Produktdetails
- Verlag: Arrow Books
- ISBN-13: 9780099464815
- Artikelnr.: 24272511
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.1997Klippklapp
Stephen Fry macht Geschichte Von Hanns-Josef Ortheil
Stephen Frys neuer Roman "Geschichte machen" hat seinen Halt in der Figur des Ich-Erzählers. Der heißt Michael Young und ist ein Bursche von jener Sorte, wie sie die Romane der achtziger Jahre kultiviert haben: cool, überheblich, zynisch und geschlagen mit einer unübersehbaren Portion verdrängter Sentimentalität. Hinter dieser Fassade aber lauert das altkluge Kind, das weiter gehätschelt und mit Liebe versorgt werden will. Der Roman hätte in dieser psychologischen Spannung ein Thema, er könnte den ewigen inneren Zweikampf zwischen Großkotz und Muttersohn vorführen. Stephen Fry aber will seine Hauptfigur nicht ernst nehmen, er will sie nur als eine der vielen Sprachmasken benutzen, die diesen Roman zu einer tönenden Geisterbahn machen.
Michael Young, der Ich-Erzähler, ist also nur eine vorgeschobene Figur, er ist der vollmundige Ausrufer dieser Geschichte, für die Stephen Fry eine Menge Zutaten bereithält. Die erste dieser Zutaten ist das Campus-Milieu. Michael Young darf in Cambridge studieren, und hier fühlt Fry sich wohl. Seit seinen literarischen Anfängen kommt er von diesem pubertären Gluckentreiben nicht los, spielt er mit dem jugendlichen Größenwahn und wirft ein erstaunlich biederes, schamhaftes Auge auf die meist homosexuellen Initiationsriten der Campus-Welt. Wo der Größenwahn sich bitter und sarkastisch gibt und auf extreme Distanz zur Welt geht, bleibt der homosexuelle Untergrund versonnen, ja kitschig und fällt weit unter das Niveau der sonst herausgepaukten Weltkritik.
Schnell hat man Fry jedoch in Verdacht, daß ihn auch das Campus-Milieu nicht weiter beschäftigt. Es ist ihm nur das vertrauteste und einfachste Mittel zum Zweck, jene endlosen Klipp-klapp-Dialoge abzuspulen, die für Tempo und Witz sorgen sollen. Damit der Roman, der bisher nur aus den Sprachmasken des Erzählers und den Außenstimmen des Milieus besteht, nun endlich auch so etwas wie ein Thema erhält, läßt Stephen Fry den jungen Michael Young Geschichte studieren. Michael Young schreibt eine Doktorarbeit über die Jugend Adolf Hitlers. Das Ergebnis ist verheerend. Dem Leser werden ausgewählte Kapitel aus Michaels schwergewichtiger historischer Studie vorgesetzt, Szenen aus Hitlers frühen Jahren, die so geschrieben sind, als habe man Felix Dahn gebeten, einen Text auf Bütten zu pinseln. Aus dem schnellen Achterbahntempo der Campus-Dialoge wird der Leser um über hundert Jahre zurückgeschleudert in die zähe, stillstehende und breitgetretene Welt eines historischen Romans. Fry hat sich Namen und Details angelesen und sein Lektürepotpourri Figuren in den Kopf genagelt, die dann in Groschenheftmanier durch die Welt geschubst werden. Anfangs glaubt man noch, irgendwann von dieser historischen Steinmetzarbeit erlöst oder auch darüber belehrt zu werden, wozu sie eigentlich taugt, schließlich aber liest man sich todmüden Auges durch diese Teutomanien und gibt Stephen Fry nicht mehr den geringsten Pardon.
Und das auch dann nicht, als er etwa in der Mitte seines Romans den Fehler selbst bemerkt und mit aller Kraft die Notbremse zieht. Die Notbremse heißt Tim und ist eine Art Zeitimaginationsmaschine. Mit Hilfe von Tim gelingt es, Hitler aus der Welt zu zaubern. Nach dieser kleinen Korrektur nimmt denn auch die Geschichte einen anderen Verlauf. Michael Young erwacht nach seinem welthistorischen Zauberstück in Princeton. Einiges erinnert an England, ist aber natürlich nicht England. Die Szenen, in denen dieser Vergleich zwischen Cambridge und Princeton durchgespielt und Michael langsam in einen schwerfälligen amerikanischen Studenten verwandelt wird, sind am besten gelungen.
