Als Samuel Huntington Mitte der 1990er Jahre seine These vom Kampf der Kulturen vorlegte, stieß er auf breite Ablehnung. Mittlerweile hat sich der Konflikt mit dem Islam als Dauerbrenner in den Medien etabliert, und man kommt kaum umhin, von einem echten Kampf der Kulturen zu sprechen. Die Auseinandersetzung erschüttert unser Selbstverständnis nicht weniger als das der Muslime, denn sie legt das Gewordensein und die Relativität der eigenen Position im Spiegel des anderen schonungslos offen. Stefan Weidners Essay unternimmt es, nach den Gründen zu fragen, weshalb ausgerechnet der Islam diese Rolle für uns spielt und warum Muslime ebensooft die Grenzen des für uns Hinnehmbaren überschreiten wie wir die des für sie Akzeptablen. Dabei interessiert nicht die Frage, wer jeweils Recht hat, sondern nach welchen Gesetzen die Auseinandersetzung abläuft, wo auf beiden Seiten die blinden Flecken zu suchen wären, wie wir uns in diesem Konflikt allmählich verändern und in welche Richtung.Stefan Weidners Essay reflektiert das für uns Reizvolle und das Schwierige in der Begegnung mit dem Islam geistesgeschichtlich und politisch, originell und provokant. Manual für den Kampf der Kulturen gibt auch nichtspezialisierten Lesern einen Kompaß an die Hand, mit dessen Hilfe sie sich in den Debatten unserer Gegenwart zurechtfinden und zu einem eigenen Urteil kommen können.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2009Vernunft ist auch dem Orient nicht fremd
Wie bringt man die Auseinandersetzung mit dem Islam voran? Stefan Weidner hat einen klugen Ratgeber für aufgeklärte Kulturkämpfer geschrieben.
Kein anderer weltweit in Umlauf gekommener Topos wird so unterschiedlich benannt wie dieser. Was auf Deutsch martialisch nach Kampfanzug und Schlachtformation klingt, lässt als "clash of civilizations" oder als "choc des civilisations" eher an Gegenverkehr und Zusammenprall auf dem Highway der Universalwerte denken. Entsprechend verschieden sind die Ausweichmanöver gegenüber diesem Wort, von der politisch korrekten Kriechspur bis zur Überholspur und zum Todesstreifen der Radikalisierung. Wenn nun also einer entspannt daherkommt und sagt: Na und? Hat es doch immer schon gegeben, braucht ja nicht gleich blutig zu sein - dann horcht man auf. Und wenn es einer von den feinsinnigsten Kennern der muslimisch-arabischen Welt ist, die Deutschland in der jüngeren Generation zur Zeit hat, tut man dies doppelt aufmerksam.
Indem man den "Kampf der Kulturen" beschwichtigend wegredet, verschwindet er nicht einfach, schreibt Stefan Weidner. Seit dem achtzehnten Jahrhundert spätestens gebe es in Europa ein Konfrontationspotential mit dem Islam, das sich in den letzten Jahren massiv zugespitzt hat. Wenn der Islam für uns eine Provokation darstellt, geht das nach Ansicht des Autors aber nicht auf eine unmittelbare objektive Bedrohung zurück, wie etwa der sowjetische Stationierungsplan von Raketen in Kuba 1961 eine war. Es ist eher das Gefühl einer Herausforderung, die sich manchmal in spektakulären Terrorakten zu entladen scheint. Wie direkt hängt das mit dem Islam zusammen? In der aufgekommenen Debatte streiten wir laut Weidner weniger dialogisch "mit" dem Islam als monologisch "über" ihn. Und bei den Muslimen sei es ebenso - nur dass sie in ihrer Kenntnis gezwungenermaßen schon etwas weiter sind als wir. Sie leben mehrsprachig, reagieren auf dänische Karikaturen, Regensburger Theologievorlesungen und rezipieren westliche Intellektuelle, während wir auf Details in der islamischen Welt kaum achten.
