Managen beleuchtet den vielleicht wichtigsten Job, den es gibt. Seine Dynamik, seine Vielfalt, seine Rätsel und wie Manager ihn effektiv und gut beherrschen. Managen ist eine dynamische Tätigkeit, kein statische Wissenschaft. Mintzberg zeigt, dass Manager vielfach als überlegte und systematische Planer idealisiert werden und diesem Anspruch gar nicht gerecht werden können. Er skizziert Management als dynamischen Prozess. Mintzberg gilt als Enfant terrible unter den Managementvordenkern. Eine seiner Thesen: Management und Leadership sind Bestandteile des gleichen Jobs. Manager, die keine Leader sind, sind langweilig. Und Leader, die nicht managen, wissen nichts vom Geschäft.
Die Trennung von Management und Leadership ist Unsinn. Mintzberg fordert auf zu einer längst überfälligen Diskussion über modernes Management: Wie kann man managen, wenn verlässliche Daten fehlen. Wie kann man eine Balance herstellen zwischen notwendiger Veränderung und Kontinuität? Wie kann man Dinge durchdenken, wenn die Zeit dazu fehlt? Effektive Manager sind nicht frei von Fehler, aber sie treffen die in der jeweiligen Situation bestmöglichen Entscheidungen.
Die Trennung von Management und Leadership ist Unsinn. Mintzberg fordert auf zu einer längst überfälligen Diskussion über modernes Management: Wie kann man managen, wenn verlässliche Daten fehlen. Wie kann man eine Balance herstellen zwischen notwendiger Veränderung und Kontinuität? Wie kann man Dinge durchdenken, wenn die Zeit dazu fehlt? Effektive Manager sind nicht frei von Fehler, aber sie treffen die in der jeweiligen Situation bestmöglichen Entscheidungen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2011Manager sind Marionetten
Mintzberg fürchtet ein Niemandsland der Inkompetenz
Henry Mintzberg, der kanadische Rebell unter den Vordenkern des Managements, will es noch immer ganz genau wissen. Seit der Arbeit an seiner Dissertation vor 40 Jahren treibt ihn die Frage um: Was tun Manager wirklich, wenn sie managen? Der Altmeister der Managementlehre, Peter Drucker, glaubte ja die Antwort zu kennen: Manager agieren wie Dirigenten eines Symphonieorchesters; mit Einsatz, Vision und Führungskraft formen sie aus vielen Einzelleistungen ein lebendiges Ganzes.
Mintzberg sieht dies viel weniger grandios: Manager sind letztlich Marionetten ihres Umfeldes. Die erfolgreichen unter ihnen verstünden es immerhin, sich Freiräume zu schaffen und selbst zu entscheiden, wer die Strippen zieht. Sie machten nicht ihren Job, sie gestalteten ihn. Auf jeden Fall aber, so Mintzberg, ohne Podest, ohne Taktstock, dafür aber mit "Nervkram ohne Ende".
Während Peter Drucker Manager bloß interviewte, weist Mintzberg nicht ohne Stolz darauf hin, dass er seine Erkenntnisse über das Managen vor allem aus beobachtender Feldarbeit schöpft. Er begleitete 29 Manager aus höchst unterschiedlichen Branchen jeweils einen Tag lang. Auf den Ergebnissen dieser 29 Tage baut dieses Buch mit seinen zahlreichen Modellen und praktischen Empfehlungen auf. Managen spielt sich bei Mintzberg im Dreieck zwischen Kunst, Handwerk und der Anwendung von Wissenschaft ab. Die Kunst sorgt für die Ideen, das Handwerk erzeugt konkrete Erfahrungen und die Wissenschaft liefert die systematische Analyse.
Problematisch ist dabei ein unausgewogenes Management. Zu viel Kunst kann in Narzissmus ausarten, zu viel Handwerk in Routine erstarren und zu viel Steuerung durch den Kopf sich als kalt und berechnend erweisen. In diesem Dreieck zwischen Kunst, Handwerk und Wissenschaft gilt es, Widersprüche und Dilemmata auszuhalten, sich in Labyrinthen zu bewähren, Balanceakte zu wagen. Der Managementpionier Chester Barnard sah schon im Jahre 1938 die Managementfunktion darin, widerstreitende Kräfte, Interessen, Bedingungen, Positionen und Ideale miteinander zu versöhnen. "Wer versucht, ihnen zu entkommen", schließt sich Mintzberg an, "verfällt einem Management-Dogma, von denen wir schon mehr als genug hatten."
