Marco Polo ist eine der bekanntesten Figuren des Mittelalters und einer der ganz wenigen Fernostereisenden dieser Zeit. Als Kaufmann und Abenteurer ist er das Synonym für den "merchant adventurer", aber er ist viel mehr als das, ein Chronist der Fremde, der erste europäische Reisende, der mit der Autorität des Augenzeugen vom faszinierenden Raum des Fernen Ostens für ein staunendes Publikum berichtete. Es soll hier nicht darum gehen, den "wirklichen" Marco Polo gegen den "Mythos" Marco Polo auszuspielen, sondern darum, zu zeigen, wie aus dem Sohn einer mittlerern venezianischen Kaufmannsfamilie jene schillernde Gestalt werden konnte, die wir heute kennen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.1999Frühe Reisen
"Marco Polo. Leben und Legende" von Marina Münkler. Erschienen in der Reihe: "Wissen". Verlag C. H. Beck, München 1998. 127 Seiten. Broschiert, 14,80 Mark.
Alexander von Humboldt nannte Marco Polo den "größten Landreisenden aller Jahrhunderte". Der siebzehnjährige venezianische Kaufmannssohn begab sich in Begleitung von Vater und Onkel 1271 auf Handlungsreise nach China, trat in den Dienst des mongolischen Großkhans Khubilai, durchreiste als dessen Gesandter und Berichterstatter ganz Südostasien und kehrte erst 1295 nach Venedig zurück. Marco Polo, der aus der Enge der mittelalterlichen Gesellschaft in die Welt aufgebrochene "merchant adventurer", wurde mit der Verbreitung von "Il Milione" zum legendären Erweiterer der Erdkenntnis des Mittelalters. Marina Münkler untersucht Entstehungsgeschichte und Authentizität der verschiedenen Textausgaben, die mitunter kreativen Rollen von Polos Schreiber Rustichello da Pisa, der Übersetzer und Kopisten sowie die zeitgenössische Rezeption der "Wunder". Die nicht erhaltene ursprüngliche Fassung fiel "Aneignungen, Übersetzungen, Veränderungen, Verfälschungen, Etikettierungen" anheim, die schillernde Figur und multiple Identität des Grenzgängers zwischen den Welten wurde gemäß den sich ändernden Zeiten und Anschauungen instrumentalisiert. Mit jeder neuen Handschrift oder Übersetzung ändert sich die Funktion des Berichterstatters. So offenbaren toskanische Varianten den "kaufmännischen", franko-italienische und altfranzösische einen "höfisch-ritterlichen" und lateinische den "belehrenden", einem universellen Bildungsauftrag folgenden Reisenden. Die heterogene deskriptive Struktur des Buches ermöglichte religiöse, merkantile und geographisch-astronomische Lektüren. Marco Polo, so das Schlußwort der Autorin, wurde "zur Chimäre seines eigenen Textes, der ihn zugleich hervorbrachte und verschwinden ließ". (sg)
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"Marco Polo. Leben und Legende" von Marina Münkler. Erschienen in der Reihe: "Wissen". Verlag C. H. Beck, München 1998. 127 Seiten. Broschiert, 14,80 Mark.
Alexander von Humboldt nannte Marco Polo den "größten Landreisenden aller Jahrhunderte". Der siebzehnjährige venezianische Kaufmannssohn begab sich in Begleitung von Vater und Onkel 1271 auf Handlungsreise nach China, trat in den Dienst des mongolischen Großkhans Khubilai, durchreiste als dessen Gesandter und Berichterstatter ganz Südostasien und kehrte erst 1295 nach Venedig zurück. Marco Polo, der aus der Enge der mittelalterlichen Gesellschaft in die Welt aufgebrochene "merchant adventurer", wurde mit der Verbreitung von "Il Milione" zum legendären Erweiterer der Erdkenntnis des Mittelalters. Marina Münkler untersucht Entstehungsgeschichte und Authentizität der verschiedenen Textausgaben, die mitunter kreativen Rollen von Polos Schreiber Rustichello da Pisa, der Übersetzer und Kopisten sowie die zeitgenössische Rezeption der "Wunder". Die nicht erhaltene ursprüngliche Fassung fiel "Aneignungen, Übersetzungen, Veränderungen, Verfälschungen, Etikettierungen" anheim, die schillernde Figur und multiple Identität des Grenzgängers zwischen den Welten wurde gemäß den sich ändernden Zeiten und Anschauungen instrumentalisiert. Mit jeder neuen Handschrift oder Übersetzung ändert sich die Funktion des Berichterstatters. So offenbaren toskanische Varianten den "kaufmännischen", franko-italienische und altfranzösische einen "höfisch-ritterlichen" und lateinische den "belehrenden", einem universellen Bildungsauftrag folgenden Reisenden. Die heterogene deskriptive Struktur des Buches ermöglichte religiöse, merkantile und geographisch-astronomische Lektüren. Marco Polo, so das Schlußwort der Autorin, wurde "zur Chimäre seines eigenen Textes, der ihn zugleich hervorbrachte und verschwinden ließ". (sg)
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