Vielschichtiger Blick auf Mahlers zehn Sinfonien. Der Dirigent Michael Gielen erläutert im Gespräch mit Paul Fiebig sein Bild des Komponisten Mahler. Dabei stellt er Mahlers Sinfonien, ihre Form, Struktur, Zusammenhänge und ihren musikalischen Gehalt anschaulich dar. Durch Gielens jahrelange Auseinandersetzung mit Mahler entsteht eine neue Sichtweise auf den Komponisten. Ein Buch für alle diejenigen, die mehr über Mahlers Werke wissen wollen, als im Konzertführer steht.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2003Sinn, nicht nur Sound
Raus aus Adornos Bann: Michael Gielen über Gustav Mahler
Der Titel des Buches klingt so anspruchsvoll, wie er bescheiden ist: "Mahler im Gespräch". Er suggeriert, gänzlich paradox, Mahler höchstselbst, obschon schon 1911 gestorben, habe da Rede und Antwort gestanden, als käme der Komponist selbst zu Wort - als gäbe es folglich wahrhaft authentische Informationen. Die Vorgaukelung also, das Subjekt Mahler wäre sein eigenes Sprachrohr, könnte in der Tat als unredlich gelten. Doch das Gegenteil ist der Fall: "Mahler im Gespräch" nimmt sein sinfonisches OEuvre als Objekt eines engagierten Diskurses zwischen dem Komponisten und Dirigenten Michael Gielen und dem SWR-Musikredakteur Paul Fiebig, basierend auf Hörfunk-Gesprächen. Es sind keine Interviews mit Gielen, sondern - ähnlich wie bei den Gesprächen zwischen Alfred Brendel und Martin Meyer - Dialoge von unterschiedlichen, sich im gemeinsamen Interesse an der Sache einigen Partnern.
Doch nicht nur das: Viel spricht für die These, daß eigentlich nur ein Komponist wirklich sinnvoll dirigieren könne - weil er weit besser als der "Nur-Musiker" versteht, was in einer Partitur wirklich vorgehe, er nicht nur sinnfälliger machen kann, wie etwas zu sein habe, sondern auch warum. Das heißt aber auch, daß die Zeit des "Vollblutmusikanten", der Musik primär nach Gusto mit Temperament, Virtuosität und Charisma suggestiv serviert, vorbei ist. Doch muß Analytik keineswegs in trockener Notenfuchserei verharren. Gerade Gielen frappiert immer wieder durch das Ineins von enthusiastischem Elan und Strukturbewußtsein. Von diesem Doppelcharakter leben auch diese Gespräche, bei denen man permanent spürt, wie sehr Gielen die Sache Mahlers zu seiner eigenen gemacht hat, ohne darüber zum Mahler-Hohenpriester oder Selbstdarsteller zu werden. Der wichtige, eher unterschätzte Komponist Gielen, der scharfsinnige Intellektuelle und immens erfahrene Dirigier-Praktiker wirken hier erhellend zusammen.
Natürlich stand auch Gielen im Banne des in seiner Art epochalen Mahler-Buchs von Adorno. Man spürt auch heute noch die tiefen Einsichten, die er ihm verdankt. Doch hat er sich von der Überfigur auch freigemacht: Die Vorbehalte etwa gegenüber der Achten, der "Sinfonie der Tausend", teilt er nicht mehr; dafür stört ihn am Finale der Ersten das Moment des zirzensisch aufgezäumt Lärmenden. Gielens Blick wie Ohr für Mahler arbeiten nicht nur nachvollziehend, sondern identifikatorisch, wenn auch nicht im Sinne emotionaler Selbstberauschung: Gleichsam im Geiste komponiert er mit dem älteren Kollegen mit, reflektiert dabei fortwährend die Musikgeschichte - als bildeten Bach, Mahler und Helmut Lachenmann eine Art bewegliches Komponier-Dreieck. Die analytisch-spekulative Durchdringung der Partituren der zehn Mahler-Sinfonien, auch des "Liedes von der Erde", und die enorme Orchester-Kenntnis Gielens ergänzen sich zum utopischen Doppelporträt Gielen/Mahler. Mehr noch: Gielens Mahler-Einspielungen mit dem SWR-Orchester vermögen Belege für dessen Gedanken und Beobachtungen zu liefern, Theorie und Praxis zu versöhnen. Es ist von erheblichem Nutzen, die Werke, sogar die Partituren, einigermaßen parat zu haben. Doch ist der Duktus der Gespräche so lebhaft und anschaulich, daß es nicht nur des Expertentums bedarf, um die Botschaften mit Gewinn zu vernehmen.
GERHARD R. KOCH
Michael Gielen, Paul Fiebig: "Mahler im Gespräch". Die zehn Sinfonien. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2002. 233 Seiten, br., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Raus aus Adornos Bann: Michael Gielen über Gustav Mahler
Der Titel des Buches klingt so anspruchsvoll, wie er bescheiden ist: "Mahler im Gespräch". Er suggeriert, gänzlich paradox, Mahler höchstselbst, obschon schon 1911 gestorben, habe da Rede und Antwort gestanden, als käme der Komponist selbst zu Wort - als gäbe es folglich wahrhaft authentische Informationen. Die Vorgaukelung also, das Subjekt Mahler wäre sein eigenes Sprachrohr, könnte in der Tat als unredlich gelten. Doch das Gegenteil ist der Fall: "Mahler im Gespräch" nimmt sein sinfonisches OEuvre als Objekt eines engagierten Diskurses zwischen dem Komponisten und Dirigenten Michael Gielen und dem SWR-Musikredakteur Paul Fiebig, basierend auf Hörfunk-Gesprächen. Es sind keine Interviews mit Gielen, sondern - ähnlich wie bei den Gesprächen zwischen Alfred Brendel und Martin Meyer - Dialoge von unterschiedlichen, sich im gemeinsamen Interesse an der Sache einigen Partnern.
