Wir nutzen getrennte Toiletten und kaufen unser Duschgel in verschiedenen Regalen. Ganz selbstverständlich ordnen wir Menschen als Frauen oder Männer ein. Aber was unterscheidet die Geschlechter eigentlich? Wäre man eine andere Person, wenn man ein anderes Geschlecht hätte?Von Kindheit bis Berufswahl beeinflussen andere, was wir tun. Erkennt man die zugrunde liegenden Strukturen, versteht man, wodurch man die Person wird, die man ist. Und wer man sein kann!Ein Buch über Identität, so vielfältig wie unsere Körper und Persönlichkeiten.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2018Das Leben ist ein Rollenspiel
Jörg Bernardy diskutiert die Geschlechterordnung unserer Gesellschaft
Menschen neigen offenbar dazu, ihre Umgebung in Kategorien einzuteilen. Wir sammeln Dinge, um Ordnung zu schaffen und vergleichen zu können. Dabei machen wir auch vor uns selbst nicht halt. „Frau oder Mann, alt oder jung, dick oder dünn, selbstbewusst oder schüchtern – nach diesen und vielen anderen Merkmalen sortieren wir Personen jeden Tag unbewusst ein“, schreibt Jörg Bernardy in seinem neuen Buch „Mann, Frau, Mensch – Was macht mich aus?“.
Die Unterscheidung männlich/weiblich funktioniert im Alltag besonders gut, wenn aus äußeren Merkmalen Rollenbilder werden. Hier Tarzan, da Jane, hier Romeo, da Julia, hier muskulöser Mann mit tiefer Stimme, da zierliche, kommunikationsfreudige Frau. „Unsere Kulturgeschichte ist voller Beispiele, in denen männlich und weiblich als Gegenpole dargestellt werden“, sagt Bernardy. Mit solchen stereotypen Bildern lassen sich dann zum Beispiel prächtig Frauenmagazine oder tiefergelegte Sportwagen verkaufen.
Bernardy wehrt sich gegen diese allzu simplen Zuordnungen. So könnte man dieses Buch als weiteren Beitrag zur aufgeregten Genderdebatte verstehen, gerichtet an Jugendliche. Doch man spürt beim Lesen sehr schnell, dass es weniger urteilen will, als zum Nachdenken anregen soll. In unaufgeregtem Tonfall beschreibt der in Hamburg lebende Autor und Philosoph seine Beobachtungen und stellt ruhig seine Fragen: Was macht uns aus? Was unterscheidet die Geschlechter eigentlich wirklich? Was würde sich für einen ändern, wenn man zum Beispiel ein anderes Geschlecht hätte? Er beobachtet Situationen dabei ganz nah am Alltag: Wie wirkt zum Beispiel ein Junge, der nach dem Rollerfahren den Helm abnimmt und mitten auf der Straße intensiv seine Haare bürstet und mit Haarspray zurechtstylt?
Das Buch liest sich in Teilen so, als wäre der Autor mit seinem imaginären Leser im direkten Dialog. Bernardy stellt dabei deutlich mehr Fragen, als er Antworten gibt. Das mag man als unbefriedigend empfinden, es ist aber gleichzeitig angenehm zurückhaltend, denn die Fragen sind gut gestellt. „Es ist kein Ratgeber, der einem sagt, wie man schöner, klüger und erfolgreicher wird. Es geht darum zu verstehen, wodurch man die Person wird, die man ist.“ Bernardy ist mehr an der Entwicklung unserer Identität interessiert als an der reinen Definition von Geschlechterrollen. Dieser geheimnisvollen Identität spürt er nach, einem „Gefühl, das sich meist gar nicht so richtig oder nur schwer in Worte fassen lässt“. Er lotet aus, was uns Menschen prägt, er beschäftigt sich dabei mit Themen wie Image, unserem Körper als Ausdrucksmittel, der Sexualität, dem ausgeprägten menschlichen Schamgefühl, das sich in unserer Kultur sehr schnell in Situationen einstellt, die auf unsere animalische Seite hindeuten, – etwa wenn man stark schwitzt, der Körper riecht, oder schon, wenn wir nur im Supermarkt Dinge kaufen wie Kondome oder Tampons, die auf natürliche Dinge wie Sex oder die Monatsblutung hindeuten. Er analysiert die Rollen, die Jungen und Mädchen schon in jungen Jahren zugewiesen werden, und ob diese wirklich so unabänderlich sind, wie sie oft erscheinen.
