Der Tod der schönen jungen Frauen - faszinierend für viele Komponisten, zelebriert in der Musik der Jahrhundertwende. Das Doppelmotiv von Tod und Weiblichkeit taucht in einer enormen Vielfalt und Vielzahl in der Musik zwischen Romantik und Moderne auf. Melanie Unseld breitet in ihrem Buch, quer durch die ästhetischen Schulen, ein umfassendes Spektrum aus. Unter anderem im Blickpunkt: Debussys und Schönbergs Mélisande, Zemlinskys und Dvoraks Seejungfrau, Puccinis Turandot und Strauss' Salome sowie Bergs Lulu.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2002Auch an der atonalen Musik sind die Frauen schuld
"Man töte dieses Weib!": Melanie Unseld durchschaut die Vorurteile komponierender Männer
"Dafne", "Euridice", "Traviata", "Salome", "Lulu" und wie die verführerischen Damen sonst noch alle heißen: Seit der Erfindung der Oper um das Jahr 1597 in Florenz kreist diese Kunstform verdächtig oft um das unergründliche Wesen der Frau. Ist sie im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert auf der Opernbühne meist unantastbare Göttin und Königin, so wird sie im neunzehnten Jahrhundert bei Bellini, Pacini, Donizetti und Verdi zur Wahnsinnigen und Leidenden, die herz- und stimmzerreißend gegen bürgerliche Schranken ansingt oder sich gar aus versagter Liebe wehrlos dem Tod ergibt. Diese Partien waren komponiert für ein weibliches Publikum, das sich schaudernd, im eigenen Gesellschaftskorsett gefangen, wiedererkennen und an der Schönheit der ersterbenden Melodien berauschen sollte.
"Haben Sie eine Ahnung, wie viele Bücher im Laufe eines Jahres über Frauen geschrieben werden? Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viele darunter von Männern geschrieben wurden? Sind Sie sich dessen bewußt, daß Sie vielleicht das am meisten diskutierte Lebewesen des Universums sind?" Diese rhetorischen Fragen Virginia Woolfs aus dem Jahr 1929 stellt Melanie Unseld in ihrer Studie über "Weiblichkeit und Tod in der Musik der Jahrhundertwende" nicht umsonst prominent an den Beginn. Es geht tatsächlich weniger um "die Frau" als um die begehrlichen Traumvorstellungen dessen, was Männer in diesem Kollektivsubjekt sehen wollten.
Geschult am Interpretierungssansatz von Silvia Bovenschen oder Christina von Braun zeigt Melanie Unseld eindrucksvoll, wie die Frau von der Wende des neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert noch einmal verstärkt zur Projektionsfläche von Komponisten und Autoren wird, die damit ihre eigenen Zukunfts- und Krisenängste zu sublimieren suchen. Die Frau wird zum Mysterium verunklart, zur "Femme fragile" (Debussys Melisande) oder "Femme fatale" (Strauss' Salome) stilisiert oder eben einfach nur als männermordende Bestie und Hure (Bergs Lulu) zum Schreckgespenst der von ihr getriebenen Männerwelt verteufelt. So gerät sie zu einem Studienobjekt, das in den Opern männlicher Komponisten, bei Schönberg etwa, Janacek, Schreker oder Zemlinsky, genüßlich seziert und vorgeführt wird.
Wagner hatte mit der Figur der Kundry aus dem "Parsifal" das frühe Muster der allein im Tod aus ihrer männerbannenden Macht "erlösten" Frau geschaffen. Kundry, vom Frauenhelden Wagner als "Urteufelin" und "Höllenrose" bedichtet, übte auf ganze nachfolgende - muß man noch sagen: männliche? - Künstlergenerationen eine unwiderstehliche Nachahmungssucht aus. Melisande, Rusalka, die kleine Meerjungfrau und auch Lulu sind Operngestalten, die alle wie Kundry aus einer unbekannten Welt stammen, die wie ein exotischer Raubvogel den bürgerlichen Rahmen bedrohen und in ihrer geheimnisvollen "Wesenhaftigkeit" nur in ihrer Auslöschung, im Tod ihre eigentliche Erfüllung finden.
An einem allerdings scheint bei all diesen zum Teil doch sehr plumpen Projektionen jedoch eine Frau wenigstens beteiligt zu sein: an der Erfindung der Atonalität. Die Autorin beschreibt, wie Arnold Schönberg nach den spätromantisch verklärten Anfängen seiner Komponistenlaufbahn von seiner Frau wegen eines jüngeren Malers verlassen wurde und daraufhin seine endgültige Absage an die bislang geltende Norm musikalisch-harmonischen Denkens formulierte. Den gravierenden Verlust an Werten habe er nur mit einem Verlust tonaler Bindungen beantworten können - auch das eine Antwort auf die damals so virulente Frauenfrage.
Melanie Unseld kann an vielen Stellen nachweisen, welch unheilvolle Auswirkung die frauenfeindliche und protofaschistische Schrift von Otto Weininger, "Geschlecht und Charakter", aus dem Jahr 1903, auf viele Künstler hatte: Neben dem Hahnrei Schönberg hat vor allem Alban Berg das Werk gründlich studiert und viele Passagen in eine Zitatensammlung exzerpiert, die dann wiederum in seine Oper "Lulu" einflossen.
