Gutzkows erster Roman von 1833 spielt in Tibet und steht im Kontextder damals modischen orientalistischen Literatur. Etwas Besondereslag jedoch in der Wahl des Schauplatzes Tibet, das für Europäer nochrelativ unbekannt war. Der Untertitel, den Gutzkow »Maha Guru« gab,»Geschichte eines Gottes«, deutete die ethische Herausforderung an,die im Lamaismus lag, in der Verkörperung des göttlichen Prinzips durcheinen sterblichen Dalai Lama. Aufregend für europäische Sittlichkeitsbegriffewar die tibetanische Polyandrie, also die Ehe einer Frau mitmehreren Männern: ein moralischer Stoff, den der Roman eng mitseinem religiösen Thema verwebt.Der Autor bezog sein Wissen aus einer Reihe von Quellen. Die eigenePhantasie verwandelte dieses Material in ein Gesellschaftsporträt mitSpitzen gegen die chinesische Führungsschicht und den Klerus, aberauch mit Einfühlung in die Besonderheiten Tibets. Der Roman zeichnetdas Bild einer Kultur auf dem Säkularisierungsweg. Äußere Abhängigkeitensind dabei genauso im Spiel wie innere Machtverhältnisse undindividueller Ehrgeiz.Eine Geschichte der Säkularisierung ist auch der Lebensweg der Titelgestalt.Der Gott Maha Guru wird wieder zum Menschen: Seine Liebezu Gylluspa und zu seinem Bruder unterminiert seinen Status und wirdschließlich in einer Ehe zu dritt verwirklicht. Diese 'Menschwerdung' vollziehtsich in sinnlicher und spiritueller Hinsicht. Maha Guru beendet seinDasein als Geläuterter in einem Zustand zwischen Diesseits und Jenseits.Obwohl Gutzkow den jungdeutschen Diskurs zur Emanzipation derSinne in diesem Roman mitgestaltet, vereinnahmt er die GeschichteMaha Gurus nicht für diesen Zweck. Die beobachtende Distanz wirdgewahrt, und der yogihafte Heilige, dem das Schlusskapitel gewidmet ist,behält die ihm eigene kulturelle Differenz.
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