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Der 1907 in Hamburg geborene Manfred Baron von Ardenne stellt eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Wissenschaftsgeschichte dar. Als erster realisierte er das vollelektronische Fernsehen, erfand das Rasterelektronenmikroskop und baute in den 1940er Jahren das damals leistungsfähigste klassische Elektronenmikroskop der Welt. Ein Jahrzehnt lang war er in leitender Stellung in das Netzwerk der sowjetischen atomaren Rüstung eingebunden. In der DDR baute er danach ein Institut auf, in dem vor allem industrienahe Forschung zur Anwendung elektronen- und ionenphysikalischer Methoden betrieben…mehr

Produktbeschreibung
Der 1907 in Hamburg geborene Manfred Baron von Ardenne stellt eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Wissenschaftsgeschichte dar. Als erster realisierte er das vollelektronische Fernsehen, erfand das Rasterelektronenmikroskop und baute in den 1940er Jahren das damals leistungsfähigste klassische Elektronenmikroskop der Welt. Ein Jahrzehnt lang war er in leitender Stellung in das Netzwerk der sowjetischen atomaren Rüstung eingebunden. In der DDR baute er danach ein Institut auf, in dem vor allem industrienahe Forschung zur Anwendung elektronen- und ionenphysikalischer Methoden betrieben wurde. Anfang der 1960er Jahre wandte er sich medizinischen Fragestellungen zu und entwickelte die systemische Krebs-Mehrschritt-Therapie. Nicht nur in der Weimarer Republik und im "Dritten Reich", sondern auch in den kommunistischen Diktaturen Stalins und der SED konnte er sich als privater Unternehmer behaupten. Die zentrale Fragestellung dieser biographischen Studie aus der Sicht eines Naturwissenschaftlers lautet: Auf welche Weise und mit welchen Mitteln gelang es Ardenne, in unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen seine Vision vom unaufhaltsamen technischen Fortschritt zu leben?

Ein von Fragen und Thesen geleiteter Zugriff auf bislang nicht zugängliche Quellen erlaubt es, das "Phänomen Ardenne" als erfolgreiche Selbstverwirklichung in Weltanschauungsdiktaturen zu erklären. Die quellennahe Darstellung sowie Zurückhaltung im Urteil gewährleisten Authentizität und öffnen dem Leser Räume für eigene Bewertungen. Das gilt in besonderem Maße für solche kontrovers diskutierten Themen wie die Entwicklung und den Einsatz von Atombomben, die Fragilität des atomaren Patts sowie ethisch-moralische Fragen der modernen Medizin. Nicht zuletzt ermöglicht ein Vergleich der während mehrerer Jahrzehnte erschienenen Autobiographien mit der unveröffentlichten Urfassung, die Entwicklung des politischen Denkens Ardennes nachzuzeichnen, das ihn am Ende seines Lebens zu einem Aktivisten der friedlichen Revolution werden ließ.