Dass das Leben dabei oft wie ein Rollenspiel ist, findet Bernardy gar nicht schlimm. Doch die Rollen können und müssen sich ändern, vor allem da, wo sie Druck auf den Einzelnen ausüben und stark normierend wirken. Solche Geschlechter-Stereotype seien letztlich Verallgemeinerungen und Übertreibungen, die allen Mitgliedern eines Geschlechts die gleichen Merkmale zuschreiben, so Bernardy. „Mögliche Unterschiede zwischen einzelnen Personen werden damit vernachlässigt.“
Dagegen wehrt sich der Autor. Stereotype seien zwar per se nichts Schlechtes, aber sie könnten eben auch einschränkend wirken. Und kommt dann zu einem wichtigen Fazit: „Wenn man über sich und sein Geschlecht nachdenkt, dann geht es um Freiheit und Spielraum, unabhängig von der biologischen Festlegung auf ein Geschlecht.“ Er stellt sich ein deutlich bunteres Bild vor, weshalb Bernardy auch neun Künstlerinnen und Künstler eingeladen hat, in Geschichten und Bildern ihre Gefühle und Beobachtungen zu Mann und Frau darzustellen.
So formt sich ein Buch über Möglichkeiten, darüber, wie und wohin sich Menschen entgegen den gesellschaftlichen Geschlechterstereotypen entwickeln können. Es geht im Kern um innere Fragen: Wo will ich hin, wer kann ich sein? Antworten darauf muss noch immer jeder Einzelne für sich finden. Die Gesellschaft muss es nur möglich machen. (ab 14 Jahre und junge Erwachsene)
HUBERT FILSER
Wenn man über sich und
sein Geschlecht nachdenkt,
dann geht es um Freiheit
und Spielraum unabhängig von
der biologischen Festlegung
Jörg Bernardy:
Mann Frau Mensch
– Was macht mich aus? Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2018.
160 Seiten, 16,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Jörg Bernardy diskutiert die Geschlechterordnung unserer Gesellschaft
Menschen neigen offenbar dazu, ihre Umgebung in Kategorien einzuteilen. Wir sammeln Dinge, um Ordnung zu schaffen und vergleichen zu können. Dabei machen wir auch vor uns selbst nicht halt. „Frau oder Mann, alt oder jung, dick oder dünn, selbstbewusst oder schüchtern – nach diesen und vielen anderen Merkmalen sortieren wir Personen jeden Tag unbewusst ein“, schreibt Jörg Bernardy in seinem neuen Buch „Mann, Frau, Mensch – Was macht mich aus?“.
Die Unterscheidung männlich/weiblich funktioniert im Alltag besonders gut, wenn aus äußeren Merkmalen Rollenbilder werden. Hier Tarzan, da Jane, hier Romeo, da Julia, hier muskulöser Mann mit tiefer Stimme, da zierliche, kommunikationsfreudige Frau. „Unsere Kulturgeschichte ist voller Beispiele, in denen männlich und weiblich als Gegenpole dargestellt werden“, sagt Bernardy. Mit solchen stereotypen Bildern lassen sich dann zum Beispiel prächtig Frauenmagazine oder tiefergelegte Sportwagen verkaufen.
Bernardy wehrt sich gegen diese allzu simplen Zuordnungen. So könnte man dieses Buch als weiteren Beitrag zur aufgeregten Genderdebatte verstehen, gerichtet an Jugendliche. Doch man spürt beim Lesen sehr schnell, dass es weniger urteilen will, als zum Nachdenken anregen soll. In unaufgeregtem Tonfall beschreibt der in Hamburg lebende Autor und Philosoph seine Beobachtungen und stellt ruhig seine Fragen: Was macht uns aus? Was unterscheidet die Geschlechter eigentlich wirklich? Was würde sich für einen ändern, wenn man zum Beispiel ein anderes Geschlecht hätte? Er beobachtet Situationen dabei ganz nah am Alltag: Wie wirkt zum Beispiel ein Junge, der nach dem Rollerfahren den Helm abnimmt und mitten auf der Straße intensiv seine Haare bürstet und mit Haarspray zurechtstylt?