Anhand eines Dutzends solcher widerstreitender Kräfte beschreibt Mintzberg anschaulich, wie er die Welt des Managens versteht. So verfangen sich viele Manager durch hektisches Tempo, Unterbrechungen und einem Zwang zum Handeln in einem "Planungsdilemma". Wenn Vordenken und Richtungsweisung zwangsläufig unterbleiben, treten sie die Flucht in die strategische Planung an - und landen dann ganz schulmäßig etwa bei Michael Porter und seinen Analysetechniken. "Völlig falsch", wettert Mintzberg. "Strategien können sich bilden, ohne dass sie formuliert werden, sie sind eher das Ergebnis eines informellen Lernprozesses als eines formalen Planungsprozesses." Dieses Thema der "Emergenz" von Strategien hatte Mintzberg bereits 1987 in seinem Beitrag "Crafting Strategy" (Harvard Business Review) aufgegriffen.
Wenn jemand vom Spezialisten zum Manager aufsteigt, entfernt er sich zunehmend von seiner Informationsbasis. Er distanziert sich von dem, was er eigentlich managen soll. Dieses "Distanzierungsdilemma" treibt in Hierarchien ganze Schichten von Managern in das Niemandsland der Inkompetenz, so Mintzberg. "Manager raus aus den Büros", fordert er, "nicht bloß vorbeischauen", sondern dorthin gehen, wo sich das Schicksal der Organisation entscheidet. "Sich mit den Füßen in den Schlamm stellen", wird ein von ihm begleiteter Manager zitiert.
Das "Ordnungsrätsel" ist ein weiterer Widerspruch des Managens. Dessen klassische Maxime lautet, Unordnung in Ordnung über zu führen. Wie soll das gehen, fragt Mintzberg, wenn gerade der Manager mit seinen breiten Zuständigkeiten und seiner flexiblen Arbeitsplatzbeschreibung sich um das Unerwartete kümmern, Ungewissheiten auffangen und mit Unklarheiten jonglieren soll? Ein unmöglicher Job. Unter solchen Zwängen zum Balancieren gewinnen Managementmaximen wie das "zielorientierte Durchwursteln" (H. Edward Wrapp) durchaus an Bedeutung.
Dieses Buch ist mit Leidenschaft geschrieben. Es hält den Leser auf Trab. Dass man dabei keineswegs ermüdet, liegt auch an der wohlgelungenen deutschen Übersetzung. Am Schluss versöhnt sich Mintzberg mit Peter Drucker, der einmal meinte, wir müssten Organisationen so gestalten, dass sie von gewöhnlichen Menschen geführt werden können. Mintzberg sekundiert: Um ein fähiger Manager zu werden, brauche man keine einzigartige Begabung, dafür aber emotionale Gesundheit, klaren Verstand und - ganz unheroisch - Bescheidenheit. Und nicht zuletzt: Man sollte "vom MBA-Studium und von Leadership-Moden verschont geblieben" sein.
HEINZ K. STAHL.
Henry Mintzberg: Managen.
Verlag Gabal, Offenbach 2010, 390 Seiten, 29,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mintzberg fürchtet ein Niemandsland der Inkompetenz
Henry Mintzberg, der kanadische Rebell unter den Vordenkern des Managements, will es noch immer ganz genau wissen. Seit der Arbeit an seiner Dissertation vor 40 Jahren treibt ihn die Frage um: Was tun Manager wirklich, wenn sie managen? Der Altmeister der Managementlehre, Peter Drucker, glaubte ja die Antwort zu kennen: Manager agieren wie Dirigenten eines Symphonieorchesters; mit Einsatz, Vision und Führungskraft formen sie aus vielen Einzelleistungen ein lebendiges Ganzes.
Mintzberg sieht dies viel weniger grandios: Manager sind letztlich Marionetten ihres Umfeldes. Die erfolgreichen unter ihnen verstünden es immerhin, sich Freiräume zu schaffen und selbst zu entscheiden, wer die Strippen zieht. Sie machten nicht ihren Job, sie gestalteten ihn. Auf jeden Fall aber, so Mintzberg, ohne Podest, ohne Taktstock, dafür aber mit "Nervkram ohne Ende".
Während Peter Drucker Manager bloß interviewte, weist Mintzberg nicht ohne Stolz darauf hin, dass er seine Erkenntnisse über das Managen vor allem aus beobachtender Feldarbeit schöpft. Er begleitete 29 Manager aus höchst unterschiedlichen Branchen jeweils einen Tag lang. Auf den Ergebnissen dieser 29 Tage baut dieses Buch mit seinen zahlreichen Modellen und praktischen Empfehlungen auf. Managen spielt sich bei Mintzberg im Dreieck zwischen Kunst, Handwerk und der Anwendung von Wissenschaft ab. Die Kunst sorgt für die Ideen, das Handwerk erzeugt konkrete Erfahrungen und die Wissenschaft liefert die systematische Analyse.
