Auf der Flucht vor den Nazis muss Hanna Mai ihre siebenjährige Tochter Malka allein zurücklassen.1943: Die jüdische Ärztin Hanna Mai lebt mit ihren Töchtern Minna und Malka an der polnisch-ungarischen Grenze. Als die Deutschen auch hier mit den Deportationen beginnen, müssen die drei überstürzt fliehen. Sie wollen zu Fuß über die Karpaten, doch Malka wird krank und kann nicht mehr weiter. Schweren Herzens entschließt Hanna sich, das Kind bei Bauern zurückzulassen, die ihr versprechen, das Mädchen nachzubringen, sobald es sich erholt hat. Aber es kommt alles anders: Malka wird entdeckt und in ein Ghetto verfrachtet. Dort entwickelt die Kleine ungeahnte Kräfte, die sie Hunger, Kälte, Krankheit und Einsamkeit überstehen lassen - bis ihre Mutter schließlich unter großen Gefahren zurückkehrt, um sie zu retten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001Ghettomädchen
Mirjam Presslers ergreifendes Buch über eine jüdische Kindheit
Ein rosa Kaninchen kann diesem Mädchen niemand mehr stehlen: Die sieben Jahre alte Malka Mai lebt als Straßenkind im Ghetto und leidet unter Hunger und Kälte. Ihre Puppe Liesl hat sie längst verloren, jetzt lernt sie, nach den Instinkten zu handeln. Die Überlebensstrategien, die das ehemals behütete jüdische Mädchen entwickelt, sind verblüffend.
Polen im Jahre 1943: Sechs Monate lang schlägt sich Malka ganz allein im Ghetto durch, ständig auf der Suche nach Nahrung und immer auf der Hut vor den Deutschen. Wie das Mädchen dorthin gekommen ist, schildern die Anfangskapitel von Mirjam Presslers Roman "Malka Mai". Zuerst lebt die Siebenjährige mit ihrer Mutter und der älteren Schwester friedlich in der kleinen Grenzstadt Lawoczne. Als die Deportationen auch dort beginnen, flieht die Familie in Richtung Ungarn. Dabei wird Malka auf dem anstrengenden Weg über die Karpaten krank. Die Mutter läßt sie schweren Herzens bei Bauern zurück, um sie nach der Genesung nachkommen zu lassen. Aber dann schicken die Bauern Malka weg: Sie zu verstecken sei zu gefährlich. Das Kind streunt von nun an alleine herum.
Selten findet man diesen so häufig in der Kinderliteratur bearbeiteten Stoff der Kindheit im Holocaust derart ergreifend aufbereitet wie hier. Da ist beispielsweise die Szene, als Malka zum ersten Mal ein totes Kind sieht: "Natürlich hatte sie im Ghetto schon Tote gesehen, sie lagen plötzlich irgendwo auf der Straße, und Malka machte dann einen Umweg und ging mit abgewandtem Gesicht vorbei. Aber diesmal war es anders, diesmal sah sie an der Größe, daß es ein Kind war." Lange überlegt Malka sich, ob sie nicht den Schal des Jungen gebrauchen könnte, doch ein anderer ist schneller. Dann erkennt das Mädchen, daß immer kurz nach den "Aktionen" der Deutschen, wenn Familien abgeholt werden, Essen liegenbleibt, und sie veranstaltet Haferflocken- und Marmeladeorgien in den verlassenen Häusern.
Szene für Szene reißt dieses Buch den Leser in den Strudel seiner verhängnisvollen Geschichte: Es scheint, als habe die Autorin, die in den achtziger Jahren Anne Franks Tagebücher übersetzte und dann eine Biographie über das Mädchen aus der Prinsengracht 263 verfaßte, sich hier freigeschrieben von dem Eindruck, den der Nachvollzug des historischen Wirklichkeit hinterließ. Dabei wird nicht nur aus Malkas Sicht erzählt, sondern - wie nur selten in der Kinderliteratur - streckenweise auch aus der Perspektive ihrer Mutter Hanna. Durch diese Dramaturgie kann beispielsweise Hannas Entschluß, das Mädchen bei Fremden zurückzulassen, überhaupt erst verständlich werden. Auch fällt so ein doppelter Blick auf Minna, Malkas ältere Schwester.
