»Was für ein wunderbarer Erzähler, was für ein herrlicher Schriftsteller!«
Marion Gräfin Dönhoff
Golo Mann gilt als der große Erzähler unter den Historikern. Das beweisen nicht nur seine umfangreichen Bücher zur deutschen Geschichte oder die Autobiographie, auch die kleinen Arbeiten zeigen ihn als sprachlichen Könner und herausragenden Stilisten. Dieser Band versammelt Texte aus allen Schaffensperioden, die bisher allenfalls an entlegener Stelle publiziert wurden und die die ganze Breite von Golo Manns Wirken zeigen: als Historiker und politischen Publizisten, als Zeitzeugen, Erzähler und Mitglied der berühmten Familie Mann.
Marion Gräfin Dönhoff
Golo Mann gilt als der große Erzähler unter den Historikern. Das beweisen nicht nur seine umfangreichen Bücher zur deutschen Geschichte oder die Autobiographie, auch die kleinen Arbeiten zeigen ihn als sprachlichen Könner und herausragenden Stilisten. Dieser Band versammelt Texte aus allen Schaffensperioden, die bisher allenfalls an entlegener Stelle publiziert wurden und die die ganze Breite von Golo Manns Wirken zeigen: als Historiker und politischen Publizisten, als Zeitzeugen, Erzähler und Mitglied der berühmten Familie Mann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.2009Die Geschichte? Lehrt Bescheidenheit und Resignation
Tapferkeit und Ängstlichkeit eines ewigen Sohnes: Tilmann Lahme erzählt das Leben Golo Manns als intellektuelle Biographie und Seelengeschichte zugleich.
Von Ernst Osterkamp
Der Held dieser Geschichte", so begann Golo Mann 1947 den Epilog zu seinem Buch über Friedrich von Gentz, das zugleich ein heimliches Selbstporträt war, "hatte nach seinem Tode wenig Glück." Es war dies der Satz eines Mannes, der bis zu dessen Niederschrift hinreichend Gelegenheit zu lernen hatte, was es bedeutet, in seinem Leben wenig Glück zu haben, und sich deshalb auch für sein eigenes Nachleben wohl nur geringe Chancen ausrechnete.
Erfreulicherweise blieb der prognostische Wert dieses Satzes für das Werk Golo Manns gering; im Jahr seines hundertsten Geburtstags, fünfzehn Jahre nach seinem Tode, ist sein Ruhm als populärster Historiker der Deutschen im zwanzigsten Jahrhundert nach wie vor ungefährdet und sein Werk auf dem Buchmarkt solide präsent (mit der unbegreiflichen Ausnahme des aus Empathie beglückend melancholischen Buches über Gentz). Längst hat sich das Interesse an Golo Manns Werk auf dessen Leben ausgedehnt, und Tilmann Lahmes eminent informative Biographie kommt nun diesem Bedürfnis mit Takt und dem Willen zur Gerechtigkeit verlässlich entgegen.
"Der Ruhm - ein Ersatz für die Jugend", so notierte Golo Mann an seinem fünfzigsten Geburtstag, nachdem ihn die im Jahr zuvor erschienene "Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts" (1958) berühmt gemacht hatte. Tatsächlich kannte die Jugend des Helden dieser Geschichte nur wenig Glück - und dies aus dem hinreichend bekannten Grund, dass ihm das Glück widerfahren war, als Sohn eines berühmten Schriftstellers geboren zu sein. Man weiß längst von der Last, die es bedeutete, ein Kind von Thomas und Katja Mann zu sein, aber nie zuvor hat man so bittere Worte gelesen wie diejenigen, die nun in Lahmes Buch aus den Papieren Golo Manns hervortreten: "Was hatten wir doch für eine elende Kindheit", so schrieb der Zweiundzwanzigjährige ins Tagebuch, um schon hier aus diesem Elend ein Grundmotiv seines weiteren Daseins abzuleiten: das der Angst - "Angst vor anderen Kindern, vor den Eltern, dem Gymnasium . . .". Dabei fallen die Urteile über die Mutter noch härter aus als diejenigen über den Vater ("Das Monstrum hatte auch sehr nette Seiten"); noch 1977 vertraute Golo Mann seinem Tagebuch an, dass Katja Manns "Mangel an Takt und Einfühlungsvermögen, ihr Sadismus, ihre Männlichkeit, ja sogar Brutalität" ihn "mit dreizehn Jahren entsetzt, mit zwanzig abgestoßen habe". Als er dies schrieb, lebte er schon längst wieder bei der Mutter im Elternhaus in Kilchberg. Und der Vater? "Golo Mann was born as a ,son'; did not like it; could not help it." Mit diesen Worten beginnt ein im Nachlass erhaltener Lebenslauf Golo Manns als eines Historikers der eigenen Seele. Er ist nie der Illusion verfallen, dem Schicksal, der Sohn Thomas Manns zu sein, entrinnen zu können.
