Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2014Was für ein "Ach" im sechsten Band
Seit fünfzehn Jahren arbeitet Stéphane Heuet an der Comicadaption von Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit". Mit dem jetzt erschienenen Album überrascht er selbst die sorgfältigsten Beobachter dieses Mammutvorhabens.
Er hat es wirklich geschafft. Nicht nur, dass Stéphane Heuet zum hundertsten Jahrestag des Erscheinens von Prousts Auftaktbuch zur "Suche nach der verlorenen Zeit" (F.A.Z. vom 13. November 2013) einen weiteren Band seiner Comicadaption des vieltausendseitigen Romanwerks publiziert, er hat damit auch alle diejenigen überrascht, die seit fünfzehn Jahren mit größter Spannung diesem Mammutvorhaben folgen. Denn mit dem, was Heuet tut, wird nicht nur eine Geschichte in Bilder gesetzt, sondern auch Geschichte geschrieben. Comicgeschichte. Doch der Inhalt des sechsten Bandes (jetzt bei Delcourt erschienen, im April dann bei Knesebeck auf Deutsch) ist nicht, was die Beobachter erwartet haben.
Erwartet hatten sie den Beginn eines neuen Teilbands. 1998 hatte Heuet als Erstes "Combray" herausgebracht. Das entsprach dem gleichnamigen ersten Teil von "Unterwegs zu Swann", dem ersten Buch von Prousts Zyklus. Zwei Jahre später folgte aber nicht etwa dessen zweiter Teil, sondern Heuet begann mit der Adaption von "Im Schatten junger Mädchenblüte", dem zweiten Band der "Recherche". Dafür brauchte er zwei Comicalben, bevor er sich 2006 dann doch wieder dem Auftaktbuch zuwandte und dessen zweiten Teil, die berühmte "Liebe Swanns", in Bilder setzte. Auch dafür benötigte er noch einen weiteren Band, und als dieses nun bereits fünfte Album 2008 erschien, war mittlerweile auch dem letzten Sympathisanten des Heuetschen Projekts klargeworden, dass der 1957 geborene Bretone es zu eigenen Lebzeiten nicht schaffen würde, die ganze "Recherche du temps perdu" als Comic zu zeichnen. Was also würde er tun?
Heuet ließ sich seitdem Zeit, viel Zeit, und das nährte die Vermutung, dass er sich nun auf den Schlussband stürzen würde, auf "Die wiedergefundene Zeit". Der in Wien lehrende Literaturwissenschaftler und sowohl Proust- als auch Heuet-Exeget Achim Hölter sah darin geradezu den Königsweg zum Abschluss des Comiczyklus, denn auch Proust selbst hatte 1913 bei der Publikation seines ersten Teils nur zwei weitere angekündigt: "Im Schatten junger Mädchenblüte" und eben "Die wiedergefundene Zeit". Erst in den Folgejahren erweiterte er den Stoff dann derart, dass bei seinem Tod am 18. November 1922 bereits vier Teile erschienen und weitere drei im ausgereiften Manuskriptstadium waren. So kam es schließlich zur sieben-bändigen "Recherche". Und wer weiß, was passiert wäre, wenn Proust länger gelebt hätte?
Doch Heuet hat nicht das arbeitsökonomisch Naheliegende oder philologisch Nachvollziehbare getan, sondern das Konsequente: Er füllt mit seinem neuen Band eine Lücke, die er noch gelassen hatte. Denn "Unterwegs zu Swann" besteht aus drei Abschnitten, und der letzte mit dem eigentümlichen Titel "Namen und Orte: Namen" ist der am meisten vernachlässigte der ganzen "Recherche". Über diese gerade mal vierzig Seiten in der maßgeblichen französischen Pléiade-Ausgabe (in der deutschen Werkausgabe, die Luzius Keller bei Suhrkamp herausgegeben hat, sind es deren sechzig) liest man nach dem furiosen Sittenstück der "Liebe Swanns" gern hinweg. Doch gerade der kleine ominöse Abschnitt versieht in der "Recherche" eine wichtige Scharnierfunktion.