Inhaltsverzeichnis:
A. Einleitung: Methode und leitende Fragestellung - Quellen - B. Erfinder und Unternehmer in der Weimarer Republik und im "Dritten Reich": Vom Amateurfunk zum vollelektronischen Fernsehen - Sehen ohne Licht: die Elektronenmikroskopie - Kernphysikalische Interessen im Dritten Reich - Zusammenfassung - C. Im Netzwerk der sowjetischen nuklearen Rüstung: Mit dem Institut nach Osten - Die bescheidenen Anfänge der sowjetischen Kernphysik - Deutsches Know-how und deutsche Spezialisten - Die Einbindung der Deutschen in das Bombenprogramm - Aufgaben und Aufbau des Instituts "A" - Das Jahr 1946 und die erste Auszeichnungswelle - Die elektromagnetische Methode zur Trennung von Uranisotopen - Das Institut "A" als Teil des Netzwerks - Die Zeit der Quarantäne - Spionage und Technologietransfer: Der sowjetische Weg zur Bombe - Zusammenfassung - D. Wissenschaftler und Unternehmer in der DDR: Ulbrichts Berater und Vorzeigewissenschaftler - Unternehmer im "real existierenden Sozialismus" - Forschungsschwerpunkt Medizin - Enttäuschte Hoffnungen - Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft: Ardenne als homo politicus - Zusammenfassung - E. Sturz in die Marktwirtschaft: Die "Wende" als Katastrophe - Die Von Ardenne Anlagentechnik GmbH - Das Fraunhofer-Institut für Elektronenstrahl- und Plasmatechnik - Von Ardenne Institut für Angewandte Medizinische Forschung GmbH - Die Forschungsinstitut von Ardenne OHG - Ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter des MfS - Zusammenfassung - F. Vergleich der Autobiographien: Zensur und Selbstzensur - Punktueller Vergleich zwischen der "Urfassung" und den Buchausgaben - Arrangement mit der Macht - Mitwirkung beim Bau der sowjetischen Atombombe - Bekenntnis zum Sozialismus - Mythen, Legenden und schwer Erklärbares - G. Erbe und Vermächtnis: Keine Beisetzung "in aller Stille" - Die Erben - Selbstverständnis und Verantwortung des Wissenschaftlers - Urteilsbildung und Umgang mit Kritik - Ehrgeiziger Forscher - Kein akademischer Lehrer - Die Brücke zur Philosophie - H. Nachwort (von Alexander und Thomas von Ardenne) - Quellen- und Literaturverzeichnis - Kurzbiographien - Personenregister
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.08.2007

