Schirmer/Mosel Verlag, München 2018. 376 Seiten, 364 Abbildungen. Gebunden, 49,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die 1947 und damit zwei Jahre vor der Volksrepublik China gegründete Fotoagentur Magnum Photos hat diese von Anbeginn in ihrer Geschichte begleitet - mit Ausstellungen ebenso wie mit Büchern. Dieser Band erzählt aus der Sicht von vierzig Fotografen in vier Abschnitten - Bürgerkrieg, Mao, Deng, Supermacht - eine Aufstiegsgeschichte ohne Netz und doppelten Boden, wobei gerade auch Akte der Selbstbehauptung, Zeugnisse der Verweigerung und Wut im Fokus stehen. Da wäre in den Fünfzigern ein Strohhut inmitten lauter Mao-Mützen; 1983 junge Leute, die lachend ein knallrotes Sofa auf einem Lastenfahrrad transportieren und so die Farbe entideologisieren; oder der legendäre, von Stuart Franklin aufgenommene "Tank Man", der sich 1989 beim Tiananmen-Platz in todesmutiger Lässigkeit den Panzern entgegenstellt. Die Porträts der Magnum-Fotografen verraten im zentralistischen Einheitsstaat ein Herz für regionalen und indigenen Eigensinn, für Anachronismen wie alte Menschen mit Vogelkäfigen oder tibetische Rituale in einer von Götzen des Profitdenkens bedrohten Lebenswelt. So zeigt Ian Berrys Serie zum Drei-Schluchten-Staudamm Impressionen alter Städte kurz vor der Evakuierung und stabsplanmäßigen Überflutung. Interessant sind Ansätze, die Erwartungen an die Autorenschaft herausfordern und autochthone Stimmen einbinden wie das Projekt "Wild Pigeon" zur Zwangsassimilation der Uiguren in der Region Xinjiang von Carolyn Drake, die die örtliche Bevölkerung aufforderte, ihre Bilder als Collage oder Zeichnung neu zu erfinden. Oder Jim Goldbergs metaphorische Suche nach dem "genetischen Fingerabdruck" Pekings, als er die Bürger selbstethnographisch um Motivvorschläge bat, was ihn diesseits vom Konsumrausch und Fassadenschwindel als fotografischer Untergrundflaneur zu Tagelöhnern des Glücks, Migranten, blinden Masseuren oder tauben Liebespaaren führte.
sg
"Magnum China" herausgegeben von Colin Pantall und Zheng Ziyu. Schirmer/Mosel Verlag, München 2018. 376 Seiten, 364 Abbildungen. Gebunden, 49,80 Euro.
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