Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Für Jörg Magenau ist Manfred Krug ein veritabler Trostspender. Dass Krugs Tagebücher der Jahre 1996/97 vor eitlem Selbstbewusstsein nur so strotzen, auch wenn Tod und Krankheit darin vorkommen, findet der Rezensent verzeihlich. Wer sich so respektlos sogar über die Telekom lustig macht, dem gebührt alle Achtung, findet er. Der Leser erfährt über Krugs Doppelleben, seine Flohmarktleidenschaft, liest Feindesschelte genug und amüsiert sich im Ganzen köstlich, verspricht der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2022Er wollte gar nicht jedermanns Liebling sein
Zwei Jahre, die einen Star erschütterten: Manfred Krugs Tagebücher von 1996/97 zeigen noch einmal, dass dieser Mann auch ein Erzähler war.
War ich wichtig?", fragt sich Manfred Krug nach der Vorstellung seines 1996 erschienenen Buchs "Abgehauen" auf der damaligen Leipziger Buchmesse. Und antwortet sich selbst: "Na, wahnsinnig wichtig. Rushdie, Grass, Eco und meine Wenigkeit." Das Staunen über seinen Aufstieg in die damals zu Besuch in Leipzig befindliche Hochprominenz der Literatur ist diesem Tagebucheintrag vom 28. März 1996 abzulesen. Und auch Krugs Stolz darauf.
Nur elf Tage später liest man: "Den ganzen Tag habe ich Mühe damit, meine sogenannte Prominenz zu neutralisieren. Ehe ich mit einem Menschen zu einem Gespräch komme, muß ich erst auf die Tatsache konditionieren, daß ich ein Mitmensch bin, der sich nach Unbefangenheit sehnt." Krug, damals neunundfünfzig Jahre alt, leidet an seiner das Privatleben belastenden Unverkennbarkeit im angestammten Beruf: dem des Schauspielers. Seit zwölf Jahren als "Tatort"-Kommissar und in bisher vier Staffeln der Fernsehserie "Liebling Kreuzberg" hatte Krug regelmäßig für Rekordeinschaltquoten im deutschen Fernsehen gesorgt. Die fünfte "Liebling"-Staffel ist gerade in Vorbereitung, sein Freund, der Schriftsteller Jurek Becker, sitzt an den Drehbüchern. Doch Becker hat Krebs. Und Krugs Frau Ottilie, mit der er seit mehr als dreißig Jahren verheiratet ist, hat erst vor Kurzem die Liebesbeziehung ihres Mannes zu einer jungen Frau entdeckt. Noch weiß Krug nicht, ob Ottilie auch Kenntnis davon hat, das es aus dieser Beziehung eine gerade einmal ein paar Monate alte Tochter gibt. Die drei Kinder des Ehepaars Krug sind da alle schon erwachsen. Und Krug ist geradezu närrisch in das Baby verliebt.
Einigermaßen normale Dinge, könnte man sagen, um die es im Tagebuch zentral geht: todkranke Freunde, Seitensprünge, Vaterfreuden. Keine spezifischen Prominenzprobleme. Aber natürlich wäre darauf jeweils keine normale Reaktion des von Krug faszinierten Publikums zu erwarten gewesen. Die außereheliche Beziehung und das Kind werden deshalb noch bis 2002 geheimgehalten, und Beckers Krebserkrankung wird erst im März 1997 mit dessen Tod, nur eine Woche nach dem letzten Drehtag für die fünfte Staffel von "Liebling Kreuzberg", allgemein bekannt. Kurze Zeit später wird ein neues Problem dazukommen: Krug erleidet einen Schlaganfall, zu seinem Glück in Anwesenheit der Geliebten. Ins Krankenhaus begleiten ihn dann sie und seine Ehefrau gemeinsam. Erst wird er hineingeschmuggelt und eine Woche später wieder hinaus, um kein öffentliches Aufsehen zu erregen. Die halbseitige Lähmung überwindet er, während im Fernsehen "Liebling Kreuzberg" noch einmal für Furore sorgt. Schon vor Beckers Tod war klar, dass es keine weitere Staffel geben würde.
