Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 0,95 €
  • Broschiertes Buch

1 Kundenbewertung

Was passiert, wenn eine schöne, reiche Frau ihren Mann verläßt? Er begibt sich auf die Suche nach seinen Wurzeln. Doch James Mangan widerfährt in Irland ein Kulturschock. Der US-Journalist muß erleben, wie er sich immer mehr seinen Ahnen annähert. Diese Spurensuche inszeniert Moore als satirische Familiengeschichte mit Überraschungen à la Hitchcock.

Produktbeschreibung
Was passiert, wenn eine schöne, reiche Frau ihren Mann verläßt? Er begibt sich auf die Suche nach seinen Wurzeln. Doch James Mangan widerfährt in Irland ein Kulturschock. Der US-Journalist muß erleben, wie er sich immer mehr seinen Ahnen annähert. Diese Spurensuche inszeniert Moore als satirische Familiengeschichte mit Überraschungen à la Hitchcock.
Autorenporträt
Brian Moore wurde 1921 in Belfast geboren. Sein schriftstellerisches Werk wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnetes und zum Teil verfilmt. Der Autor verstarb 1999 in Kalifornieren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.1999

Mangans Mut zur Zahnlücke
Brian Moore bürstet die irische Seele

Geschundene Seelen? Sündige Lust? Schreckliche, entbehrungsvolle Kindheiten? Das wird gewiss "eine irische Familiengeschichte" sein. Mit diesem Untertitel - als handelte es sich um eine bewährte Disziplin - hat der Diogenes-Verlag jedenfalls den elften Roman des Anfang dieses Jahres im Alter von 77 Jahren verstorbenen Brian Moore hilfreich ausgestattet. Das 1979 erschienene Original begnügte sich mit "Mangans Vermächtnis". Da weiß keiner, was ihn erwartet. Die irische Familiengeschichte dagegen, das ist spätestens seit Frank McCourts "Die Asche meiner Mutter" wohl bekannt, hat Probleme hoch geladen und bietet somit schaurig-schöne Lektürestunden. Der Verhängnisse sind vier: Armut und Gewalt auf der physischen, Suff und Katholizismus auf der metaphysischen Seite. Das ist das irische Quadrat.

McCourt erzählte seine Kindheit mit Lakonie aus großem zeitlichen Abstand. Da sind alte Wunden längst zu Anekdoten vernarbt. Auch Moore, wie McCourt in der Nachkriegszeit nach Amerika ausgewandert, blickt mit distanziertem Blick auf das irische Desaster, das er in seinem Roman anrichtet. Das literarische Spektrum dieses Schriftstellers umfasst vieles, nur kein unvermitteltes Lamento. Es reicht vom surrealen Künstlerroman ("Die große viktorianische Sammlung") bis zum Politthriller ("Hetzjagd"). Neben seinen neunzehn Romanen hat er auch ein Drehbuch für Hitchcock verfasst ("Der zerrissene Vorhang"). Wie Hitchcock besitzt Moore Sinn für genaues künstlerisches Handwerk, aber auch für das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums. Beide kennzeichnet jener beinahe viktorianische Habitus, vor dessen Hintergrund erotische Obsessionen erst so recht zur Geltung kommen. Insbesondere "Mangans Vermächtnis" erinnert mit seinen Schauer-Effekten und seiner Schauer-Psychologie an manche Hitchcock-Filme; wie deren Helden stolpert die Hauptfigur James Mangan, New Yorker irischer Abstammung, als Prototyp der Mittelmäßigkeit ins Unerwartete, Abenteuerliche.

Der Journalist Mangan laviert eher glücklos durchs Leben, der einflussreiche Vater hat ihn bei einer Zeitung untergebracht. Eines Tages aber erhält er den Auftrag, eine berühmte Schauspielerin zu interviewen. Es kommt, wie es kommen muss: Die schöne, reiche Frau lässt ihn gar nicht mehr fort aus dem Schlafwagenabteil, in dem das Interview stattfindet. So weit das Märchen. Einige Jahre vergehen, das Leben als Ehe-Anhängsel einer berühmten Frau hat Mangans männliches Selbstbewusstsein keineswegs gestärkt. Und nun verlässt sie ihn auch noch zu Gunsten eines Erfolgskerls namens Turnbull. So weit der Realismus.

Mit dem Verlust der Frau kommt Mangan sich selbst abhanden. Vergebens bemüht er sich um Gleichgültigkeit als höchste Form der Rache. Es trennen sich die Freundeskreise, und bald zeigt sich, dass eigentlich alle Freunde die Freunde von Beatrice gewesen sind. "Es ist, als wenn es mich nicht mehr geben würde." Er sucht Trost und Verständnis beim Vater, der gerade das Leben mit einer neuen, jungen Frau genießt. Die Lebensängste des Sohnes müssen ihm deshalb so töricht erscheinen wie "jene Schrecken des kleinen Jungen von einst, den er wegen seiner Angst vor nicht vorhandenen Schlangen huckepack über den Rasen tragen musste".

