Als dezidierter Beitrag zur Kunst- und Kulturgeschichte des Politischen fragt das Buch nach der Inanspruchnahme von Kunst zur Herrschaftsrepräsentation, nach Ritualen und Zeichensystemen der Macht am französischen Königshof in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Kunstförderung und Herrschaftshandeln werden hierbei als strukturhomologe Strategien eines (früh)modernen Politikmodells analysiert. Die Entscheidung für einen spezifisch 'modernen' Kunststil - den italienischen Manierismus - wurde für den französischen König François I zum Politikum: Er schuf sich in Fontainebleau ein Reich mit künstlerischen Mitteln, über das er jederzeit im Sinne der Deutungshoheit als Herrschaftsakt verfügen konnte.
Kunstwerke von Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini und Primaticcio, die in ihrer Skurrilität und Vielschichtigkeit die sinnliche Ausgangsevidenz für eine lohnende Betrachtung bieten; historische Szenen auf höchster machtpolitischer Ebene, die sich in ihrer kommunikativen und zeremoniellen Funktion erst dem ethnographisch-verfremdenden Blick erschließen; schließlich ein höfisches Milieu, in dem Intellekt, Macht, Witz, Hermetik und Erotik eine unauflösliche Verbindung eingehen: Was könnten reizvollere Quellen für die Erschließung der Spezifika von Manierismus und Herrschaftspraxis am französischen Hof im Kontext des europäischen Mächtesystems nach 1500 sein?
Christine Tauber, geb. 1967, studierte Germanistik, Romanistik, Geschichte, Philosophie und Kunstgeschichte in Bonn und Paris (École Normale Supérieure). Sie war von 1993-2001 wissenschaftliche Assistentin am Historischen Seminar der Universität Bonn und Mitglied des Bonner Graduiertenkollegs zur 'Renaissance in Italien und ihrer europäischen Rezeption.' 1997 wurde sie mit einer Arbeit über 'Jacob Burckhardts 'Cicerone'. Eine Aufgabe zum Genießen' in Bonn promoviert (veröffentl. 2000). Sie war Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes und habilitierte sich mit einem Stipendium der Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung 2005 an der Universität Konstanz in Kunstgeschichte und Kulturgeschichte. Sie ist Mitherausgeberin mehrerer Bände der Jacob-Burckhardt-Gesamtausgabe und freie Mitarbeiterin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Publikationen zur Kunst- und Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts und der italienischen und französischen Renaissance.
Kunstwerke von Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini und Primaticcio, die in ihrer Skurrilität und Vielschichtigkeit die sinnliche Ausgangsevidenz für eine lohnende Betrachtung bieten; historische Szenen auf höchster machtpolitischer Ebene, die sich in ihrer kommunikativen und zeremoniellen Funktion erst dem ethnographisch-verfremdenden Blick erschließen; schließlich ein höfisches Milieu, in dem Intellekt, Macht, Witz, Hermetik und Erotik eine unauflösliche Verbindung eingehen: Was könnten reizvollere Quellen für die Erschließung der Spezifika von Manierismus und Herrschaftspraxis am französischen Hof im Kontext des europäischen Mächtesystems nach 1500 sein?
Christine Tauber, geb. 1967, studierte Germanistik, Romanistik, Geschichte, Philosophie und Kunstgeschichte in Bonn und Paris (École Normale Supérieure). Sie war von 1993-2001 wissenschaftliche Assistentin am Historischen Seminar der Universität Bonn und Mitglied des Bonner Graduiertenkollegs zur 'Renaissance in Italien und ihrer europäischen Rezeption.' 1997 wurde sie mit einer Arbeit über 'Jacob Burckhardts 'Cicerone'. Eine Aufgabe zum Genießen' in Bonn promoviert (veröffentl. 2000). Sie war Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes und habilitierte sich mit einem Stipendium der Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung 2005 an der Universität Konstanz in Kunstgeschichte und Kulturgeschichte. Sie ist Mitherausgeberin mehrerer Bände der Jacob-Burckhardt-Gesamtausgabe und freie Mitarbeiterin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Publikationen zur Kunst- und Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts und der italienischen und französischen Renaissance.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2009Wie sich mit der Bildsprache herrschen lässt
Hier kann man lernen, Politik mit anderen Mitteln fortzuführen: Christine Tauber beschreibt, wie Ästhetik und Macht im Zeitalter des Manierismus zusammenarbeiteten.