Zwei ereignisreiche Jahre also im Leben von Manfred Krug, dokumentiert von ihm selbst. Es mag noch aufregendere Lebensabschnitte gegeben haben, aber der spektakulärste, die Jahre 1976/77, als Krug und seine Familie in der DDR nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann einen Antrag auf Ausreise stellten und ihn auch genehmigt bekamen, war ja schon Thema von "Abgehauen", das auch auf Tagebucheinträgen des damals noch rein ostdeutschen Publikumslieblings beruhte. Es war also bekannt, dass Krug Tagebuch schrieb, trotzdem kommt die jetzige Publikation seiner Aufzeichnungen aus den Jahren 1996/97 als Überraschung. Krug hütete sie, wie die Herausgeberin Krista Maria Schädlich (selbst auch 1977 ausgereist aus der DDR und schon zuvor mit Krug gut bekannt, weshalb sie vor 26 Jahren "Abgehauen" verlegerisch betreut hatte) in ihrem Nachwort erläutert, "wie seinen Augapfel. Niemand hatte Einblick, noch wusste jemand davon." Krug starb 2016, seine Frau Ottilie vier Jahre später, im Nachlass der Eltern fanden die Kinder die Tagebücher und beauftragten zusammen mit ihrer unehelichen Halbschwester die langjährige Vertraute mit der Edition, der nach diesem Auftaktband zumindest noch zwei weitere Lieferungen mit Einträgen von 1998 bis 2003 folgen sollen.
Was Schädlich schuldig bleibt, ist eine genaue Angabe zur Bearbeitung von Krugs Notaten. "Fast nichts an Manfred Krugs Worten wurde geändert", ist zwar zu lesen, aber "manchmal musste ich mich zu Kürzungen innerhalb der Passagen entschließen, denn allzu Privates sollte, im Sinne von Manfred Krug und seinen Erben, privat bleiben". Das sieht man ein, hätte sich aber über Signale im Text an jenen gestrichenen Stellen gefreut, um das Ausmaß von "manchmal" besser einschätzen zu können. Es gibt ja schließlich auch eine Fußnote an jener Stelle, bei der Manfred Krug ein heute ungern verwendetes Wort für große Pappschilder mit Dialogzeilen für seine Filmaufnahmen gebraucht, das der Verlag "nicht mehr ausschreiben" möchte. Pikant übrigens, dass Krug sich zwei Dutzend Seiten weiter just über jene Leute aufregt, die vor der Benutzung dieses Wortes schon 1996 zurückschreckten - und auch da wird es in der Druckfassung nicht ausgeschrieben. Krug hätte sich zweifellos darüber noch mehr echauffiert als damals, und so ist diese Sache unfreiwillig komisch.
Freiwillige Komik dagegen ist Krugs Stärke; schon 1996 charakterisierte Jens Jessen in dieser Zeitung (F.A.Z. vom 18. April 1996; von Krug schwer geschmeichelt vermerkt) die Tagebuchnotate in "Abgehauen" als "oft von beträchtlichem Witz. Man könnte es dereinst, wenn der Schauer des Zeitgenössischen vorüber ist, als Stück pikaresken Humors lesen." Die Probe darauf ist in der Tat erfolgreich, obwohl der Schauder bei der Lektüre von "Abgehauen" immer noch überwiegt. Krugs Situation im wiedervereinigten Deutschland war ungleich kommoder, und deshalb ist die Komik der jüngeren Notate auch unschuldiger. Zugleich gibt es bei Krug bitterböse (und auch resignierte) Momente der Gesellschaftsdiagnostik wie seine Bemerkung zu Aids als "achtbarem Versuch der Natur", die Überbevölkerung zu bekämpfen. Aber auch einen Abschnitt wie diesen über eine zufällige Begegnung auf einem Empfang im "Ostsektor" (wie Krug das frühere Ostberlin noch immer nennt): "Peter Hacks, den ich mehr als zwanzig Jahre nicht gesehen hatte, kam vorbei und spielte verloren mit seinen Fingern an den Händen. Ein Greis. Silberhaar. In seinen Augen die Frage: Ist das noch mein Leben oder träume ich?"
Elegant geschrieben und zugleich genau beobachtet - in solchen Momenten erweist sich Krug als großer Erzähler, und es wird plötzlich klar, warum er sich herausnehmen konnte, Drehbücher, selbst solche von Jurek Becker, nach eigenem Gusto umzuschreiben, wenn sie ihm nicht witzig genug erschienen. Er hatte Witz und Biss. ANDREAS PLATTHAUS
Manfred Krug: "Ich sammle mein Leben zusammen".
