Im September/Oktober 1899 verbringt Marcel Proust sechs Wochen in Évian am Genfer See und führt dort ein intensives gesellschaftliches Leben: Besuche in den prachtvollen Villen des internationalen Adels rund um den See, zahlreiche Ausflüge, Vergnügungen und lange Debatten (die Frankreich spaltende Dreyfus-Affäre ist allgemeines Salongespräch). Noch notiert Proust Impressionen, Skizzen, Aperçus, von denen er nicht ahnt, dass er sie Jahre später wieder aufnehmen wird, wenn er sich endlich an die Redaktion der Suche nach der verlorenen Zeit begibt. Bis zum Jahre 1905 kehrt Proust - was bislang wenig bekannt war - immer wieder an den Lac Léman zurück. Der See wird zu einem seiner Schreib- und Sehnsuchtsorte.
Évian, Thonon, Maugny, Coppet, Genf und der Montblanc: Jürgen Ritte hat Prousts Orte besucht und begibt sich auf eine literarische und kulturgeschichtliche Entdeckungsreise an den exklusiven Urlaubszielen der französischen Schweiz.
Évian, Thonon, Maugny, Coppet, Genf und der Montblanc: Jürgen Ritte hat Prousts Orte besucht und begibt sich auf eine literarische und kulturgeschichtliche Entdeckungsreise an den exklusiven Urlaubszielen der französischen Schweiz.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.2022Die Lehren von Evian
Jürgen Rittes Studie über Proust am Genfer See
Wie produktiv macht doch ein doppeltes Autorenjubiläum die Buchbranche! Da auf Marcel Prousts 150. Geburtstag im Vorjahr jetzt noch der hundertste Todestag folgt, ist der 2021 begonnene Reigen an Publikationen (F.A.Z. vom 30. Juni 2021) noch lange nicht abgeschlossen. Jüngstes, keinesfalls letztes, aber besonders schönes Beispiel ist Jürgen Rittes kleine kultur- und literaturgeschichtliche Studie über die Aufenthalte des Schriftstellers am Genfer See. Nicht, dass dieser Ort bisher fest in der Proust-Wahrnehmung verankert gewesen wäre; zu spärlich sind die Zeugnisse der zwischen 1893 und 1905 absolvierten sechs, vielleicht sogar sieben Besuche im damaligen Modebadeort Evian auf der französischen Seite des Genfer Sees, und vor allem ist nichts davon in die Topographie des Romanzyklus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" eingegangen. Doch Ritte führt einen Indizienbeweis, dass die Struktur des Riesenwerks den "années Evian" umso mehr verdankt.
Nicht nur die Anschaulichkeit der Grandhotelschilderungen im Zyklus ist demnach Folge der Besuche von Proust und dessen Eltern in den Luxusherbergen am Genfer See, sondern vor allem die Herausbildung des Konzepts eines "Moments der wahren Empfindung", den es für Proust schriftstellerisch zu rekonstruieren galt. Dazu nutzt Ritte vor allem die im Zuge der Jubiläumsveröffentlichungen neu edierten Frühschriften, und er sorgt durch eine reichhaltige Bebilderung mit historischen Motiven für eine Vergegenwärtigung der Aufenthalte Prousts, die selbst dessen ästhetischem Programm standhält. apl
Jürgen Ritte: "Marcel Proust am Genfer See".
Insel Verlag, Berlin 2022. 139 S., Abb.,
geb., 14,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jürgen Rittes Studie über Proust am Genfer See
Wie produktiv macht doch ein doppeltes Autorenjubiläum die Buchbranche! Da auf Marcel Prousts 150. Geburtstag im Vorjahr jetzt noch der hundertste Todestag folgt, ist der 2021 begonnene Reigen an Publikationen (F.A.Z. vom 30. Juni 2021) noch lange nicht abgeschlossen. Jüngstes, keinesfalls letztes, aber besonders schönes Beispiel ist Jürgen Rittes kleine kultur- und literaturgeschichtliche Studie über die Aufenthalte des Schriftstellers am Genfer See. Nicht, dass dieser Ort bisher fest in der Proust-Wahrnehmung verankert gewesen wäre; zu spärlich sind die Zeugnisse der zwischen 1893 und 1905 absolvierten sechs, vielleicht sogar sieben Besuche im damaligen Modebadeort Evian auf der französischen Seite des Genfer Sees, und vor allem ist nichts davon in die Topographie des Romanzyklus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" eingegangen. Doch Ritte führt einen Indizienbeweis, dass die Struktur des Riesenwerks den "années Evian" umso mehr verdankt.
Nicht nur die Anschaulichkeit der Grandhotelschilderungen im Zyklus ist demnach Folge der Besuche von Proust und dessen Eltern in den Luxusherbergen am Genfer See, sondern vor allem die Herausbildung des Konzepts eines "Moments der wahren Empfindung", den es für Proust schriftstellerisch zu rekonstruieren galt. Dazu nutzt Ritte vor allem die im Zuge der Jubiläumsveröffentlichungen neu edierten Frühschriften, und er sorgt durch eine reichhaltige Bebilderung mit historischen Motiven für eine Vergegenwärtigung der Aufenthalte Prousts, die selbst dessen ästhetischem Programm standhält. apl
Jürgen Ritte: "Marcel Proust am Genfer See".
Insel Verlag, Berlin 2022. 139 S., Abb.,
geb., 14,- Euro.
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»Wie produktiv macht doch ein doppeltes Autorenjubiläum die Buchbranche! ... Jüngstes, keinesfalls letztes, aber besonders schönes Beispiel ist Jürgen Rittes kleine kultur- und literaturgeschichtliche Studie über die Aufenthalte des Schriftstellers am Genfer See.« Frankfurter Allgemeine Zeitung 20220531