Longlist - nominiert für den Deutschen Buchpreis 2020
Alle Versuche, die Malediven vor dem steigenden Meeresspiegel zu retten, sind gescheitert, Pauschaltouristen haben sich neue Ziele gesucht, und der Großteil der Bevölkerung musste die Inseln verlassen. Gleichzeitig ist die heruntergekommene Hauptstadt Malé zum Ziel all jener geworden, die nach einer Alternative zum Leben in den gentrifizierten Städten des Westens suchen. Und so wird die Insel für die kurze Zeit bis zu ihrem Untergang zur Projektionsfläche für Aussteigerinnen, Abenteurer und Utopistinnen, zu einem Ort zwischen Euphorie und Albtraum, in dem neue Formen der Solidarität erprobt werden und Menschen unauffindbar verschwinden. Mit »Malé« fängt Roman Ehrlich die komplexe Stimmungslage unserer Zeit ein und verwebt die Geschichten rund um die Sehnsüchte und das Scheitern seiner Figuren zu einem Abbild all der Widersprüche, die das Leben zu Beginn des 21. Jahrhunderts ausmachen.
Alle Versuche, die Malediven vor dem steigenden Meeresspiegel zu retten, sind gescheitert, Pauschaltouristen haben sich neue Ziele gesucht, und der Großteil der Bevölkerung musste die Inseln verlassen. Gleichzeitig ist die heruntergekommene Hauptstadt Malé zum Ziel all jener geworden, die nach einer Alternative zum Leben in den gentrifizierten Städten des Westens suchen. Und so wird die Insel für die kurze Zeit bis zu ihrem Untergang zur Projektionsfläche für Aussteigerinnen, Abenteurer und Utopistinnen, zu einem Ort zwischen Euphorie und Albtraum, in dem neue Formen der Solidarität erprobt werden und Menschen unauffindbar verschwinden. Mit »Malé« fängt Roman Ehrlich die komplexe Stimmungslage unserer Zeit ein und verwebt die Geschichten rund um die Sehnsüchte und das Scheitern seiner Figuren zu einem Abbild all der Widersprüche, die das Leben zu Beginn des 21. Jahrhunderts ausmachen.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensent Xaver von Cranach macht klar, dass Roman Ehrlich mitnichten den Klimawandelroman geschrieben hat. Nicht mal eine stringente Story hat das Buch zu bieten, dafür einen Blick in die Gefühlshaushalte einer Handvoll Figuren, die sich auf die Malediven flüchten, direkt in den Klimagau, erklärt der Rezensent. Ehrlichs Interesse für das seelische Innere der Figuren scheint Cranach allerdings vielversprechend. Zu verraten, dass am Ende dieser Erkundung eine große Traurigkeit wartet, scheint für Cranach kein Spoiler zu sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.12.2020Die Utopie von
der Plastikinsel
Verlorene Fantasten:
Roman Ehrlichs „Malé“
Jemand muss diesem Roman übelgewollt haben. Etwa der Autor selbst? Wer die Welt nur noch als einen Haufen guter Geschichten wahrnehme, „dem sollte man eigentlich das Schreiben verbieten“, sagt eine seiner Figuren. Einen Haufen mehr oder weniger guter Geschichten, die in kein Verhältnis zueinander finden, bietet aber genau dieses Buch. Dabei standen die Voraussetzungen bestens. Ein interessanter Autor, ein großes Thema: die postindustrielle Welt der Individualisten nach dem Klimawandel, eine gut gefundene Form, Ökothriller mit Negativutopie. Dennoch quält man sich durch den Text wie die Romanfiguren durch den Plastikmüll in der vom Meer allmählich überfluteten einstigen maledivischen Hauptstadt Malé. Das ehemalige Touristenparadies ist im Roman ein Anziehungspunkt für egozentrische Aussteiger geworden. Das Wasser steht in den Straßen schon knöcheltief, die einstigen Ferienhotels sind nur noch Bruchbuden, Internet funktioniert mal so, mal so. Nicht nur Aussteiger mit ihrer „unendlichen Freizeit, Langeweile und fundamentalen Heimatlosigkeit“ kommen aber an diesen Ort. Eine amerikanische Literaturwissenschaftlerin recherchiert nach einem dort verschollenen deutschen Lyriker namens Judy Frank. Ein Geschäftsmann sucht nach den Todesumständen seiner Tochter, der berühmten Schauspielerin Mona Bauch. Steigende Pegelstände sind in Träumen und Albträumen ein Leitmotiv dieses Romans.
