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The abandoned daughter of Pablo Neruda speaks through "incandescent poetic prose full of magical realism, biographical details and psychological insight."

Produktbeschreibung
The abandoned daughter of Pablo Neruda speaks through "incandescent poetic prose full of magical realism, biographical details and psychological insight."
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Autorenporträt
Vivien Glass (b. 1975) is a literary translator from Dutch and German to English. She was born in Switzerland and moved to the Netherlands in 1995, where she completed degrees in translation and interpretation. Her published translations include works of fiction, nonfiction, poetry, children's verse and more. She is recipient of the 2013 Nederland Vertaalt prize for her poetry translation, of a work by Gerrit Komrij.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2019

Die Steine des Himmels
Großer Mann, was nun? Hagar Peeters lässt in einem surreal-phantastischen Roman die verstoßene Tochter Pablo Nerudas Anklage in eigener Sache erheben

Roman steht auf dem Schutzumschlag dieses eigenwillig schönen Buches der Lyrikerin und Literaturwissenschaftlerin Hagar Peeters. Es steht da mit gutem Grund, weil ein Roman nun einmal alles sein kann und weil auch das niederländische Original als solches gekennzeichnet ist. Aber es hat zugleich seine Berechtigung, wenn der Wallstein Verlag in der Titelei im Buchinneren auf die Genrebezeichnung verzichtet, denn selbst diese offene Form scheint noch eine zu starke Eingrenzung zu sein für dieses frei zwischen Parallelbiographie, surreal-phantastischer Poesie, magischem Theater, Tiefenpsychologie, Trauerrede und Literaturgeschichte schwebende Erzählexperiment, das es wohl ein wenig übertreibt mit seiner ungezügelten Fabulierlust (vielleicht eine leicht ironische Verbeugung vor der Farbpracht lateinamerikanischer Dichtung), stilistisch aber durchaus geglückt ist.

Es handelt sich um einen anschwellenden Sehnsuchtsgesang, eine obsessive Elegie, die um ein leeres Zentrum kreist und damit eine starke Wirkung entfaltet: "Malva" ist vor allem anderen ein Buch der Entzauberung. Zwar gab es schon viele Versuche, den "roten" Dichterrhapsoden Neftalí Ricardo Reyes Basualto, der sich Pablo Neruda nannte und als Lokomotivführersohn stets ordentlich Dampf im Metaphernkessel hatte, wenn er im Namen der Arbeiter wolkige Elementarpoeme in den azurblauen Himmel über Chile steigen ließ, vom Nationalheldensockel zu stürzen. Vielfach wurden etwa Nerudas Hymnen für Stalin inkriminiert. Ebenso oft aber bekannte sich die Gegenseite umso beseelter zu der Nachtigall des Antifaschismus. Im vorliegenden Fall aber lernen wir Neruda von einer Seite kennen, die derart unsympathisch ist, dass schwerlich eine Entgegnung möglich scheint: Ein Vater, der sein behindertes Kind verstößt, weil er sich nicht mit dessen Erkrankung belasten will, hat es mehr als verdient, wenn diese Tochter, die mit acht Jahren in einer Pflegefamilie in Gouda gestorben ist, aus dem Schattenreich heraus ihr ganz persönliches "Jaccuse"vorträgt.

Die Autorin lässt Malva Marina, benannt nach einer Blume und dem Meer und damit gewissermaßen das einzige tatsächlich materialisierte Gedicht des Materialisten Neruda, als Unerlöste aus einem jenseitigen Zwischenreich heraus sprechen. Sie hat Zugriff auf die Erinnerungen, aufs große Weltarchiv, doch ändern kann sie die Vergangenheit nicht mehr - und muss es gleichwohl endlos versuchen, weil der Schmerz, verleugnet worden zu sein, sonst zu groß wäre. In der Autobiographie des berühmten Vaters taucht Malva mit keiner Zeile auf, dafür nannte er sie in Briefen "Monster" und "vollkommen lächerliches Wesen". Neruda, erfahren wir in einer der einander überlagernden Erinnerungsschleifen, hatte seine neugeborene Tochter durchaus für einen kurzen Moment geliebt und den Freunden als "schönstes Mädchen der Welt" präsentiert - bis er erfuhr, dass die Kopfgröße nicht normal war und lebenslange Pflege bedeuten würde. "Die Blütezeit der Malve ist kurz. Oft wächst sie am Wegrand, wie Unkraut." Von Nerudas Freund Federico García Lorca stammt ein Gedicht auf die Geburt des Mädchens, in dem er ihm "Salz und Liebe" vermacht. Dieses Salz allein habe sie konserviert, ist sich die Erzählerin sicher. Da ist auch literaturgeschichtlich etwas dran.