Hier kommt erstmals jene Melancholie zum Ausdruck, die später die "Wiedergefundene Zeit" und damit das Finale des Ganzen bestimmen soll. Dessen Höhepunkt ist ein Ball, in dem sich das Personal der Bücher noch einmal versammelt, nunmehr alt und hässlich, und aus diesem Erlebnis gewinnt der Ich-Erzähler die Motivation, seine Geschichte überhaupt zu beginnen, denn sonst würde alles untergegangen sein, was ihn zu dem gemacht hat, was er ist und was er bewundert. Die "Recherche" führt also mit dem Ende zurück an ihren Anfang. Doch die erste große Reflexion über die Gnadenlosigkeit der Zeit findet sich in "Name und Orte: Namen" mit einem fünffach gestreuten "Ach" (hélas): "Die Erinnerung an ein bestimmtes Bild ist nur ein wehmutsvolles Gedenken an einen bestimmten Augenblick; und die Häuser, Straßen, Avenuen sind flüchtig, ach! wie die Jahre." Nur dass hier der Verfall noch unaufhaltbar scheint, dem schließlich die Literatur ein Ende setzen wird. Was beschrieben wird, bleibt.
Der Schluss von "Namen und Orte: Namen" - und damit auch der des ersten Bandes der "Recherche" - zeigt den Ich-Erzähler in jener unmittelbaren Gegenwart, in der das Buch erschienen ist: im November 1913. Statt Kutschen fahren nun Automobile durch den Bois de Boulogne, die Damenhutmode ist schrill geworden (eine Klage, die in der ersten deutschen Übersetzung von Eva Rechel-Mertens ausgelassen, mittlerweile aber durch Keller wieder ergänzt wurde), die Herren tragen keine Zylinder mehr. Mitten durch solchen Niedergang des Schönen begibt sich der Erzähler noch einmal in seinen viel geliebten Pariser Stadtwald, und diese Ausfahrt schließt unmittelbar an die Schilderung eines Besuchs an, den er dort als verliebter Knabe machte - auf der Suche nach der Mutter der von ihm angebeteten Gilberte, der berühmt-berüchtigten Odette de Crécy, die als Madame Swann ihre Kokottenvergangenheit abzustreifen versucht hat, aber nicht aus ihrer Haut kann.
Der letzte Abschnitt von "Unterwegs zu Swann" ist ein Fest des inneren Blicks. Die doppelt im Titel stehenden Namen lösen Bilder und "wehmutsvolles Gedenken" aus - so wie es am Beginn des Buchs die notorische Madeleine zum Tee gemacht hat, durch deren alt vertrauten Geschmack der Erzähler zurück in seine Kindheit geführt wurde. Nach vielen hundert Seiten kommt er nun dort wieder an, wo er begonnen hatte, doch über die Suche nach der verlorenen Zeit ist er unglücklich mit der Gegenwart geworden. Und man kann es nachvollziehen, wenn er die schwärmerische Liebe des Halbwüchsigen zum Klang von Ortsnamen wie Florenz, Venedig, Bayeux, Parma oder Balbec, dem berühmten Badeort der "Recherche", beschreibt. Sie alle kannte der junge Erzähler aber gar nicht, und als er sie kennenlernte, war die Entzauberung groß. Zu lesen ist das aber erst in Prousts zweitem Band, wo es einen Abschnitt "Namen und Orte: Orte" gibt, wo nunmehr auch das ehedem erträumte Reiseziel Balbec sich als Enttäuschung erweist.
Diese Erfahrung hatte Stéphane Heuet schon in Bilder gefasst, im 2002 erschienenen dritten Album. Dass er nunmehr die notwendige Vorgeschichte dazu nachliefert, leuchtet ein, zumal er damit die ersten beiden Bände der "Recherche" komplett gemacht hat. Dass er auf die diesmal nur vierzig Textseiten genauso viele Comicseiten verwendet, das ist ungewöhnlich. Mit den zuvor publizierten 240 Seiten der fünf Vorgängerbände wurden weit mehr als tausend Seiten Text abgedeckt.