Das Buch liest sich in Teilen so, als wäre der Autor mit seinem imaginären Leser im direkten Dialog. Bernardy stellt dabei deutlich mehr Fragen, als er Antworten gibt. Das mag man als unbefriedigend empfinden, es ist aber gleichzeitig angenehm zurückhaltend, denn die Fragen sind gut gestellt. „Es ist kein Ratgeber, der einem sagt, wie man schöner, klüger und erfolgreicher wird. Es geht darum zu verstehen, wodurch man die Person wird, die man ist.“ Bernardy ist mehr an der Entwicklung unserer Identität interessiert als an der reinen Definition von Geschlechterrollen. Dieser geheimnisvollen Identität spürt er nach, einem „Gefühl, das sich meist gar nicht so richtig oder nur schwer in Worte fassen lässt“. Er lotet aus, was uns Menschen prägt, er beschäftigt sich dabei mit Themen wie Image, unserem Körper als Ausdrucksmittel, der Sexualität, dem ausgeprägten menschlichen Schamgefühl, das sich in unserer Kultur sehr schnell in Situationen einstellt, die auf unsere animalische Seite hindeuten, – etwa wenn man stark schwitzt, der Körper riecht, oder schon, wenn wir nur im Supermarkt Dinge kaufen wie Kondome oder Tampons, die auf natürliche Dinge wie Sex oder die Monatsblutung hindeuten. Er analysiert die Rollen, die Jungen und Mädchen schon in jungen Jahren zugewiesen werden, und ob diese wirklich so unabänderlich sind, wie sie oft erscheinen.
Dass das Leben dabei oft wie ein Rollenspiel ist, findet Bernardy gar nicht schlimm. Doch die Rollen können und müssen sich ändern, vor allem da, wo sie Druck auf den Einzelnen ausüben und stark normierend wirken. Solche Geschlechter-Stereotype seien letztlich Verallgemeinerungen und Übertreibungen, die allen Mitgliedern eines Geschlechts die gleichen Merkmale zuschreiben, so Bernardy. „Mögliche Unterschiede zwischen einzelnen Personen werden damit vernachlässigt.“
Dagegen wehrt sich der Autor. Stereotype seien zwar per se nichts Schlechtes, aber sie könnten eben auch einschränkend wirken. Und kommt dann zu einem wichtigen Fazit: „Wenn man über sich und sein Geschlecht nachdenkt, dann geht es um Freiheit und Spielraum, unabhängig von der biologischen Festlegung auf ein Geschlecht.“ Er stellt sich ein deutlich bunteres Bild vor, weshalb Bernardy auch neun Künstlerinnen und Künstler eingeladen hat, in Geschichten und Bildern ihre Gefühle und Beobachtungen zu Mann und Frau darzustellen.
So formt sich ein Buch über Möglichkeiten, darüber, wie und wohin sich Menschen entgegen den gesellschaftlichen Geschlechterstereotypen entwickeln können. Es geht im Kern um innere Fragen: Wo will ich hin, wer kann ich sein? Antworten darauf muss noch immer jeder Einzelne für sich finden. Die Gesellschaft muss es nur möglich machen. (ab 14 Jahre und junge Erwachsene)
HUBERT FILSER
Wenn man über sich und
sein Geschlecht nachdenkt,
dann geht es um Freiheit
und Spielraum unabhängig von
der biologischen Festlegung
Jörg Bernardy:
Mann Frau Mensch
– Was macht mich aus? Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2018.