Zur dringend nötigen Selbstvergewisserung sieht sich Mangan also auf eine fernere Vergangenheit verwiesen. Beim Stöbern in alten Familiendokumenten stößt er auf das Bildnis eines Mannes, der ihm verblüffend ähnlich sieht. Handelt es sich etwa um den irischen Dichter James Clarence Mangan, Poet à la Baudelaire? Mangan selbst hatte als junger Mann eine halbe Hand voll Gedichte veröffentlicht, und ein solch bedeutender Ahne käme ihm zur rechten Zeit. Der Sache muss nachgeforscht werden. Auch Reisegelder stellen sich ein: Die untreue Schauspielerin ist soeben in Turnbulls Sportwagen verunglückt und hat Mangan ein Vermögen hinterlassen.

Wer je in Irland mit Gastwirten ins Gespräch kam, kennt deren Klage über die amerikanischen Touristen. Sie sitzen den halben Tag im Lokal, reden von ihren irischen Vorfahren und bestellen nichts. Moores Roman lässt sich als parodistische Darstellung des amerikanischen Ahnen-Tourismus lesen, die durch das offensichtlich heikle Verhältnis des Autors zu seinem Herkunftsland Schärfe gewinnt. "Ich war kürzlich einmal für zwei Tage dort und froh, wieder gehen zu können", äußerte Moore 1997 in einem Interview. Irland sei "noch heute deprimierend". In diesem Sinn schildert der Roman mit unfreundlich-amüsierten Blicken das Provinzleben der grünen Insel.

Mangan sammelt erste Eindrücke: "Es war Markttag. Überall sah er wiehernde Stuten, Fohlen, brüllende Kälber, die von ihren Müttern getrennt wurden, träge Färsen, die ihre Schwänze hoben, um Fladen warmen Kots auf den Beton fallen zu lassen. Abenteuerlich aussehende, ärmlich gekleidete Leute gingen umher, rotgesichtige Männer mit Tuchmützen. Er stellte seinen kleinen Mietwagen vor einer Reihe einfacher Gasthäuser ab, deren dunkle Zimmer lautes Gerede und ein Geruch nach Urin und Hefe durchzog." Schon am ersten Abend gerät Mangan wie von selbst auf die Spuren seiner Vorfahren. Wer sucht, der findet; aber vielleicht nicht das Gewünschte. Die irischen Verwandten sind arme Leute, Verwirrte und Tölpel, ein verkommenes Geschwisterpaar, das wie fahrendes Volk im Wohnwagen lebt. Zu spät kommt Mangans Befürchtung, er könnte auf Leute treffen, "mit denen verwandt zu sein er sich schämen würde". Er gerät in den Bann der schmuddeligen Welt, in den Liebesbann des Mädchens aus dem Wohnwagen. Sie ist hübsch und geistlos und geht ihm ohne puritanische Umständlichkeit ans Geschlechtsteil. Mangan ist hellauf begeistert, aber dass hier eine ungute Fixierung vorliegt, wird deutlich, wenn sich allmählich die Schleier über einem langverschwiegenen Drama lüften - Alkohol, Irrsinn, Inzest, Kindesmissbrauch, blutig am Corpus delicti bestraft. Grässlich, grässlich. Eben die "irische Familiengeschichte".

Mangan wird unterdessen seinen Verwandten immer ähnlicher. Bei einer Schlägerei in einer Toilette wird ihm die noch fehlende Zahnlücke verpasst: "Er sah wie ein Säufer aus, wie ein Obdachloser, der in den Diebstahl einer Ladung Schrott verwickelt sein mochte." Er bekommt es mit der Polizei zu tun; schließlich heilt ihn die Begegnung mit einem widerwärtigen Doppelgänger (ein weiterer dichtender Familienangehöriger, der als struppiger Einsiedler und verkanntes Genie in einer Burgruine lebt) eben noch rechtzeitig vom Ahnenwahn. Mangans Flucht in die Vergangenheit ist, so wird deutlich, eine der vielen Formen der Selbsttäuschung, die einer lebensgerechten Orientierung im Weg stehen: ein Thema, das sich durch das Werk Brian Moores zieht.

Das Spiel mit den Irland-Klischees macht Vergnügen, ebenso die routinierte, bisweilen an Dürrenmatt erinnernde Erzählweise. Wie der Schweizer versteht es Moore, mit wenigen Strichen Charaktere hinzustellen, eine Szenerie vor Augen zu führen, Atmosphäre zu erzeugen. Viel Kunst für eine Geschichte, die diesen Aufwand vielleicht am Ende doch nicht ganz lohnt. Irgendwann erschöpft sich das Interesse am Gespensterwesen in halbverfallenen irischen Bauernhäusern, am überdrehten Familiendrama, das nicht so zwingend und doppelbödig ist wie anderes, was dieser Autor geschrieben hat.

WOLFGANG SCHNEIDER.

Brian Moore: "Mangans Vermächtnis. Eine irische Familiengeschichte". Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Robben. Diogenes Verlag, Zürich 1999. 448 S., geb., 39,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr