"Dieser Roman ist natürlich komplett wahnsinnig. Mein Hauptwerk - Tausendundeine Nacht in der Hölle, Beckett verschärft, der Ulysses der kaputtgepamperten Generation zwischen 68 und Punk." HRK
Sprachmächtig und originell erzählt Heinz Rudolf Kunze: von zwei Männern im Krankenhaus, von Minze, einer mysteriösen Frau, von einem Arzt namens John Lennon und davon, dass eigentlich alles wahr ist - oder doch beinahe.
"Am Anfang war alles weiß." Zwei Männer, Manteuffel und Gruber, liegen im Krankenhaus und haben keine Ahnung, wie sie dorthin gekommen sind. Beide haben eine Schusswunde. Gemeinsam versuchen sie, sich über ihre Situation klarzuwerden - und da gibt es noch die rätselhafte Frau mit dem Namen Minze, die beide fasziniert und antreibt, nach der Wahrheit zu suchen. Weiteres Personal: eine gewisser Doktor John Lennon und eine wie Joni Mitchell aussehende Krankenschwester.
Als Sprachkünstler, wie man ihn kennt, zeigt sich Heinz Rudolf Kunze in seinem ersten Roman, der - wie nicht anders zu erwarten - die Grenzen der Gattung sprengt. Ein ungewöhnliches Buch, in dem es um Musik, Liebe, Philosophie, Literatur, Kindheit - nein, um unser aller Leben geht.
Sprachmächtig und originell erzählt Heinz Rudolf Kunze: von zwei Männern im Krankenhaus, von Minze, einer mysteriösen Frau, von einem Arzt namens John Lennon und davon, dass eigentlich alles wahr ist - oder doch beinahe.
"Am Anfang war alles weiß." Zwei Männer, Manteuffel und Gruber, liegen im Krankenhaus und haben keine Ahnung, wie sie dorthin gekommen sind. Beide haben eine Schusswunde. Gemeinsam versuchen sie, sich über ihre Situation klarzuwerden - und da gibt es noch die rätselhafte Frau mit dem Namen Minze, die beide fasziniert und antreibt, nach der Wahrheit zu suchen. Weiteres Personal: eine gewisser Doktor John Lennon und eine wie Joni Mitchell aussehende Krankenschwester.
Als Sprachkünstler, wie man ihn kennt, zeigt sich Heinz Rudolf Kunze in seinem ersten Roman, der - wie nicht anders zu erwarten - die Grenzen der Gattung sprengt. Ein ungewöhnliches Buch, in dem es um Musik, Liebe, Philosophie, Literatur, Kindheit - nein, um unser aller Leben geht.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Oliver Jungen ist nicht sicher, ob alles ernst gemeint ist in diesem "Roman", für Jungen eher eine lose Miniaturensammlung. Wenn der Held in Heinz Rudolf Kunzes Text mit dem Hammer philosophiert, eine "endlose Stricklieselwurst aus Worten" über Grass, das Fernsehen, Popmusik und Thomas Gottschalk herausposaunt, hört der Rezensent nicht selten den Musiker und Autor selber reden. Leider scheint der narrative Rahmen des Buches für all das Gezeter zu wackelig. Als Blog kann sich Jungen das aus einem Klinikbett wabernde misanthropische Gemurmel gegen alles und jeden viel besser vorstellen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2014Also sprach Heinz Rudolf
Rock statt Pop: Der Debütroman des Liedermachers Heinz Rudolf Kunze will zum Heiligen des Geistes durchdringen.
Die Gretchenfrage lautet hier, wie man es mit Gretchen hält. Man weiß von ihr nicht viel, nur dass sie Minze heißt, die große Liebe Grubers war und dann die große Lücke in seiner Welt. Die Lücke scheint sogar größer zu sein als die Welt. Und doch ist Grubers Liebesunglück der letzte Anker des Plots. Die Hauptfigur ist freilich Mephisto, der hier Manteuffel heißt und sich einmal Grubers Henker nennt. Manteuffel und Gruber haben ein Pistolenabenteuer hinter sich, eine das Jenseits einschließende Suche nach dem Entschwundenen vermutlich, die aber vorerst in zwei benachbarten Betten in einem Magdeburger Krankenhaus endete. Und hier nun geht es los, das Murmeln Manteuffels, ein lauter und lauter werdender Sermon.