Dennoch hatte der Held dieser Geschichte nicht nur nach seinem Tode durchaus Glück. Denn schon für die Mitwelt war Golo Mann zwar gewiss auch der Sohn Thomas Manns, seit der "Deutschen Geschichte" und dem "Wallenstein" (1971) vor allem aber ein großer Historiker und politischer Essayist. Es ist die Tapferkeit, mit der es diesem Lebensängstlichen, von seinen Eltern um den Lebensmut Betrogenen gelungen ist, als Schriftsteller aus dem Schatten seines Vaters zu treten, nicht hoch genug zu bewundern.
"Ängstlichkeit gehörte zu Golo Manns Wesen. Tapferkeit auch", schreibt Lahme und verschweigt auch nicht den Preis, den Mann für die Disziplin, mit der er seine Neigung zur Melancholie und die Angst bewältigte, zu zahlen hatte: psychische Zusammenbrüche, Abhängigkeit von Tabletten und Alkohol. Dem "Selbstzerstörungstrieb, welcher dieser verfluchten Familie nun einmal innewohnt" (wie er 1977 nach dem Tod des Bruders Michael an Hans-Martin Gauger schrieb), aber hat er sich nie ergeben, und dabei half ihm entschieden ein väterliches Erbe: sein eminentes Leistungsethos. "Das einzige Leitbild, das ich zu bieten versuche, ist: sich Mühe geben." So schrieb er 1961 und nannte sich einen "liberalen Hamlet". "Sein Leben ist seine eigentliche Leistung", schrieb er über Gentz und zugleich über sich selbst.
Dass er bis zuletzt nicht aufgehört hat, das eigene Werk an dem des Vaters zu messen, kennzeichnet Größe und Leiden dieses Meisters. "Es ist die ,höhere Heiterkeit', die mir fehlt. Bei mir ist's, wenn es am besten ist, die höhere Traurigkeit." Dies mag so sein, aber der Leser wird gerade diese Kraft zur höheren Traurigkeit als die besondere Qualität seiner Prosa bewundern. 1950 charakterisierte er in einem Essay über Lord Acton dessen Geschichtsbetrachtung mit der Wendung "Gerechtigkeit, Trauer und Schönheit der Formulierung" und bezeichnete damit zugleich das Stilideal des Historikers, der zu werden er mit dem Buch über Gentz sich angeschickt hatte. Was die Beschäftigung mit der Geschichte lehre, sei, so schrieb er schon 1952, "Bescheidenheit und Resignation": "Sie ist das beste Gegengift gegen allen Fanatismus, alle falsche Selbstsicherheit, Selbstgerechtigkeit und Rechthaberei." So erklärt sich der - manchmal schwere - Hauch von Nostalgie, der über Golo Manns historischer Prosa liegt, auch seine "Neigung zur Versöhnung mit der Vergangenheit", von der Lahme schon an früher Stelle spricht. Sie ist auch ein Effekt des Lebens, das der Historiker in einem Zeitalter der Fanatismen zu führen gezwungen war.
Dieses Leben erzählt Tilmann Lahme auf der Grundlage einer Fülle bisher unbekannten Materials, das er in intensiven Recherchen aus zahlreichen Archiven zutage gefördert hat; der Fakten- und Detailreichtum dieses Buches ist bewundernswert. So gelingt es ihm auch, manche allzu geglättete Erinnerung Golo Manns in dessen eigenen "Erinnerungen und Gedanken. Eine Jugend in Deutschland" (1986) im Lichte der Dokumente historisch wieder aufzurauhen - zum Beispiel was das entschieden sozialistische Engagement und die revolutionären Forderungen des Heidelberger Studenten betrifft, deren sich der konservative Autobiograph nur noch ungern entsann; erst in der frühen Emigrationszeit, so zeigt Lahme, wandte sich Golo Mann endgültig vom Sozialismus und Marxismus ab. Auch der mutige publizistische Kampf des Studenten gegen die Nationalsozialisten im Jahr 1931 und seine frühen Versuche, die Attraktionskraft des Nationalsozialismus politisch zu verstehen, werden hier erstmals umfassend dokumentiert. Bemerkenswert ist, dass Mann damals die "Edel-Nazis" um Ernst Jünger als die gefährlichsten Gegner identifizierte. Als er Jünger dann 1951 persönlich kennenlernte, zeigte sich Mann allerdings rasch versöhnlich; nicht weniger als viermal heißt es damals in Briefen, das "dürre und arme Männlein" tue ihm leid.