Am Weihnachtstag 1539 wurde Kaiser Karl V. einem irritierenden Kunstwerk ausgesetzt. Nicht Christus und nicht er selbst wurde darin verherrlicht, sondern sein ärgster Rivale. Karl befand sich auf einer Winterreise durch Frankreich und war zu Gast in Fontainebleau bei Franz I., mit dem er ausnahmsweise gerade nicht auf Kriegsfuß stand. Rechtzeitig für den hohen Besuch hatte der König das neue Prunkstück des Schlosses, die Grande Galerie, fertigstellen lassen. An ihren Wänden entfaltete sich ein gewaltiger Bilderzyklus des italienischen Malers Rosso Fiorentino, vollgepackt mit mythologischen Szenen. Karl wurde von Franz allein durch die Galerie geleitet; die Führung dauerte mehr als zwei Stunden. Wie er auf die Konfrontation mit der Kunst reagierte, behielt er für sich. Nur der Wildreichtum der Jagdgebiete um Fontainebleau war ihm nach dem Besuch eine Bemerkung wert. Für Christine Tauber aber ist klar, was des Kaisers Schweigen zu sagen hat: Die Galerie habe ihn "offensichtlich überfordert".
Tauber rekonstruiert in ihrem Buch über die Kunstpolitik Franz I. das Treffen der beiden mächtigsten Monarchen bis ins Detail - als einen ästhetischen Triumphzug desjenigen, dem auf dem Schlachtfeld die Rolle des Geschlagenen beschieden war. Franz habe in der Grande Galerie ein künstlerisches Programm aufgezogen, das mit seiner "Akkumulation hermetischer Bedeutungen auf höchstem künstlerischen Niveau" für den "Uneingeweihten eine extreme Krisenerfahrung" darstelle - und für Karl war das eben zu viel.
Worin aber bestand das künstlerische Programm der Galerie? In "programmatischer Programmlosigkeit"! Es erzeugte eine "Ästhetik der Überforderung", die zum Ziel hatte, dass sie niemand verstand - nicht der damalige Betrachter, nicht die heutige Kunsthistorikerin -, und der König als Einziger mit dem Interpretationsschlüssel winken konnte. Für Tauber setzte er damit in ihr das herrschaftliche Prinzip um: "Wissen ist Macht und Erläuterung von Unverständlichem ein herrscherlicher Gnadenbeweis." Sie erkennt im Programm der Großen Galerie eine Form öffentlicher Geheimnispolitik, die das Zeitalter des Absolutismus ankündige. Damit aber nicht genug: Sie findet in Fontainebleau den Durchbruch zur Moderne, verwirklicht im "Staat als Kunstwerk". Was Jacob Burckhardt auf Italien projiziert hat, wird hier für Frankreich reserviert, und was er metaphorisch verstanden hat, ist hier wörtlich gemeint.
Abgesehen von Franz sind die Hauptrollen in Taubers Buch aber noch immer Italienern vorbehalten. Dies nicht von ungefähr: Die Politik des französischen Königs habe sich stets um Italien gedreht. Zuerst, zwischen 1515 und 1526, habe er auf militärischem Gebiet sein Reich nach Italien ausdehnen und auf künstlerischem Gebiet Italianità durch Gallità überbieten wollen; in dieser Phase konnte es vorkommen, dass Franz vor ausländischen Gästen die Türen in seinen Residenzen einschlug, anstatt sie zu öffnen, um als französischer Herkules durchzukommen. Dann, nach der Katastrophe von Pavia und der überstandenen Gefangennahme durch Karl, habe er Italien auf künstlerischem Wege nach Frankreich verlegen wollen. Franz habe dabei keineswegs Erfolglosigkeit auf dem militärischen Feld mit einer Aufrüstung auf dem künstlerischen Feld kompensiert, sondern eine konsequente "Fortführung der Politik mit anderen Mitteln" betrieben.
