Produktdetails
- Verlag: Edition Epoca
- Originaltitel: L' uova alla Kok
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 159
- Erscheinungstermin: Mai 2006
- Deutsch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 272g
- ISBN-13: 9783905513356
- ISBN-10: 3905513358
- Artikelnr.: 12909180
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.12.2005Die Genüsse des indischen Tigers
Aldo Buzzis gesammelte gastrosophische Schriften
In seinem Buch „Man nehme, so man hat. Von Küchen und Köchen, Genießern und Banausen” erzählt Aldo Buzzi eine Szene aus Fellinis Film „Il bidone” („Die Schwindler”). Da liegt der sterbende Broderick Crawford, der einen Betrüger spielt, im Straßengraben, sein letztes Stündlein hat geschlagen. Oben auf der Straße läuft eine Schar schwatzender Bäuerinnen vorbei, die er aber nicht versteht, denn sie sprechen Sardisch. Trotzdem kommt ihm die Sprachmusik ganz und gar sinnvoll vor: „Die Essenz des Lebens schlechthin, das demjenigen, der es für immer verlässt, als wunderbar erscheint”, wie sich Buzzi sehr schön ausdrückt. Aber was haben die Bäuerinnen tatsächlich gesagt? „Wenn mein Mann, Gott hab ihn selig, nicht jeden Tag sein Stück Fleisch bekommen hätte, hätte der mich ganz schön mit Ohrfeigen versorgt.”
Ist das nicht in der Tat wunderbar? Ist das nicht just die Essenz des Lebens? Und zwar keineswegs in jenem aufgedonnerten Sinn, in dem Gourmets die Erfüllung des Daseins in der unendlichen Verfeinerung ihrer Sinneserlebnisse suchen, sondern in jener unbedingt rustikalen, tierhaft-unverbildeten Weise, die mit Ohrfeigen droht, wenn es an Eiweiß fehlt. Leben ist Stoffwechsel - und wer den Tod, diesen letzten, endgültigen Stoffwechsel vor Augen hat, wird nicht ohne Rührung auf diese Grundtatsache zurückschauen.
Der Italiener Aldo Buzzi, 1910 in Como geboren, lebt in Mailand und ist Schriftsteller und Übersetzer. Seine gastrosophischen Schriften hat nun die Zürcher Edition Epoca verdienstvollerweise erstmals einem deutschen Publikum zugänglich gemacht. Als Gastrosoph ist Aldo Buzzi durchaus eine Ausnahme. Bei ihm nämlich gehen das Hohe und das Niedrige, das Derbe und das Feine überraschende Verbindungen ein. Wenn er für sein geröstetes Huhn über offenem Feuer empfiehlt, ganz zum Schluss noch „ein Bündel wilden Fenchel” auf der Kohle zu entzünden und kurz über dem Hähnchen zu schwenken, verrät das rigorose Raffinesse. Er resümiert denn auch den Wohlgeschmack dieses Gerichts mit einem anspruchsvollen Vergleich: „Wer dieses Fleisch gekostet hat, dem wird es ergehen wie dem Tiger in Indien, der, nachdem er einmal Menschenfleisch gekostet hatte, nichts anderes mehr essen wollte.”