Gewiss war man schon bisher über die Grundzüge von Golo Manns Leben, das seit den fünfziger Jahren dasjenige eines öffentlichen Intellektuellen war, einigermaßen informiert: die Jahre in Salem, die Studienzeit und das wenig glanzvolle Doktorexamen bei Karl Jaspers, die deprimierenden Jahre der Emigration in Frankreich, der Schweiz und den Vereinigten Staaten, die nach langem Zögern im Jahr 1953 vollzogene Rückkehr nach Europa, das kurze Intermezzo als Professor für Wissenschaftliche Politik in Stuttgart, die Bücher, die Preise, der Ruhm, das publizistische Engagement für eine neue Ostpolitik und für die SPD, schließlich die mit vertrotztem Nonkonformismus im Zeichen der politischen Tendenzwende betriebene Unterstützung für Franz Josef Strauß im Bundestagswahlkampf 1980.
Der hohe Reiz von Lahmes Buch besteht darin, dass er aus intimer Kenntnis der biographischen Zeugnisse das Leben Golo Manns als intellektuelle Biographie und als Seelengeschichte zugleich erzählt: als das Leben eines konservativen Europäers, der sich allen Erfolgen zum Trotz als Außenseiter empfunden hat - in seiner Familie, in seiner Zunft als Erzähler und Moralist, in der Politik ohnehin, als Homosexueller. "Nach allem muss ich meine homosexuelle Veranlagung als ein großes und entscheidendes Unglück betrachten", so schrieb er 1933 ins Tagebuch. Dass sie ihm zumal in späteren Jahren doch auch manches (wenngleich kompliziertes) Glück gebracht hat, zeigt das Buch freilich auch.
Lahme schont seinen Helden keineswegs, bescheinigt ihm "wichtigtuerischen Eifer" und mangelnde Generosität und stimmt Manuel Gasser zu, der seinen Freund einen "Märtyrer seines Ehrgeizes" nannte. Am Ende der unseligen Geschichte seiner Feindschaft mit Horkheimer und Adorno, die zur Verhinderung seiner Berufung an die Frankfurter Universität führte, findet Lahme zu dem Urteil: "Ein intrigantes, unsauberes Stück aus der Geschichte der Bundesrepublik, bei dem auch Golo Mann nicht dem Salemer Kodex von Anstand und Fairness genügte." Ein Mensch mit Schwächen also - wie auch anders? Lahme spricht einmal von Golo Manns "Bedürfnis, gebraucht zu werden", und manche seiner Schwächen erklären sich wohl gerade aus diesem Bedürfnis. Aber eben daraus erwuchs auch sein schriftstellerisches Ethos: sein Plädoyer für ein Schreiben, das hilfreich und konstruktiv ist.
Eine schöne Gelegenheit, den Schriftsteller Golo Mann kennenzulernen oder neu zu lesen, gibt ein parallel zur Biographie erschienener Band mit Erzählungen, Familienporträts und Essays zu Politik und Zeitgeschichte. Hier finden sich manche Trouvaillen und unbekannte Texte, deren Entdeckung sich Lahmes Recherchen verdankt, darunter eine 1928 unter Pseudonym erschienene Erzählung des Neunzehnjährigen, in der er ein dichtes Bild seiner komplizierten Seele und ihrer Gefährdungen zeichnet, und eine Reihe von Radioreden an deutsche Hörer, die Mann 1944/45 als Kommentator für die American Broadcasting Station in London schrieb und sprach. Vor allem findet man hier die hinreißende historische Erzählung "Herr und Frau Lavalette. Eine Episode aus napoleonischer Zeit" (1982), die der Autor dieser Zeilen neben dem Buch über Gentz für den schönsten Text Golo Manns hält.