Zu den bedeutenden italienischen Künstlern an seinem Hof zählten neben Rosso Fiorentino Francesco Primaticcio, der ihm aus Rom Bronzeabgüsse antiker Statuen besorgte, darunter auch einen Laokoon, und Benvenuto Cellini, der während seines Gastspiels in Fontainebleau für den König das berühmte, heute in Wien stehende Salzfass anfertigte. Tauber stellt sie als führende Vertreter des Manierismus vor, der in ihrem Buch nicht als überkünsteltes Niedergangsphänomen im Anschluss an die Hochrenaissance erscheint, sondern als "avantgardistischste Stilrichtung, derer man sich zu politischen Zwecken der Überbietung bedienen kann". Manieristische Kunst ist ironisch, intellektualistisch, parodistisch und hermetisch - mit anderen Worten: die ideale künstlerische Entsprechung zum "manieristischen Habitus" des politischen Avantgardisten Franz I.
Für Tauber ist die Beziehung von König und Künstler nicht hierarchisch, sondern komplementär angelegt. Beide brauchen einander, um ihre "Werke" autonom verwirklichen zu können. Exemplarisch vorgelebt sieht sie diese Wahlverwandtschaft in der Beziehung von Franz und Rosso. Zwischen 1531 und 1536, als die wichtigsten Arbeiten in der Grande Galerie anstanden, sei der König kaum in Fontainebleau gewesen. "Einige wenige Gipfelgespräche zwischen Auftraggeber und Künstler - zwischen gleichgeordneten Gesprächspartnern - mussten genügen, um die groben Linien der Ausstattung zu klären." Für den Rest hatte der Maler freie Hand. Er schuf ein ästhetisches Monument und politisches Machtinstrument, das auf Franz ideal zugeschnitten war.
Schade nur, dass die beiden ihrer Zeit so weit voraus und ihren Mitmenschen so weit überlegen waren. Denn ihre gemeinsam errichtete "Ästhokratie" war "zu exklusiv konzipiert, um machtpolitisch vordergründig erfolgreich sein zu können". Der simplere Kaiser hatte es da entschieden einfacher, denn ihm lagen ästhetische Finesse und Ironie fern.
Nicht ganz so harmonisch wie mit Rosso Fiorentino lief es für Franz mit Benvenuto Cellini. Der Künstler verstand unter Autonomie offenbar etwas anderes als der König. Er führte Kunstwerke aus, die ihm nicht aufgetragen worden waren, er beging die Frechheit, über seine Kunst zu reden, anstatt sie bloß zu machen, und er reiste aus Fontainebleau unangekündigt ab, als es ihm dort nicht mehr gefiel. Mit diesen "Grenzüberschreitungen", so die Autorin, verletzte er die Autonomie des Herrschers. Nachdem dessen "feine Ironie" bei Cellini auf taube Ohren gestoßen war, bekam dieser schließlich die " Macht der königlichen terribilità" zu spüren.
Tauber bietet weniger eine kunsthistorische Gesamtschau von Fontainebleau unter der Herrschaft Franz I. als eine Abfolge von detaillierten Einzelstudien zu wichtigen Aspekten seiner Kunstpolitik. Das Werk ist an der Grenze von Kunstgeschichte und Geschichte angesiedelt, und es gestaltet seinen Stoff so, wie es seinen Gegenstand beschreibt: Reich an originalsprachlichen Zitaten, ist es jener auserlesenen Leserschaft vorbehalten, die neben dem humanistischen Latein auch die französische, spanische, italienische und englische Sprache des 16. Jahrhunderts beherrscht. Anstatt diese glückliche Minderheit mit einer Zusammenfassung zu beleidigen, belohnt sie die Autorin mit einem Quellenanhang, der historische Beschreibungen Fontainebleaus aus anderen Editionen zusammenträgt.