Aber Buzzi hat auch eine andere Seite, die er nie explizit ausspricht, die aber aus vielen seiner lakonischen Anmerkungen, Beobachtungen und Zitaten hindurchscheint: Dass nämlich auch die Völlerei, die ganz auf Quantität und Maßlosigkeit setzt, ihren Eindruck auf ihn nicht verfehlt. Durchaus respektvoll nimmt er etwa den Fall des römischen Kaisers Vitellius zur Kenntnis: Vitellius, „der mit seiner Gefräßigkeit die Welt zum Staunen gebracht hatte, versuchte, kurz bevor er ermordet und in den Tiber geworfen wurde, auf einer Sänfte zu fliehen, ,mit dem Koch und dem Bäcker als einzigem Gefolge.” In ihrer obsessiven Fixierung scheint die Völlerei für Buzzi etwas anthropologisch Wesentliches zum Ausdruck zu bringen, das er nicht gering schätzen möchte. Dass das Nahrungsbedürfnis den Menschen animalisiert, ist für ihn keineswegs verächtlich. Nicht ohne Grund akzeptiert er den bereits erwähnten indischen Tiger als Autorität. Man könnte sich vorstellen, dass er auch mit der Pythonschlange Sympathie hat, die ihre Beute verschlingt und sich dann wochenlang dem Verdauungsphlegma hingibt. Jedenfalls zitiert Buzzi voller Zustimmung einen Anonymus: „Essen ist menschlich, verdauen ist göttlich.”Dagegen lässt ihn die „Rosenblättersuppe der Futuristen” eher kalt.
„Man nehme, so man hat” bietet auch, was man so Rezepte nennt. Das ist aber nicht die Stärke des Buches. Diese liegt viel eher darin, dass Buzzi mit seiner herrischen Strenge, die auch den Geschmacksverfall der Gegenwart mit aristokratischem Unverständnis beim Wort nennt, so über das Essen schreibt, dass es auf unaufdringliche Weise zur Metapher des Lebens verabsolutiert wird. Dabei kann er vielen Vorgängen die poetischsten Töne entlocken. Über das Kaninchen, das am Sonntag Vormittag in seiner Weinsauce dünstet, sagt er: „Die sonntägliche Stille ist so absolut, dass man fast den Eindruck hat, das Kaninchen würde sich, sozusagen als letzten Beweis seiner angeborenen Höflichkeit, alleine kochen.”
IJOMA MANGOLD
ALDO BUZZI: Man nehme, so man hat. Von Küchen und Köchen, Genießern und Banausen. Aus dem Italienischen von Bettina Kienlechner. Edition Epoca, Zürich 2005. 159 Seiten, 20 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Aldo Buzzis gesammelte gastrosophische Schriften
In seinem Buch „Man nehme, so man hat. Von Küchen und Köchen, Genießern und Banausen” erzählt Aldo Buzzi eine Szene aus Fellinis Film „Il bidone” („Die Schwindler”). Da liegt der sterbende Broderick Crawford, der einen Betrüger spielt, im Straßengraben, sein letztes Stündlein hat geschlagen. Oben auf der Straße läuft eine Schar schwatzender Bäuerinnen vorbei, die er aber nicht versteht, denn sie sprechen Sardisch. Trotzdem kommt ihm die Sprachmusik ganz und gar sinnvoll vor: „Die Essenz des Lebens schlechthin, das demjenigen, der es für immer verlässt, als wunderbar erscheint”, wie sich Buzzi sehr schön ausdrückt. Aber was haben die Bäuerinnen tatsächlich gesagt? „Wenn mein Mann, Gott hab ihn selig, nicht jeden Tag sein Stück Fleisch bekommen hätte, hätte der mich ganz schön mit Ohrfeigen versorgt.”
Ist das nicht in der Tat wunderbar? Ist das nicht just die Essenz des Lebens? Und zwar keineswegs in jenem aufgedonnerten Sinn, in dem Gourmets die Erfüllung des Daseins in der unendlichen Verfeinerung ihrer Sinneserlebnisse suchen, sondern in jener unbedingt rustikalen, tierhaft-unverbildeten Weise, die mit Ohrfeigen droht, wenn es an Eiweiß fehlt. Leben ist Stoffwechsel - und wer den Tod, diesen letzten, endgültigen Stoffwechsel vor Augen hat, wird nicht ohne Rührung auf diese Grundtatsache zurückschauen.