Tagebücher 1996 -1997.
Hrsg. und mit Nachwort von Krista Maria Schädlich. Kanon Verlag, Berlin 2022. 208 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Jahre, die einen Star erschütterten: Manfred Krugs Tagebücher von 1996/97 zeigen noch einmal, dass dieser Mann auch ein Erzähler war.
War ich wichtig?", fragt sich Manfred Krug nach der Vorstellung seines 1996 erschienenen Buchs "Abgehauen" auf der damaligen Leipziger Buchmesse. Und antwortet sich selbst: "Na, wahnsinnig wichtig. Rushdie, Grass, Eco und meine Wenigkeit." Das Staunen über seinen Aufstieg in die damals zu Besuch in Leipzig befindliche Hochprominenz der Literatur ist diesem Tagebucheintrag vom 28. März 1996 abzulesen. Und auch Krugs Stolz darauf.
Nur elf Tage später liest man: "Den ganzen Tag habe ich Mühe damit, meine sogenannte Prominenz zu neutralisieren. Ehe ich mit einem Menschen zu einem Gespräch komme, muß ich erst auf die Tatsache konditionieren, daß ich ein Mitmensch bin, der sich nach Unbefangenheit sehnt." Krug, damals neunundfünfzig Jahre alt, leidet an seiner das Privatleben belastenden Unverkennbarkeit im angestammten Beruf: dem des Schauspielers. Seit zwölf Jahren als "Tatort"-Kommissar und in bisher vier Staffeln der Fernsehserie "Liebling Kreuzberg" hatte Krug regelmäßig für Rekordeinschaltquoten im deutschen Fernsehen gesorgt. Die fünfte "Liebling"-Staffel ist gerade in Vorbereitung, sein Freund, der Schriftsteller Jurek Becker, sitzt an den Drehbüchern. Doch Becker hat Krebs. Und Krugs Frau Ottilie, mit der er seit mehr als dreißig Jahren verheiratet ist, hat erst vor Kurzem die Liebesbeziehung ihres Mannes zu einer jungen Frau entdeckt. Noch weiß Krug nicht, ob Ottilie auch Kenntnis davon hat, das es aus dieser Beziehung eine gerade einmal ein paar Monate alte Tochter gibt. Die drei Kinder des Ehepaars Krug sind da alle schon erwachsen. Und Krug ist geradezu närrisch in das Baby verliebt.
Einigermaßen normale Dinge, könnte man sagen, um die es im Tagebuch zentral geht: todkranke Freunde, Seitensprünge, Vaterfreuden. Keine spezifischen Prominenzprobleme. Aber natürlich wäre darauf jeweils keine normale Reaktion des von Krug faszinierten Publikums zu erwarten gewesen. Die außereheliche Beziehung und das Kind werden deshalb noch bis 2002 geheimgehalten, und Beckers Krebserkrankung wird erst im März 1997 mit dessen Tod, nur eine Woche nach dem letzten Drehtag für die fünfte Staffel von "Liebling Kreuzberg", allgemein bekannt. Kurze Zeit später wird ein neues Problem dazukommen: Krug erleidet einen Schlaganfall, zu seinem Glück in Anwesenheit der Geliebten. Ins Krankenhaus begleiten ihn dann sie und seine Ehefrau gemeinsam. Erst wird er hineingeschmuggelt und eine Woche später wieder hinaus, um kein öffentliches Aufsehen zu erregen. Die halbseitige Lähmung überwindet er, während im Fernsehen "Liebling Kreuzberg" noch einmal für Furore sorgt. Schon vor Beckers Tod war klar, dass es keine weitere Staffel geben würde.