Heuet nutzt diese Großzügigkeit zur Zelebrierung just jenes Sinnes, der beim Comic generell und speziell in diesem Abschnitt auch bei Proust im Mittelpunkt steht: des Sehens. Träumereien sind hier nicht mehr, wie in den früheren Alben Heuets, synästhetisch gezeichnet - mit graphischen Entsprechungen für Düfte oder Klänge -, sondern es ist ganz die optische Phantasie am Zuge, obwohl all die schönen Vorstellungen ja aus dem Wortklang der Ortsnamen erwachsen. Eine Ansammlung von Schneekugeln, in denen sich auf engstem Raum zusammengedrängt die touristischen Sensationen von Venedig, Pisa, London, Athen finden (letztere drei kommen im Text gar nicht vor), wo Proust schreibt: "doch ist die Fassungskraft von Namen nur gering; ich konnte kaum zwei oder drei wichtigste ,Sehenswürdigkeiten' der Stadt in sie hineinbringen, und ganz übergangslos fanden sie sich dann nebeneinander darin" - diese Idee zeigt, dass Heuet viel mehr leistet als bloße Illustration. Er übersetzt in Bilder, hier etwa die "Namen" in eine visuelle Metapher.
Der Höhepunkt dieser Übersetzung ist die Sequenz zum Bois de Boulogne, die allein vierzehn Seiten füllt. Wie Heuet hier den Kontrast von Frühling (beim Besuch des Jugendlichen) und Herbst (bei der Rückkehr des Erwachsenen) inszeniert, ist ein Farbspektakel, das aber nichts Impressionistisches hat. In großen Bildkompositionen wie dem Vogelblick auf eine Wiese sind zahlreiche Objekte zu erkennen, die im erzählten Text vorkommen, Heuet aber nur ins Bild setzt. Hier wiederholen sich als winzige Details die Spiegelungen, die für Prousts ganzes Werk so wichtig sind und die Heuet zu einem Leitmotiv seiner Adaption gemacht hat - neben der Wiederkehr der Augen des Erzählers und den beigefarbenen Textkästen, deren Farbe an die Umschlaggestaltung der Bücher von Proust bei Gallimard denken lässt.
Und ganz zum Schluss liefert Heuet seinen besten Einfall: Er lässt die Bilder der letzten Seite verfärben und verwittern wie Herbstlaub im Bois de Boulogne, ach! wie die Jahre.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Seit fünfzehn Jahren arbeitet Stéphane Heuet an der Comicadaption von Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit". Mit dem jetzt erschienenen Album überrascht er selbst die sorgfältigsten Beobachter dieses Mammutvorhabens.
Er hat es wirklich geschafft. Nicht nur, dass Stéphane Heuet zum hundertsten Jahrestag des Erscheinens von Prousts Auftaktbuch zur "Suche nach der verlorenen Zeit" (F.A.Z. vom 13. November 2013) einen weiteren Band seiner Comicadaption des vieltausendseitigen Romanwerks publiziert, er hat damit auch alle diejenigen überrascht, die seit fünfzehn Jahren mit größter Spannung diesem Mammutvorhaben folgen. Denn mit dem, was Heuet tut, wird nicht nur eine Geschichte in Bilder gesetzt, sondern auch Geschichte geschrieben. Comicgeschichte. Doch der Inhalt des sechsten Bandes (jetzt bei Delcourt erschienen, im April dann bei Knesebeck auf Deutsch) ist nicht, was die Beobachter erwartet haben.
Erwartet hatten sie den Beginn eines neuen Teilbands. 1998 hatte Heuet als Erstes "Combray" herausgebracht. Das entsprach dem gleichnamigen ersten Teil von "Unterwegs zu Swann", dem ersten Buch von Prousts Zyklus. Zwei Jahre später folgte aber nicht etwa dessen zweiter Teil, sondern Heuet begann mit der Adaption von "Im Schatten junger Mädchenblüte", dem zweiten Band der "Recherche". Dafür brauchte er zwei Comicalben, bevor er sich 2006 dann doch wieder dem Auftaktbuch zuwandte und dessen zweiten Teil, die berühmte "Liebe Swanns", in Bilder setzte. Auch dafür benötigte er noch einen weiteren Band, und als dieses nun bereits fünfte Album 2008 erschien, war mittlerweile auch dem letzten Sympathisanten des Heuetschen Projekts klargeworden, dass der 1957 geborene Bretone es zu eigenen Lebzeiten nicht schaffen würde, die ganze "Recherche du temps perdu" als Comic zu zeichnen. Was also würde er tun?
