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Dieser Briefwechsel, ergänzt mit unveröffentlichten Tagebucheinträgen, erlaubt zum ersten Mal einen Einblick in die politischen Aktivitäten von Jean Schlumberger und Joseph Breitbach. Unmittelbar nach 1945 nutzten sie ihre persönlichen Kontakte zur französischen Regierung, setzten sich für deutsche Kriegsgefangene und das besetzte Rheinland ein. Wilhelm Hausenstein, erster Botschafter der BRD in Paris und deutsche Politiker baten um Vermittlungen. Hauptthemen sind Diskussionen im Figaro und mit dem Quai d'Orsay wegen der Frage, wie Deutschland zu behandeln sei, die 1954 gescheiterte…mehr

Produktbeschreibung
Dieser Briefwechsel, ergänzt mit unveröffentlichten Tagebucheinträgen, erlaubt zum ersten Mal einen Einblick in die politischen Aktivitäten von Jean Schlumberger und Joseph Breitbach. Unmittelbar nach 1945 nutzten sie ihre persönlichen Kontakte zur französischen Regierung, setzten sich für deutsche Kriegsgefangene und das besetzte Rheinland ein. Wilhelm Hausenstein, erster Botschafter der BRD in Paris und deutsche Politiker baten um Vermittlungen. Hauptthemen sind Diskussionen im Figaro und mit dem Quai d'Orsay wegen der Frage, wie Deutschland zu behandeln sei, die 1954 gescheiterte Europäische Verteidigungsgemeinschaft, die Saar-Frage, aber auch die persönliche Freundschaft der beiden Schriftsteller, Fragen zur Identität des zwischen zwei Kulturen zerrissenen Breitbach, die Arbeit an den eigenen literarischen Werken und die Problematik der Zweisprachigkeit. Außerdem finden sich in den Briefen viele Details zu Breitbachs Biografie, die für Erstaunen sorgen werden.
Autorenporträt
Joseph Breitbach, 1903 in Koblenz geboren, lebte seit 1931 in Paris, schrieb in beiden Sprachen und setzte sich für bessere politische und kulturelle Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland ein. Sein Roman Bericht über Bruno, der von Macht und deren Missbrauch handelt, hat seit 1962 nichts an Aktualität eingebüßt und stellt gleichsam die Quintessenz seiner persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Politikern dar, die der bei Matthes & Seitz erschienene Briefwechsel dokumentiert.

Jean Schlumberger, 1877 im Elsass geboren, lebte als Schriftsteller in Paris, gründete mit André Gide 1909 die Nouvelle Revue Française, gehörte seit 1926 dem Deutsch-Französischen Studienkomitee an und schrieb seit 1937 Leitartikel für den Figaro. Sein persönliches Ansehen und sein unabhängiges Urteil in politischen Fragen erlaubten ihm, sich schon 1945 für Deutschland einzusetzen. Die Gesamtausgabe seiner Werke in 7 Bänden ist bei Gallimard erschienen.

Alexandra Plettenberg lebt als freie Übersetzerin in New York und Frankreich. Sie war eine der engsten Vertrauten Joseph Breitbachs in den letzten Jahren seines Lebens. Wolfgang Mettmann hat von 1970 bis 1980 für Joseph Breitbach gearbeitet und verwaltet seinen literarischen Nachlass. Zusammen haben sie die Breitbach-Werkausgabe in fünf Bänden im Wallstein Verlag herausgegeben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.06.2018

Zwei Liebhaber einer schwierigen Verständigung
Arbeit am deutsch-französischen Verhältnis: Ein Band mit Briefen von Jean Schlumberger und Joseph Breitbach

Die Literaturgeschichte ist eine kapriziöse Dame: Einst hoch Gefeierte lässt sie in der Rumpelkammer verstauben, ein solide gegründetes Werk versenkt sie in null Komma nichts. Zum Ausgleich schenkt sie manchem Obskuren späten Ruhm - oder dem Leser das Glück, wie ein Archäologe in vergessene Welten vorzustoßen und dort, wenn nicht verborgene Schätze, so doch zumindest überraschende Zusammenhänge und Einsichten zu entdecken.

