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«Das ist das Meisterhafte in allen Büchern Schädlichs. Die Sätze sind so schlau, sie sehen aus, als wären sie ahnungslos in ihrer spöttischen Tragik und ihrer verletzten Ironie, dass man sich bei Schädlich immer denkt beim Lesen, viel weiter kann man nicht gehen, ohne sofort zu verzweifeln.» (Herta Müller)
Mal hören, was noch kommt / Jetzt, wo alles zu spät is: «Auf'm Nachtisch könnte 'ne Vase mit Blumen stehen. Aber wozu. Ich kann den Kopf nicht zur Seite drehen. Auf'm Nachttisch könnte 'n Glas Wasser stehen. Aber weshalb. Ich kann die Hände nicht bewegen.» In der ersten Erzählung denkt
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Produktbeschreibung
«Das ist das Meisterhafte in allen Büchern Schädlichs. Die Sätze sind so schlau, sie sehen aus, als wären sie ahnungslos in ihrer spöttischen Tragik und ihrer verletzten Ironie, dass man sich bei Schädlich immer denkt beim Lesen, viel weiter kann man nicht gehen, ohne sofort zu verzweifeln.» (Herta Müller)

Mal hören, was noch kommt / Jetzt, wo alles zu spät is: «Auf'm Nachtisch könnte 'ne Vase mit Blumen stehen. Aber wozu. Ich kann den Kopf nicht zur Seite drehen. Auf'm Nachttisch könnte 'n Glas Wasser stehen. Aber weshalb. Ich kann die Hände nicht bewegen.» In der ersten Erzählung denkt ein alter, kranker Mann an Frauen, redet mit Frauen, die sein Gestammel noch verstehen. Und erinnert sich. Als komplementären Text stellt Schädlich zu dieser Erzählung den Monolog einer Frau, die sich an ihre Männer erinnert - Jetzt, wo alles zu spät is. «Ewig auf Suche. Und was hab ich gefunden? Immer wieder 'nen andern. Und mit kei'm war's was.»

Trivialroman: Männer mit Spitznamen wie Dogge, Ratte, Biber sitzen in einer Bar, die in einem Bunker liegt. Etwas ist schiefgegangen. Ist es eine normale Verbrecherbande, eine Politiker-Clique oder eine totalitäre Sekte, die sich, untereinander zerstritten und von den mächtigen «Anderen» bedrängt, aufs Untertauchen vorbereitet? Man kann den «Trivialroman» verschlingen wie ein Groschenheft. Oder wie eine Parabel.

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Autorenporträt
Hans Joachim Schädlich, 1935 in Reichenbach im Vogtland geboren, arbeitete an der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin, bevor er 1977 in die Bundesrepublik übersiedelte. Für sein Werk bekam er viele Auszeichnungen, u. a. den Heinrich-Böll-Preis, Hans-Sahl-Preis, Kleist-Preis, Schiller-Gedächtnispreis, Lessing-Preis, Bremer Literaturpreis, Berliner Literaturpreis und Joseph-Breitbach-Preis. 2014 erhielt er für seine schriftstellerische Leistung und sein politisches Engagement das Bundesverdienstkreuz. Hans Joachim Schädlich lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.1995

Nö, sagt die Fliege
Hans Joachim Schädlichs Doppelherme / Von Friedmar Apel

Das Experiment, in der Kunst das normal trostlose Bewußtsein in der zugehörigen Sprachform darzustellen, ist in der Regel zum Scheitern verurteilt, weil es notwendig seine Ausgangsbedingungen zerstört. Der dennoch unternommene Versuch bringt im schlechtesten Fall die Elendsfolklore in der Art von Holz/ Schlafs "Familie Selicke" zustande, im besten die artistische Naivität eines Robert Walser. Eben der liefert Hans Joachim Schädlich das Motto für seine beiden Erzählungen: "Etwas hält mich ab, dir etwas zu sein." Das ist ein bei näherem Hinsehen logisch ziemlich tiefgründiger Satz, und der Schöpfer des "Tallhover" scheint damit dokumentieren zu wollen, daß er erneut bereit ist, bei der Entzifferung typischer Bewußtseinsstände ein hohes Risiko einzugehen.

Ein Mann, schon fast kein Mensch mehr, ein verfaulender Haufen Fleisch, liegt im Bett eines albtraumhaften Krankenhauses, in dem er nur noch als etwas behandelt wird, was weg muß. Sein Erinnerungsvermögen funktioniert aber noch schlecht und recht, und er denkt an sein Leben zurück. An Frauen, an deren Geschlechtsteile vor allem, und an alles, was sich im Bereich des Unterleibes ereignet. Aber nicht lustvoll oder nostalgisch, trotz des heftigen Einsatzes von unfeinem Vokabular auch nicht pornographisch-provokant, sondern verquast und öde: versautes Männergequatsche, so langweilig, wie das Leben des sich erinnernden Subjekts offenbar gewesen ist.

"Ich hab nie genug gehabt vom Leben. Die paar Frauen. Mit keiner ist es was gewesen. Wahrscheinlich weil ich nie genug kriegen konnte. Ich bin 'ne Null, 'n schwachsinniger geiler Scheißer, der sich alles versaut hat." Jedoch findet der nun zunehmend ein sonderbares, fast barockes Genügen am Erleben der Vergänglichkeit, an seinem fäkalen Zustand, und es stellt sich sogar etwas wie eine transzendente Hoffnung ein. Im Jenseits ist dann aber alles ungefähr wie hier schon: das Etwas, das da übriggeblieben ist von dieser Krone der Schöpfung, es kommt nicht hoch - und wartet dennoch immer noch auf etwas.

