Ein Medizinstudent wird tot in seinem Auto aufgefunden. Die Polizei geht von Selbstmord aus. Die Geliebte des Toten, eine Schauspielschülerin, glaubt fest daran, dass es sich um Mord handelt, und beauftragt Nestor Burma, den Mörder zu finden. Auf der Suche nach der Wahrheit taucht er in die Szene vom Quartier Latin ein.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.01.2009Im Stadtplan lauert der Tod
Der Privatdetektiv Nestor Burma und die Geheimnisse von Paris
Er ist wieder da. In handlichen schwarzen Hardcover-Ausgaben, die Stadtpläne der jeweiligen Arrondissements, in denen die Geschichten spielen, sowie einen literarischen „Nachgang” enthalten, legt der Heilbronner Distel-Verlag die Reihe um den Pariser Privatdetektiv Nestor Burma neu auf. In den 1950er Jahren erstmals erschienen, haben die Romane von Léo Malet (1909-1996) nichts von ihrem ironischen Klang, ihrem Spielwitz und eigenwilligen Spannungsaufbau verloren. Der Anarchist Malet kannte seine Pappenheimer Hammett, Chandler, Cain und die anderen so gut, dass er deren Art, städtische Gesellschaftsschichten abzubilden, mit Links kopieren konnte, ohne sich auf französischem Boden mit pseudoamerikanischer Coolness lächerlich zu machen. Vom ersten Nestor-Burma-Roman an schrieb Malet unverwechselbar, und die Übersetzungen von Katarina Grän bestätigen seinen literarischen Rang bis heute aufs schönste.
„Schließlich setzte sie sich und zog ihren Rock über die Knie, um die Spitze eines lila Unterrocks zu verbergen, die durch die Bewegung vorwitzig hervorgeblitzt war. Trotz ihres Äußeren war an diesem Mädchen keine Spur von Herausforderung. Sie war, wie sie war, und so musste man sie nehmen. Schließlich konnte sie sich nicht die Titten abschleifen, weil sie ein klein wenig keck hervortraten, oder ihre wohlgeformten Beine in Gummistrümpfe zwängen, um niemandes Neid zu erwecken. Sie war einfach ein hübsches, junges Mädchen, das man gern beschützt und getröstet hätte . . . ”. Mit dem Auftritt von Jacqueline Carrier beginnt Nestors Abstieg in die Unterwelten des Quartier Latin im 5. Arrondissement, wo er die Gründe für den Tod eines Studenten herausfinden soll (Léo Malet, Makabre Machenschaften am Boul‘ Mich. Aus dem Französischen von Katharina Grän. Distel Literatur Verlag, Heilbronn 2008. 216 S., 14,80 Euro).
Warum hat sich der 20-jährige Paul Leverrier, Sohn aus gutem Hause, Nachkömmling namhafter Ärzte, in seinem 2 CV eine Kugel in den Kopf geschossen? Und hat er das überhaupt getan oder wurde er ermordet? Diese Vermutung nämlich hegt seine Freundin Jacqueline, auch dann noch, als Nestor Burma von seinen Freunden bei der Kripo längst Einzelheiten über den Tatort erfahren hat. „Paul Leverrier hatte sich aus noch ungeklärten Gründen schlicht und einfach das Leben genommen, und der Schuldige war er selbst . . . ”. Doch die Liebe ist stärker als die Wahrheit, und so will Nestor auf Drängen Jacquelines Licht ins Dunkel der Familie Leverrier bringen. Seine Nachforschungen – „Scheinermittlungen” nennt sie der genervte Kommissar Faroux – führen ihn in die Gefilde des Magiers, Scharlatans und Opiumhändlers Van Straeten und ins Umfeld einer Clique von Studenten, in der die junge Yolande und deren Geliebter, der dunkelhäutige Toussaint, bald eine tragische Rolle spielen werden.
Blut fließt im 5. Arrondissement, der heldenhafte Detektiv, anfangs allein gelassen von seiner grippekranken Sekretärin, wird nicht verschont. Zum Schutz gibt er sich als Gasmann aus. „Der Held, der so dicht neben der Tür stand, hätte nur einen Blick durchs Schlüsselloch zu werfen brauchen, um zu erkennen, dass er es nicht mit einem Auftragskiller zu tun hatte. Und warum stieg der Gasmann die Treppen dann so langsam hinauf? Spannung. Immer nur Spannung. Ich bin angespannt, also schwitze ich.”