Forschung ohne Skrupel
Manfred von Ardenne ließ sich gleich mit drei Diktaturen ein
Er hat ihn stets bewundert, vielleicht sich gewünscht, in dessen Privatinstitut am Elbhügel im feinen Dresdner Stadtteil Weißer Hirsch zu arbeiten. Denn der promovierte Physiker Manfred Barkleit wirkte im Zentralinstitut für Kernforschung in Rossendorf bei Dresden; ebenso einige Jahre in Moskau. Wo immer er war, stets wurde über seinen Helden Manfred von Ardenne geredet: Miterfinder des Fernsehens, Mitglied im Reichsforschungsrat, Mitarbeit an der Entwicklung der sowjetischen Atombombe, Stalinpreisträger und Freund der Mächtigen im Kreml und in Ostberlin, viele Patente in der Physik, Chemie und Medizin. Nach der Einheit spürte Barkleit seinem 1997 verstorbenen Idol nach. Heraus kam dieses Buch, das er am Dresdner Institut für Totalitarismusforschung schrieb. Von Nutzen sind seine Einsichten in physikalische Probleme wie in ostdeutsche und sowjetische Verhältnisse. Doch Barkleit findet keine kritische Distanz zu Ardenne.
Der Baron war kreativ. Jedoch erlernte er keinen Beruf, da er sein Studium an der Humboldt-Universität abbrach, um Geld durch Erfinden zu verdienen. Es gelang ihm dabei, in Berlin-Lichterfelde ein Forschungslaboratorium für Elektronenphysik zu gründen. Aber ohne Diplom stand er unter den Fachkollegen im Abseits, Neider sahen ihn nicht als Gelehrten, sondern als Manager an.
Ardenne kooperierte mit Nazis wie dem Reichspostminister und Physiker Wilhelm Ohnesorge, der sich bei Hitler für den Bau der Atombombe stark machte. Von Ardenne wurde er über die Möglichkeiten und Gefahren der Waffe informiert. Der Minister schloss mit ihm einen Vertrag über Forschungen zur Isotopentrennung bei Uran. Laut Barkleit erbauten bis zu 700 KZ-Häftlinge den erforderlichen Zyklotron-Bunker. Ardennes Arbeit wurde außerordentliche Kriegswichtigkeit attestiert. Schon zuvor, Mitte 1941, hatte Ardennes Haustheoretiker Fritz Houtermans einen Weg zur stabilen Kettenreaktion gefunden. Ardenne sandte diesen Text an die Wissenschaftler-Creme der deutschen Kernphysik. Fast parallel meldete Barkleit zufolge Carl Friedrich von Weizsäcker die Plutonium-Bombe als Patent an. Hierbei stützt sich der Autor auf das Buch „Hitlers Bombe” von Rainer Karlsch. Der glaubte nachweisen zu können, dass Stalin das Uranprogramm der Nazis kannte. Barkleit widerspricht.
Obwohl der Autor auf Ardennes Bemühungen verweist, Hermann Göring den Bau eines Flugzeugradars anzutragen, schreibt er, der Baron habe sich konsequent geweigert, Waffen zu bauen. Dann räumt er ein, dieser sei „nicht abgeneigt” gewesen, Mittel auch aus klaren Rüstungsquellen zu erhalten. Barkleits Apologetik für Ardenne durchzieht das gesamte Buch. Dies betrifft auch Aussagen über dessen Verhältnis zur politischen Polizei im Dritten Reich, dessen wahres Wesen er „spät erkannte”.
War aber wirklich zu erwarten, dass Ardenne auf wichtige Einnahme- und Hilfsquellen verzichten würde? Der Erfinder hatte offensichtlich auch sonst keine Skrupel, sich mit Diktaturen, ob mit der Sowjetunion oder der DDR, einzulassen. Noch bis zur Einheit machte er sich Gedanken, wie der ostdeutsche Staat zu effektivieren sei. Nach dem Krieg schwankte er lange, wem er seine Dienste anbieten sollte, den USA oder der Sowjetunion. Da die Russen zuerst in Berlin waren, half er dem Kreml beim Atombombenbau. Zehn Jahre arbeitete er in der Sowjetunion. Der Autor unterstützt Ardennes These, er habe zum „nuklearen Patt” der Großmächte beigetragen.
Als Ardenne nach Dresden zurückkehrte, war er von der Überlegenheit des Sozialismus überzeugt. Entstalinisierung war bei ihm kein Thema. Er wollte im Kalten Krieg kein Patt erreichen, sondern die Überlegenheit. Während er vor dem amerikanischen Atomtod warnte, ließ er dem Kreml-Chef Chruschtschow über Walter Ulbricht 1958 empfehlen, ballistische Raketen mit Radarwellen schluckenden Schirmen zu versehen, die sich erst vor ihrem Eintritt in die Atmosphäre entfalten sollten und so „unsichtbar” sein sollten. Ardenne predigte also Abrüstung, betrieb aber Aufrüstung. Auch noch nach dem Mauerbau. Sein Chronist kann sich aber von seiner rosaroten Brille nicht trennen. WOLFGANG G. SCHWANITZ
GERHARD BARKLEIT: Manfred von Ardenne. Selbstverwirklichung im Jahrhundert der Diktaturen. Duncker & Humblot, Berlin 2006. 396 Seiten, 38,00 Euro.
In seinem Element: Der Physiker und vielseitige Erfinder Manfred von Ardenne arrangierte sich auch mit Diktatoren, solange er nur forschen konnte. Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Mit der Biografie des Kernphysikers und Mitglied des "Rats für die friedliche Anwendung der Kernphysik" zeigt sich Wolfgang G. Schwanitz sehr unzufrieden. Zwar gelinge es dem Autor, seines Zeichens selbst Physiker, den Werdegang Ardennes unter den Nazis und später in der DDR erhellend nachzuzeichnen. Er habe einiges aus Archiven geborgen, was bisher nicht bekannt war, so der Rezensent anerkennend. Dafür ignoriert Barkleit die für Schwanitz bedeutsame, janusköpfige Haltung Ardennes, der sich zwar offiziell für die Abrüstung stark machte, insgeheim aber die Aufrüstung der Sowjets vorantrieb, wie der Rezensent betont. Diese Facette im Leben Ardennes fehlt in dieser Lebensbeschreibung völlig, wie sich der Rezensent beschwert. Und so beklagt er die mangelnde "Distanz" und die allzu einseitige Auswertung der Quellen, die der Autor hier an den Tag lege.

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