Es gibt kaum ein Detail in diesem Roman, das nicht wahrhaftig erscheint. Nur der Name der Heldin, "Malka Mai", mag in manchen Ohren arg nach Kinderliteratur klingen. Man ist überrascht festzustellen, daß es sich ausgerechnet dabei um ein Spurenelement der "wahren Geschichte" handelt, die diesem Roman zugrunde liegt. Malka Mai, die heute in Israel lebt, hatte einen kleinen Bericht über ihre Vergangenheit für die Dokumentensammlung der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem geschrieben, das der Verlag an Pressler schickte. Als die Schriftstellerin das nächste Mal in Israel war, besuchte sie die Überlebende. Aus diesen Eckdaten schließlich entstand "Malka Mai", ein Buch, das man so schnell nicht vergißt und das fortan zu den wichtigsten Werken der Autorin gehören wird.
SILKE SCHEUERMANN
Mirjam Pressler: "Malka Mai". Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2001. 324 S., geb., 28,- DM. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mirjam Presslers ergreifendes Buch über eine jüdische Kindheit
Ein rosa Kaninchen kann diesem Mädchen niemand mehr stehlen: Die sieben Jahre alte Malka Mai lebt als Straßenkind im Ghetto und leidet unter Hunger und Kälte. Ihre Puppe Liesl hat sie längst verloren, jetzt lernt sie, nach den Instinkten zu handeln. Die Überlebensstrategien, die das ehemals behütete jüdische Mädchen entwickelt, sind verblüffend.
Polen im Jahre 1943: Sechs Monate lang schlägt sich Malka ganz allein im Ghetto durch, ständig auf der Suche nach Nahrung und immer auf der Hut vor den Deutschen. Wie das Mädchen dorthin gekommen ist, schildern die Anfangskapitel von Mirjam Presslers Roman "Malka Mai". Zuerst lebt die Siebenjährige mit ihrer Mutter und der älteren Schwester friedlich in der kleinen Grenzstadt Lawoczne. Als die Deportationen auch dort beginnen, flieht die Familie in Richtung Ungarn. Dabei wird Malka auf dem anstrengenden Weg über die Karpaten krank. Die Mutter läßt sie schweren Herzens bei Bauern zurück, um sie nach der Genesung nachkommen zu lassen. Aber dann schicken die Bauern Malka weg: Sie zu verstecken sei zu gefährlich. Das Kind streunt von nun an alleine herum.
Selten findet man diesen so häufig in der Kinderliteratur bearbeiteten Stoff der Kindheit im Holocaust derart ergreifend aufbereitet wie hier. Da ist beispielsweise die Szene, als Malka zum ersten Mal ein totes Kind sieht: "Natürlich hatte sie im Ghetto schon Tote gesehen, sie lagen plötzlich irgendwo auf der Straße, und Malka machte dann einen Umweg und ging mit abgewandtem Gesicht vorbei. Aber diesmal war es anders, diesmal sah sie an der Größe, daß es ein Kind war." Lange überlegt Malka sich, ob sie nicht den Schal des Jungen gebrauchen könnte, doch ein anderer ist schneller. Dann erkennt das Mädchen, daß immer kurz nach den "Aktionen" der Deutschen, wenn Familien abgeholt werden, Essen liegenbleibt, und sie veranstaltet Haferflocken- und Marmeladeorgien in den verlassenen Häusern.
Szene für Szene reißt dieses Buch den Leser in den Strudel seiner verhängnisvollen Geschichte: Es scheint, als habe die Autorin, die in den achtziger Jahren Anne Franks Tagebücher übersetzte und dann eine Biographie über das Mädchen aus der Prinsengracht 263 verfaßte, sich hier freigeschrieben von dem Eindruck, den der Nachvollzug des historischen Wirklichkeit hinterließ. Dabei wird nicht nur aus Malkas Sicht erzählt, sondern - wie nur selten in der Kinderliteratur - streckenweise auch aus der Perspektive ihrer Mutter Hanna. Durch diese Dramaturgie kann beispielsweise Hannas Entschluß, das Mädchen bei Fremden zurückzulassen, überhaupt erst verständlich werden. Auch fällt so ein doppelter Blick auf Minna, Malkas ältere Schwester.
Es gibt kaum ein Detail in diesem Roman, das nicht wahrhaftig erscheint. Nur der Name der Heldin, "Malka Mai", mag in manchen Ohren arg nach Kinderliteratur klingen. Man ist überrascht festzustellen, daß es sich ausgerechnet dabei um ein Spurenelement der "wahren Geschichte" handelt, die diesem Roman zugrunde liegt. Malka Mai, die heute in Israel lebt, hatte einen kleinen Bericht über ihre Vergangenheit für die Dokumentensammlung der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem geschrieben, das der Verlag an Pressler schickte. Als die Schriftstellerin das nächste Mal in Israel war, besuchte sie die Überlebende. Aus diesen Eckdaten schließlich entstand "Malka Mai", ein Buch, das man so schnell nicht vergißt und das fortan zu den wichtigsten Werken der Autorin gehören wird.