Trotz des gut beschriebenen Ambientes aus heiterer Verwahrlosung, bedrohlichem Dauergeplätscher des Indischen Ozeans, Verwesungsgeruch, versumpftem Biotop im ehemaligen Hotel-Swimmingpool und netter No-Future-Geselligkeit in der Inselkneipe des „Blauen Heinrich“ spannt sich über das Ganze kein erkennbarer Horizont. Angerissene Handlungsstränge verlaufen im Nichts, begonnene Spannungsbögen verlieren sich, Betrachtungen über das Halbglück des zeitlichen Stillstands nach der Katastrophe versinken zwischen literarischen Anspielungen, losen Zitaten, anekdotischen Details und historischen Einschüben aus vorislamischer Zeit. Zwei unvereinbare Entwürfe sind hier unglücklich verschnürt worden. Zeitkritische Antizipationsromane verlangen – Michel Houellebecq hat das gezeigt – klare Perspektiven, scharfe Profile, prägnante Einbettung der literarischen Anspielungen. Poetische Fantasien hingegen leben mit ihren Sprüngen zwischen unterschiedlichen Erzählformen von Offenheit und verspielter Andeutung. Wenn es beim Schreiben heute noch um irgendetwas gehen könne, dann seien das die Ratlosigkeit, die Schweigsamkeit der Dinge, die Geheimnisse hinter den Symbolen, sagt die eingangs erwähnte Figur in Ehrlichs Roman. Doch die Kunstinsel aus Bedeutsamkeit und Plastikmüll ist zu wenig kompakt. Sie sinkt.
JOSEPH HANIMANN
Roman Ehrlich: Malé. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2020. 286 Seiten. 22 Euro.
In der Inselhauptstadt herrscht
heitere Verwahrlosung
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der Plastikinsel
Verlorene Fantasten:
Roman Ehrlichs „Malé“
Jemand muss diesem Roman übelgewollt haben. Etwa der Autor selbst? Wer die Welt nur noch als einen Haufen guter Geschichten wahrnehme, „dem sollte man eigentlich das Schreiben verbieten“, sagt eine seiner Figuren. Einen Haufen mehr oder weniger guter Geschichten, die in kein Verhältnis zueinander finden, bietet aber genau dieses Buch. Dabei standen die Voraussetzungen bestens. Ein interessanter Autor, ein großes Thema: die postindustrielle Welt der Individualisten nach dem Klimawandel, eine gut gefundene Form, Ökothriller mit Negativutopie. Dennoch quält man sich durch den Text wie die Romanfiguren durch den Plastikmüll in der vom Meer allmählich überfluteten einstigen maledivischen Hauptstadt Malé. Das ehemalige Touristenparadies ist im Roman ein Anziehungspunkt für egozentrische Aussteiger geworden. Das Wasser steht in den Straßen schon knöcheltief, die einstigen Ferienhotels sind nur noch Bruchbuden, Internet funktioniert mal so, mal so. Nicht nur Aussteiger mit ihrer „unendlichen Freizeit, Langeweile und fundamentalen Heimatlosigkeit“ kommen aber an diesen Ort. Eine amerikanische Literaturwissenschaftlerin recherchiert nach einem dort verschollenen deutschen Lyriker namens Judy Frank. Ein Geschäftsmann sucht nach den Todesumständen seiner Tochter, der berühmten Schauspielerin Mona Bauch. Steigende Pegelstände sind in Träumen und Albträumen ein Leitmotiv dieses Romans.
Trotz des gut beschriebenen Ambientes aus heiterer Verwahrlosung, bedrohlichem Dauergeplätscher des Indischen Ozeans, Verwesungsgeruch, versumpftem Biotop im ehemaligen Hotel-Swimmingpool und netter No-Future-Geselligkeit in der Inselkneipe des „Blauen Heinrich“ spannt sich über das Ganze kein erkennbarer Horizont. Angerissene Handlungsstränge verlaufen im Nichts, begonnene Spannungsbögen verlieren sich, Betrachtungen über das Halbglück des zeitlichen Stillstands nach der Katastrophe versinken zwischen literarischen Anspielungen, losen Zitaten, anekdotischen Details und historischen Einschüben aus vorislamischer Zeit. Zwei unvereinbare Entwürfe sind hier unglücklich verschnürt worden. Zeitkritische Antizipationsromane verlangen – Michel Houellebecq hat das gezeigt – klare Perspektiven, scharfe Profile, prägnante Einbettung der literarischen Anspielungen. Poetische Fantasien hingegen leben mit ihren Sprüngen zwischen unterschiedlichen Erzählformen von Offenheit und verspielter Andeutung. Wenn es beim Schreiben heute noch um irgendetwas gehen könne, dann seien das die Ratlosigkeit, die Schweigsamkeit der Dinge, die Geheimnisse hinter den Symbolen, sagt die eingangs erwähnte Figur in Ehrlichs Roman. Doch die Kunstinsel aus Bedeutsamkeit und Plastikmüll ist zu wenig kompakt. Sie sinkt.
JOSEPH HANIMANN
Roman Ehrlich: Malé. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2020. 286 Seiten. 22 Euro.
In der Inselhauptstadt herrscht
heitere Verwahrlosung
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Diese Endzeitstimmung, in der persönliche Beziehungen wie auch Individuen zerbröckeln, bleibt beim Lesen als eindringlichste Erfahrung zurück. Eva Krafczyk Frankfurter Neue Presse 20210120