Alban Berg, dessen Werk bis heute als mutiger Schritt in die Moderne rezipiert wird, und dessen Ansatz vor allem dadurch gekennzeichnet ist, daß er Schönbergs atonale Neuinterpretation von Musik abermals gegen den Strich bürstete und dessen Zwölftonreihen variierte und aufsprengte, wird durch Melanie Unselds Ausführungen als ein Mann gezeichnet, der gefangen war in bürgerlicher Prüderie und postpubertärer Misogynie. Wenn auch seine "Lulu" als Auflehnung gegen die Zwänge der Bourgeoisie interpretiert wurde, so enthüllen seine hierarchisch geordneten Reihen, die als Motive die einzelnen Figuren charakterisieren, diskriminierende und keineswegs antibürgerliche Ansichten. So wird die lesbische Gräfin Geschwitz durch eine "geschlechtlose Pentatonik" gezeichnet und determiniert - vom lüsternen Libretto nach Wedekinds Drama einmal ganz abgesehen.
Unter dem Deckmantel der künstlerischen Freizügigkeit entpuppt sich da bei den Stammvätern der musikalischen Moderne allzuoft ein machistisches und von spießigen Moralvorstellungen geprägtes Frauenbild. Allein, so fragt Melanie Unseld am Ende ihrer profunden und überaus materialreichen, dadurch stellenweise etwas auch ermüdenden Arbeit, war eine Lösung des "Rätsels Weib" überhaupt je intendiert? Handelt es sich nicht vielleicht nur um die grenzenlos eitle Selbstbespiegelung männlicher Künstler? Wieder ist Melanie Unseld bei Virginia Woolf fündig geworden: "Als ich las", notierte sie einst, "was er über Frauen schrieb, dachte ich nicht an das, was er sagte, sondern an ihn selbst." Das Zitat zeigt, wie leicht durchschaubar dieses für die männliche Künstlerkarriere so förderliche Spiel schon seinerzeit war.
BIRGIT PAULS
Melanie Unseld: ",Man töte dieses Weib!'" Weiblichkeit und Tod in der Musik der Jahrhundertwende. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 2001. 288 S., br., 39,90.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Man töte dieses Weib!": Melanie Unseld durchschaut die Vorurteile komponierender Männer
"Dafne", "Euridice", "Traviata", "Salome", "Lulu" und wie die verführerischen Damen sonst noch alle heißen: Seit der Erfindung der Oper um das Jahr 1597 in Florenz kreist diese Kunstform verdächtig oft um das unergründliche Wesen der Frau. Ist sie im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert auf der Opernbühne meist unantastbare Göttin und Königin, so wird sie im neunzehnten Jahrhundert bei Bellini, Pacini, Donizetti und Verdi zur Wahnsinnigen und Leidenden, die herz- und stimmzerreißend gegen bürgerliche Schranken ansingt oder sich gar aus versagter Liebe wehrlos dem Tod ergibt. Diese Partien waren komponiert für ein weibliches Publikum, das sich schaudernd, im eigenen Gesellschaftskorsett gefangen, wiedererkennen und an der Schönheit der ersterbenden Melodien berauschen sollte.
"Haben Sie eine Ahnung, wie viele Bücher im Laufe eines Jahres über Frauen geschrieben werden? Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viele darunter von Männern geschrieben wurden? Sind Sie sich dessen bewußt, daß Sie vielleicht das am meisten diskutierte Lebewesen des Universums sind?" Diese rhetorischen Fragen Virginia Woolfs aus dem Jahr 1929 stellt Melanie Unseld in ihrer Studie über "Weiblichkeit und Tod in der Musik der Jahrhundertwende" nicht umsonst prominent an den Beginn. Es geht tatsächlich weniger um "die Frau" als um die begehrlichen Traumvorstellungen dessen, was Männer in diesem Kollektivsubjekt sehen wollten.
Geschult am Interpretierungssansatz von Silvia Bovenschen oder Christina von Braun zeigt Melanie Unseld eindrucksvoll, wie die Frau von der Wende des neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert noch einmal verstärkt zur Projektionsfläche von Komponisten und Autoren wird, die damit ihre eigenen Zukunfts- und Krisenängste zu sublimieren suchen. Die Frau wird zum Mysterium verunklart, zur "Femme fragile" (Debussys Melisande) oder "Femme fatale" (Strauss' Salome) stilisiert oder eben einfach nur als männermordende Bestie und Hure (Bergs Lulu) zum Schreckgespenst der von ihr getriebenen Männerwelt verteufelt. So gerät sie zu einem Studienobjekt, das in den Opern männlicher Komponisten, bei Schönberg etwa, Janacek, Schreker oder Zemlinsky, genüßlich seziert und vorgeführt wird.