Ironie und Irrwitz prägen diesen Roman. Malet kennt sich aus, in Paris, im Krimigenre, in der Liebe und dem, was davon übrig bleibt am Ende der Moral. Obwohl: Moral, was ist das? Oder: Sondervollmachten. „Hat man Ihnen eine erteilt?” fragt Kommissar Faroux. Darauf Burma: „Ich habe mir selbst eine genehmigt, und zwar an dem Tag, an dem ich meinen Fuß in dieses Metier gesetzt habe. Ich brauche nicht die Meinung von sechshundert Hornochsen, die in einem fensterlosen Stall versammelt sind. ”
In diesem Moment sieht man Philip Marlowe über den Ozean winken, und Sam Spade dreht sich zustimmend eine Zigarette, während Nestor Burma seine Stierkopf-Pfeife anzündet, um ein paar klare Gedanken zu fassen. So wenig Léo Malet die Hardboiled-Attitüden der Helden seiner Kollegen einfach nur kopiert, so wenig folgt sein Ich-Erzähler Nestor Burma den festgelegten Wegen realer Stadtpläne. Zwar existieren die Stadtteile, in denen er unterwegs ist, auch bestimmte Straßen, Gebäude, Plätze und Parks könnte ein wachsamer Spaziergänger in Paris aufspüren, oft allerdings nicht genau so, wie sie im Buche stehen. Denn Malet war ein charmanter Trickser, ein Spieler im Spiel des Genres, der sich selbst ungeniert und launig in seinen Romanen als realer Dichter und Chansonnier in Erinnerung rief. Mit Nestor Burma Verbrechen aufzuklären, bereitet pures Vergnügen. Mögen die Methoden des Detektivs gelegentlich etwas altmodisch anmuten, die anarchische Grandezza seiner Auftritte bleibt davon unberührt.
Über zwei Jahre lang hat Friedrich Ani, selbst Verfasser von Kriminalromanen, an dieser Stelle Klassiker und Neuerscheinungen des Genres vorgestellt. Mit diesem Text beendet er seine Kolumne. Wir sagen Dank. SZ
„Ihr, die Ihr hier einfahrt, lasst alle Hoffnung fahren” – Bergmänner beim Schichtwechsel an einem Schacht des Mansfeld Kombinats im September 1973. Nach dem Ende der DDR wurde der Kupferabbau im Mansfelder Land eingestellt. Foto: dpa
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Der Privatdetektiv Nestor Burma und die Geheimnisse von Paris
Er ist wieder da. In handlichen schwarzen Hardcover-Ausgaben, die Stadtpläne der jeweiligen Arrondissements, in denen die Geschichten spielen, sowie einen literarischen „Nachgang” enthalten, legt der Heilbronner Distel-Verlag die Reihe um den Pariser Privatdetektiv Nestor Burma neu auf. In den 1950er Jahren erstmals erschienen, haben die Romane von Léo Malet (1909-1996) nichts von ihrem ironischen Klang, ihrem Spielwitz und eigenwilligen Spannungsaufbau verloren. Der Anarchist Malet kannte seine Pappenheimer Hammett, Chandler, Cain und die anderen so gut, dass er deren Art, städtische Gesellschaftsschichten abzubilden, mit Links kopieren konnte, ohne sich auf französischem Boden mit pseudoamerikanischer Coolness lächerlich zu machen. Vom ersten Nestor-Burma-Roman an schrieb Malet unverwechselbar, und die Übersetzungen von Katarina Grän bestätigen seinen literarischen Rang bis heute aufs schönste.
„Schließlich setzte sie sich und zog ihren Rock über die Knie, um die Spitze eines lila Unterrocks zu verbergen, die durch die Bewegung vorwitzig hervorgeblitzt war. Trotz ihres Äußeren war an diesem Mädchen keine Spur von Herausforderung. Sie war, wie sie war, und so musste man sie nehmen. Schließlich konnte sie sich nicht die Titten abschleifen, weil sie ein klein wenig keck hervortraten, oder ihre wohlgeformten Beine in Gummistrümpfe zwängen, um niemandes Neid zu erwecken. Sie war einfach ein hübsches, junges Mädchen, das man gern beschützt und getröstet hätte . . . ”. Mit dem Auftritt von Jacqueline Carrier beginnt Nestors Abstieg in die Unterwelten des Quartier Latin im 5. Arrondissement, wo er die Gründe für den Tod eines Studenten herausfinden soll (Léo Malet, Makabre Machenschaften am Boul‘ Mich. Aus dem Französischen von Katharina Grän. Distel Literatur Verlag, Heilbronn 2008. 216 S., 14,80 Euro).