Tilmann Lahme: "Golo Mann". Biographie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 553 S., Abb., geb., 24,95 [Euro].
Golo Mann: "Man muss über sich selbst schreiben". Erzählungen, Familienporträts, Essays. Herausgegeben von Tilmann Lahme. Mit einem Nachwort von Hans- Martin Gauger. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 275 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tapferkeit und Ängstlichkeit eines ewigen Sohnes: Tilmann Lahme erzählt das Leben Golo Manns als intellektuelle Biographie und Seelengeschichte zugleich.
Von Ernst Osterkamp
Der Held dieser Geschichte", so begann Golo Mann 1947 den Epilog zu seinem Buch über Friedrich von Gentz, das zugleich ein heimliches Selbstporträt war, "hatte nach seinem Tode wenig Glück." Es war dies der Satz eines Mannes, der bis zu dessen Niederschrift hinreichend Gelegenheit zu lernen hatte, was es bedeutet, in seinem Leben wenig Glück zu haben, und sich deshalb auch für sein eigenes Nachleben wohl nur geringe Chancen ausrechnete.
Erfreulicherweise blieb der prognostische Wert dieses Satzes für das Werk Golo Manns gering; im Jahr seines hundertsten Geburtstags, fünfzehn Jahre nach seinem Tode, ist sein Ruhm als populärster Historiker der Deutschen im zwanzigsten Jahrhundert nach wie vor ungefährdet und sein Werk auf dem Buchmarkt solide präsent (mit der unbegreiflichen Ausnahme des aus Empathie beglückend melancholischen Buches über Gentz). Längst hat sich das Interesse an Golo Manns Werk auf dessen Leben ausgedehnt, und Tilmann Lahmes eminent informative Biographie kommt nun diesem Bedürfnis mit Takt und dem Willen zur Gerechtigkeit verlässlich entgegen.
"Der Ruhm - ein Ersatz für die Jugend", so notierte Golo Mann an seinem fünfzigsten Geburtstag, nachdem ihn die im Jahr zuvor erschienene "Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts" (1958) berühmt gemacht hatte. Tatsächlich kannte die Jugend des Helden dieser Geschichte nur wenig Glück - und dies aus dem hinreichend bekannten Grund, dass ihm das Glück widerfahren war, als Sohn eines berühmten Schriftstellers geboren zu sein. Man weiß längst von der Last, die es bedeutete, ein Kind von Thomas und Katja Mann zu sein, aber nie zuvor hat man so bittere Worte gelesen wie diejenigen, die nun in Lahmes Buch aus den Papieren Golo Manns hervortreten: "Was hatten wir doch für eine elende Kindheit", so schrieb der Zweiundzwanzigjährige ins Tagebuch, um schon hier aus diesem Elend ein Grundmotiv seines weiteren Daseins abzuleiten: das der Angst - "Angst vor anderen Kindern, vor den Eltern, dem Gymnasium . . .". Dabei fallen die Urteile über die Mutter noch härter aus als diejenigen über den Vater ("Das Monstrum hatte auch sehr nette Seiten"); noch 1977 vertraute Golo Mann seinem Tagebuch an, dass Katja Manns "Mangel an Takt und Einfühlungsvermögen, ihr Sadismus, ihre Männlichkeit, ja sogar Brutalität" ihn "mit dreizehn Jahren entsetzt, mit zwanzig abgestoßen habe". Als er dies schrieb, lebte er schon längst wieder bei der Mutter im Elternhaus in Kilchberg. Und der Vater? "Golo Mann was born as a ,son'; did not like it; could not help it." Mit diesen Worten beginnt ein im Nachlass erhaltener Lebenslauf Golo Manns als eines Historikers der eigenen Seele. Er ist nie der Illusion verfallen, dem Schicksal, der Sohn Thomas Manns zu sein, entrinnen zu können.
Dennoch hatte der Held dieser Geschichte nicht nur nach seinem Tode durchaus Glück. Denn schon für die Mitwelt war Golo Mann zwar gewiss auch der Sohn Thomas Manns, seit der "Deutschen Geschichte" und dem "Wallenstein" (1971) vor allem aber ein großer Historiker und politischer Essayist. Es ist die Tapferkeit, mit der es diesem Lebensängstlichen, von seinen Eltern um den Lebensmut Betrogenen gelungen ist, als Schriftsteller aus dem Schatten seines Vaters zu treten, nicht hoch genug zu bewundern.