Schließlich kommen die Liebhaber des Manierismus auch sprachlich auf ihre Rechnung, dank ausgesuchter Fremdwörter wie "Translokution", kühner Neologismen wie "Ästhokratie" und pikanter Sprachbilder wie "Potenzbeweise an anatomisch einschlägiger Stelle" und "dynamischer Penis". Mit solch exquisiter Ironie macht Tauber ihren Helden alle Ehre.
CASPAR HIRSCHI
Christine Tauber: "Manierismus und Herrschaftspraxis". Studien aus dem Warburg-Haus. Akademie Verlag, Berlin 2009. 419 S., Abb., geb., 79,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hier kann man lernen, Politik mit anderen Mitteln fortzuführen: Christine Tauber beschreibt, wie Ästhetik und Macht im Zeitalter des Manierismus zusammenarbeiteten.
Am Weihnachtstag 1539 wurde Kaiser Karl V. einem irritierenden Kunstwerk ausgesetzt. Nicht Christus und nicht er selbst wurde darin verherrlicht, sondern sein ärgster Rivale. Karl befand sich auf einer Winterreise durch Frankreich und war zu Gast in Fontainebleau bei Franz I., mit dem er ausnahmsweise gerade nicht auf Kriegsfuß stand. Rechtzeitig für den hohen Besuch hatte der König das neue Prunkstück des Schlosses, die Grande Galerie, fertigstellen lassen. An ihren Wänden entfaltete sich ein gewaltiger Bilderzyklus des italienischen Malers Rosso Fiorentino, vollgepackt mit mythologischen Szenen. Karl wurde von Franz allein durch die Galerie geleitet; die Führung dauerte mehr als zwei Stunden. Wie er auf die Konfrontation mit der Kunst reagierte, behielt er für sich. Nur der Wildreichtum der Jagdgebiete um Fontainebleau war ihm nach dem Besuch eine Bemerkung wert. Für Christine Tauber aber ist klar, was des Kaisers Schweigen zu sagen hat: Die Galerie habe ihn "offensichtlich überfordert".
Tauber rekonstruiert in ihrem Buch über die Kunstpolitik Franz I. das Treffen der beiden mächtigsten Monarchen bis ins Detail - als einen ästhetischen Triumphzug desjenigen, dem auf dem Schlachtfeld die Rolle des Geschlagenen beschieden war. Franz habe in der Grande Galerie ein künstlerisches Programm aufgezogen, das mit seiner "Akkumulation hermetischer Bedeutungen auf höchstem künstlerischen Niveau" für den "Uneingeweihten eine extreme Krisenerfahrung" darstelle - und für Karl war das eben zu viel.
Worin aber bestand das künstlerische Programm der Galerie? In "programmatischer Programmlosigkeit"! Es erzeugte eine "Ästhetik der Überforderung", die zum Ziel hatte, dass sie niemand verstand - nicht der damalige Betrachter, nicht die heutige Kunsthistorikerin -, und der König als Einziger mit dem Interpretationsschlüssel winken konnte. Für Tauber setzte er damit in ihr das herrschaftliche Prinzip um: "Wissen ist Macht und Erläuterung von Unverständlichem ein herrscherlicher Gnadenbeweis." Sie erkennt im Programm der Großen Galerie eine Form öffentlicher Geheimnispolitik, die das Zeitalter des Absolutismus ankündige. Damit aber nicht genug: Sie findet in Fontainebleau den Durchbruch zur Moderne, verwirklicht im "Staat als Kunstwerk". Was Jacob Burckhardt auf Italien projiziert hat, wird hier für Frankreich reserviert, und was er metaphorisch verstanden hat, ist hier wörtlich gemeint.