160 Seiten, 16,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Welche Rolle spielt das Geschlecht für die eigene Identität? Was ist überhaupt männlich, was weiblich? Solchen Fragen geht der Philosoph Jörg Bernardy nach, informiert Rezensentin Eva Hepper. Es gefällt ihr, dass Bernardy dabei keine Ratschläge erteilen, sondern Denkanstöße geben will. Zu diesem Zweck werden erstmal Begriffe geklärt und dann geschlechtsspezifische Zuschreibungen untersucht. Schubladendenken ist einfach, lernt die Rezensentin mit Bernardy, "unübersichtliche Vielfalt" kann dagegen ganz schön verwirren. Dabei hilft dieses "starke Buch", lobt Heppe.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»In 'Mann Frau Mensch' dreht sich alles ums Geschlecht, und wieder macht Lesen und Denken sehr viel Spaß.« Barbara Weitzel, WELT am Sonntag Kompakt, 2.9.2018 »Ein Buch über Zweifel und Unsicherheit im eigenen Körper, über Identität und welche Strukturen prägen, was wir sind.« Jens Meifert, Kölnische Rundschau, 28.9.2018 »Am Ende bleiben mehr Fragen als Antworten. Aber das ist gut so und 'Mann Frau Mensch' gehört als Lektüre in jedes Jugendzimmer und ist auch für Erwachsene eine gute Gelegenheit, sich selbst mal wieder zu hinterfragen.« Kathrin Köller, Eselsohr 10/2018 »Das Buch liest sich in Teilen so, als wäre der Autor mit seinem imaginären Leser im direkten Dialog. Bernardy stellt dabei deutlich mehr Fragen, als er Antworten gibt. Das mag man als unbefriedigend empfinden, es ist aber gleichzeitig angenehm zurückhaltend, denn die Fragen sind gut gestellt.« Hubert Filser, Süddeutsche Zeitung, 27.11.2018 »Das ist die Absicht des elegant geschriebenen Textes von Jörg Bernardy: nicht alleine Eindeutigkeit zu vermeiden, sondern die Fenster und Türen für Vieldeutigkeit zu öffnen, bevor das Leben voreilig in die Schubladen der Klischees verstaut werden kann. (...) Man muss nicht jede Orientierung teilen, auch das gehört zur Identität, aber die Würde der anderen zu achten, ist die Basis von allem. Wer sich ihr verpflichtet fühlt, hat starke Argumente in der Diskussion um verbindliche Werte, das beweist Jörg Bernardys Buch überzeugend. Hier werden nicht alleine Tabus mit sanfter Diktion trockengelegt, sondern auch gezeigt, dass auch und gerade die Vielfalt des Anderen das Leben interessant macht.« Thomas Linden, litrix.de, 14.12.2018 »Als Leser kann man aus diesem schmalen Büchlein enorm viel herausnehmen, wir lernen was über uns selbst wie auch über unsere heutige Gesellschaft.« Gina Stevic, BaZ Kompakt, 27.9.2018 »Bernardy verschafft uns in seinem Buch einen erweiterten Blick auf unsere gesellschaftlichen Zustände, auf unsere eigene und die uns angetragene Vorstellung unseres Selbst.« Susanne Rikl, Kommbuch.com »Ein starkes Buch!« Eva Hepper, Deutschlandradio Kultur, 23.1.2019 »Dieses Sachbuch vermittelt neue Einsichten, wendet sich gegen Schubladen - spannender Input für Teens.« Jury »Leselotse«, Börsenblatt, 31.1.2019 »Einmal aufgeschlagen, lässt einen dieses Buch nicht mehr los. Zugleich kriegt man es nicht zu fassen. Es ist so schillernd wie sein Thema...« Berliner Zeitung, 1.12.2018 »Noch breiter angelegt ist Jörg Bernardys Versuch, mit 'Mann Frau Mensch' ein Buch zu liefern, das sich mit Texten und Bildern an alle Geschlechter richtet.« 3sat Kulturzeit, 10.4.2019 »Ein Aufklärungsbuch der anderen Art. Eines, welches das binäre System von Mann und Frau aufbricht und die Komplexität des Geschlechts aufzeigt. Es beleuchtet die Rollen, die gesellschaftlichen Zuschreibungen und den Sprachgebrauch sachlich, verständlich und mit viel Empathie für die zahlreichen Facetten des Menschseins. Ein Buch, das ermutigt, die Zwänge der Normalität zu sprengen, um sich entsprechend seinen Neigungen und Vorlieben entfalten zu können.« Marcella Danelli, Berner Schule, 29.10.2019