Der Italiener Aldo Buzzi, 1910 in Como geboren, lebt in Mailand und ist Schriftsteller und Übersetzer. Seine gastrosophischen Schriften hat nun die Zürcher Edition Epoca verdienstvollerweise erstmals einem deutschen Publikum zugänglich gemacht. Als Gastrosoph ist Aldo Buzzi durchaus eine Ausnahme. Bei ihm nämlich gehen das Hohe und das Niedrige, das Derbe und das Feine überraschende Verbindungen ein. Wenn er für sein geröstetes Huhn über offenem Feuer empfiehlt, ganz zum Schluss noch „ein Bündel wilden Fenchel” auf der Kohle zu entzünden und kurz über dem Hähnchen zu schwenken, verrät das rigorose Raffinesse. Er resümiert denn auch den Wohlgeschmack dieses Gerichts mit einem anspruchsvollen Vergleich: „Wer dieses Fleisch gekostet hat, dem wird es ergehen wie dem Tiger in Indien, der, nachdem er einmal Menschenfleisch gekostet hatte, nichts anderes mehr essen wollte.”
Aber Buzzi hat auch eine andere Seite, die er nie explizit ausspricht, die aber aus vielen seiner lakonischen Anmerkungen, Beobachtungen und Zitaten hindurchscheint: Dass nämlich auch die Völlerei, die ganz auf Quantität und Maßlosigkeit setzt, ihren Eindruck auf ihn nicht verfehlt. Durchaus respektvoll nimmt er etwa den Fall des römischen Kaisers Vitellius zur Kenntnis: Vitellius, „der mit seiner Gefräßigkeit die Welt zum Staunen gebracht hatte, versuchte, kurz bevor er ermordet und in den Tiber geworfen wurde, auf einer Sänfte zu fliehen, ,mit dem Koch und dem Bäcker als einzigem Gefolge.” In ihrer obsessiven Fixierung scheint die Völlerei für Buzzi etwas anthropologisch Wesentliches zum Ausdruck zu bringen, das er nicht gering schätzen möchte. Dass das Nahrungsbedürfnis den Menschen animalisiert, ist für ihn keineswegs verächtlich. Nicht ohne Grund akzeptiert er den bereits erwähnten indischen Tiger als Autorität. Man könnte sich vorstellen, dass er auch mit der Pythonschlange Sympathie hat, die ihre Beute verschlingt und sich dann wochenlang dem Verdauungsphlegma hingibt. Jedenfalls zitiert Buzzi voller Zustimmung einen Anonymus: „Essen ist menschlich, verdauen ist göttlich.”Dagegen lässt ihn die „Rosenblättersuppe der Futuristen” eher kalt.
„Man nehme, so man hat” bietet auch, was man so Rezepte nennt. Das ist aber nicht die Stärke des Buches. Diese liegt viel eher darin, dass Buzzi mit seiner herrischen Strenge, die auch den Geschmacksverfall der Gegenwart mit aristokratischem Unverständnis beim Wort nennt, so über das Essen schreibt, dass es auf unaufdringliche Weise zur Metapher des Lebens verabsolutiert wird. Dabei kann er vielen Vorgängen die poetischsten Töne entlocken. Über das Kaninchen, das am Sonntag Vormittag in seiner Weinsauce dünstet, sagt er: „Die sonntägliche Stille ist so absolut, dass man fast den Eindruck hat, das Kaninchen würde sich, sozusagen als letzten Beweis seiner angeborenen Höflichkeit, alleine kochen.”
IJOMA MANGOLD
ALDO BUZZI: Man nehme, so man hat. Von Küchen und Köchen, Genießern und Banausen. Aus dem Italienischen von Bettina Kienlechner. Edition Epoca, Zürich 2005. 159 Seiten, 20 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.2005Das Huhn ist kein Würfel
In der Küche der Wahrheit: Der Schriftsteller Aldo Buzzi genießt
Trotz des kulinarischen Titels "Man nehme, so man hat. Von Küchen und Köchen, Genießern und Banausen" findet man am Ende dieses Buches keine Liste der erwähnten Realien oder nach Gruppen geordnete Rezepte. Man findet ein Personenverzeichnis, in dem kulinarisch wirklich relevante Namen - milde ausgedrückt - eher in der Minderzahl sind. Haben wir es also wieder einmal mit einem der vielen, wenig ersprießlichen Werke zu tun, in denen sich peripheres Interesse am Kulinarischen doch noch zu einem Bändchen von verkäuflichem Umfang kondensiert? Wohlgepolstert mit dem Fett kulturgesättigter Namen von Aristophanes bis Zola, aber mager in dem, was es mitzuteilen gäbe?