"Ich sag: Männer wollen nur eins - ficken. - Die Frau sagt: Frauen wollen nur eins - gefickt werden." Dergleichen Latrinenparolen werden in der Doppelerzählung bis zum Überdruß variiert und wieder dementiert, aber die Variable des Etwas bleibt unaufgelöst. Die Erzählerin des zweiten Textes blickt in die Gegenrichtung, aber sie gewahrt das Nämliche, ein Fehlendes: "Und was hab ich gefunden? Immer wieder 'n andern. Und mit kei'm war's was." Im Gegensatz zu dem Mann aber verzichtet sie auf den Gedanken an ein anderes. Was da immer wieder schiefging - sie will es gar nicht wissen. Obwohl ihre Sätze oft genug dem Schwachsinn des Mannes nachgebildet scheinen, würde sie in ihrer lakonischen Akzeptanz des Scheiterns und ihrem reflexionslosen Bekenntnis zum Hiersein fast zu einer sympathischen Figur, bliebe da nicht ein Rest vom Klischee des duldenden Weibs.

Soweit läßt sich die männlich-weibliche Doppelherme als Widerlegung einer Sinnforderung lesen, die nicht nur der sozialistische Realismus an die Literatur heranträgt, als radikale Zurückweisung einer feierlich-ideologischen Menschendarstellung. Jedoch versucht der Klappentext nicht ohne Spuren peinlichen Berührtseins, dem Leser eine klassizistische Deutung nahezulegen. Alles in Schädlichs Buch sei "Symbol, gleichnishaft, Zeichen" im Sinne Goethes, stünde "etwa für den Verlust der Fähigkeit, zu einem anderen Menschen in Beziehung zu treten". Die Ungenauigkeit und Banalität dieser Deutung scheint den Kunstcharakter des Textes aber gerade unter den Teppich kehren zu wollen. So einfach ist die ungeschminkte Wahrheit in Schädlichs Text nicht zu haben. Die Ehrlichkeit und die Radikalität sind fingiert, das Subjekt bleibt in der gedeuteten Welt befangen.

Die Relativierung des Scheins der Unmittelbarkeit und die Infragestellung der ernsthaft banalen Deutung findet sich im Text selbst, und zwar in Form zweier sich überbietender Einfälle von postexistentialistischer Albernheit. Unter dem Krankenbett des verfaulenden Mannes liegt nämlich ein Spitzel, und auf den tropft alles herab, was an verschiedenen Ausscheidungen durch die Matratze dringt. So erfährt man in drastischer Anschaulichkeit, was man schon ahnte: die Jungs von der Stasi hatten es auch nicht viel besser als die Bespitzelten, der Zuhörer hat es nicht leichter als der Sprecher, und schließlich muß ja auch der Leser von Schädlichs Erzählung einiges über sich ergehen lassen.

Es kommt aber noch bunter: Der Kothaufen von Mann verliebt sich in eine weltkluge, ziemlich abgebrühte Fliege, die seine Gefühle aus naheliegenden Gründen erwidert, obwohl sie ihm offensichtlich geistig überlegen ist. Die Fliege, die gern schnippisch "nö" sagt, verbindet die Neigung zu philosophischen Sentenzen auf das schönste mit praktischen Einsichten. Die Vorteile des Fliegenlebens leuchten daher dem Restmenschen immer mehr ein: "Nicht mehr arbeiten. Nicht mehr einkaufen, kochen, abwaschen. (. . .) Keine Wohnungssuche, keine Miete, keinen Ärger mit dem Hausbesitzer." So beschließt er, nach seinem Tod mit ihr aufs Land zu ziehen.

Zwar beschleicht spätestens hier den Leser ein gewisser Argwohn, aber wie er so ist, will er erst einmal hören, was noch kommt. Am Ende aber ist alles zu spät, da ist er schon längst hereingelegt worden. Erst dann wird ihm klar, daß es sich bei der Doppelerzählung um ein artistisches Gedankenspiel handelt, in dem Schädlich zeigt, was die Literatur so an Kunststückchen zuwege bringt, und zwar auch dann, wenn das Drahtseil ziemlich niedrig hängt. Nämlich Bedeutungen aufbauen und wieder abstürzen lassen, existentielle Probleme formulieren und sie als nichtig entlarven, im Kot stochern und sich die Finger nicht schmutzig machen. Der Höhepunkt des Zirkusprogramms ist freilich eine Schmeißfliege, die lesen kann. Wie jeder gute Trick ist das ganz leicht: Man läßt sie einfach an den Buchstaben entlanglaufen.

Angesichts der Gegenstände und der Wortwahl des Buches ist es daher so angebracht wie vergleichsweise dezent, es als spezielle Form der Leserveräppelung zu bezeichnen. Wen es danach gelüstet, ist von Schädlichs literater Fliege herzlich eingeladen, am Mahle teilzunehmen, denn, so würde sie als auf dem Lande Geborene wahrscheinlich formulieren, zum Veräppeln gehören immer drei. Danach mag man entscheiden, was für jenes "etwas" einzusetzen ist.

Hans Joachim Schädlich: "Mal hören, was noch kommt / Jetzt, wo alles zu spät is". Zwei Erzählungen. Rowohlt Verlag, Reinbek 1995. 141 S., geb., 32,- DM.

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