SILKE SCHEUERMANN
Mirjam Pressler: "Malka Mai". Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2001. 324 S., geb., 28,- DM. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.05.2001Malkas Odyssee
Allein zurückgelassen im Krieg: Nichts bleibt, wie es war
MIRJAM PRESSLER: Malka Mai, Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim 2001. 328 Seiten, 28 Mark.
Mirjam Presslers Roman „Malka Mai” über die Flucht und das Überleben eines achtjährigen jüdischen Mädchens ist ein wichtiges Buch. Allein schon deshalb, weil das Leben unterm Hakenkreuz nach wie vor ein Thema ist, das zu wenig Aufmerksamkeit bei jugendlichen Lesern erfährt. „Malka Mai” ist aber auch ein schwieriges Buch (das muss es sein), weil es der Versuchung widersteht, das Thema künstlich zu dramatisieren oder aber zu entschärfen.
Die Autorin hat die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte keiner sozialpädagogischen Dramaturgie unterworfen. Diese Gefahr ist im deutschen Jugendbuch zu schwierigen zeitgenössischen Themen häufig präsent, meist unter der hehren Frage: Was ist Kindern, was jungen Lesern zuzumuten? Wenn schon nicht aus pädagogischen Motiven, so doch aus Gründen der Lesbarkeit oder des Verkaufs?
Mirjam Pressler beschreibt die überstürzte Flucht von Malka, ihrer Mutter Hanna und ihrer großen Schwester Minna kurz vor einer Deportation vornehmlich aus zwei Perspektiven: der Malkas und der ihrer alleinerziehenden Mutter, einer ehemaligen Kreisärztin im polnischen Grenzgebiet zu Ungarn. Malka erkrankt während der Flucht, und Hanna entschließt sich, das Kind einstweilen bei Fluchthelfern zurückzulassen. Die Hoffnung, ihre Tochter ein paar Wochen später – wie verabredet – in Ungarn in die Arme schließen zu können, zerschlägt sich: Malka wird von den fremden Menschen auf der Straße ausgesetzt und durchleidet – bis auf eine kurze Phase der Geborgenheit in einer hilfsbereiten Familie – in den folgenden Herbst- und Wintermonaten eine unvorstellbare Odyssee, die sie schließlich ins Ghetto führt, wo sie noch einmal mit knapper Not mehreren „Aktionen” der Deutschen entrinnt.
Während der Monate dauernden Flucht wird sich, geboren aus Schmerz, Leid und Vereinsamung, aus völliger Überforderung, aber auch aus einem zähen Überlebenswillen, Malkas Persönlichkeit Schritt für Schritt radikal und unumkehrbar verändern. Nichts mehr ist an jenem Tag, an dem sie ihre Mutter wiedersieht (damit endet die Geschichte), wie es an jenem herrlichen Spätsommertag in ihrem Heimatort Lawoczne war, kurz bevor die Ereignisse ihren Lauf nahmen.Auch zwischen Tochter und Mutter wird nichts mehr so sein, wie es unter anderen Umständen hätte sein können. Das Martyrium der Flucht steht wie eine unüberwindbare Mauer vor der Erinnerung an unbeschwerte Kindertage.
Mirjam Pressler fügt – ein zusätzliches Wagnis – der erzwungenen, sozusagen der außengeleiteten Dimension der Geschichte eine zweite Dimension hinzu, die in Büchern für junge Leser häufig vernachlässigt wird: die familienpsychologische Sicht. Malkas Mutter wird in ihrer ganz persönlichen seelischen Zerrissenheit porträtiert. Sie, die starke, eigenwillige Frau, die stets stolz auf ihre Autonomie war, findet sich plötzlich als Gleiche unter Gleichen in Verhältnissen wieder, die sie weder beeinflussen noch verändern kann. Daneben fühlt sie sich, bestärkt durch Erinnerungen an ihre Kindheit in einem orthodoxen Elternhaus, als Versagerin in der Erziehung ihrer Kinder. Während der Flucht kommt es zu erheblichen Auseinandersetzungen mit der großen Tochter. Die Mutter droht zeitweise unter der Last der Ereignisse und ihres persönlichen Schuldkomplexes zu zerbrechen.