Doch nicht nur das: Viel spricht für die These, daß eigentlich nur ein Komponist wirklich sinnvoll dirigieren könne - weil er weit besser als der "Nur-Musiker" versteht, was in einer Partitur wirklich vorgehe, er nicht nur sinnfälliger machen kann, wie etwas zu sein habe, sondern auch warum. Das heißt aber auch, daß die Zeit des "Vollblutmusikanten", der Musik primär nach Gusto mit Temperament, Virtuosität und Charisma suggestiv serviert, vorbei ist. Doch muß Analytik keineswegs in trockener Notenfuchserei verharren. Gerade Gielen frappiert immer wieder durch das Ineins von enthusiastischem Elan und Strukturbewußtsein. Von diesem Doppelcharakter leben auch diese Gespräche, bei denen man permanent spürt, wie sehr Gielen die Sache Mahlers zu seiner eigenen gemacht hat, ohne darüber zum Mahler-Hohenpriester oder Selbstdarsteller zu werden. Der wichtige, eher unterschätzte Komponist Gielen, der scharfsinnige Intellektuelle und immens erfahrene Dirigier-Praktiker wirken hier erhellend zusammen.
Natürlich stand auch Gielen im Banne des in seiner Art epochalen Mahler-Buchs von Adorno. Man spürt auch heute noch die tiefen Einsichten, die er ihm verdankt. Doch hat er sich von der Überfigur auch freigemacht: Die Vorbehalte etwa gegenüber der Achten, der "Sinfonie der Tausend", teilt er nicht mehr; dafür stört ihn am Finale der Ersten das Moment des zirzensisch aufgezäumt Lärmenden. Gielens Blick wie Ohr für Mahler arbeiten nicht nur nachvollziehend, sondern identifikatorisch, wenn auch nicht im Sinne emotionaler Selbstberauschung: Gleichsam im Geiste komponiert er mit dem älteren Kollegen mit, reflektiert dabei fortwährend die Musikgeschichte - als bildeten Bach, Mahler und Helmut Lachenmann eine Art bewegliches Komponier-Dreieck. Die analytisch-spekulative Durchdringung der Partituren der zehn Mahler-Sinfonien, auch des "Liedes von der Erde", und die enorme Orchester-Kenntnis Gielens ergänzen sich zum utopischen Doppelporträt Gielen/Mahler. Mehr noch: Gielens Mahler-Einspielungen mit dem SWR-Orchester vermögen Belege für dessen Gedanken und Beobachtungen zu liefern, Theorie und Praxis zu versöhnen. Es ist von erheblichem Nutzen, die Werke, sogar die Partituren, einigermaßen parat zu haben. Doch ist der Duktus der Gespräche so lebhaft und anschaulich, daß es nicht nur des Expertentums bedarf, um die Botschaften mit Gewinn zu vernehmen.
GERHARD R. KOCH
Michael Gielen, Paul Fiebig: "Mahler im Gespräch". Die zehn Sinfonien. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2002. 233 Seiten, br., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nein, Mahler spricht hier nicht, stellt der Rezensent Gerhard R. Koch eingangs fest, sondern der Dirigent und Komponist Michael Gielen unterhält sich mit dem Rundfunkredakteur Paul Fiebig über Mahler. Koch ist regelrecht ergriffen. Als Dirigenten sagt er Gielen ein "Ineins von enthusiastischem Elan und Strukturbewusstsein" nach, und genau dies komme nun auch wieder in diesem Buch zum Tragen. Darum empfiehlt Koch auch, Gielens Mahler-Einspielungen und, wenn möglich, sogar die Partitur zur Hand zu haben, wenn man dieses Buch liest. Gielen komponiere in diesen Gespräche "im Geiste mit dem älteren Kollegen mit", schreibt Koch. Er spanne überdies ein fruchtbares Dreieck mit dem großen Vorgänger Bach und dem großen Nachfolger Helmut Lachenmann und knüpfe natürlich an das "epochale Mahler-Buch von Adorno" an. "Tiefe Einsichten" verdanke Gielen dem negativen Dialektiker, aber Koch stellt auch dankbar fest, dass sich Gielen von Adorno freimacht und etwa zur Ersten und zur Achten Sinfonie neue Einsichten formuliert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Die analytisch-spekulative Durchdringung der Partituren der zehn Mahler-Sinfonien, auch des 'Liedes von der Erde', und die enorme Orchester-Kenntnis Gielens ergänzen sich zum utopischen Doppelporträt Gielen/Mahler." - FAZ
"Gielen gehört bekanntermaßen zu den Dirigenten, die ihr Tun häufig reflektieren, sich auch in Buchform äußern. 'Mahler im Gespräch' ist der bei Metzler erschienene Band betitelt, in dem sich Gielen im Dialog mit Paul Fiebig kenntnisreich zu den zehn Sinfonien sowie dem 'Lied von der Erde' äußert." - Zeitung KULTUR
"Ungemein instruktive 'zweite Blicke' in die Partituren der zehn Sinfonien von Gustav Mahler." - nmz Bücher
"Gielen gehört bekanntermaßen zu den Dirigenten, die ihr Tun häufig reflektieren, sich auch in Buchform äußern. 'Mahler im Gespräch' ist der bei Metzler erschienene Band betitelt, in dem sich Gielen im Dialog mit Paul Fiebig kenntnisreich zu den zehn Sinfonien sowie dem 'Lied von der Erde' äußert." - Zeitung KULTUR
"Ungemein instruktive 'zweite Blicke' in die Partituren der zehn Sinfonien von Gustav Mahler." - nmz Bücher