"Ängstlichkeit gehörte zu Golo Manns Wesen. Tapferkeit auch", schreibt Lahme und verschweigt auch nicht den Preis, den Mann für die Disziplin, mit der er seine Neigung zur Melancholie und die Angst bewältigte, zu zahlen hatte: psychische Zusammenbrüche, Abhängigkeit von Tabletten und Alkohol. Dem "Selbstzerstörungstrieb, welcher dieser verfluchten Familie nun einmal innewohnt" (wie er 1977 nach dem Tod des Bruders Michael an Hans-Martin Gauger schrieb), aber hat er sich nie ergeben, und dabei half ihm entschieden ein väterliches Erbe: sein eminentes Leistungsethos. "Das einzige Leitbild, das ich zu bieten versuche, ist: sich Mühe geben." So schrieb er 1961 und nannte sich einen "liberalen Hamlet". "Sein Leben ist seine eigentliche Leistung", schrieb er über Gentz und zugleich über sich selbst.
Dass er bis zuletzt nicht aufgehört hat, das eigene Werk an dem des Vaters zu messen, kennzeichnet Größe und Leiden dieses Meisters. "Es ist die ,höhere Heiterkeit', die mir fehlt. Bei mir ist's, wenn es am besten ist, die höhere Traurigkeit." Dies mag so sein, aber der Leser wird gerade diese Kraft zur höheren Traurigkeit als die besondere Qualität seiner Prosa bewundern. 1950 charakterisierte er in einem Essay über Lord Acton dessen Geschichtsbetrachtung mit der Wendung "Gerechtigkeit, Trauer und Schönheit der Formulierung" und bezeichnete damit zugleich das Stilideal des Historikers, der zu werden er mit dem Buch über Gentz sich angeschickt hatte. Was die Beschäftigung mit der Geschichte lehre, sei, so schrieb er schon 1952, "Bescheidenheit und Resignation": "Sie ist das beste Gegengift gegen allen Fanatismus, alle falsche Selbstsicherheit, Selbstgerechtigkeit und Rechthaberei." So erklärt sich der - manchmal schwere - Hauch von Nostalgie, der über Golo Manns historischer Prosa liegt, auch seine "Neigung zur Versöhnung mit der Vergangenheit", von der Lahme schon an früher Stelle spricht. Sie ist auch ein Effekt des Lebens, das der Historiker in einem Zeitalter der Fanatismen zu führen gezwungen war.
Dieses Leben erzählt Tilmann Lahme auf der Grundlage einer Fülle bisher unbekannten Materials, das er in intensiven Recherchen aus zahlreichen Archiven zutage gefördert hat; der Fakten- und Detailreichtum dieses Buches ist bewundernswert. So gelingt es ihm auch, manche allzu geglättete Erinnerung Golo Manns in dessen eigenen "Erinnerungen und Gedanken. Eine Jugend in Deutschland" (1986) im Lichte der Dokumente historisch wieder aufzurauhen - zum Beispiel was das entschieden sozialistische Engagement und die revolutionären Forderungen des Heidelberger Studenten betrifft, deren sich der konservative Autobiograph nur noch ungern entsann; erst in der frühen Emigrationszeit, so zeigt Lahme, wandte sich Golo Mann endgültig vom Sozialismus und Marxismus ab. Auch der mutige publizistische Kampf des Studenten gegen die Nationalsozialisten im Jahr 1931 und seine frühen Versuche, die Attraktionskraft des Nationalsozialismus politisch zu verstehen, werden hier erstmals umfassend dokumentiert. Bemerkenswert ist, dass Mann damals die "Edel-Nazis" um Ernst Jünger als die gefährlichsten Gegner identifizierte. Als er Jünger dann 1951 persönlich kennenlernte, zeigte sich Mann allerdings rasch versöhnlich; nicht weniger als viermal heißt es damals in Briefen, das "dürre und arme Männlein" tue ihm leid.