Warum hat sich der 20-jährige Paul Leverrier, Sohn aus gutem Hause, Nachkömmling namhafter Ärzte, in seinem 2 CV eine Kugel in den Kopf geschossen? Und hat er das überhaupt getan oder wurde er ermordet? Diese Vermutung nämlich hegt seine Freundin Jacqueline, auch dann noch, als Nestor Burma von seinen Freunden bei der Kripo längst Einzelheiten über den Tatort erfahren hat. „Paul Leverrier hatte sich aus noch ungeklärten Gründen schlicht und einfach das Leben genommen, und der Schuldige war er selbst . . . ”. Doch die Liebe ist stärker als die Wahrheit, und so will Nestor auf Drängen Jacquelines Licht ins Dunkel der Familie Leverrier bringen. Seine Nachforschungen – „Scheinermittlungen” nennt sie der genervte Kommissar Faroux – führen ihn in die Gefilde des Magiers, Scharlatans und Opiumhändlers Van Straeten und ins Umfeld einer Clique von Studenten, in der die junge Yolande und deren Geliebter, der dunkelhäutige Toussaint, bald eine tragische Rolle spielen werden.
Blut fließt im 5. Arrondissement, der heldenhafte Detektiv, anfangs allein gelassen von seiner grippekranken Sekretärin, wird nicht verschont. Zum Schutz gibt er sich als Gasmann aus. „Der Held, der so dicht neben der Tür stand, hätte nur einen Blick durchs Schlüsselloch zu werfen brauchen, um zu erkennen, dass er es nicht mit einem Auftragskiller zu tun hatte. Und warum stieg der Gasmann die Treppen dann so langsam hinauf? Spannung. Immer nur Spannung. Ich bin angespannt, also schwitze ich.”
Ironie und Irrwitz prägen diesen Roman. Malet kennt sich aus, in Paris, im Krimigenre, in der Liebe und dem, was davon übrig bleibt am Ende der Moral. Obwohl: Moral, was ist das? Oder: Sondervollmachten. „Hat man Ihnen eine erteilt?” fragt Kommissar Faroux. Darauf Burma: „Ich habe mir selbst eine genehmigt, und zwar an dem Tag, an dem ich meinen Fuß in dieses Metier gesetzt habe. Ich brauche nicht die Meinung von sechshundert Hornochsen, die in einem fensterlosen Stall versammelt sind. ”
In diesem Moment sieht man Philip Marlowe über den Ozean winken, und Sam Spade dreht sich zustimmend eine Zigarette, während Nestor Burma seine Stierkopf-Pfeife anzündet, um ein paar klare Gedanken zu fassen. So wenig Léo Malet die Hardboiled-Attitüden der Helden seiner Kollegen einfach nur kopiert, so wenig folgt sein Ich-Erzähler Nestor Burma den festgelegten Wegen realer Stadtpläne. Zwar existieren die Stadtteile, in denen er unterwegs ist, auch bestimmte Straßen, Gebäude, Plätze und Parks könnte ein wachsamer Spaziergänger in Paris aufspüren, oft allerdings nicht genau so, wie sie im Buche stehen. Denn Malet war ein charmanter Trickser, ein Spieler im Spiel des Genres, der sich selbst ungeniert und launig in seinen Romanen als realer Dichter und Chansonnier in Erinnerung rief. Mit Nestor Burma Verbrechen aufzuklären, bereitet pures Vergnügen. Mögen die Methoden des Detektivs gelegentlich etwas altmodisch anmuten, die anarchische Grandezza seiner Auftritte bleibt davon unberührt.
Über zwei Jahre lang hat Friedrich Ani, selbst Verfasser von Kriminalromanen, an dieser Stelle Klassiker und Neuerscheinungen des Genres vorgestellt. Mit diesem Text beendet er seine Kolumne. Wir sagen Dank. SZ
„Ihr, die Ihr hier einfahrt, lasst alle Hoffnung fahren” – Bergmänner beim Schichtwechsel an einem Schacht des Mansfeld Kombinats im September 1973. Nach dem Ende der DDR wurde der Kupferabbau im Mansfelder Land eingestellt. Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Zum letzten Mal schreibt Friedrich Ani seine Krimikolumne. Und holt noch einmal zum Lob aus für einen Klassiker. Die Neuauflage der Nestor-Burma-Krimis von Leo Malet im Distel-Verlag hält er für eine gute Tat. Für Ani hat der vorliegende Roman in der Übersetzung von Katarina Grän auch nach 50 Jahren nichts von seiner Ironie, seinem Irrwitz und seiner Eigenwilligkeit des Spannungsaufbaus verloren. Und erscheinen die Methoden des diesmal im 5. Pariser Arrondissement wirkenden Detektivs doch mal etwas altmodisch, die Bereitschaft des Autors zum Spiel mit den Konventionen des Genres und seinen großen amerikanischen Kollegen, bietet laut Ani genug Anarchie, um die Lektüre zum "puren Vergnügen" werden zu lassen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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