Malka Mai ist auch deshalb ein schwieriger Roman, weil er etwas in Worte fasst, vor dem Worte letztlich versagen müssen: vor dem unermesslichen Leid der Opfer. Und trotzdem findet die Autorin, vielleicht geschützt durch eine gewisse schriftstellerische Distanz zur Geschichte aus „erster Hand”, Worte und – noch mehr – Bilder und Szenen, welche die Empfindungen der Menschen und die
Veränderung ihrer Persönlichkeiten verständlich machen.
Diese Geschichte ist – auch wenn Malka überleben wird – unvorstellbar leidvoll, und sie muss, der Wahrheit zuliebe und ungeachtet literarischer Unterhaltungsbedürfnisse, so erzählt werden, wie Mirjam Pressler es tut. Das Schicksal dieser Familie ist nur ein Mosaikstein in einem riesigen Gebilde, aber er muss, wie es der Philosoph Günther Anders einmal für die Opfer des Holocaust formuliert hat, „gezählt” werden, wie alle Lebensgeschichten der Verfolgten und Verbrannten: „Zähle. Und vergiss nicht im Zählen: Jede Eins, die du zu der gezählten Zahl hinzu addierst, ist in sich schon unzählbar.” SIGGI SEUSS
Der Rezensent ist freier Kritiker für Kinder- und Jugendliteratur.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Allein zurückgelassen im Krieg: Nichts bleibt, wie es war
MIRJAM PRESSLER: Malka Mai, Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim 2001. 328 Seiten, 28 Mark.
Mirjam Presslers Roman „Malka Mai” über die Flucht und das Überleben eines achtjährigen jüdischen Mädchens ist ein wichtiges Buch. Allein schon deshalb, weil das Leben unterm Hakenkreuz nach wie vor ein Thema ist, das zu wenig Aufmerksamkeit bei jugendlichen Lesern erfährt. „Malka Mai” ist aber auch ein schwieriges Buch (das muss es sein), weil es der Versuchung widersteht, das Thema künstlich zu dramatisieren oder aber zu entschärfen.
Die Autorin hat die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte keiner sozialpädagogischen Dramaturgie unterworfen. Diese Gefahr ist im deutschen Jugendbuch zu schwierigen zeitgenössischen Themen häufig präsent, meist unter der hehren Frage: Was ist Kindern, was jungen Lesern zuzumuten? Wenn schon nicht aus pädagogischen Motiven, so doch aus Gründen der Lesbarkeit oder des Verkaufs?
Mirjam Pressler beschreibt die überstürzte Flucht von Malka, ihrer Mutter Hanna und ihrer großen Schwester Minna kurz vor einer Deportation vornehmlich aus zwei Perspektiven: der Malkas und der ihrer alleinerziehenden Mutter, einer ehemaligen Kreisärztin im polnischen Grenzgebiet zu Ungarn. Malka erkrankt während der Flucht, und Hanna entschließt sich, das Kind einstweilen bei Fluchthelfern zurückzulassen. Die Hoffnung, ihre Tochter ein paar Wochen später – wie verabredet – in Ungarn in die Arme schließen zu können, zerschlägt sich: Malka wird von den fremden Menschen auf der Straße ausgesetzt und durchleidet – bis auf eine kurze Phase der Geborgenheit in einer hilfsbereiten Familie – in den folgenden Herbst- und Wintermonaten eine unvorstellbare Odyssee, die sie schließlich ins Ghetto führt, wo sie noch einmal mit knapper Not mehreren „Aktionen” der Deutschen entrinnt.
Während der Monate dauernden Flucht wird sich, geboren aus Schmerz, Leid und Vereinsamung, aus völliger Überforderung, aber auch aus einem zähen Überlebenswillen, Malkas Persönlichkeit Schritt für Schritt radikal und unumkehrbar verändern. Nichts mehr ist an jenem Tag, an dem sie ihre Mutter wiedersieht (damit endet die Geschichte), wie es an jenem herrlichen Spätsommertag in ihrem Heimatort Lawoczne war, kurz bevor die Ereignisse ihren Lauf nahmen.Auch zwischen Tochter und Mutter wird nichts mehr so sein, wie es unter anderen Umständen hätte sein können. Das Martyrium der Flucht steht wie eine unüberwindbare Mauer vor der Erinnerung an unbeschwerte Kindertage.