Gewiss war man schon bisher über die Grundzüge von Golo Manns Leben, das seit den fünfziger Jahren dasjenige eines öffentlichen Intellektuellen war, einigermaßen informiert: die Jahre in Salem, die Studienzeit und das wenig glanzvolle Doktorexamen bei Karl Jaspers, die deprimierenden Jahre der Emigration in Frankreich, der Schweiz und den Vereinigten Staaten, die nach langem Zögern im Jahr 1953 vollzogene Rückkehr nach Europa, das kurze Intermezzo als Professor für Wissenschaftliche Politik in Stuttgart, die Bücher, die Preise, der Ruhm, das publizistische Engagement für eine neue Ostpolitik und für die SPD, schließlich die mit vertrotztem Nonkonformismus im Zeichen der politischen Tendenzwende betriebene Unterstützung für Franz Josef Strauß im Bundestagswahlkampf 1980.
Der hohe Reiz von Lahmes Buch besteht darin, dass er aus intimer Kenntnis der biographischen Zeugnisse das Leben Golo Manns als intellektuelle Biographie und als Seelengeschichte zugleich erzählt: als das Leben eines konservativen Europäers, der sich allen Erfolgen zum Trotz als Außenseiter empfunden hat - in seiner Familie, in seiner Zunft als Erzähler und Moralist, in der Politik ohnehin, als Homosexueller. "Nach allem muss ich meine homosexuelle Veranlagung als ein großes und entscheidendes Unglück betrachten", so schrieb er 1933 ins Tagebuch. Dass sie ihm zumal in späteren Jahren doch auch manches (wenngleich kompliziertes) Glück gebracht hat, zeigt das Buch freilich auch.
Lahme schont seinen Helden keineswegs, bescheinigt ihm "wichtigtuerischen Eifer" und mangelnde Generosität und stimmt Manuel Gasser zu, der seinen Freund einen "Märtyrer seines Ehrgeizes" nannte. Am Ende der unseligen Geschichte seiner Feindschaft mit Horkheimer und Adorno, die zur Verhinderung seiner Berufung an die Frankfurter Universität führte, findet Lahme zu dem Urteil: "Ein intrigantes, unsauberes Stück aus der Geschichte der Bundesrepublik, bei dem auch Golo Mann nicht dem Salemer Kodex von Anstand und Fairness genügte." Ein Mensch mit Schwächen also - wie auch anders? Lahme spricht einmal von Golo Manns "Bedürfnis, gebraucht zu werden", und manche seiner Schwächen erklären sich wohl gerade aus diesem Bedürfnis. Aber eben daraus erwuchs auch sein schriftstellerisches Ethos: sein Plädoyer für ein Schreiben, das hilfreich und konstruktiv ist.
Eine schöne Gelegenheit, den Schriftsteller Golo Mann kennenzulernen oder neu zu lesen, gibt ein parallel zur Biographie erschienener Band mit Erzählungen, Familienporträts und Essays zu Politik und Zeitgeschichte. Hier finden sich manche Trouvaillen und unbekannte Texte, deren Entdeckung sich Lahmes Recherchen verdankt, darunter eine 1928 unter Pseudonym erschienene Erzählung des Neunzehnjährigen, in der er ein dichtes Bild seiner komplizierten Seele und ihrer Gefährdungen zeichnet, und eine Reihe von Radioreden an deutsche Hörer, die Mann 1944/45 als Kommentator für die American Broadcasting Station in London schrieb und sprach. Vor allem findet man hier die hinreißende historische Erzählung "Herr und Frau Lavalette. Eine Episode aus napoleonischer Zeit" (1982), die der Autor dieser Zeilen neben dem Buch über Gentz für den schönsten Text Golo Manns hält.
Tilmann Lahme: "Golo Mann". Biographie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 553 S., Abb., geb., 24,95 [Euro].
Golo Mann: "Man muss über sich selbst schreiben". Erzählungen, Familienporträts, Essays. Herausgegeben von Tilmann Lahme. Mit einem Nachwort von Hans- Martin Gauger. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 275 S., geb., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Höchst lesenswert findet Rezensent Uwe Naumann diese, vom Golo-Mann-Biografen Tilmann Lahme herausgegebene Sammlung unbekannter Essays und Erzählungen Manns. Denn darin werde der Historiker und Schriftsteller als " herausragender, oft unbequemer Intellektueller" noch einmal lebendig. Zu den Ereignissen dieses Buches gehört für den Rezensenten speziell das Prosastück "Vom Leben des Studenten Raimund", die Mann 1927 unter Pseudonym veröffentlicht habe. Darin habe er seine in der Öffentlichkeit lebenslang stets geheim gehaltene Homosexualität verhandelt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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