Abgesehen von Franz sind die Hauptrollen in Taubers Buch aber noch immer Italienern vorbehalten. Dies nicht von ungefähr: Die Politik des französischen Königs habe sich stets um Italien gedreht. Zuerst, zwischen 1515 und 1526, habe er auf militärischem Gebiet sein Reich nach Italien ausdehnen und auf künstlerischem Gebiet Italianità durch Gallità überbieten wollen; in dieser Phase konnte es vorkommen, dass Franz vor ausländischen Gästen die Türen in seinen Residenzen einschlug, anstatt sie zu öffnen, um als französischer Herkules durchzukommen. Dann, nach der Katastrophe von Pavia und der überstandenen Gefangennahme durch Karl, habe er Italien auf künstlerischem Wege nach Frankreich verlegen wollen. Franz habe dabei keineswegs Erfolglosigkeit auf dem militärischen Feld mit einer Aufrüstung auf dem künstlerischen Feld kompensiert, sondern eine konsequente "Fortführung der Politik mit anderen Mitteln" betrieben.
Zu den bedeutenden italienischen Künstlern an seinem Hof zählten neben Rosso Fiorentino Francesco Primaticcio, der ihm aus Rom Bronzeabgüsse antiker Statuen besorgte, darunter auch einen Laokoon, und Benvenuto Cellini, der während seines Gastspiels in Fontainebleau für den König das berühmte, heute in Wien stehende Salzfass anfertigte. Tauber stellt sie als führende Vertreter des Manierismus vor, der in ihrem Buch nicht als überkünsteltes Niedergangsphänomen im Anschluss an die Hochrenaissance erscheint, sondern als "avantgardistischste Stilrichtung, derer man sich zu politischen Zwecken der Überbietung bedienen kann". Manieristische Kunst ist ironisch, intellektualistisch, parodistisch und hermetisch - mit anderen Worten: die ideale künstlerische Entsprechung zum "manieristischen Habitus" des politischen Avantgardisten Franz I.
Für Tauber ist die Beziehung von König und Künstler nicht hierarchisch, sondern komplementär angelegt. Beide brauchen einander, um ihre "Werke" autonom verwirklichen zu können. Exemplarisch vorgelebt sieht sie diese Wahlverwandtschaft in der Beziehung von Franz und Rosso. Zwischen 1531 und 1536, als die wichtigsten Arbeiten in der Grande Galerie anstanden, sei der König kaum in Fontainebleau gewesen. "Einige wenige Gipfelgespräche zwischen Auftraggeber und Künstler - zwischen gleichgeordneten Gesprächspartnern - mussten genügen, um die groben Linien der Ausstattung zu klären." Für den Rest hatte der Maler freie Hand. Er schuf ein ästhetisches Monument und politisches Machtinstrument, das auf Franz ideal zugeschnitten war.
Schade nur, dass die beiden ihrer Zeit so weit voraus und ihren Mitmenschen so weit überlegen waren. Denn ihre gemeinsam errichtete "Ästhokratie" war "zu exklusiv konzipiert, um machtpolitisch vordergründig erfolgreich sein zu können". Der simplere Kaiser hatte es da entschieden einfacher, denn ihm lagen ästhetische Finesse und Ironie fern.
Nicht ganz so harmonisch wie mit Rosso Fiorentino lief es für Franz mit Benvenuto Cellini. Der Künstler verstand unter Autonomie offenbar etwas anderes als der König. Er führte Kunstwerke aus, die ihm nicht aufgetragen worden waren, er beging die Frechheit, über seine Kunst zu reden, anstatt sie bloß zu machen, und er reiste aus Fontainebleau unangekündigt ab, als es ihm dort nicht mehr gefiel. Mit diesen "Grenzüberschreitungen", so die Autorin, verletzte er die Autonomie des Herrschers. Nachdem dessen "feine Ironie" bei Cellini auf taube Ohren gestoßen war, bekam dieser schließlich die " Macht der königlichen terribilità" zu spüren.
