"Der beste Kenner eines Landes und seiner Gesellschaft", schrieb einst der große Soziologe Georg Simmel, "ist der Fremde, der bleibt."
Der Autor dieses Buches, ein äthiopischer Prinz, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebt,ist ein solcher Fremder.
Die europäischen Sitten in ihrer deutschen Spielart sagen mehr über uns, als wir, in unserem Misstrauen gegen die Tradition, gemeinhin glauben. Über die Zähigkeit der Manieren kann man sich wundern, ärgern oder freuen. Radikale Demokraten betrachten sie als eine Art stillen Skandal, weil sie gegen das heilige Gebot der Gleichheit verstoßen. Andere verteidigen die Höflichkeit gegen ihre Verächter. Fest steht nur, dass sich Manieren nie einwandfrei begründen lassen; sie sind der leibhaftige Anachronismus. Und da kein Mensch und keine Gesellschaft mit sich selber gleichzeitig sein kann, lohnt es sich, intelligent mit ihnen umzugehen.
Manieren ist kein Anstandsbuch. Es liegt dem Autor fern, dem Leser Vorschriften zu machen.Doch die ungeschriebenen Regeln fasst er genau ins Auge. Ist der Handkuss peinlich? Kann man den Spießer loben? Sind Contenance und Diskretion Fremdwörter? Hatten auch die Kommunisten Manieren? Stirbt das Kompliment aus? Wie vulgär ist die Mode? Gibt es Damen und Herren oder nur Männer und Frauen?
Solche und hundert andere Fragen werden hier erörtert.
Der Autor dieses Buches, ein äthiopischer Prinz, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebt,ist ein solcher Fremder.
Die europäischen Sitten in ihrer deutschen Spielart sagen mehr über uns, als wir, in unserem Misstrauen gegen die Tradition, gemeinhin glauben. Über die Zähigkeit der Manieren kann man sich wundern, ärgern oder freuen. Radikale Demokraten betrachten sie als eine Art stillen Skandal, weil sie gegen das heilige Gebot der Gleichheit verstoßen. Andere verteidigen die Höflichkeit gegen ihre Verächter. Fest steht nur, dass sich Manieren nie einwandfrei begründen lassen; sie sind der leibhaftige Anachronismus. Und da kein Mensch und keine Gesellschaft mit sich selber gleichzeitig sein kann, lohnt es sich, intelligent mit ihnen umzugehen.
Manieren ist kein Anstandsbuch. Es liegt dem Autor fern, dem Leser Vorschriften zu machen.Doch die ungeschriebenen Regeln fasst er genau ins Auge. Ist der Handkuss peinlich? Kann man den Spießer loben? Sind Contenance und Diskretion Fremdwörter? Hatten auch die Kommunisten Manieren? Stirbt das Kompliment aus? Wie vulgär ist die Mode? Gibt es Damen und Herren oder nur Männer und Frauen?
Solche und hundert andere Fragen werden hier erörtert.
Prinz Asfa-Wossen Asserates Buch als Vorabdruck in der F.A.Z.
Mit Manieren verhält es sich ähnlich wie mit gutem Geschmack: Jeder meint, sie zu besitzen. Bedauerlicherweise sind viele der Auffassung, gerade deshalb auch ohne sie auskommen zu können. Das Wissen um das, was sich schickt, und die Befolgung dieser Erkenntnis sind eben zweierlei. Jedes Verhalten verrät jedoch nicht nur etwas über das Individuum, das glaubt, einzig seinem persönlichen Gusto nach zu handeln, sondern ebensoviel über den Proteus Mentalität. Fremdländischen Beobachtern fallen Besonderheiten und Eigenarten eines Volks von jeher stärker auf, und oftmals vermögen sie diese treffender und geistreicher zu beschreiben als Einheimische - man denke nur an den Ungarn Georg Mikes und seinen famosen, geradezu klassischen England-Führer "How to be an Alien".
Nun tritt aus unserer Mitte ein Prinz aus dem äthiopischen Kaiserhaus, ein Aristokrat, dessen Muttersprache Amharisch ist, der jedoch seit fast drei Jahrzehnten in Deutschland lebt und arbeitet, und schreibt ein Buch über europäische, aber vor allem deutsche "Manieren": nicht etwa einen der notorischen Benimm- oder Verhaltensführer, sondern eine kulturhistorische Erzählung darüber, wer wir sind und wie wir uns darstellen - und was dies über uns aussagt. Prinz Asserate schildert dies ganz ohne Überheblichkeit und Besserwisserei, dafür mit Kenntnis, Leidenschaft und jener exakt dosierten Prise Snobismus, ohne die ein solches Unterfangen jämmerlich scheitern müßte. Der Kinderspruch, man zeige nicht mit nacktem Finger auf angezogene Leute, findet in seinem Buch, das wir von heute an vorabdrucken, die literarische Entsprechung, entstammt Prinz Asserates Spurensuche doch nicht nur persönlichem Erleben, sondern auch forschender Lektüre in Werken von Goethe oder Thomas Mann, La Rochefoucauld und Proust, Wilde und Chesterton, Cervantes und Gracián.
Dem Großneffen des Kaisers Haile Selassie, der 1948 in Addis Abeba zur Welt kam und sich nach der Revolution von 1974 in Deutschland niederließ, geht es um viel mehr als Anstand oder Etikette, wenngleich er seine Leser subtil auch darüber zu unterrichten versteht ("Zum Understatement gehört, daß etwas da ist, was herunterzuspielen sich lohnt"). Doch neben Kapiteln, die sich mit den Gepflogenheiten von Handkuß, Geschenken und Lob, Pünktlichkeit, Anreden oder Anzeigen befassen, stehen solche, in denen so schwer greifbare Begriffe wie Ehre, Würde und Contenance ebenso glänzend wie amüsant verhandelt und eingeordnet werden.
Oscar Wilde, Doyen der Lebenskunst an der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert, verfügte, daß in wichtigen Angelegenheiten Stil, nicht Aufrichtigkeit entscheidend sei - eine Maxime, die unsere auf Äußerlichkeiten bedachte Gesellschaft längst verinnerlicht hat. Hundert Jahre später zeigt Prinz Asserate, daß vorbildliches Benehmen per se stilvoll ist, ohne darum an Aufrichtigkeit einzubüßen - denn im Zweifel ist auch Desinteresse aufrichtig.
Seine "Manieren" sind wahrhaft elegant - geschrieben in herrlichem Deutsch, humorvoll, gelehrt und unterhaltsam, von dezidiert persönlichem Charme und geradezu universellem Reiz: ein Buch, dessen Lektüre man jedermann anraten möchte. Und so mag der Band eines Aristokraten mit exotisch anmutendem Namen das Werk mit dem größten demokratischen Reiz sein, das je in dieser Zeitung vorabgedruckt wurde.
FELICITAS VON LOVENBERG
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