Dem 1910 geborenen italienischen Architekten, Schriftsteller und Übersetzer Aldo Buzzi - er übersetzte unter anderem Thomas Mann, Walter Benjamin und James Joyce, wurde aber auch durch die Veröffentlichung eines langjährigen Briefwechsels mit Saul Steinberg bekannt - scheint dieses Problem nur indirekt bekannt zu sein. "Der Schriftsteller", heißt es da, "der nie vom Essen, vom Appetit, vom Hunger, von Speisen, von Köchen, von Mahlzeiten spricht, macht mich mißtrauisch, ganz so, als fehle ihm etwas Wesentliches."
Im Prinzip hat er recht, der bisweilen ziemlich weise Herr Buzzi, den man sich trotz seines hohen Alters durch die Gassen italienischer Städte streifend vorstellt, da, wo es konkret wird, wo man auf Melonenstückchen ausrutschen kann, im Gewirr aus lauter Lieblingstrattorien und den malerisch hängenden Schinken und Würsten. Er scheint jedenfalls besser genährt als andere Peripheriker, denen partout nicht auffallen will, daß die kulinarischen Objekte ihnen nur deshalb so oberflächlich erscheinen, weil ihnen selbst die Skizze eines Schlüssels zu ihrer Erklärung fehlt. Wie kann man auch einen Menschen nicht ernst nehmen, der sich erstaunlich differenziert über die Gartechnik von Huhn an offenem Feuer äußert und dann vorschlägt: "(Man halte) ein Bündel wilden Fenchel oder einen Zweig Lorbeer (bereit), die man ganz zum Schluß auf der Kohle entzündet, um das Hähnchen kurz darüber zu schwenken".
Nachdem also der Legitimation des Herrn Buzzi Genüge getan ist, entfaltet sich vor dem Leser ein kurzweiliges Panorama um Essen und Eßkultur, das dank seiner regelmäßigen Rückkehr zu gelebtem Essen ohne weiteres auch einige Zitate verträgt. Wie jenes von Alexandre Dumas, der den bekanntesten Gastrosophen aller Zeiten, Brillat-Savarin, noch aus eigener Erfahrung als jemanden beschreibt, der nicht gewußt habe, wie man ißt, eher ein Vielfraß war, dafür aber "schreiben konnte". Mit Paul Bocuse teilt Buzzi die Vorliebe für gekühlten Rotwein und das volle Verständnis für die tagesfrische "Cuisine du marché", allerdings auch die Begrenztheit des Horizonts jenseits der klassischen Trampelpfade: "(Bocuse) rät davon ab, die Frühsorten (von Gemüse) zu kaufen. Hier muß man ihm unbedingt recht geben." Da interessiert ihn, warum die Bauern außerhalb von Neapel Bohnen mit Fäden züchten, während sie doch in Neapel "ohne die Spur eines Fadens sind", oder daß die Pasta nur soviel an Tomatensauce bekommen dürfen, daß sie rosa, aber nicht rot gefärbt sind.
Mit guter Übersicht nennt er den französischen Spitzenkoch Michel Guérard (etwa "La cuisine minceur", Paris 1976) den Koch, "der mehr als irgendein anderer die neuen Tendenzen der französischen Küche verkörpert", und schließt sich - mit erstaunlich wenig Übersicht - der Meinung Alberto Savinios an (Schriftsteller und Bruder von Giorgio De Chirico), der als einer der Urheber italienischen Küchenhochmuts gelten kann: "Die italienische Küche ist eine Küche der Wahrheit. Sie ist die Küche, zu der wir alle früher oder später unweigerlich zurückkehren werden, nach jedem unbesonnenen und glücklosen Abstecher, sei es zu den Vertilgern von Heuschrecken oder Verkostern von Quintessenzen."