Der Ratgeber für aufgeklärte Kulturkämpfer, der dieses Buch sein will, muss sich zunächst durch einen Wust von Meinungen hindurcharbeiten. Weidner tut dies meist mit Argumentationsgeschick und Besonnenheit. Die eigentliche Gegenposition zum Islam ist für ihn nicht das Christentum oder das westliche Ideal des Säkularuniversalismus, schreibt Weidner - mit ihnen konnten die Muslime gut und gern streiten. Die wahre Herausforderung ist vielmehr das, was seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts philosophisch von Europa ausging und als postmodernes Menschenbild sich durchsetzte: dass Werte immer nur Umwertung sind, dass das Wahre und Falsche so wenig existiert wie das Gute und Böse, dass feste Pole fragwürdig bleiben und die Ironie die sicherste Patin jeder Aussage ist. Insofern sind paradoxerweise gerade die Kritiker des Eurozentrismus - Foucault, Derrida, Lévi-Strauss - für den Islam zum Problem geworden. Problematisch ist die gegenwärtige Kulturkampfsituation aber auch für die Erben jenes Denkens geworden. Von der antiimperialistischen, antikapitalistischen, multikulturellen Zielrichtung sind sie außenpolitisch aufs Feld des Humanitären, innenpolitisch auf das der Migrations- und Asylproblematik umgeschwenkt und nehmen den Fremden weniger für das, was er mitbringt, als für das, was er abzulegen bereit ist. Und irgendwie steckt dieser Fremde immer auch in der Rolle eines Opfers. Wie aber, wenn er nun plötzlich mit fundamentalistischen Parolen fuchtelt? Da scheiden sich die Geister. Soll man prinzipielle Riegel vorschieben oder auf konkrete Inhalte und Zusammenhänge achten? Brauchen wir ein positiv diskriminierendes Asylrecht, wie Wolfgang Schäuble es mit seinem Angebot für irakische Christen vorhat, oder restriktive Rechtsgleichheit für alle? Sind wir für prinzipielle Ablehnung des Schleiers oder für eigenbestimmte Emanzipation von Musliminnen? Die dualistische Konstruktion bricht mitunter zusammen.
Entsprechend wenig hält Weidner vom gängigen Begriffsinstrumentarium wie Menschenrechtsuniversalismus und Kulturrelativismus. Der Erste sei, auf die politische Wirklichkeit bezogen, eine Chimäre, ein Reservelager für starke Behauptungen, das gern von "Aufklärungspopulisten" genutzt wird. Kulturrelativismus wiederum sei eine intellektuelle Sackgasse mit der Endstation: Autismus. Stattdessen unterscheidet der Autor lieber zwischen einer "determinierenden", in der Islamwissenschaft auch "essentialistisch" genannten Haltung, die - da stimmen Islamisten und Islamkritiker überein, nur mit gegensätzlichen Konsequenzen - den Islam ein für alle Mal auf bestimmte Inhalte festlegen will, und einer Haltung, die sich vor solcher Determinierung hütet.
Der amerikanische Islamwissenschaftler Bernard Lewis wäre ein Vertreter der ersten, der Orientalismus-Kritiker Edward Said eher einer der zweiten Richtung. Der Islam ist dieser letzten zufolge nur Oberbegriff für vielgestaltige Tendenzen, die ohne hierarchische Struktur seit anderthalb Jahrtausenden zwischen Atlantik und Pazifik miteinander rivalisieren, bald Sinnenfreude, Weingenuss, Knabenliebe und Häresie zulassend, bald in reflexhafter Konvulsion erstarrend, wie nach der von den Schiiten noch heute gefeierten Schlacht bei Kerbala oder im Wahhabismus des achtzehnten Jahrhunderts auf der arabischen Halbinsel. Gerade weil der Islam in seiner geographischen und historischen Vielfalt nicht fundamentalistisch sei, werde er anfällig für die fundamentalistische Gefahr - lautet die scheinbar paradoxe These Weidners.
War der hierarchielose "Wildwuchs des Muslimseins" in den Anfängen ein Vorteil, weil er die schnelle Ausbreitung des Islams begünstigte, so wird er heute zum Problem. Er macht den Islam von innen verwundbar. Reformdenker unterschiedlicher Tendenzen - oft an westlichen Universitäten tätig - suchen nach Wegen, die in ihrer ganzen Bandbreite interessant sind. Es macht nach Ansicht des Autors wenig Sinn, konservative Reformer wie Tariq Ramadan einfach als Machiavellisten oder verkappte Islamisten abzutun. Ihre schwierige Aufgabe sei es, Lösungen für alle Muslime auszudenken, nicht nur für die im säkularisierten Westen.
Dass Muslime nicht mehr wissen, wer sie sind - wohlan: Doch was geht uns das an?, könnte man fragen. Warum brauchen wir den Islam zu kennen? Nicht nur, weil die Muslime ihre Probleme heute mit zu uns bringen. Der Autor deutet - zwangsläufig verkürzt, denn das wäre Thema eines eigenen Buches - im Rückgriff auf die Orientalismustheorie an, wie im Gegenzug zur aufklärerischen Entzauberung des europäischen Denkens der Orient im achtzehnten Jahrhundert eine neue Faszination und dessen Verzauberung eine neue Qualität erreichte.