Heuet ließ sich seitdem Zeit, viel Zeit, und das nährte die Vermutung, dass er sich nun auf den Schlussband stürzen würde, auf "Die wiedergefundene Zeit". Der in Wien lehrende Literaturwissenschaftler und sowohl Proust- als auch Heuet-Exeget Achim Hölter sah darin geradezu den Königsweg zum Abschluss des Comiczyklus, denn auch Proust selbst hatte 1913 bei der Publikation seines ersten Teils nur zwei weitere angekündigt: "Im Schatten junger Mädchenblüte" und eben "Die wiedergefundene Zeit". Erst in den Folgejahren erweiterte er den Stoff dann derart, dass bei seinem Tod am 18. November 1922 bereits vier Teile erschienen und weitere drei im ausgereiften Manuskriptstadium waren. So kam es schließlich zur sieben-bändigen "Recherche". Und wer weiß, was passiert wäre, wenn Proust länger gelebt hätte?
Doch Heuet hat nicht das arbeitsökonomisch Naheliegende oder philologisch Nachvollziehbare getan, sondern das Konsequente: Er füllt mit seinem neuen Band eine Lücke, die er noch gelassen hatte. Denn "Unterwegs zu Swann" besteht aus drei Abschnitten, und der letzte mit dem eigentümlichen Titel "Namen und Orte: Namen" ist der am meisten vernachlässigte der ganzen "Recherche". Über diese gerade mal vierzig Seiten in der maßgeblichen französischen Pléiade-Ausgabe (in der deutschen Werkausgabe, die Luzius Keller bei Suhrkamp herausgegeben hat, sind es deren sechzig) liest man nach dem furiosen Sittenstück der "Liebe Swanns" gern hinweg. Doch gerade der kleine ominöse Abschnitt versieht in der "Recherche" eine wichtige Scharnierfunktion.
Hier kommt erstmals jene Melancholie zum Ausdruck, die später die "Wiedergefundene Zeit" und damit das Finale des Ganzen bestimmen soll. Dessen Höhepunkt ist ein Ball, in dem sich das Personal der Bücher noch einmal versammelt, nunmehr alt und hässlich, und aus diesem Erlebnis gewinnt der Ich-Erzähler die Motivation, seine Geschichte überhaupt zu beginnen, denn sonst würde alles untergegangen sein, was ihn zu dem gemacht hat, was er ist und was er bewundert. Die "Recherche" führt also mit dem Ende zurück an ihren Anfang. Doch die erste große Reflexion über die Gnadenlosigkeit der Zeit findet sich in "Name und Orte: Namen" mit einem fünffach gestreuten "Ach" (hélas): "Die Erinnerung an ein bestimmtes Bild ist nur ein wehmutsvolles Gedenken an einen bestimmten Augenblick; und die Häuser, Straßen, Avenuen sind flüchtig, ach! wie die Jahre." Nur dass hier der Verfall noch unaufhaltbar scheint, dem schließlich die Literatur ein Ende setzen wird. Was beschrieben wird, bleibt.
Der Schluss von "Namen und Orte: Namen" - und damit auch der des ersten Bandes der "Recherche" - zeigt den Ich-Erzähler in jener unmittelbaren Gegenwart, in der das Buch erschienen ist: im November 1913. Statt Kutschen fahren nun Automobile durch den Bois de Boulogne, die Damenhutmode ist schrill geworden (eine Klage, die in der ersten deutschen Übersetzung von Eva Rechel-Mertens ausgelassen, mittlerweile aber durch Keller wieder ergänzt wurde), die Herren tragen keine Zylinder mehr. Mitten durch solchen Niedergang des Schönen begibt sich der Erzähler noch einmal in seinen viel geliebten Pariser Stadtwald, und diese Ausfahrt schließt unmittelbar an die Schilderung eines Besuchs an, den er dort als verliebter Knabe machte - auf der Suche nach der Mutter der von ihm angebeteten Gilberte, der berühmt-berüchtigten Odette de Crécy, die als Madame Swann ihre Kokottenvergangenheit abzustreifen versucht hat, aber nicht aus ihrer Haut kann.