Die Welt ohne Hitler ist allerdings nicht die bessere Welt, im Gegenteil. Fry macht sich ein Vergnügen daraus, millimetergenau nachzuweisen, daß das hitlerfreie Dasein ganz ähnliche Schandtaten hervorbringt wie das historisch bekannte. Die neue Führerfigur, die Hitlers Rolle in ihren wesentlichen Momenten übernimmt und anders weiterführt, heißt Rudolf Gloder. Auch Gloder tritt früh an die Spitze einer kleinen rechtsradikalen Partei, doch - anders als Hitler - hofiert er die jüdischen Wissenschaftler so lange, bis sie ihm die Atombombe gebaut haben. So wird die deutsche Weltherrschaft zu einer Realität, mit allen schrecklichen Konsequenzen.
Stephen Fry gerät dieses historische Experiment zu einer Mischung aus Farce und bitterem Ernst. Das Buch leidet darunter, daß Fry plötzlich gründlich sein will, statt sein Experiment launig und virtuos durchzuspielen. Die Folge dieser Nachholarbeit ist eine Art pseudohistorisches Exerzitium, ein Intensivkurs in Weltumpolung, in dessen Verlauf Fry sogar zu dem rüden Mittel greift, dem Leser seitenlange Lexikonartikel über die neuen Führer der Welt vorzusetzen. Am Ende löscht Michael Young, der Ich-Erzähler, seine Dissertation im Computer. Eine Diskette mit dem Text des Machwerks behält er jedoch noch für sich. Auch sie sollte er wegwerfen, bevor sie Stephen Fry in die Hände fällt. Denn der könnte daraus in Windescomputereile einen neuen Roman machen.
Stephen Fry: "Geschichte machen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Blumenbach. Haffmanns Verlag, Zürich 1997. 461 S., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stephen Fry macht Geschichte Von Hanns-Josef Ortheil
Stephen Frys neuer Roman "Geschichte machen" hat seinen Halt in der Figur des Ich-Erzählers. Der heißt Michael Young und ist ein Bursche von jener Sorte, wie sie die Romane der achtziger Jahre kultiviert haben: cool, überheblich, zynisch und geschlagen mit einer unübersehbaren Portion verdrängter Sentimentalität. Hinter dieser Fassade aber lauert das altkluge Kind, das weiter gehätschelt und mit Liebe versorgt werden will. Der Roman hätte in dieser psychologischen Spannung ein Thema, er könnte den ewigen inneren Zweikampf zwischen Großkotz und Muttersohn vorführen. Stephen Fry aber will seine Hauptfigur nicht ernst nehmen, er will sie nur als eine der vielen Sprachmasken benutzen, die diesen Roman zu einer tönenden Geisterbahn machen.
Michael Young, der Ich-Erzähler, ist also nur eine vorgeschobene Figur, er ist der vollmundige Ausrufer dieser Geschichte, für die Stephen Fry eine Menge Zutaten bereithält. Die erste dieser Zutaten ist das Campus-Milieu. Michael Young darf in Cambridge studieren, und hier fühlt Fry sich wohl. Seit seinen literarischen Anfängen kommt er von diesem pubertären Gluckentreiben nicht los, spielt er mit dem jugendlichen Größenwahn und wirft ein erstaunlich biederes, schamhaftes Auge auf die meist homosexuellen Initiationsriten der Campus-Welt. Wo der Größenwahn sich bitter und sarkastisch gibt und auf extreme Distanz zur Welt geht, bleibt der homosexuelle Untergrund versonnen, ja kitschig und fällt weit unter das Niveau der sonst herausgepaukten Weltkritik.