Jean Schlumberger (1877 bis 1968) hat das Leben gut und die besagte Dame schlecht behandelt. Der Industriellensohn, der mütterlicherseits vom großen Historiker und Minister François Guizot abstammte, hatte zwar seine elsässische Heimat verloren, genoss aber das ehemalige Kloster Val-Richer und den Bauernhof Braffy, Familienbesitze in der Normandie, sowie die Vorteile seiner sozialen Lage: Er verkehrte in gehobenen und höchsten Kreisen von Politik und Literatur, war ab 1937 Leitartikler des "Figaro".Vor allem war er mit André Gide, Jacques Coupeau und anderen einer der Väter der 1908/9 gegründeten "Nouvelle Revue Française" (NRF), der wichtigsten französischen Literaturzeitschrift des zwanzigsten Jahrhunderts, aus der das Verlagshaus Gallimard hervorging. Schlumberger trug die Gründung finanziell und logistisch fast aus eigener Kraft, die Hausanschrift war seine Adresse, er erfand das dezente Logo der NRF, das bis heute verwendet wird. Nach seinem Tod allerdings geriet Schlumberger rasch in Vergessenheit; erst die Feierlichkeiten zum hundertjährigen Bestand der NRF haben ihn wieder in Erinnerung gerufen.

Die Ironie der Geschichte will es, dass der Weg zu ihm heute über jemanden führt, der lange in seinem Schatten stand: sein sechsundzwanzig Jahre jüngerer Geliebter, Freund und Korrespondent Joseph Breitbach (1903 bis 1980). Bevor er Schlumberger kennenlernte, hatte Breitbach das Gymnasium in Koblenz abgebrochen, ein journalistisches Volontariat absolviert und als Buchhändler gearbeitet; nach Erscheinen seines Warenhausromans "Rot gegen Rot" 1927 war ihm gekündigt worden.

In den dreißiger und vierziger Jahren, als Breitbach - auch wegen Schlumberger - in Frankreich lebte, lehnte er Karriereangebote aus dem deutschsprachigen Raum ab; er haderte mit der Fremde und kämpfte ums publizistische Überleben. Der zeitliche Abstand hat das Kräfteverhältnis ausgeglichen oder sogar umgekehrt: Breitbachs Werk wird gerade neu aufgelegt, eine Website ermöglicht zudem Orientierung (www.joseph-breitbach.de). Alexandra Plettenberg und Wolfgang Mettmann, Herausgeber der neuen Werkausgabe und Autoren der Website, haben nun eine umfangreiche Auswahl aus dem Briefwechsel von Breitbach und Schlumberger vorgelegt.

Die eigentliche Liebesbegegnung zwischen den beiden Männern war auf die Zeit um 1931 begrenzt. Schlumberger war seit 1924 verwitwet, Vater dreier Kinder, von protestantisch reserviertem Naturell, Breitbach hingegen ein schwungvoller, ja exzessiver Charakter. Was sich über Jahrzehnte hin entwickelte, war eine enge intellektuelle, künstlerische, politische und emotionale Beziehung: Breitbach und Schlumberger setzten sich wechselseitig als Letztinstanzen ein; der tägliche Telefonanruf taktete ihre Existenzen.

Zwei Autoren, die zwar aus grenznahen Gebieten stammten, ansonsten jedoch keine Berufung zur Völkerverständigung hatten, entwickelten dabei ihre persönliche Zuneigung zu gesellschaftlichem Engagement weiter. Sie hatten die Mittel, ihre persönlichen Überzeugungen öffentlich wirksam werden zu lassen: Schlumberger intervenierte in "Figaro" und NRF, beide verkehrten mit Politikern, Diplomaten, Industriellen und auch Militärs auf einem Niveau, auf dem Entscheidungen von Tragweite gefällt werden.

In der NRF rannte Schlumberger bei Gide offene Türen ein, denn der stand in Austausch mit deutschen Intellektuellen wie Ernst Robert Curtius; aber Schlumberger intensivierte die Bemühungen um wechselseitiges Verständnis zwischen Franzosen und Deutschen. Er war aktives Mitglied in weiteren Institutionen, die dem Austausch dienten: im Colpacher Kreis um die Industriellengattin Aline Mayrisch de Saint-Hubert, im Deutsch-Französischen Studienkomitee um deren Mann Emil Mayrisch, in den Dekaden von Pontigny, die Paul Desjardins organisierte. Breitbach wiederum reiste im Auftrag des französischen Außenministeriums nach 1945 durch Deutschland, berichtete über die Lage und brachte deutsche Persönlichkeiten mit ihren französischen Pendants zusammen. Den Bemühungen zum Trotz zeigen die Briefe Breitbachs, wie schwer die deutsch-französische Verständigung oft fiel.