Problematisch ist dabei ein unausgewogenes Management. Zu viel Kunst kann in Narzissmus ausarten, zu viel Handwerk in Routine erstarren und zu viel Steuerung durch den Kopf sich als kalt und berechnend erweisen. In diesem Dreieck zwischen Kunst, Handwerk und Wissenschaft gilt es, Widersprüche und Dilemmata auszuhalten, sich in Labyrinthen zu bewähren, Balanceakte zu wagen. Der Managementpionier Chester Barnard sah schon im Jahre 1938 die Managementfunktion darin, widerstreitende Kräfte, Interessen, Bedingungen, Positionen und Ideale miteinander zu versöhnen. "Wer versucht, ihnen zu entkommen", schließt sich Mintzberg an, "verfällt einem Management-Dogma, von denen wir schon mehr als genug hatten."
Anhand eines Dutzends solcher widerstreitender Kräfte beschreibt Mintzberg anschaulich, wie er die Welt des Managens versteht. So verfangen sich viele Manager durch hektisches Tempo, Unterbrechungen und einem Zwang zum Handeln in einem "Planungsdilemma". Wenn Vordenken und Richtungsweisung zwangsläufig unterbleiben, treten sie die Flucht in die strategische Planung an - und landen dann ganz schulmäßig etwa bei Michael Porter und seinen Analysetechniken. "Völlig falsch", wettert Mintzberg. "Strategien können sich bilden, ohne dass sie formuliert werden, sie sind eher das Ergebnis eines informellen Lernprozesses als eines formalen Planungsprozesses." Dieses Thema der "Emergenz" von Strategien hatte Mintzberg bereits 1987 in seinem Beitrag "Crafting Strategy" (Harvard Business Review) aufgegriffen.
Wenn jemand vom Spezialisten zum Manager aufsteigt, entfernt er sich zunehmend von seiner Informationsbasis. Er distanziert sich von dem, was er eigentlich managen soll. Dieses "Distanzierungsdilemma" treibt in Hierarchien ganze Schichten von Managern in das Niemandsland der Inkompetenz, so Mintzberg. "Manager raus aus den Büros", fordert er, "nicht bloß vorbeischauen", sondern dorthin gehen, wo sich das Schicksal der Organisation entscheidet. "Sich mit den Füßen in den Schlamm stellen", wird ein von ihm begleiteter Manager zitiert.
Das "Ordnungsrätsel" ist ein weiterer Widerspruch des Managens. Dessen klassische Maxime lautet, Unordnung in Ordnung über zu führen. Wie soll das gehen, fragt Mintzberg, wenn gerade der Manager mit seinen breiten Zuständigkeiten und seiner flexiblen Arbeitsplatzbeschreibung sich um das Unerwartete kümmern, Ungewissheiten auffangen und mit Unklarheiten jonglieren soll? Ein unmöglicher Job. Unter solchen Zwängen zum Balancieren gewinnen Managementmaximen wie das "zielorientierte Durchwursteln" (H. Edward Wrapp) durchaus an Bedeutung.
Dieses Buch ist mit Leidenschaft geschrieben. Es hält den Leser auf Trab. Dass man dabei keineswegs ermüdet, liegt auch an der wohlgelungenen deutschen Übersetzung. Am Schluss versöhnt sich Mintzberg mit Peter Drucker, der einmal meinte, wir müssten Organisationen so gestalten, dass sie von gewöhnlichen Menschen geführt werden können. Mintzberg sekundiert: Um ein fähiger Manager zu werden, brauche man keine einzigartige Begabung, dafür aber emotionale Gesundheit, klaren Verstand und - ganz unheroisch - Bescheidenheit. Und nicht zuletzt: Man sollte "vom MBA-Studium und von Leadership-Moden verschont geblieben" sein.
HEINZ K. STAHL.
Henry Mintzberg: Managen.