Schnell hat man Fry jedoch in Verdacht, daß ihn auch das Campus-Milieu nicht weiter beschäftigt. Es ist ihm nur das vertrauteste und einfachste Mittel zum Zweck, jene endlosen Klipp-klapp-Dialoge abzuspulen, die für Tempo und Witz sorgen sollen. Damit der Roman, der bisher nur aus den Sprachmasken des Erzählers und den Außenstimmen des Milieus besteht, nun endlich auch so etwas wie ein Thema erhält, läßt Stephen Fry den jungen Michael Young Geschichte studieren. Michael Young schreibt eine Doktorarbeit über die Jugend Adolf Hitlers. Das Ergebnis ist verheerend. Dem Leser werden ausgewählte Kapitel aus Michaels schwergewichtiger historischer Studie vorgesetzt, Szenen aus Hitlers frühen Jahren, die so geschrieben sind, als habe man Felix Dahn gebeten, einen Text auf Bütten zu pinseln. Aus dem schnellen Achterbahntempo der Campus-Dialoge wird der Leser um über hundert Jahre zurückgeschleudert in die zähe, stillstehende und breitgetretene Welt eines historischen Romans. Fry hat sich Namen und Details angelesen und sein Lektürepotpourri Figuren in den Kopf genagelt, die dann in Groschenheftmanier durch die Welt geschubst werden. Anfangs glaubt man noch, irgendwann von dieser historischen Steinmetzarbeit erlöst oder auch darüber belehrt zu werden, wozu sie eigentlich taugt, schließlich aber liest man sich todmüden Auges durch diese Teutomanien und gibt Stephen Fry nicht mehr den geringsten Pardon.
Und das auch dann nicht, als er etwa in der Mitte seines Romans den Fehler selbst bemerkt und mit aller Kraft die Notbremse zieht. Die Notbremse heißt Tim und ist eine Art Zeitimaginationsmaschine. Mit Hilfe von Tim gelingt es, Hitler aus der Welt zu zaubern. Nach dieser kleinen Korrektur nimmt denn auch die Geschichte einen anderen Verlauf. Michael Young erwacht nach seinem welthistorischen Zauberstück in Princeton. Einiges erinnert an England, ist aber natürlich nicht England. Die Szenen, in denen dieser Vergleich zwischen Cambridge und Princeton durchgespielt und Michael langsam in einen schwerfälligen amerikanischen Studenten verwandelt wird, sind am besten gelungen.
Die Welt ohne Hitler ist allerdings nicht die bessere Welt, im Gegenteil. Fry macht sich ein Vergnügen daraus, millimetergenau nachzuweisen, daß das hitlerfreie Dasein ganz ähnliche Schandtaten hervorbringt wie das historisch bekannte. Die neue Führerfigur, die Hitlers Rolle in ihren wesentlichen Momenten übernimmt und anders weiterführt, heißt Rudolf Gloder. Auch Gloder tritt früh an die Spitze einer kleinen rechtsradikalen Partei, doch - anders als Hitler - hofiert er die jüdischen Wissenschaftler so lange, bis sie ihm die Atombombe gebaut haben. So wird die deutsche Weltherrschaft zu einer Realität, mit allen schrecklichen Konsequenzen.
Stephen Fry gerät dieses historische Experiment zu einer Mischung aus Farce und bitterem Ernst. Das Buch leidet darunter, daß Fry plötzlich gründlich sein will, statt sein Experiment launig und virtuos durchzuspielen. Die Folge dieser Nachholarbeit ist eine Art pseudohistorisches Exerzitium, ein Intensivkurs in Weltumpolung, in dessen Verlauf Fry sogar zu dem rüden Mittel greift, dem Leser seitenlange Lexikonartikel über die neuen Führer der Welt vorzusetzen. Am Ende löscht Michael Young, der Ich-Erzähler, seine Dissertation im Computer. Eine Diskette mit dem Text des Machwerks behält er jedoch noch für sich. Auch sie sollte er wegwerfen, bevor sie Stephen Fry in die Hände fällt. Denn der könnte daraus in Windescomputereile einen neuen Roman machen.
Stephen Fry: "Geschichte machen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Blumenbach. Haffmanns Verlag, Zürich 1997. 461 S., geb., 48,- DM.
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