Produktdetails
- Heyne Sachbuch
- Verlag: Heyne
- Seitenzahl: 432
- Gewicht: 404g
- ISBN-13: 9783453181038
- ISBN-10: 3453181034
- Artikelnr.: 24252718
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.05.2001Reiseführer zum Homo sapiens
Der Kreuzfahrer Desmond Morris stillt seinen Menschendurst
Es liegt noch nicht allzu lange zurück, da beklagte die Ethnologie den drohenden Verlust ihres Gegenstandes. Bußfertig bekannte sie sogleich auch ihren eigenen wenig ruhmreichen Beitrag zur Zerstörung ebenjener Kulturen, zu deren Erforschung sie einst mutige Pioniere auf nicht eben komfortable Reisen in ferne Kontinente entsandt hatte. Doch die Ethnologen lernten ihre Lektion rasch und fanden alsbald ein neues Forschungsfeld: Mit Marc Augé stiegen sie in die Pariser Métro oder wagten sich mit Nigel Barley als teilnehmender Beobachter auf eine englische Landhochzeit. Besonders die Bücher des auch hierzulande sehr erfolgreichen britischen Ethnographen Nigel Barley haben dabei gezeigt, wie lehrreich und zugleich höchst vergnüglich der an der Beobachtung des Fremden geschulte Blick auf die eigene Kultur sein kann.
Daß die den Ethnologen aufgetragene Tätigkeit des "Manwatching" von der wechselseitigen Bespiegelung des Eigenen und des Fremden lebt, weiß auch der ansonsten gegenüber diesen und anderen Dilemmata des ethnographischen Gewerbes bemerkenswert unbefangene britische Dokumentarfilmer und Bestsellerautor Desmond Morris. Nach zahlreichen zoologischen Studien, die ihn seit Jahrzehnten um die Welt führen, verspürt er in seinem jüngsten Werk einen "unstillbaren Durst" danach, "jeden Aspekt menschlichen Verhaltens mit eigenen Augen zu sehen". Eine "Enzyklopädie der menschlichen Körpersprache" schwebt ihm vor, und so macht er während einer Pazifik-Rundfahrt an Bord der luxuriösen Queen Elizabeth 2 "Notizen über das ,Millionärsverhalten'", erstellt in Japan Ethnogramme von Sumo-Ringern und studiert in Las Vegas die Mimik von Pokerspielern.
Unerschrocken verliert der gewitzte Dokumentarfilmer selbst in Momenten höchster Gefahr seine wissenschaftliche Mission nicht aus den Augen. So nutzt er eine Schlägerei in einem maltesischen Bordell zum Studium des menschlichen "Kampfverhaltens" und begibt sich forsch in die von rivalisierenden Gangs beherrschten Vororte von Los Angeles, um seine Daten über das kämpfende "Tier Mensch" zu komplettieren. Reich entschädigt wird er für solch düstere Erfahrungen auf den polynesischen Inseln, auf denen sich seit den malerischen Zeiten Paul Gauguins offenbar nichts verändert hat: Friedliebende, großmütige und sexuell freizügige Menschen verbringen in einer Umgebung, die "so perfekt ist, daß es fast weh tut", lächelnd ihre Tage. Diese zufriedenen Wilden wissen noch nichts vom "häßlichen Profitdenken des Westens", dessen Zerstörungswerk der Autor in Japan beobachten muß und dessen Konsequenzen ihm auch in Mexiko so schmerzlich vor Augen stehen, daß ihn ein "schlechtes Gewissen wegen der Kluft zwischen Arm und Reich" überkommt. Wie trostreich ist doch da diese "Atmosphäre trotziger Heiterkeit", die er mit seinem Filmteam in den Slums von Bombay spürt! Schuld an allem ist natürlich die Überbevölkerung, doch weiß der Autor, wer Abhilfe schaffen könnte: Es ist, wie er in seinem etwas eigentümlichen Humor schreibt, "Miß Condom".
Der Blick, den Desmond Morris in "Manwatching" auf mehr als vierhundert Seiten auf den Menschen wirft, überschreitet nur selten die Grenzen des eigenen Erfahrungshorizonts. Überwiegend ist es ganz einfach ein touristischer Blick, und entsprechend liest sich sein Buch streckenweise wie ein Reiseführer. Die für dieses Genre eher untypischen kulturkritischen Auslassungen wirken dabei ebenso selbstgefällig wie seine angestrengt humorige Herablassung gegenüber religiös motivierten Verhaltensweisen.
Der Titel der englischen Originalausgabe lautet "The Naked Eye". Sollte sich dies aus der Hoffnung des Autors erklären, der seinem ersten Bestseller "The Naked Ape" von 1967 verwandte Titel möge ihm ähnlich üppige Tantiemen bescheren, so hätten wir es mit einem klassischen magischen Analogieschluß zu tun. Dessen Wirksamkeit freilich ist umstritten.
ASTRID REUTER
Desmond Morris: "Manwatching". Reisen zur Erforschung der Spezies Mensch. Aus dem Englischen von Bea Reiter. Heyne Verlag, München 2001. 432 S., br., Abb., 19,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Kreuzfahrer Desmond Morris stillt seinen Menschendurst
Es liegt noch nicht allzu lange zurück, da beklagte die Ethnologie den drohenden Verlust ihres Gegenstandes. Bußfertig bekannte sie sogleich auch ihren eigenen wenig ruhmreichen Beitrag zur Zerstörung ebenjener Kulturen, zu deren Erforschung sie einst mutige Pioniere auf nicht eben komfortable Reisen in ferne Kontinente entsandt hatte. Doch die Ethnologen lernten ihre Lektion rasch und fanden alsbald ein neues Forschungsfeld: Mit Marc Augé stiegen sie in die Pariser Métro oder wagten sich mit Nigel Barley als teilnehmender Beobachter auf eine englische Landhochzeit. Besonders die Bücher des auch hierzulande sehr erfolgreichen britischen Ethnographen Nigel Barley haben dabei gezeigt, wie lehrreich und zugleich höchst vergnüglich der an der Beobachtung des Fremden geschulte Blick auf die eigene Kultur sein kann.