Insgesamt wirkt Aldo Buzzi aber keineswegs nationalistisch und meidet - für die kulinarischen Ansichten seiner Generation eher selten - weitgehend den Schulterschluß mit dem gesunden Menschenverstand, dessen massenhafte Verbreitung ihn ja letztlich immer sehr ungesund werden läßt. Überraschend scharf fällt seine Zivilisationskritik aus, in der er den "Geschmacksverlust" als kulturelles Gesamtphänomen sieht und ihn unter anderem auch dort findet, wo man "Radios und Fernseher mit voller Lautstärke laufen läßt", wo man sich schämt, "wenn der Großvater sich die Serviette um den Hals bindet", wo Leute sich nicht in eine Schlange stellen können oder Vanillepulver statt echter Vanilleschoten verwenden.
In einer bunten Mischung von Fiktion und Nichtfiktion geht es vom Hölzchen aufs Stöckchen, und dennoch gewinnt man den Autor immer lieber, je mehr man ihn liest. "Die Welt gehört leider jenen, die im Unrecht sind", geht es also weiter, und zwischendurch folgt der Hinweis, daß die Hühnerbrühe in armen Ländern exzellent ist (weil man dort tatsächlich noch Hühner verarbeitet . . .), mit dem Einzug des Wohlstandes das Huhn aber zum Würfel wird. Altersunweisheiten, wie die pauschale Verwendung des Satzes "in Zeiten der Dekadenz wird der Küchenkult exzessiv", kann man Buzzi glatt verzeihen, weil er auch so wunderbare Dinge beschreibt wie den situativen Kontext des Genießens von "besonderen Speisen, wie die Schwarzwurzeln in Butter". Das "Man nehme" des Buchtitels wird um einen warmen Holzfußboden und eine "blütenweiße Decke" oder "Stühle mit gepolsterter Armlehne" erweitert und wirkt einmal gar nicht so wie die sterilen Handreichungen zu kultiviertem Leben.
Man kann also von einem interessanten, gebildet geschriebenen kleinen Büchlein berichten, das in vielen Facetten ungewohnte kulinarische Substanz erreicht - wenn auch nicht unbedingt in den eher klassisch angelegten Rezepten im Text. Es entsteht der Wunsch, daß es einmal gelingen möge, die Qualitäten eines guten Schriftstellers mit einer makellosen kulinarischen Substanz zu verbinden und mit diesem Wunsch sogleich die Hoffnung, daß daraus Neues entstehen könnte. Noch ist man - meist als Folge geradezu klassischer Selbstblockaden - ein klein wenig hintendran. Aldo Buzzi jedenfalls ist da eine beachtliche Ausnahme.
JÜRGEN DOLLASE
Aldo Buzzi: "Man nehme, so man hat". Von Küchen und Köchen, Genießern und Banausen. Aus dem Italienischen übersetzt von Bettina Kienlechner. Edition Epoca, Zürich 2005. 159 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In der Küche der Wahrheit: Der Schriftsteller Aldo Buzzi genießt
Trotz des kulinarischen Titels "Man nehme, so man hat. Von Küchen und Köchen, Genießern und Banausen" findet man am Ende dieses Buches keine Liste der erwähnten Realien oder nach Gruppen geordnete Rezepte. Man findet ein Personenverzeichnis, in dem kulinarisch wirklich relevante Namen - milde ausgedrückt - eher in der Minderzahl sind. Haben wir es also wieder einmal mit einem der vielen, wenig ersprießlichen Werke zu tun, in denen sich peripheres Interesse am Kulinarischen doch noch zu einem Bändchen von verkäuflichem Umfang kondensiert? Wohlgepolstert mit dem Fett kulturgesättigter Namen von Aristophanes bis Zola, aber mager in dem, was es mitzuteilen gäbe?