Im Jahr 1704 erschien in Paris die erste Ausgabe von "Tausendundeiner Nacht". Dem Abendland die solide Vernunft, dem Orient die Märchen? Diese Arbeitsteilung ist nicht mehr tragbar. Solange in der Dauerdebatte, ob der Islam überhaupt aufklärungsfähig sei, der Aufklärungsbegriff nahtgerecht einfach in die Definition von Kant passen muss, läuft sie leer - außereuropäische Aufklärung wäre dann stets nur ein exotisiertes Europa fern von Europa. Weidner weist auf Denker, die in eine ähnliche Richtung gingen wie die europäische Aufklärungsphilosophie, doch eher an Pascal als an Descartes orientiert, und nennt etwa den indischen Reformer und Mystiker Shah Wali Allah (1703 bis 1762). Die Frontstellung lautet da nicht "Vernunft contra Religion und Despotismus", sondern "Religion, mit Hilfe der Vernunft geläutert, contra Despotismus von Tradition und überlieferter Herrschaft".
Dieses Buch bietet keine durchgearbeitete Studie über Entstehen, Geschichte und Aktualität einer Weltreligion. Es enthält vielmehr eine auf die aktuelle Debattenlage hin zugespitzte Analyse und eine Reflexion über den Islam zwischen arabischen Ursprüngen und globaler Bestimmung. Die Argumentation kommt eher im Parlando der Mitteilung als mit einem streng systematischen Aufbau daher. Über Apropos und Nebenkapitel stößt man auf immer neue interessante Detailaspekte, eingestreut von einem Autor, der mehr im Übersetzen von arabischen Dichtern, im Reisen und in der Begegnung mit Menschen zwischen Marokko und dem Mittleren Orient zu Hause ist als im Wälzen von fachwissenschaftlichen Folianten. Für Wissbegierige ist dieses Buch eine Fundgrube, für Kulturstreitlustige ein reines Vergnügen.
JOSEPH HANIMANN
Stefan Weidner: "Manual für den Kampf der Kulturen". Warum der Islam eine Herausforderung ist. Ein Versuch. Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008. 221 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie bringt man die Auseinandersetzung mit dem Islam voran? Stefan Weidner hat einen klugen Ratgeber für aufgeklärte Kulturkämpfer geschrieben.
Kein anderer weltweit in Umlauf gekommener Topos wird so unterschiedlich benannt wie dieser. Was auf Deutsch martialisch nach Kampfanzug und Schlachtformation klingt, lässt als "clash of civilizations" oder als "choc des civilisations" eher an Gegenverkehr und Zusammenprall auf dem Highway der Universalwerte denken. Entsprechend verschieden sind die Ausweichmanöver gegenüber diesem Wort, von der politisch korrekten Kriechspur bis zur Überholspur und zum Todesstreifen der Radikalisierung. Wenn nun also einer entspannt daherkommt und sagt: Na und? Hat es doch immer schon gegeben, braucht ja nicht gleich blutig zu sein - dann horcht man auf. Und wenn es einer von den feinsinnigsten Kennern der muslimisch-arabischen Welt ist, die Deutschland in der jüngeren Generation zur Zeit hat, tut man dies doppelt aufmerksam.
Indem man den "Kampf der Kulturen" beschwichtigend wegredet, verschwindet er nicht einfach, schreibt Stefan Weidner. Seit dem achtzehnten Jahrhundert spätestens gebe es in Europa ein Konfrontationspotential mit dem Islam, das sich in den letzten Jahren massiv zugespitzt hat. Wenn der Islam für uns eine Provokation darstellt, geht das nach Ansicht des Autors aber nicht auf eine unmittelbare objektive Bedrohung zurück, wie etwa der sowjetische Stationierungsplan von Raketen in Kuba 1961 eine war. Es ist eher das Gefühl einer Herausforderung, die sich manchmal in spektakulären Terrorakten zu entladen scheint. Wie direkt hängt das mit dem Islam zusammen? In der aufgekommenen Debatte streiten wir laut Weidner weniger dialogisch "mit" dem Islam als monologisch "über" ihn. Und bei den Muslimen sei es ebenso - nur dass sie in ihrer Kenntnis gezwungenermaßen schon etwas weiter sind als wir. Sie leben mehrsprachig, reagieren auf dänische Karikaturen, Regensburger Theologievorlesungen und rezipieren westliche Intellektuelle, während wir auf Details in der islamischen Welt kaum achten.