Tauber bietet weniger eine kunsthistorische Gesamtschau von Fontainebleau unter der Herrschaft Franz I. als eine Abfolge von detaillierten Einzelstudien zu wichtigen Aspekten seiner Kunstpolitik. Das Werk ist an der Grenze von Kunstgeschichte und Geschichte angesiedelt, und es gestaltet seinen Stoff so, wie es seinen Gegenstand beschreibt: Reich an originalsprachlichen Zitaten, ist es jener auserlesenen Leserschaft vorbehalten, die neben dem humanistischen Latein auch die französische, spanische, italienische und englische Sprache des 16. Jahrhunderts beherrscht. Anstatt diese glückliche Minderheit mit einer Zusammenfassung zu beleidigen, belohnt sie die Autorin mit einem Quellenanhang, der historische Beschreibungen Fontainebleaus aus anderen Editionen zusammenträgt.
Schließlich kommen die Liebhaber des Manierismus auch sprachlich auf ihre Rechnung, dank ausgesuchter Fremdwörter wie "Translokution", kühner Neologismen wie "Ästhokratie" und pikanter Sprachbilder wie "Potenzbeweise an anatomisch einschlägiger Stelle" und "dynamischer Penis". Mit solch exquisiter Ironie macht Tauber ihren Helden alle Ehre.
CASPAR HIRSCHI
Christine Tauber: "Manierismus und Herrschaftspraxis". Studien aus dem Warburg-Haus. Akademie Verlag, Berlin 2009. 419 S., Abb., geb., 79,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Große Anerkennung zollt Rezensent Caspar Hirschi diesem Buch über die Kunstpolitik Franz I., das Christine Tauber vorgelegt hat. Er versteht das an der Grenze von Kunstgeschichte und Geschichte angesiedelte Werk weniger als eine "kunsthistorische Gesamtschau" der Kunstpolitik des französischen Königs, sondern eher als eine Reihe von Einzelstudien, die bestimmte Aspekte seiner Kunstpolitik in den Blick nehmen. Zentral scheint ihm die minutiöse Rekonstruktion der Begegnung von Franz I. und Kaiser Karl V. 1539, bei der Franz den Kaiser durch seine Grande Galerie mit dem Bilderzyklus des italienischen Malers Rosso Fiorentino führte. Ein Kunsterlebnis, das - wie die Autorin für Hirschi überzeugend zeigt - den Kaiser offensichtlich überforderte. Hirschi hebt in diesem Zusammenhang Taubers Deutung der Großen Galerie als eine "Form öffentlicher Geheimnispolitik" sowie ihr Verständnis der Manieristischen Kunst dieser Zeit als "ironisch, intellektualistisch, parodistisch und hermetisch" hervor. Der an originalsprachlichen Zitaten reiche Band dürfte nach seiner Einschätzung "Liebhabern des Manierismus" auch wegen der zahlreichen Neologismen, Fremdwörter und Sprachbilderr sowie der "exquisiten Ironie" der Autorin Freude bereiten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"[...] eine rundum glanzvolle Arbeit, die durch intellektuelle Dichte und Brillanz besticht und, neben vielen anderen klugen Gedanken, eine höchst anregende These formuliert, an der die politikgeschichtliche wie auch die kunsthistorische Forschung zur französischen Renaissance sich noch einige Zeit werden abarbeiten müssen." Sigrid Ruby in: sehepunkte, Ausgabe 11 (2011), Nr. 2 "Hier kann man lernen, Politik mit anderen Mitteln fortzuführen: Christine Tauber beschreibt, wie Ästhetik und Macht im Zeitalter des Manierismus zusammenarbeiten." Caspar Hirschi in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. August 2009 "Das vorliegende Werk ist eine große Leistung, die die deutsche kunsthistorische Frankreichforschung in hervorragender Weise bereichert." Christian Hecht in: H-ArtHist, 7. Juni 2009