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Marco Polo, so haben wir gelernt, reiste am Ende des 13. Jahrhunderts von Italien nach China an den prunkvollen Hof des Kaisers, bereiste das weite Land und brachte, neben der Kunde vom Märchenreich im Osten, auch die Nudeln und das Eis mit nach Italien. Die britische Historikerin Frances Wood hat sich diese Erzählung genauer angesehen. Warum, so fragt sie beispielsweise, hat Marco Polo nicht vom Weltwunder der Chinesischen Mauer berichtet? Die Autorin versucht, dieses und andere Rätsel zu lösen, indem sie Marco Polo, seine Familie und den Text detektivisch genau untersucht.

Produktbeschreibung
Marco Polo, so haben wir gelernt, reiste am Ende des 13. Jahrhunderts von Italien nach China an den prunkvollen Hof des Kaisers, bereiste das weite Land und brachte, neben der Kunde vom Märchenreich im Osten, auch die Nudeln und das Eis mit nach Italien. Die britische Historikerin Frances Wood hat sich diese Erzählung genauer angesehen. Warum, so fragt sie beispielsweise, hat Marco Polo nicht vom Weltwunder der Chinesischen Mauer berichtet? Die Autorin versucht, dieses und andere Rätsel zu lösen, indem sie Marco Polo, seine Familie und den Text detektivisch genau untersucht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1996

Sind so kleine Füße
Frances Wood traut Marco Polo nicht / Von Petra Kolonko

Zerlumpt ist er in Venedig gelandet, den Mantel nach Mongolenart geschlungen, aus dem zerrissenen Stoff schaute das schäbige Fellfutter hervor. Im Saum seiner zerschlissenen Kleidung aber waren Juwelen eingenäht, und für das wertvollste Mitbringsel brauchte er keine Taschen: seine Erinnerungen an eine Reise in das ferne China. Um die Welt sei er gereist, jahrzehntelang habe er im vom Mongolen-Kaiser Kubilai beherrschten China gelebt. Unglaubliche Dinge habe er gesehen, märchenhaften Reichtum, große Paläste, merkwürdige Sitten und Gebräuche. Das erzählte Marco Polo.

Seine Erlebnisse lieferten den Stoff für eines der erfolgreichsten Reisebücher aller Zeiten, die "Beschreibung der Welt". Doch stimmen seine Erzählungen? Halten seine Berichte dem Vergleich mit anderen Quellen stand? Die britische Sinologin Frances Wood hat zum große Schlag gegen den Venezianer ausgeholt und die Ungereimtheiten seines Berichtes angeprangert. Wenn er wirklich den Kaiser Kubilai Khan gesehen hat, warum ist seine Beschreibung dann so unpersönlich? Wenn er wirklich in den Diensten des Kaisers stand, warum taucht dann sein Name in keiner der sonst so genauen chinesischen Chroniken auf? Wenn er wirklich in Hangzhou war, wieso hat er dann den Tee nicht erwähnt? Wenn er die chinesischen Frauen so bewunderte, warum erwähnt er nicht ihre eingebundenen Füße?

Die Wahrheit über Marco Polo, das hätte ein historischer Reißer werden können, zumindest aber eine spannende Beschreibung der Suche nach der Wahrheit in Quellen aus dem 13. Jahrhundert. Frances Wood aber führt durch ein Labyrinth von Hinweisen, Fährten, auf Sackgassen und Umwege, so daß selbst der gutwillige Leser sich verloren fühlt und nach dem Faden in dem Buch sucht, der zu einem Schluß über den Wahrheitsgehalt von Marco Polos Werk führt.

Wer Marco Polo war, dieser Frage geht die Autorin erst im letzten Drittel des Buches nach. Es gibt Hinweise, daß Polo nicht, wie allgemein angenommen, aus Venedig, sondern von der dalmatinischen Insel Curzola stammt. Über die Familie und Marcos Leben in Italien gibt es wenig und widersprüchliche Angaben. Unbestritten, da im Prolog zur "Beschreibung der Welt" nachzulesen, ist, daß Marco Polo seine Geschichten dem Romanschreiber Rusticello von Pisa diktiert hat, als die beiden im Jahr 1298 in Genua inhaftiert waren.

Es gibt aber berechtigte Zweifel daran, daß Marco Polo tatsächlich alles selbst gesehen hat, was er beschrieben hat. In seinen Erzählungen fehlen mit dem Tee, den eingebundenen Füßen, dem Papiergeld und der Großen Mauer alle jene Dinge, die damals am meisten Aufmerksamkeit der europäischen Besucher auf sich zogen. Zweifel an Polos Bericht waren schon früher geäußert worden, besonders von dem deutschen Mongolisten und Sinologen Herbert Franke, auf den die Autorin sich wiederholt beruft. Doch Marco Polo hat aber auch immer Verteidiger gehabt.

So glaubt der chinesische Historiker Yang Zhijiu, plausible Erklärungen für Marco Polos Auslassungen und Ungenauigkeiten gefunden zu haben. Es könnte Fehler in der Überlieferung gegeben haben. Polo selbst oder spätere Bearbeiter könnten Passagen ausgelassen haben. Sicherlich hat sich Polo auch vieler Übertreibungen schuldig gemacht. Übertreibungen sieht man einem guten Erzähler gerne nach. Hätte Marco Polo, wie später der britische Gesandte Macartney, geschrieben: "Peking war ein gigantischer Reinfall", wäre sein Werk kaum ein so großer Erfolg geworden .

Die Autorin kommt zu dem Schluß, daß einige seiner Geschichten sich mit dem tatsächlich Geschehenen decken, was aber nicht bedeute, daß er sie tatsächlich selbst erlebt habe. Frances Wood neigt zu der Annahme, daß Marco Polos Bericht auf arabischen Schilderungen beruht, denn die frühesten Augenzeugenberichte aus China waren alle arabischen Ursprungs und viele seiner Angaben stimmen mit den Schilderungen des Rashid al-Din überein. Marco Polo selbst sei nie weiter als bis Konstantinopel gekommen. Es könne aber sein, daß sein Vater und Onkel tatsächlich einmal nach Karakorum gereist seien.

Auch nach Erscheinen des Buches von Frances Wood werden die Reisen des Marco Polo weiter die Forscher beschäftigen. Marco Polo bleibt geheimnisvoll, und wer auf seinen Spuren durch China reist, kann sich getrost weiterhin von seinen Schilderungen einer alten Kultur inspirieren lassen.

Frances Wood: "Marco Polo kam nicht bis China". Aus dem Englischen von Barbara Reitz und Bernhard Jendricke. Piper Verlag, München 1996. 248 S., geb., 39,80 DM.

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