Wagner hatte mit der Figur der Kundry aus dem "Parsifal" das frühe Muster der allein im Tod aus ihrer männerbannenden Macht "erlösten" Frau geschaffen. Kundry, vom Frauenhelden Wagner als "Urteufelin" und "Höllenrose" bedichtet, übte auf ganze nachfolgende - muß man noch sagen: männliche? - Künstlergenerationen eine unwiderstehliche Nachahmungssucht aus. Melisande, Rusalka, die kleine Meerjungfrau und auch Lulu sind Operngestalten, die alle wie Kundry aus einer unbekannten Welt stammen, die wie ein exotischer Raubvogel den bürgerlichen Rahmen bedrohen und in ihrer geheimnisvollen "Wesenhaftigkeit" nur in ihrer Auslöschung, im Tod ihre eigentliche Erfüllung finden.
An einem allerdings scheint bei all diesen zum Teil doch sehr plumpen Projektionen jedoch eine Frau wenigstens beteiligt zu sein: an der Erfindung der Atonalität. Die Autorin beschreibt, wie Arnold Schönberg nach den spätromantisch verklärten Anfängen seiner Komponistenlaufbahn von seiner Frau wegen eines jüngeren Malers verlassen wurde und daraufhin seine endgültige Absage an die bislang geltende Norm musikalisch-harmonischen Denkens formulierte. Den gravierenden Verlust an Werten habe er nur mit einem Verlust tonaler Bindungen beantworten können - auch das eine Antwort auf die damals so virulente Frauenfrage.
Melanie Unseld kann an vielen Stellen nachweisen, welch unheilvolle Auswirkung die frauenfeindliche und protofaschistische Schrift von Otto Weininger, "Geschlecht und Charakter", aus dem Jahr 1903, auf viele Künstler hatte: Neben dem Hahnrei Schönberg hat vor allem Alban Berg das Werk gründlich studiert und viele Passagen in eine Zitatensammlung exzerpiert, die dann wiederum in seine Oper "Lulu" einflossen.
Alban Berg, dessen Werk bis heute als mutiger Schritt in die Moderne rezipiert wird, und dessen Ansatz vor allem dadurch gekennzeichnet ist, daß er Schönbergs atonale Neuinterpretation von Musik abermals gegen den Strich bürstete und dessen Zwölftonreihen variierte und aufsprengte, wird durch Melanie Unselds Ausführungen als ein Mann gezeichnet, der gefangen war in bürgerlicher Prüderie und postpubertärer Misogynie. Wenn auch seine "Lulu" als Auflehnung gegen die Zwänge der Bourgeoisie interpretiert wurde, so enthüllen seine hierarchisch geordneten Reihen, die als Motive die einzelnen Figuren charakterisieren, diskriminierende und keineswegs antibürgerliche Ansichten. So wird die lesbische Gräfin Geschwitz durch eine "geschlechtlose Pentatonik" gezeichnet und determiniert - vom lüsternen Libretto nach Wedekinds Drama einmal ganz abgesehen.
Unter dem Deckmantel der künstlerischen Freizügigkeit entpuppt sich da bei den Stammvätern der musikalischen Moderne allzuoft ein machistisches und von spießigen Moralvorstellungen geprägtes Frauenbild. Allein, so fragt Melanie Unseld am Ende ihrer profunden und überaus materialreichen, dadurch stellenweise etwas auch ermüdenden Arbeit, war eine Lösung des "Rätsels Weib" überhaupt je intendiert? Handelt es sich nicht vielleicht nur um die grenzenlos eitle Selbstbespiegelung männlicher Künstler? Wieder ist Melanie Unseld bei Virginia Woolf fündig geworden: "Als ich las", notierte sie einst, "was er über Frauen schrieb, dachte ich nicht an das, was er sagte, sondern an ihn selbst." Das Zitat zeigt, wie leicht durchschaubar dieses für die männliche Künstlerkarriere so förderliche Spiel schon seinerzeit war.
BIRGIT PAULS
Melanie Unseld: ",Man töte dieses Weib!'" Weiblichkeit und Tod in der Musik der Jahrhundertwende. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 2001. 288 S., br., 39,90
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Profund und überaus materialreich findet Rezensentin Birgit Pauls diese Studie. Geschult am Interpretationsansatz von Silvia Bovenschen und Christina von Braun zeige die Autorin "eindrucksvoll", wie die Frau um 1900 verstärkt zur Projektionsfläche von Komponisten und Autoren geworden sei, die damit ihre eigenen Zukunfts- und Krisenängste "zu sublimieren" versucht hätten. An vielen Stellen könne Melanie Unseld die "unheilvolle Auswirkung" der frauenfeindlichen und protofaschistischen Schriften Otto Weinigers auf die Künstler nachweisen. Selbst Schönberg habe dessen Werk, Autorin Unseld zufolge, "gründlich studiert". Auch Alban Berg werde als ein "von bürgerlicher Prüderie und postpubertärer Misogynie" gefangener Mann beschrieben. Unter dem "Deckmantel der künstlerischen Freizügigkeit" entpuppt sich bei den "Stammvätern der musikalischen Moderne" für die Rezensentin "allzu oft ein machistisches und von spießigen Moralvorstellungen geprägtes Frauenbild".
© Perlentaucher Medien GmbH
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