Verlag Gabal, Offenbach 2010, 390 Seiten, 29,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.02.2011Nach wie vor ein
unmöglicher Job
Bekanntermaßen lesen diejenigen, um die sich das ganze Genre in seinen zum Teil aberwitzigen Facetten dreht, solche Bücher so gut wie gar nicht. Manager lesen keine Managementbücher, behaupten sie jedenfalls. Bei Henry Mintzberg können sie diese selbst auferlegte Regel ohne Not brechen, beim Altmeister der Managementtheorie und -forschung dürften sie nicht mehr und nicht weniger als sich selbst im Spiegel erkennen. Seit mehr als 40 Jahren versucht der BWL-Professor, das Wesen des Managements zu ergründen, und seine Erkenntnis ist für die Betroffenen wohl so beruhigend, wie sie für die schrillen Managementmodedesigner geschäftsschädigend anmutet: „Wer in welcher Managerposition auch immer erfolgreich sein will, braucht ein gesundes Urteilsvermögen – keine Ideologien, keine Lehren, keine zur hohen Kunst stilisierte Habgier, keine modische Technik, nicht den ganzen Führungshype, sondern den guten alten Menschenverstand.“ Im Übrigen könne man Managen weder in MBA-Studiengängen noch Seminaren lernen, sondern nur in der Praxis durch viele Erfahrungen.
Mintzberg, 71, räumt gründlich auf mit einer Vielzahl Mythen, die sich um einen der dynamischsten und anspruchsvollsten Jobs überhaupt ranken. Etwa dem, dass „wir in Zeiten großer Veränderungen“ lebten, ohne den kein zeitgenössischer Managementvortrag auskommt. Da hilft ein Blick aufs eigene Gewand: „Wenn wir tatsächlich in Zeiten großer Veränderungen leben, wie kommt es, dass wir uns noch immer des guten alten Knopfes bedienen?“ Das kommt davon, wenn man nur wahrnimmt, was sich verändert, aber nicht die überwiegende Mehrzahl der Dinge, die gleich bleiben.
Auch das Wesen des Managements hat sich Mintzberg zufolge nicht wesentlich verändert. Es ist und bleibt eine „Mission impossible“, ein unmöglicher Job voller Widersprüche und Dilemmata, den es im Dreieck zwischen Kunst, Handwerk und der Anwendung von Wissenschaft – und dazu in aller unheroischen Bescheidenheit – zu erledigen gilt. Weswegen Mintzberg auch nichts vom neuesten Tanz um „Leadership“ hält: „Ich glaube, es ist eher umgekehrt. Wir haben zu viel Führung und zu wenig Management.“
Der mit vielen Ehrentiteln bedachte Professor an der McGill University in Montreal muss wissen, wovon er spricht. Wie schon für sein erstes, 1973 erschienenes Buch „The nature of managerial work“ hat Mintzberg wieder Manager bei ihrer täglichen Arbeit beobachtet. Diesmal waren es 29 Führungskräfte nicht nur aus börsennotierten Konzernen, sondern darunter auch eine Oberschwester, der Leiter eines Naturparks und der Chef einer internationalen Nichtregierungsorganisation.
Zu managen gibt es überall etwas. Und überall und seit eh und je gilt es, sich zwischen Unerwartetem, Ungewissheiten und Unklarheiten durchzuwursteln. Als eines von einer ganzen Reihe von Manager-Dilemmata hat Mintzberg das „Distanzierungsdilemma“ ausgemacht, das dann entsteht, wenn einer vom Spezialisten zur Führungskraft aufsteigt, sich also von seiner gewohnten Informationsbasis entfernt und sich der Grenze zur Inkompetenz nähert. Dieses und andere Dilemmata sorgen dafür, dass Manager dazu verdammt scheinen, entweder in permanenter Arbeitsüberlastung oder mit fortgesetzter Frustration leben zu müssen. Mintzberg hält es da mit Peter F. Drucker, der schon 1946 befand: „Keine Organisation kann überleben, solange nur Genies und Supermänner in der Lage sind, sie zu managen. Wir müssen sie so organisieren, dass sie sich von gewöhnlichen Menschen führen lässt.“ Hört sich an, wie der letzte Management-Schrei.
Dagmar Deckstein
Henry Mintzberg: Managen. Aus dem Amerikanischen von Nikolas Bertheau. Gabal Verlag, Offenbach 2010. 392 Seiten. 29,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
unmöglicher Job
Bekanntermaßen lesen diejenigen, um die sich das ganze Genre in seinen zum Teil aberwitzigen Facetten dreht, solche Bücher so gut wie gar nicht. Manager lesen keine Managementbücher, behaupten sie jedenfalls. Bei Henry Mintzberg können sie diese selbst auferlegte Regel ohne Not brechen, beim Altmeister der Managementtheorie und -forschung dürften sie nicht mehr und nicht weniger als sich selbst im Spiegel erkennen. Seit mehr als 40 Jahren versucht der BWL-Professor, das Wesen des Managements zu ergründen, und seine Erkenntnis ist für die Betroffenen wohl so beruhigend, wie sie für die schrillen Managementmodedesigner geschäftsschädigend anmutet: „Wer in welcher Managerposition auch immer erfolgreich sein will, braucht ein gesundes Urteilsvermögen – keine Ideologien, keine Lehren, keine zur hohen Kunst stilisierte Habgier, keine modische Technik, nicht den ganzen Führungshype, sondern den guten alten Menschenverstand.“ Im Übrigen könne man Managen weder in MBA-Studiengängen noch Seminaren lernen, sondern nur in der Praxis durch viele Erfahrungen.