Mirjam Pressler fügt – ein zusätzliches Wagnis – der erzwungenen, sozusagen der außengeleiteten Dimension der Geschichte eine zweite Dimension hinzu, die in Büchern für junge Leser häufig vernachlässigt wird: die familienpsychologische Sicht. Malkas Mutter wird in ihrer ganz persönlichen seelischen Zerrissenheit porträtiert. Sie, die starke, eigenwillige Frau, die stets stolz auf ihre Autonomie war, findet sich plötzlich als Gleiche unter Gleichen in Verhältnissen wieder, die sie weder beeinflussen noch verändern kann. Daneben fühlt sie sich, bestärkt durch Erinnerungen an ihre Kindheit in einem orthodoxen Elternhaus, als Versagerin in der Erziehung ihrer Kinder. Während der Flucht kommt es zu erheblichen Auseinandersetzungen mit der großen Tochter. Die Mutter droht zeitweise unter der Last der Ereignisse und ihres persönlichen Schuldkomplexes zu zerbrechen.
Malka Mai ist auch deshalb ein schwieriger Roman, weil er etwas in Worte fasst, vor dem Worte letztlich versagen müssen: vor dem unermesslichen Leid der Opfer. Und trotzdem findet die Autorin, vielleicht geschützt durch eine gewisse schriftstellerische Distanz zur Geschichte aus „erster Hand”, Worte und – noch mehr – Bilder und Szenen, welche die Empfindungen der Menschen und die
Veränderung ihrer Persönlichkeiten verständlich machen.
Diese Geschichte ist – auch wenn Malka überleben wird – unvorstellbar leidvoll, und sie muss, der Wahrheit zuliebe und ungeachtet literarischer Unterhaltungsbedürfnisse, so erzählt werden, wie Mirjam Pressler es tut. Das Schicksal dieser Familie ist nur ein Mosaikstein in einem riesigen Gebilde, aber er muss, wie es der Philosoph Günther Anders einmal für die Opfer des Holocaust formuliert hat, „gezählt” werden, wie alle Lebensgeschichten der Verfolgten und Verbrannten: „Zähle. Und vergiss nicht im Zählen: Jede Eins, die du zu der gezählten Zahl hinzu addierst, ist in sich schon unzählbar.” SIGGI SEUSS
Der Rezensent ist freier Kritiker für Kinder- und Jugendliteratur.
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»Die einfache, schrecklich einfache Geschichte einer Flucht. Man darf sich nicht scheuen zu sagen, wie spannend diese Geschichte sich liest. Und zugleich ist zu sagen: Ganz karg ist dieses Buch, überall ist eine Reduktion auf das Wesentliche am Werk, ganz reich ist dieses Buch, voller Blicke, Gesten und Bewegungen.« DIE ZEIT »Mit seltener Intensität erzählt Mirjam Pressler von einer verletzten Kindheit, den Strapazen der Flucht und dem Verhalten der Menschen in einer schwierigen Zeit. Mirjam Pressler hat die Gabe, das Schwere mit Poesie und Spannung auszusprechen, ohne es zu verharmlosen.« Der Tagesspiegel »Atemlos und tief bewegt liest man die Geschichte dieses Kindes, dessen Schicksal - stellvertretend für viele - einen noch lange umtreibt. Es ist ein Buch, dem man viele junge und erwachsene LeserInnen wünscht, vor allem auch solche, die sonst stöhnen: 'Schon wieder ein Buch zum Thema Holocaust! '. Mirjam Pressler will keine Botschaft loswerden, sie verfolgt keine Absicht, erhebt ihren Zeigefinger nicht. Sie erzählt eine Geschichte. Und das bewirkt mehr als jede historisch fundierte Betroffenheitsliteratur.« Eselsohr »Ein absolut überzeugendes Psychogramm eines Opfers, genau bis an die Schmerzgrenze, aber niemals larmoyant.« Bulletin Jugend & Literatur »Diese Geschichte eines kleinen Mädchens und seiner Mutter geht an Herz und Nieren. Genau im Einzelnen und exemplarisch zugleich, öffnet dieses Buch Jugendlichen den Zugang zu unglaublichen Zuständen und haut noch einmal in die Kerbe des Vergessens. Großartig.« BuchMarkt »Ein bewegendes Jugendbuch, das eindringlich von Angst und Verlorenheit, von Grausamkeit und Egoismus, aber auch von Hilfsbereitschaft und vom Überlebenswillen erzählt.« SR/Radio Bremen »Ein eindringliches, bewegendes Buch.« Deutsche Welle »Pressler schildert dieses grausame und harte Schicksal packend und mit einer unsentimentalen, kargen Sprache. Dieses Buch braucht keine ausdrückliche Botschaft. Die Geschichte ist Botschaft genug. Die jungen Leser werden sie begreifen.« Stuttgarter Nachrichten »Mirjam Pressler ist das Kunststück gelungen, den richtigen Ton zu treffen. Sie verdrängt nicht, sie drängt zum Erinnern. Eine tolle Geschichte zur Geschichte.« Kurier Wien