Von allen Seiten aus durchkreuzt die Untote nun das als Diplomat zwischen Chile und Spanien, Argentinien und Mexiko verbrachte Leben ihres freilich selbst längst nicht mehr unter den Lebenden weilenden Vaters, rekapituliert seine drei langen und vielen kurzen Beziehungen zu Frauen, von denen er vor allem Malvas Mutter, eine Niederländerin aus Niederländisch-Indien (heute Indonesien), lieblos behandelte und unter dem Vorwand ihrer Sicherheit schließlich fortschickte, um ganz für seine Geliebte da zu sein. Die großen politischen Verwerfungen dieser Zeit - Spanischer Bürgerkrieg, Faschismus, Militärputsch in Chile - bilden den Hintergrund des Erzählten, überlagern aber nie dessen individuelle Tragik. Vielmehr wirken die pathetisch-paternalistischen Gedichte Nerudas, in denen er die Opfer der Revolution feiert, besonders hohl angesichts des ignorierten Todes der eigenen Tochter: "o, ihr Mütter . . . wisst, dass eure Toten unter der Erde lächeln".

Sehr gut ist Peeters darin, die trotzig gegen alle selbstverliebten Hofhaltungsallüren und national-politischen Mythologisierungen anrennende Sehnsucht eines Kindes nach Anerkennung durch den eigenen Vater emotional auf den Schmerzpunkt hin zu verdichten, ohne es dabei an Witz oder Sensibilität fehlen zu lassen. Zugleich macht sie auf elegante Weise deutlich, welche Grausamkeit im Aberglauben an Perfektion steckt, der gar zur Grundlage von Vernichtungsideologien werden könne. Einwände gibt es aber doch. Dass Hagar Peeters ihre Heldin im Jenseits enge Bande mit anderen ausgegrenzten Literatensprösslingen knüpfen lässt - der angeblich schizophrenen Tochter von James Joyce; dem mit Downsyndrom geborenen Sohn von Arthur Miller -, das hat seine Stimmigkeit, führt aber leider zu literaturgeschichtlichen Referaten. Was der trommelnde Oskar Matzerath in dieser Reihe zu suchen hat, erklärt sich schon gar nicht. Es soll wohl allein seine Trauer darüber sein, aus schlechtem Gewissen statt aus Liebe gezeugt worden zu sein: "um die Aufmerksamkeit von meines Vaters Mitgliedschaft in der Waffen-SS abzulenken". Noch schwächer motiviert ist die Einbindung von Sokrates, Goethe und Roald Dahl. Man braucht die Urpflanze nicht, um Malva zu verstehen.

Des Weiteren geht eine autobiographische Volte nicht wirklich auf. Die Erzählsituation soll folgende sein: Malva, eingesperrt in einem nach väterlicher Phantasie eingerichteten Trauma, nutzt als Medium ihrer Botschaften die Autorin Hagar Peeters, auf die sie verfallen ist, weil Peeters' Vater, ein Journalist, die von Protesten gegen die Militärjunta begleitete Beisetzung Nerudas am 25. September 1973 in Santiago de Chile selbst beobachtet hat. Mehr an Verbindung ist da allerdings nicht. Jenen Partien, in denen die Erzählerin nicht in Malvas Stimme, sondern der eigenen - man darf hier wohl sogar sagen: der Stimme der Autorin - über ihren Vater spricht und gar längere Auszüge aus dessen Tagebuch zitiert, geht denn auch alle Relevanz und Dramatik ab. Hätte sich das Buch ganz auf den gut recherchierten und einfühlsam erweiterten Haupterzählstrang beschränkt, jene Gegenrede einer Ausgeschlossenen, die sich mit den Mitteln der Phantastik (und mit väterlichem Stift) in die Historie wieder einschreibt, wäre es noch stärker geworden. Ein kluges, zu Herzen gehendes Lehrstück über die Disproportion von öffentlicher und privater Moral ist es aber auch so.

OLIVER JUNGEN

Hagar Peeters: "Malva". Roman.

Aus dem Niederländischen von Arne Braun. Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 246 S., geb., 20,- [Euro].

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