Zwei ereignisreiche Jahre also im Leben von Manfred Krug, dokumentiert von ihm selbst. Es mag noch aufregendere Lebensabschnitte gegeben haben, aber der spektakulärste, die Jahre 1976/77, als Krug und seine Familie in der DDR nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann einen Antrag auf Ausreise stellten und ihn auch genehmigt bekamen, war ja schon Thema von "Abgehauen", das auch auf Tagebucheinträgen des damals noch rein ostdeutschen Publikumslieblings beruhte. Es war also bekannt, dass Krug Tagebuch schrieb, trotzdem kommt die jetzige Publikation seiner Aufzeichnungen aus den Jahren 1996/97 als Überraschung. Krug hütete sie, wie die Herausgeberin Krista Maria Schädlich (selbst auch 1977 ausgereist aus der DDR und schon zuvor mit Krug gut bekannt, weshalb sie vor 26 Jahren "Abgehauen" verlegerisch betreut hatte) in ihrem Nachwort erläutert, "wie seinen Augapfel. Niemand hatte Einblick, noch wusste jemand davon." Krug starb 2016, seine Frau Ottilie vier Jahre später, im Nachlass der Eltern fanden die Kinder die Tagebücher und beauftragten zusammen mit ihrer unehelichen Halbschwester die langjährige Vertraute mit der Edition, der nach diesem Auftaktband zumindest noch zwei weitere Lieferungen mit Einträgen von 1998 bis 2003 folgen sollen.
Was Schädlich schuldig bleibt, ist eine genaue Angabe zur Bearbeitung von Krugs Notaten. "Fast nichts an Manfred Krugs Worten wurde geändert", ist zwar zu lesen, aber "manchmal musste ich mich zu Kürzungen innerhalb der Passagen entschließen, denn allzu Privates sollte, im Sinne von Manfred Krug und seinen Erben, privat bleiben". Das sieht man ein, hätte sich aber über Signale im Text an jenen gestrichenen Stellen gefreut, um das Ausmaß von "manchmal" besser einschätzen zu können. Es gibt ja schließlich auch eine Fußnote an jener Stelle, bei der Manfred Krug ein heute ungern verwendetes Wort für große Pappschilder mit Dialogzeilen für seine Filmaufnahmen gebraucht, das der Verlag "nicht mehr ausschreiben" möchte. Pikant übrigens, dass Krug sich zwei Dutzend Seiten weiter just über jene Leute aufregt, die vor der Benutzung dieses Wortes schon 1996 zurückschreckten - und auch da wird es in der Druckfassung nicht ausgeschrieben. Krug hätte sich zweifellos darüber noch mehr echauffiert als damals, und so ist diese Sache unfreiwillig komisch.
Freiwillige Komik dagegen ist Krugs Stärke; schon 1996 charakterisierte Jens Jessen in dieser Zeitung (F.A.Z. vom 18. April 1996; von Krug schwer geschmeichelt vermerkt) die Tagebuchnotate in "Abgehauen" als "oft von beträchtlichem Witz. Man könnte es dereinst, wenn der Schauer des Zeitgenössischen vorüber ist, als Stück pikaresken Humors lesen." Die Probe darauf ist in der Tat erfolgreich, obwohl der Schauder bei der Lektüre von "Abgehauen" immer noch überwiegt. Krugs Situation im wiedervereinigten Deutschland war ungleich kommoder, und deshalb ist die Komik der jüngeren Notate auch unschuldiger. Zugleich gibt es bei Krug bitterböse (und auch resignierte) Momente der Gesellschaftsdiagnostik wie seine Bemerkung zu Aids als "achtbarem Versuch der Natur", die Überbevölkerung zu bekämpfen. Aber auch einen Abschnitt wie diesen über eine zufällige Begegnung auf einem Empfang im "Ostsektor" (wie Krug das frühere Ostberlin noch immer nennt): "Peter Hacks, den ich mehr als zwanzig Jahre nicht gesehen hatte, kam vorbei und spielte verloren mit seinen Fingern an den Händen. Ein Greis. Silberhaar. In seinen Augen die Frage: Ist das noch mein Leben oder träume ich?"
Elegant geschrieben und zugleich genau beobachtet - in solchen Momenten erweist sich Krug als großer Erzähler, und es wird plötzlich klar, warum er sich herausnehmen konnte, Drehbücher, selbst solche von Jurek Becker, nach eigenem Gusto umzuschreiben, wenn sie ihm nicht witzig genug erschienen. Er hatte Witz und Biss. ANDREAS PLATTHAUS
Manfred Krug: "Ich sammle mein Leben zusammen".
Tagebücher 1996 -1997.
Hrsg. und mit Nachwort von Krista Maria Schädlich. Kanon Verlag, Berlin 2022. 208 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Krugs Sprache ist kraftvoll, schnörkellos und von einer existenziellen Wahrhaftigkeit, wie sie nur in wenigen Büchern zu finden ist.« Janko Tietz, Der Spiegel