Was da aus Manteuffel tönt, ist das Satanischste auf Erden: Volkes Stimme. Für das hirnbetäubende Dröhnen des Diskurses, für die endlose Stricklieselwurst aus Worten und Meinungen mag die Menschheit auch durchaus ihre Gründe haben: Selbstvergewisserung ("damit man weiß, daß es die Welt noch gibt") oder Ablenkung vom Abschlachten ("wer spricht, schießt nicht"). Und doch, so Manteuffel in luziden Momenten, ist das Gerede eine einzige Versündigung an der Stille und mithin der Wahrheit.
Logorrhoe abzubilden ist immer ein Wagnis, denn auf den ersten Blick sieht der Leser Phrasen über Phrasen, Kalendersprüche, schale Wortwitze, opahafte Kulturkritik. Man weiß sehr oft nicht - und soll es wohl auch nicht wissen -, wie sehr die Kapitel karikierend gemeint sind: Zeigen uns all die Anklagen gegen die Verblödung einer vom Fernsehen an der Leine geführten Gesellschaft nur unseren inneren Teufel, die reflexhafte Abwehr alles Neuen? Oder gibt es einen ernstgemeinten Kern? Oft möchte man schließlich laut zustimmen: "Dann freilich bekamen Leute das Sagen wie Thomas Gottschalk, der Chris de Burgh für einen ernstzunehmenden Sänger hält. Und Supertramp wahrscheinlich schon für Progressive Rock." Treffend abgeschossen! Auch all die Kanonaden auf den deutschen Schlager ("riecht so wie Führers Unterhose, wenn er Kohl gegessen hat") sind eine Wohltat, wenngleich hier der Schöpfer von "Dein ist mein ganzes Herz" schreibt.
In den vielen Musik-Referenzen steckt wohl in jedem Falle eine große Portion Heinz Rudolf Kunze. Manteuffel etwa lästert über Eric Clapton, pöbelt gegen Rap oder doziert über das perfekte Musikstück, womit "The Revealing Science Of God" von Yes gemeint zu sein scheint. Aber auch all die anderen Kleinkapitel, in denen auffällig oft vom Altern die Rede ist, können kaum darin aufgehen, eine zynische Karikatur allgemeiner Misanthropie zu sein, denn das müsste vom narrativen Rahmen getragen werden, der dafür viel zu wacklig und vage ist. Ob man diese locker zusammengestellte Miniaturensammlung, die auch ein Blog sein könnte, als Roman bezeichnen muss, ist eine so berechtigte wie müßige Frage. Viele der 280 Kapitel sind trotz ihrer Abendlanduntergangsstimmung recht lustig, einige etwas machohaft, manche sogar bedenkenswert.
Die Kaputtheit der Politik, des Kapitalismus, der Popkultur, der Fernsehunterhaltung, der hysterischen Medien, der Religion und der Bildung wird in immer neuen Anläufen beschworen und angeklagt. Mal sind Wohlstands-Grüne Ziel der Gift-und-Galle-Angriffe, dann Deutschtümler, dann Pop-Gören, dann Günter Grass oder Priesterpäderasten. Von der Sehnsucht nach Erlösung durch Liebe, Stille, Geist und Musik ist es nur ein Hüpfer zur deutschen Selbstverleugnung und europäischen Kulturlosigkeit: "Wer von uns verspürt schon das Bedürfnis, in Bagdad oder Teheran die Bibel zu lesen?" Man könnte angesichts der Divergenz der Themen und Stimmen wohl auch von einer Album-Poetik sprechen, nur dass es ein gewaltiges Album wäre mit 280 Stücken. Ein properes HRK-Album springt jedenfalls ähnlich locker von Liebestexten über Marc-Aurel-Reflexionen zu Protestsongs gegen den Waffenhandel.