Mintzberg, 71, räumt gründlich auf mit einer Vielzahl Mythen, die sich um einen der dynamischsten und anspruchsvollsten Jobs überhaupt ranken. Etwa dem, dass „wir in Zeiten großer Veränderungen“ lebten, ohne den kein zeitgenössischer Managementvortrag auskommt. Da hilft ein Blick aufs eigene Gewand: „Wenn wir tatsächlich in Zeiten großer Veränderungen leben, wie kommt es, dass wir uns noch immer des guten alten Knopfes bedienen?“ Das kommt davon, wenn man nur wahrnimmt, was sich verändert, aber nicht die überwiegende Mehrzahl der Dinge, die gleich bleiben.
Auch das Wesen des Managements hat sich Mintzberg zufolge nicht wesentlich verändert. Es ist und bleibt eine „Mission impossible“, ein unmöglicher Job voller Widersprüche und Dilemmata, den es im Dreieck zwischen Kunst, Handwerk und der Anwendung von Wissenschaft – und dazu in aller unheroischen Bescheidenheit – zu erledigen gilt. Weswegen Mintzberg auch nichts vom neuesten Tanz um „Leadership“ hält: „Ich glaube, es ist eher umgekehrt. Wir haben zu viel Führung und zu wenig Management.“
Der mit vielen Ehrentiteln bedachte Professor an der McGill University in Montreal muss wissen, wovon er spricht. Wie schon für sein erstes, 1973 erschienenes Buch „The nature of managerial work“ hat Mintzberg wieder Manager bei ihrer täglichen Arbeit beobachtet. Diesmal waren es 29 Führungskräfte nicht nur aus börsennotierten Konzernen, sondern darunter auch eine Oberschwester, der Leiter eines Naturparks und der Chef einer internationalen Nichtregierungsorganisation.
Zu managen gibt es überall etwas. Und überall und seit eh und je gilt es, sich zwischen Unerwartetem, Ungewissheiten und Unklarheiten durchzuwursteln. Als eines von einer ganzen Reihe von Manager-Dilemmata hat Mintzberg das „Distanzierungsdilemma“ ausgemacht, das dann entsteht, wenn einer vom Spezialisten zur Führungskraft aufsteigt, sich also von seiner gewohnten Informationsbasis entfernt und sich der Grenze zur Inkompetenz nähert. Dieses und andere Dilemmata sorgen dafür, dass Manager dazu verdammt scheinen, entweder in permanenter Arbeitsüberlastung oder mit fortgesetzter Frustration leben zu müssen. Mintzberg hält es da mit Peter F. Drucker, der schon 1946 befand: „Keine Organisation kann überleben, solange nur Genies und Supermänner in der Lage sind, sie zu managen. Wir müssen sie so organisieren, dass sie sich von gewöhnlichen Menschen führen lässt.“ Hört sich an, wie der letzte Management-Schrei.
Dagmar Deckstein
Henry Mintzberg: Managen. Aus dem Amerikanischen von Nikolas Bertheau. Gabal Verlag, Offenbach 2010. 392 Seiten. 29,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Angetan zeigt sich Heinz K. Stahl von Henry Mintzbergs Buch "Managen". Er schätzt den kanadischen Autor als "Rebell unter den Vordenkern des Managements". Das Werk zeichnet sich für ihn durch Schwung und Leidenschaft aus. Man merkt dem Buch seines Erachtens an, dass Mintzberg dafür 29 Manager aus unterschiedlichen Branchen nicht nur interviewt, sondern begleitet hat. Ausführlich geht er auf die Modelle und Empfehlungen ein, die der Autor als Ergebnisse daraus ableitet. Besonders hebt er die Ausführungen über gutes Management hervor, das sich ausgewogen zwischen Kunst, Handwerk und der Anwendung von Wissenschaft abspielt. Mit Lob bedenkt er nicht zuletzt die gelungene deutsche Übersetzung.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH