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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2000

Örtlich betäubt
Gestrandetes Leben: "Majakowskiring" von Marlene Streeruwitz

Drei der Betonplatten auf dem Weg zum Bungalow haben einen Sprung, an den Rändern kommen Grasbüschel durch. Über den Funktionärsvillen am Pankower Majakowskiring liegt jetzt die Einflugschneise. Die Nachbarschaft klumpt zusammen zu sonntäglichen Familienfeiern und spazierenden Hundehaltern; eine ältere Dame irrt als hilflose Person umher. Die Putzfrau kommt täglich.

Endlos dehnt sich der Nachmittag, allein der Schatten des Magnolienbaums sorgt dafür, daß die Zeit vergeht. Ein Literaturhaus hat, bis auf weiteres, seine Veranstaltungen und Autoren in der Villa untergebracht, die früher Gäste des DDR-Außenministeriums beherbergte. Das Mobiliar ist zerschlissen, der Teppichboden hat ein wolkiges Muster, dem sich Altersund Schmutzspuren ideal anpassen konnten. Hier wurden "die Befehlsketten der internationalen Freundschaft aufgefrischt", denkt Leonore. Bei kleinen Konspirationen, Lauschangriffen, Gelagen und Orgien womöglich? Nicht einmal mit Schmuddelphantasien ist die muffige Langeweile zu vertreiben.

Nicht im mindesten gibt sich Marlene Streeruwitz' Erzählung autobiographisch oder auch nur insiderisch. Aufschlüsse über die Berliner "LiteraturWerkstatt" sucht man vergeblich. Wie und warum die Wirtschaftsjournalistin Leonore in die Gästewohnung am Majakowskiring gelangt sein mag, bleibt unklar. Um so spürbarer wird, wie der lähmende Autismus des Ortes auf sie übergeht. "Sie sollte nichts versäumen", souffliert sich die Zweiundfünfzigjährige. Schließlich ist Mai, und die Stadt wallt vor Hitze. Vielleicht einen Callboy nehmen oder wenigstens einmal um den Block spazieren. Unterdessen gibt sie den Erinnerungsfetzen nach, die sich in ihre Einsamkeit drängen. An Richard, mit dem sie verheiratet war; an Paul, der nie hatte zu ihr ziehen wollen; an den stets eifersüchtigen Polen schließlich, den sie durch ein falsches Geständnis verlor. Die Leonore-Figur hat Schaden genommen, und ihre Erzählung muß ihn aushalten. Oft ist der Satzbau lückenhaft, manchmal zu einem abgehackten Stammeln verkürzt, als lohnten ihre Selbstgespräche der Mühe nicht mehr.

Die Männer, die in diesem trüben Bewußtseinsstrom vorbeiziehen, sind keine ausgesucht unangenehmen Exemplare ihrer Art. Aber sie füllen den Raum aus, sind achtlose Verdränger seelischen Volumens, während die Frau immer Platz macht. Ihre Geschichte lebt allein noch vom Strandgut der anderen. Zerbrochen, gesprungen, zerschlissen auch sie; aber immer noch bewohnt.

Der Erzählung eignet eine leise, figurennahe Sprachkunst und die Fähigkeit der bedeutenden Auslassung. Über weite Strecken versieht Streeruwitz die Perspektive ihrer Protagonistin mit einem niedrig eingepegelten ironischen Ton und verpflichtet sie auf präzise Beschreibungen. Die Erinnerung an einen Flughafen namens "Berlin-Schöneberg" sollte sie freilich überdenken. Jedenfalls tut Leonore, als sie am Ende Ort und Text ergebnislos verläßt, gut daran, ihr Taxi zum Flughafen Tegel zu dirigieren.

ALEXANDER HONOLD.

Marlene Streeruwitz: "Majakowskiring". Erzählung. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 112 S., br., 18,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Katharina Döbler nimmt die Erzählungen dreier Autorinnen zum Anlass, eine Lanze für das viel geschmähte Genre der Frauenliteratur zu brechen. Dem Kitschverdacht und dem Innerlichkeitsvorwurf sieht sie dabei auf ganz verschiedene Weise begegnet.
1) Maike Wetzel: "Hochzeiten"
Zu Maike Wetzels Roman bemerkt Döbler, dass die Autorin mit ihrer knappen, klaren Sprache, die auf unnötiges schmückendes Beiwerk verzichte, "Fragmente aus der Wirklichkeit" liefere. Dabei entstehen "Dialogfetzen im Originalton", die für Döbler einen hohen Grad an Authentizität haben. Ein wenig erinnert sie der lakonische Ton an Raymond Carver - allerdings gebe es bei Wetzel nur glatte Oberflächen, bei Carver dagegen "schwindelerregende Transparenz". Wetzels Sprache verliert ihre Klarheit nur dann, wenn sie Gefühle beschreibt, dann "rutschen und kippen die Texte ins Angestrengte", beobachtet Döbler.
2) Alissa Walser: "Die kleinere Hälfte der Welt"
Die Erzählungen von Alissa Walser seien dagegen mit Bedeutung aufgeladen. Döbler bewundert Walsers "außerordentliches Gespür für das sexuell Aufreizende, aber auch das Bedrohliche und Gemeine". Wenn Wetzel mit "achselzuckendem Zynismus" die Dinge nimmt, wie sie sind, beschreibe Walser die Entstehung dieser Haltung als "schmerzhaften Prozess". Besonders lobt Döbler auch die elegante Sprache, die das Derbe mit dem nur Angedeuteten gekonnt kombiniere.
3) Marlene Streeruwitz: "Majakowskiring"
Auch an dieser Erzählung lobt Döbler besonders die Sprache Streeruwitz`, die mit ihrer Rhythmisierung und Künstlichkeit bereits zum Markenzeichen der Autorin geworden sei. Dieser "irritierende Sprachduktus" ist für Döbler ein überzeugendes literarisches Verfahren. Das sich bei Liebesgeschichten immer einstellende Problem der Verkitschung löse die Autorin geschickt, indem sie den "Kitschverdacht offensiv in ihre Erzählung hineinzitiert".

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