Daß die den Ethnologen aufgetragene Tätigkeit des "Manwatching" von der wechselseitigen Bespiegelung des Eigenen und des Fremden lebt, weiß auch der ansonsten gegenüber diesen und anderen Dilemmata des ethnographischen Gewerbes bemerkenswert unbefangene britische Dokumentarfilmer und Bestsellerautor Desmond Morris. Nach zahlreichen zoologischen Studien, die ihn seit Jahrzehnten um die Welt führen, verspürt er in seinem jüngsten Werk einen "unstillbaren Durst" danach, "jeden Aspekt menschlichen Verhaltens mit eigenen Augen zu sehen". Eine "Enzyklopädie der menschlichen Körpersprache" schwebt ihm vor, und so macht er während einer Pazifik-Rundfahrt an Bord der luxuriösen Queen Elizabeth 2 "Notizen über das ,Millionärsverhalten'", erstellt in Japan Ethnogramme von Sumo-Ringern und studiert in Las Vegas die Mimik von Pokerspielern.
Unerschrocken verliert der gewitzte Dokumentarfilmer selbst in Momenten höchster Gefahr seine wissenschaftliche Mission nicht aus den Augen. So nutzt er eine Schlägerei in einem maltesischen Bordell zum Studium des menschlichen "Kampfverhaltens" und begibt sich forsch in die von rivalisierenden Gangs beherrschten Vororte von Los Angeles, um seine Daten über das kämpfende "Tier Mensch" zu komplettieren. Reich entschädigt wird er für solch düstere Erfahrungen auf den polynesischen Inseln, auf denen sich seit den malerischen Zeiten Paul Gauguins offenbar nichts verändert hat: Friedliebende, großmütige und sexuell freizügige Menschen verbringen in einer Umgebung, die "so perfekt ist, daß es fast weh tut", lächelnd ihre Tage. Diese zufriedenen Wilden wissen noch nichts vom "häßlichen Profitdenken des Westens", dessen Zerstörungswerk der Autor in Japan beobachten muß und dessen Konsequenzen ihm auch in Mexiko so schmerzlich vor Augen stehen, daß ihn ein "schlechtes Gewissen wegen der Kluft zwischen Arm und Reich" überkommt. Wie trostreich ist doch da diese "Atmosphäre trotziger Heiterkeit", die er mit seinem Filmteam in den Slums von Bombay spürt! Schuld an allem ist natürlich die Überbevölkerung, doch weiß der Autor, wer Abhilfe schaffen könnte: Es ist, wie er in seinem etwas eigentümlichen Humor schreibt, "Miß Condom".
Der Blick, den Desmond Morris in "Manwatching" auf mehr als vierhundert Seiten auf den Menschen wirft, überschreitet nur selten die Grenzen des eigenen Erfahrungshorizonts. Überwiegend ist es ganz einfach ein touristischer Blick, und entsprechend liest sich sein Buch streckenweise wie ein Reiseführer. Die für dieses Genre eher untypischen kulturkritischen Auslassungen wirken dabei ebenso selbstgefällig wie seine angestrengt humorige Herablassung gegenüber religiös motivierten Verhaltensweisen.
Der Titel der englischen Originalausgabe lautet "The Naked Eye". Sollte sich dies aus der Hoffnung des Autors erklären, der seinem ersten Bestseller "The Naked Ape" von 1967 verwandte Titel möge ihm ähnlich üppige Tantiemen bescheren, so hätten wir es mit einem klassischen magischen Analogieschluß zu tun. Dessen Wirksamkeit freilich ist umstritten.
ASTRID REUTER
Desmond Morris: "Manwatching". Reisen zur Erforschung der Spezies Mensch. Aus dem Englischen von Bea Reiter. Heyne Verlag, München 2001. 432 S., br., Abb., 19,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Astrid Reuter findet das Anliegen des britischen Dokumentarfilmers und Bestsellerautors Desmond Morris schon interessant. Morris schwebe eine Enzyklopädie der menschlichen Körpersprache vor, berichtet die Rezensentin. Unverdrossen und ungeachtet ethnografischer Arbeitsweisen hat er sich auf eine Reise durch die Welt begeben und allerlei Beobachtungen angestellt. Etwa über das Verhalten von Millionären auf dem Luxusdampfer Queen Elisabeth II., von Jugendgangs in Los Angeles, von Sumo-Ringern in Japan, von Menschen auf den polynesischen Inseln oder in den Slums von Bombay. Die Sache hat nur einen Haken, kritisiert Reuter. Morris ist weder Ethnologe noch Soziologe. Was also bleibt, ist der touristische Blick eines Reisenden, der nur selten den eigenen Erfahrungshorizont überschritten habe. Und so hält die Rezensentin das Buch eher für eine selbstgefällige und "angestrengt humorige" Reiselektüre, mit der der Autor, mutmaßt Reuter, an den Erfolg seines 1967 erschienenen Bestsellers "The Naked Ape" anzuknüpfen trachte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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