Die Briefe der Jahre vor 1940 hatten Breitbach und Schlumberger vernichtet, vermutlich aus Sorge vor der deutschen Besatzung. Breitbach, der in den zwanziger Jahren mit dem Kommunismus sympathisiert hatte, lebte in der freien Zone und später versteckt in Clairac, in Südwestfrankreich, bei Familienangehörigen Schlumbergers - wundersamerweise sind Briefe dieser Zeit überliefert. Die folgenden Jahrzehnte sind dann dicht dokumentiert, nur in Breitbachs Briefen klafft von 1957 bis 1961 eine Lücke. Allerdings hat sich der Schwerpunkt nun erheblich verschoben: Suchte früher vor allem der Jüngere Unterstützung, Rat und Beistand, so bemüht sich der alternde Schlumberger in seinen letzten Lebensjahren spürbar, den Kontakt nicht abreißen zu lassen.

Die Rollenverteilung ist klar: Breitbachs Briefe sind bis in die späten fünfziger Jahre die eines Getriebenen, den Erkrankungen und Verstimmungen quälen und blockieren. Schlumberger scheint ihn mitunter fast zu fürchten: "Ich muss mich noch vorsichtig daran gewöhnen, Deine Briefe ohne Furcht zu öffnen. Was werde ich darin finden? Lieber Vesuv, auf dessen Abhängen das beste Klima der Welt herrscht, der aber auch plötzlich Ströme von Lava und Asche ausspuckt." Zu nachvollziehbaren Sorgen - wie der Trennung vom deutschen Publikum oder mangelndem Umgang mit der Muttersprache - kommen bei Breitbach persönliche Komplexe, etwa der Eindruck mangelnder Bildung. Schlumberger ist dagegen der Ausgeglichene, Vernünftige, der Breitbachs überbordende Vitalität schätzt.

Als Psychogramme berühren die Schreiben, wirklich interessieren können sie als Zeitzeugnisse. Gemeint sind konkrete Eindrücke, etwa auf Breitbachs Reisen ins Nachkriegsdeutschland, dem er sehnsüchtig-fremdelnd gegenübertritt. 1953 erinnert ihn die neue Hauptstadt Bonn an Vichy: "Das Parlament ist vom Stadtzentrum so weit entfernt, dass es eine Beleidigung für den demokratischen Gedanken ist, und nicht einmal eine Straßenbahn fährt dorthin!" Reizvoller noch scheint der Briefwechsel als Zeugnis einer vergangenen Geisteswelt, in dem verschütt gegangene Zeiten und Verbindungslinien aufscheinen, etwa das Netzwerk und Tagesgeschäft des "Figaro".

Ebenso interessant ist das Innenleben von NRF und Gallimard, das literarische Leben allgemein: das Schimpfen auf Sartre - er sei trotz seiner "Überlegungen zur Judenfrage" "im Grunde ein Antisemit" und verbreite "Terror" -, das Lästern über Françoise Sagan - "das einzige Thema, das diese Frau kennt, nämlich das Schwanken einer Nichtstuerin zwischen zwei Männern" - oder Meinungsunterschiede Samuel Beckett betreffend.

Die Herausgeber haben eine schöne Auswahl getroffen, sie kommentiert und mit einem umfangreichen Nachwort versehen. Jedes Jahr wird mit einem historischen und persönlichen Resümee eingeleitet, im Apparat finden sich Erläuterungen zu Personen und Kontexten. Der Band hätte jedoch eines intensiveren Lektorats bedurft. Die Anmerkungen sind umständlich, es finden sich Wiederholungen, Unnötiges, Selbstverständliches. Erläuterungen folgen oft verspätet und sind nicht immer klar und erschöpfend. Der Index ist lückenhaft, das Nachwort zeichnet ein historisches Panorama, hätte aber stringenter und präziser ausfallen können. Dennoch: Mit den intimen Briefporträts von Schlumberger und Breitbach öffnet der vorliegende Band Aussichten auf die Literatur der Jahrhundertmitte und die Entstehung des heutigen Europas.

NIKLAS BENDER

Joseph Breitbach, Jean Schlumberger: "Man hätte es von allen Dächern rufen sollen". Briefwechsel 1940 -1968. Hrsg. von Alexandra Plettenberg und Wolfgang Mettmann. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2018. 636 S., geb., 48,- [Euro].

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