Der Intention nach aber ist ersichtlich Höheres angestrebt. Um Philosophieren mit dem Hammer geht es, um ein Buch für alle und keinen, wie die zahlreichen Nietzsche-Verweise nahelegen. Im Namen des Herausragenden rennt hier einer gegen die kleingeistige Vermittelmäßigung an: "Die Lösung besteht darin, daß alles gleich sein muß." Manteuffel, diesen Verneinungs-Geist und Virtuosen des Lebensekels (der sich auch einmal als freier Journalist zu erkennen gibt), darf man sich wohl mit markanter Brille vorstellen: Also spricht Heinz Rudolf. Dass er dabei Stimmen (bis hin zu Sarrazin) imitiert, ist abwechslungsreich. So liefert der Autor manch eine passable moderne Keuner-Geschichte ab wie die vom Mann, der in der Fleischabteilung plötzlich vergessen hat, wie seine Frau aussieht: Ist es die? Oder die?
Doch leider steht jeder literarisch gelungenen Szene mindestens ein Dutzend flacher Parodien gegenüber. Besonders zahlreich sind die Witztexte über Talkshows ("Palaver Kadaver"), politische Korrektheit oder allgemeine Verdummung. Hinzu kommt eine Vorliebe für Kalauer aus der Hölle: "Du wirkst wie ein Schwarzer in Irland und wie ein Irrer im Schwarzwald"; "Deutschland schafft sich ab? Sag ich schon lange! Immer noch besser, als daß Deutschland anschaffen geht!" Das Aussortieren ist Heinz Rudolf Kunzes Sache nicht: Alles muss raus, alles muss rein. Selten wurde wortreicher gegen Geschwätzigkeit opponiert. "Aber was bleibt mir übrig", heißt es an einer Stelle, "ich kneif euch unverdrossen weiter, damit ihr merkt, wie das ist, wenn man beim Träumen gekniffen wird." Gesungen klingt das sicher alles besser.
OLIVER JUNGEN
Heinz Rudolf Kunze: "Manteuffels Murmeln". Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2014. 320 S., geb., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rock statt Pop: Der Debütroman des Liedermachers Heinz Rudolf Kunze will zum Heiligen des Geistes durchdringen.
Die Gretchenfrage lautet hier, wie man es mit Gretchen hält. Man weiß von ihr nicht viel, nur dass sie Minze heißt, die große Liebe Grubers war und dann die große Lücke in seiner Welt. Die Lücke scheint sogar größer zu sein als die Welt. Und doch ist Grubers Liebesunglück der letzte Anker des Plots. Die Hauptfigur ist freilich Mephisto, der hier Manteuffel heißt und sich einmal Grubers Henker nennt. Manteuffel und Gruber haben ein Pistolenabenteuer hinter sich, eine das Jenseits einschließende Suche nach dem Entschwundenen vermutlich, die aber vorerst in zwei benachbarten Betten in einem Magdeburger Krankenhaus endete. Und hier nun geht es los, das Murmeln Manteuffels, ein lauter und lauter werdender Sermon.
Was da aus Manteuffel tönt, ist das Satanischste auf Erden: Volkes Stimme. Für das hirnbetäubende Dröhnen des Diskurses, für die endlose Stricklieselwurst aus Worten und Meinungen mag die Menschheit auch durchaus ihre Gründe haben: Selbstvergewisserung ("damit man weiß, daß es die Welt noch gibt") oder Ablenkung vom Abschlachten ("wer spricht, schießt nicht"). Und doch, so Manteuffel in luziden Momenten, ist das Gerede eine einzige Versündigung an der Stille und mithin der Wahrheit.
Logorrhoe abzubilden ist immer ein Wagnis, denn auf den ersten Blick sieht der Leser Phrasen über Phrasen, Kalendersprüche, schale Wortwitze, opahafte Kulturkritik. Man weiß sehr oft nicht - und soll es wohl auch nicht wissen -, wie sehr die Kapitel karikierend gemeint sind: Zeigen uns all die Anklagen gegen die Verblödung einer vom Fernsehen an der Leine geführten Gesellschaft nur unseren inneren Teufel, die reflexhafte Abwehr alles Neuen? Oder gibt es einen ernstgemeinten Kern? Oft möchte man schließlich laut zustimmen: "Dann freilich bekamen Leute das Sagen wie Thomas Gottschalk, der Chris de Burgh für einen ernstzunehmenden Sänger hält. Und Supertramp wahrscheinlich schon für Progressive Rock." Treffend abgeschossen! Auch all die Kanonaden auf den deutschen Schlager ("riecht so wie Führers Unterhose, wenn er Kohl gegessen hat") sind eine Wohltat, wenngleich hier der Schöpfer von "Dein ist mein ganzes Herz" schreibt.