Der letzte Abschnitt von "Unterwegs zu Swann" ist ein Fest des inneren Blicks. Die doppelt im Titel stehenden Namen lösen Bilder und "wehmutsvolles Gedenken" aus - so wie es am Beginn des Buchs die notorische Madeleine zum Tee gemacht hat, durch deren alt vertrauten Geschmack der Erzähler zurück in seine Kindheit geführt wurde. Nach vielen hundert Seiten kommt er nun dort wieder an, wo er begonnen hatte, doch über die Suche nach der verlorenen Zeit ist er unglücklich mit der Gegenwart geworden. Und man kann es nachvollziehen, wenn er die schwärmerische Liebe des Halbwüchsigen zum Klang von Ortsnamen wie Florenz, Venedig, Bayeux, Parma oder Balbec, dem berühmten Badeort der "Recherche", beschreibt. Sie alle kannte der junge Erzähler aber gar nicht, und als er sie kennenlernte, war die Entzauberung groß. Zu lesen ist das aber erst in Prousts zweitem Band, wo es einen Abschnitt "Namen und Orte: Orte" gibt, wo nunmehr auch das ehedem erträumte Reiseziel Balbec sich als Enttäuschung erweist.
Diese Erfahrung hatte Stéphane Heuet schon in Bilder gefasst, im 2002 erschienenen dritten Album. Dass er nunmehr die notwendige Vorgeschichte dazu nachliefert, leuchtet ein, zumal er damit die ersten beiden Bände der "Recherche" komplett gemacht hat. Dass er auf die diesmal nur vierzig Textseiten genauso viele Comicseiten verwendet, das ist ungewöhnlich. Mit den zuvor publizierten 240 Seiten der fünf Vorgängerbände wurden weit mehr als tausend Seiten Text abgedeckt.
Heuet nutzt diese Großzügigkeit zur Zelebrierung just jenes Sinnes, der beim Comic generell und speziell in diesem Abschnitt auch bei Proust im Mittelpunkt steht: des Sehens. Träumereien sind hier nicht mehr, wie in den früheren Alben Heuets, synästhetisch gezeichnet - mit graphischen Entsprechungen für Düfte oder Klänge -, sondern es ist ganz die optische Phantasie am Zuge, obwohl all die schönen Vorstellungen ja aus dem Wortklang der Ortsnamen erwachsen. Eine Ansammlung von Schneekugeln, in denen sich auf engstem Raum zusammengedrängt die touristischen Sensationen von Venedig, Pisa, London, Athen finden (letztere drei kommen im Text gar nicht vor), wo Proust schreibt: "doch ist die Fassungskraft von Namen nur gering; ich konnte kaum zwei oder drei wichtigste ,Sehenswürdigkeiten' der Stadt in sie hineinbringen, und ganz übergangslos fanden sie sich dann nebeneinander darin" - diese Idee zeigt, dass Heuet viel mehr leistet als bloße Illustration. Er übersetzt in Bilder, hier etwa die "Namen" in eine visuelle Metapher.
Der Höhepunkt dieser Übersetzung ist die Sequenz zum Bois de Boulogne, die allein vierzehn Seiten füllt. Wie Heuet hier den Kontrast von Frühling (beim Besuch des Jugendlichen) und Herbst (bei der Rückkehr des Erwachsenen) inszeniert, ist ein Farbspektakel, das aber nichts Impressionistisches hat. In großen Bildkompositionen wie dem Vogelblick auf eine Wiese sind zahlreiche Objekte zu erkennen, die im erzählten Text vorkommen, Heuet aber nur ins Bild setzt. Hier wiederholen sich als winzige Details die Spiegelungen, die für Prousts ganzes Werk so wichtig sind und die Heuet zu einem Leitmotiv seiner Adaption gemacht hat - neben der Wiederkehr der Augen des Erzählers und den beigefarbenen Textkästen, deren Farbe an die Umschlaggestaltung der Bücher von Proust bei Gallimard denken lässt.
Und ganz zum Schluss liefert Heuet seinen besten Einfall: Er lässt die Bilder der letzten Seite verfärben und verwittern wie Herbstlaub im Bois de Boulogne, ach! wie die Jahre.
ANDREAS PLATTHAUS
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