Dem 1910 geborenen italienischen Architekten, Schriftsteller und Übersetzer Aldo Buzzi - er übersetzte unter anderem Thomas Mann, Walter Benjamin und James Joyce, wurde aber auch durch die Veröffentlichung eines langjährigen Briefwechsels mit Saul Steinberg bekannt - scheint dieses Problem nur indirekt bekannt zu sein. "Der Schriftsteller", heißt es da, "der nie vom Essen, vom Appetit, vom Hunger, von Speisen, von Köchen, von Mahlzeiten spricht, macht mich mißtrauisch, ganz so, als fehle ihm etwas Wesentliches."
Im Prinzip hat er recht, der bisweilen ziemlich weise Herr Buzzi, den man sich trotz seines hohen Alters durch die Gassen italienischer Städte streifend vorstellt, da, wo es konkret wird, wo man auf Melonenstückchen ausrutschen kann, im Gewirr aus lauter Lieblingstrattorien und den malerisch hängenden Schinken und Würsten. Er scheint jedenfalls besser genährt als andere Peripheriker, denen partout nicht auffallen will, daß die kulinarischen Objekte ihnen nur deshalb so oberflächlich erscheinen, weil ihnen selbst die Skizze eines Schlüssels zu ihrer Erklärung fehlt. Wie kann man auch einen Menschen nicht ernst nehmen, der sich erstaunlich differenziert über die Gartechnik von Huhn an offenem Feuer äußert und dann vorschlägt: "(Man halte) ein Bündel wilden Fenchel oder einen Zweig Lorbeer (bereit), die man ganz zum Schluß auf der Kohle entzündet, um das Hähnchen kurz darüber zu schwenken".
Nachdem also der Legitimation des Herrn Buzzi Genüge getan ist, entfaltet sich vor dem Leser ein kurzweiliges Panorama um Essen und Eßkultur, das dank seiner regelmäßigen Rückkehr zu gelebtem Essen ohne weiteres auch einige Zitate verträgt. Wie jenes von Alexandre Dumas, der den bekanntesten Gastrosophen aller Zeiten, Brillat-Savarin, noch aus eigener Erfahrung als jemanden beschreibt, der nicht gewußt habe, wie man ißt, eher ein Vielfraß war, dafür aber "schreiben konnte". Mit Paul Bocuse teilt Buzzi die Vorliebe für gekühlten Rotwein und das volle Verständnis für die tagesfrische "Cuisine du marché", allerdings auch die Begrenztheit des Horizonts jenseits der klassischen Trampelpfade: "(Bocuse) rät davon ab, die Frühsorten (von Gemüse) zu kaufen. Hier muß man ihm unbedingt recht geben." Da interessiert ihn, warum die Bauern außerhalb von Neapel Bohnen mit Fäden züchten, während sie doch in Neapel "ohne die Spur eines Fadens sind", oder daß die Pasta nur soviel an Tomatensauce bekommen dürfen, daß sie rosa, aber nicht rot gefärbt sind.
Mit guter Übersicht nennt er den französischen Spitzenkoch Michel Guérard (etwa "La cuisine minceur", Paris 1976) den Koch, "der mehr als irgendein anderer die neuen Tendenzen der französischen Küche verkörpert", und schließt sich - mit erstaunlich wenig Übersicht - der Meinung Alberto Savinios an (Schriftsteller und Bruder von Giorgio De Chirico), der als einer der Urheber italienischen Küchenhochmuts gelten kann: "Die italienische Küche ist eine Küche der Wahrheit. Sie ist die Küche, zu der wir alle früher oder später unweigerlich zurückkehren werden, nach jedem unbesonnenen und glücklosen Abstecher, sei es zu den Vertilgern von Heuschrecken oder Verkostern von Quintessenzen."