Der Ratgeber für aufgeklärte Kulturkämpfer, der dieses Buch sein will, muss sich zunächst durch einen Wust von Meinungen hindurcharbeiten. Weidner tut dies meist mit Argumentationsgeschick und Besonnenheit. Die eigentliche Gegenposition zum Islam ist für ihn nicht das Christentum oder das westliche Ideal des Säkularuniversalismus, schreibt Weidner - mit ihnen konnten die Muslime gut und gern streiten. Die wahre Herausforderung ist vielmehr das, was seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts philosophisch von Europa ausging und als postmodernes Menschenbild sich durchsetzte: dass Werte immer nur Umwertung sind, dass das Wahre und Falsche so wenig existiert wie das Gute und Böse, dass feste Pole fragwürdig bleiben und die Ironie die sicherste Patin jeder Aussage ist. Insofern sind paradoxerweise gerade die Kritiker des Eurozentrismus - Foucault, Derrida, Lévi-Strauss - für den Islam zum Problem geworden. Problematisch ist die gegenwärtige Kulturkampfsituation aber auch für die Erben jenes Denkens geworden. Von der antiimperialistischen, antikapitalistischen, multikulturellen Zielrichtung sind sie außenpolitisch aufs Feld des Humanitären, innenpolitisch auf das der Migrations- und Asylproblematik umgeschwenkt und nehmen den Fremden weniger für das, was er mitbringt, als für das, was er abzulegen bereit ist. Und irgendwie steckt dieser Fremde immer auch in der Rolle eines Opfers. Wie aber, wenn er nun plötzlich mit fundamentalistischen Parolen fuchtelt? Da scheiden sich die Geister. Soll man prinzipielle Riegel vorschieben oder auf konkrete Inhalte und Zusammenhänge achten? Brauchen wir ein positiv diskriminierendes Asylrecht, wie Wolfgang Schäuble es mit seinem Angebot für irakische Christen vorhat, oder restriktive Rechtsgleichheit für alle? Sind wir für prinzipielle Ablehnung des Schleiers oder für eigenbestimmte Emanzipation von Musliminnen? Die dualistische Konstruktion bricht mitunter zusammen.
Entsprechend wenig hält Weidner vom gängigen Begriffsinstrumentarium wie Menschenrechtsuniversalismus und Kulturrelativismus. Der Erste sei, auf die politische Wirklichkeit bezogen, eine Chimäre, ein Reservelager für starke Behauptungen, das gern von "Aufklärungspopulisten" genutzt wird. Kulturrelativismus wiederum sei eine intellektuelle Sackgasse mit der Endstation: Autismus. Stattdessen unterscheidet der Autor lieber zwischen einer "determinierenden", in der Islamwissenschaft auch "essentialistisch" genannten Haltung, die - da stimmen Islamisten und Islamkritiker überein, nur mit gegensätzlichen Konsequenzen - den Islam ein für alle Mal auf bestimmte Inhalte festlegen will, und einer Haltung, die sich vor solcher Determinierung hütet.
Der amerikanische Islamwissenschaftler Bernard Lewis wäre ein Vertreter der ersten, der Orientalismus-Kritiker Edward Said eher einer der zweiten Richtung. Der Islam ist dieser letzten zufolge nur Oberbegriff für vielgestaltige Tendenzen, die ohne hierarchische Struktur seit anderthalb Jahrtausenden zwischen Atlantik und Pazifik miteinander rivalisieren, bald Sinnenfreude, Weingenuss, Knabenliebe und Häresie zulassend, bald in reflexhafter Konvulsion erstarrend, wie nach der von den Schiiten noch heute gefeierten Schlacht bei Kerbala oder im Wahhabismus des achtzehnten Jahrhunderts auf der arabischen Halbinsel. Gerade weil der Islam in seiner geographischen und historischen Vielfalt nicht fundamentalistisch sei, werde er anfällig für die fundamentalistische Gefahr - lautet die scheinbar paradoxe These Weidners.
War der hierarchielose "Wildwuchs des Muslimseins" in den Anfängen ein Vorteil, weil er die schnelle Ausbreitung des Islams begünstigte, so wird er heute zum Problem. Er macht den Islam von innen verwundbar. Reformdenker unterschiedlicher Tendenzen - oft an westlichen Universitäten tätig - suchen nach Wegen, die in ihrer ganzen Bandbreite interessant sind. Es macht nach Ansicht des Autors wenig Sinn, konservative Reformer wie Tariq Ramadan einfach als Machiavellisten oder verkappte Islamisten abzutun. Ihre schwierige Aufgabe sei es, Lösungen für alle Muslime auszudenken, nicht nur für die im säkularisierten Westen.