In den vielen Musik-Referenzen steckt wohl in jedem Falle eine große Portion Heinz Rudolf Kunze. Manteuffel etwa lästert über Eric Clapton, pöbelt gegen Rap oder doziert über das perfekte Musikstück, womit "The Revealing Science Of God" von Yes gemeint zu sein scheint. Aber auch all die anderen Kleinkapitel, in denen auffällig oft vom Altern die Rede ist, können kaum darin aufgehen, eine zynische Karikatur allgemeiner Misanthropie zu sein, denn das müsste vom narrativen Rahmen getragen werden, der dafür viel zu wacklig und vage ist. Ob man diese locker zusammengestellte Miniaturensammlung, die auch ein Blog sein könnte, als Roman bezeichnen muss, ist eine so berechtigte wie müßige Frage. Viele der 280 Kapitel sind trotz ihrer Abendlanduntergangsstimmung recht lustig, einige etwas machohaft, manche sogar bedenkenswert.
Die Kaputtheit der Politik, des Kapitalismus, der Popkultur, der Fernsehunterhaltung, der hysterischen Medien, der Religion und der Bildung wird in immer neuen Anläufen beschworen und angeklagt. Mal sind Wohlstands-Grüne Ziel der Gift-und-Galle-Angriffe, dann Deutschtümler, dann Pop-Gören, dann Günter Grass oder Priesterpäderasten. Von der Sehnsucht nach Erlösung durch Liebe, Stille, Geist und Musik ist es nur ein Hüpfer zur deutschen Selbstverleugnung und europäischen Kulturlosigkeit: "Wer von uns verspürt schon das Bedürfnis, in Bagdad oder Teheran die Bibel zu lesen?" Man könnte angesichts der Divergenz der Themen und Stimmen wohl auch von einer Album-Poetik sprechen, nur dass es ein gewaltiges Album wäre mit 280 Stücken. Ein properes HRK-Album springt jedenfalls ähnlich locker von Liebestexten über Marc-Aurel-Reflexionen zu Protestsongs gegen den Waffenhandel.
Der Intention nach aber ist ersichtlich Höheres angestrebt. Um Philosophieren mit dem Hammer geht es, um ein Buch für alle und keinen, wie die zahlreichen Nietzsche-Verweise nahelegen. Im Namen des Herausragenden rennt hier einer gegen die kleingeistige Vermittelmäßigung an: "Die Lösung besteht darin, daß alles gleich sein muß." Manteuffel, diesen Verneinungs-Geist und Virtuosen des Lebensekels (der sich auch einmal als freier Journalist zu erkennen gibt), darf man sich wohl mit markanter Brille vorstellen: Also spricht Heinz Rudolf. Dass er dabei Stimmen (bis hin zu Sarrazin) imitiert, ist abwechslungsreich. So liefert der Autor manch eine passable moderne Keuner-Geschichte ab wie die vom Mann, der in der Fleischabteilung plötzlich vergessen hat, wie seine Frau aussieht: Ist es die? Oder die?
Doch leider steht jeder literarisch gelungenen Szene mindestens ein Dutzend flacher Parodien gegenüber. Besonders zahlreich sind die Witztexte über Talkshows ("Palaver Kadaver"), politische Korrektheit oder allgemeine Verdummung. Hinzu kommt eine Vorliebe für Kalauer aus der Hölle: "Du wirkst wie ein Schwarzer in Irland und wie ein Irrer im Schwarzwald"; "Deutschland schafft sich ab? Sag ich schon lange! Immer noch besser, als daß Deutschland anschaffen geht!" Das Aussortieren ist Heinz Rudolf Kunzes Sache nicht: Alles muss raus, alles muss rein. Selten wurde wortreicher gegen Geschwätzigkeit opponiert. "Aber was bleibt mir übrig", heißt es an einer Stelle, "ich kneif euch unverdrossen weiter, damit ihr merkt, wie das ist, wenn man beim Träumen gekniffen wird." Gesungen klingt das sicher alles besser.
OLIVER JUNGEN
Heinz Rudolf Kunze: "Manteuffels Murmeln". Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2014. 320 S., geb., 16,99 [Euro].
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