Insgesamt wirkt Aldo Buzzi aber keineswegs nationalistisch und meidet - für die kulinarischen Ansichten seiner Generation eher selten - weitgehend den Schulterschluß mit dem gesunden Menschenverstand, dessen massenhafte Verbreitung ihn ja letztlich immer sehr ungesund werden läßt. Überraschend scharf fällt seine Zivilisationskritik aus, in der er den "Geschmacksverlust" als kulturelles Gesamtphänomen sieht und ihn unter anderem auch dort findet, wo man "Radios und Fernseher mit voller Lautstärke laufen läßt", wo man sich schämt, "wenn der Großvater sich die Serviette um den Hals bindet", wo Leute sich nicht in eine Schlange stellen können oder Vanillepulver statt echter Vanilleschoten verwenden.
In einer bunten Mischung von Fiktion und Nichtfiktion geht es vom Hölzchen aufs Stöckchen, und dennoch gewinnt man den Autor immer lieber, je mehr man ihn liest. "Die Welt gehört leider jenen, die im Unrecht sind", geht es also weiter, und zwischendurch folgt der Hinweis, daß die Hühnerbrühe in armen Ländern exzellent ist (weil man dort tatsächlich noch Hühner verarbeitet . . .), mit dem Einzug des Wohlstandes das Huhn aber zum Würfel wird. Altersunweisheiten, wie die pauschale Verwendung des Satzes "in Zeiten der Dekadenz wird der Küchenkult exzessiv", kann man Buzzi glatt verzeihen, weil er auch so wunderbare Dinge beschreibt wie den situativen Kontext des Genießens von "besonderen Speisen, wie die Schwarzwurzeln in Butter". Das "Man nehme" des Buchtitels wird um einen warmen Holzfußboden und eine "blütenweiße Decke" oder "Stühle mit gepolsterter Armlehne" erweitert und wirkt einmal gar nicht so wie die sterilen Handreichungen zu kultiviertem Leben.
Man kann also von einem interessanten, gebildet geschriebenen kleinen Büchlein berichten, das in vielen Facetten ungewohnte kulinarische Substanz erreicht - wenn auch nicht unbedingt in den eher klassisch angelegten Rezepten im Text. Es entsteht der Wunsch, daß es einmal gelingen möge, die Qualitäten eines guten Schriftstellers mit einer makellosen kulinarischen Substanz zu verbinden und mit diesem Wunsch sogleich die Hoffnung, daß daraus Neues entstehen könnte. Noch ist man - meist als Folge geradezu klassischer Selbstblockaden - ein klein wenig hintendran. Aldo Buzzi jedenfalls ist da eine beachtliche Ausnahme.
JÜRGEN DOLLASE
Aldo Buzzi: "Man nehme, so man hat". Von Küchen und Köchen, Genießern und Banausen. Aus dem Italienischen übersetzt von Bettina Kienlechner. Edition Epoca, Zürich 2005. 159 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Ijoma Mangold ist sehr beeindruckt von den Schriften des Italieners Aldo Buzzi, die er als gastrosophisch bezeichnet - und die in seinen Augen eine echte Ausnahmeerscheinung des Genres sind. Das liegt nach Mangolds Meinung vor allem daran, dass "bei ihm das Hohe und das Niedrige, das Derbe und das Feine überraschende Verbindungen eingehen". Zum Beispiel haben Buzzis Anekdoten und Anmerkungen einen Subtext, der andeutet, dass er ein Phänomen wie der Völlerei nicht pikiert ablehnt, sondern durchaus einen interessante Dimension darin sieht: "Dass das Nahrungsbedürfnis den Menschen animalisiert, ist für ihn keineswegs verächtlich." Trotzdem kommt bei ihm auch die "rigorose Raffinesse" nicht zu kurz. Kurzum: nach Mangolds Meinung ist das ein Buch, in dem "das Essen auf unaufdringliche Weise zur Metapher des Lebens verabsolutiert wird".
© Perlentaucher Medien GmbH
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