Dass Muslime nicht mehr wissen, wer sie sind - wohlan: Doch was geht uns das an?, könnte man fragen. Warum brauchen wir den Islam zu kennen? Nicht nur, weil die Muslime ihre Probleme heute mit zu uns bringen. Der Autor deutet - zwangsläufig verkürzt, denn das wäre Thema eines eigenen Buches - im Rückgriff auf die Orientalismustheorie an, wie im Gegenzug zur aufklärerischen Entzauberung des europäischen Denkens der Orient im achtzehnten Jahrhundert eine neue Faszination und dessen Verzauberung eine neue Qualität erreichte.
Im Jahr 1704 erschien in Paris die erste Ausgabe von "Tausendundeiner Nacht". Dem Abendland die solide Vernunft, dem Orient die Märchen? Diese Arbeitsteilung ist nicht mehr tragbar. Solange in der Dauerdebatte, ob der Islam überhaupt aufklärungsfähig sei, der Aufklärungsbegriff nahtgerecht einfach in die Definition von Kant passen muss, läuft sie leer - außereuropäische Aufklärung wäre dann stets nur ein exotisiertes Europa fern von Europa. Weidner weist auf Denker, die in eine ähnliche Richtung gingen wie die europäische Aufklärungsphilosophie, doch eher an Pascal als an Descartes orientiert, und nennt etwa den indischen Reformer und Mystiker Shah Wali Allah (1703 bis 1762). Die Frontstellung lautet da nicht "Vernunft contra Religion und Despotismus", sondern "Religion, mit Hilfe der Vernunft geläutert, contra Despotismus von Tradition und überlieferter Herrschaft".
Dieses Buch bietet keine durchgearbeitete Studie über Entstehen, Geschichte und Aktualität einer Weltreligion. Es enthält vielmehr eine auf die aktuelle Debattenlage hin zugespitzte Analyse und eine Reflexion über den Islam zwischen arabischen Ursprüngen und globaler Bestimmung. Die Argumentation kommt eher im Parlando der Mitteilung als mit einem streng systematischen Aufbau daher. Über Apropos und Nebenkapitel stößt man auf immer neue interessante Detailaspekte, eingestreut von einem Autor, der mehr im Übersetzen von arabischen Dichtern, im Reisen und in der Begegnung mit Menschen zwischen Marokko und dem Mittleren Orient zu Hause ist als im Wälzen von fachwissenschaftlichen Folianten. Für Wissbegierige ist dieses Buch eine Fundgrube, für Kulturstreitlustige ein reines Vergnügen.
JOSEPH HANIMANN
Stefan Weidner: "Manual für den Kampf der Kulturen". Warum der Islam eine Herausforderung ist. Ein Versuch. Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008. 221 S., geb., 19,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Als "polemischen und leidenschaftlichen Langessay" lobt Rezensent Jörg Plath Stefan Weidners Auseinandersetzung zur Frage, wie der Westen und der Islam "übereinander denken, fühlen und sprechen" würden. Dabei bemühe sich Weidner um die Entzerrung der wechselseitigen Bilder voneinander, insbesondere das westliche Zerrbild des Islams. Die Stärke der Argumentation sieht Plath in einer differenzierten Betrachtung und der säuberlichen Trennung von Politik und Religion. Weidner, der den Rezensenten mit seiner "stupenden Kenntnis" des Islams beeindruckt, arbeite sich durch die Debatten der letzten 40 Jahre und balanciere virtuos, nach allen Seiten Hiebe austeilend, zwischen Diskurs-, Ideologiekritik und Ethik. Dabei führe das Buch bereits überzeugend vor, was es selber fordere: in den vom Westen so verschiedenen Positionen des Islam statt einer Bedrohung eine Herausforderung zu sehen. Nur manchmal fragt sich Plath, ob Weidner hier nicht selbst ein Islambild produziert, freilich ein freundliches.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Mit Scharfsinn gelingt es dem Autor, die komplexen Antagonismen zwischen Orient und Okzident kurz und prägnant zu thematisieren und Zirkelschlüsse in den gängigen Argumentationen zu entlarven. Gleichzeitig grenzt er sich ab von Vertretern naiver Multikulti-Phantasien, von Altlinken und Ex-Kommunisten mit ihrer marxistischen Religionskritik wie auch von den selbsternannten Verteidigern des Abendlandes am rechten Rand.« Lukas Wick Neue Zürcher Zeitung