Die drei Dialoge zwischen Marguerite Duras und Jean-Luc Godard schlagen einen Bogen, der im Oktober 1979 beginnt, im September oder Oktober 1980 fortgesetzt und im Dezember 1987 beendet wird. Sie sind Zeugnis einer engen Beziehung zwischen der Schriftstellerin und dem Regisseur, zugleich aber eine in sich geschlossene Erzählung. Die zweite Begegnung fand statt, nachdem sie ihre je eigenen Überlegungen zum Kino veröffentlich hatten - Duras in dem Band Die grünen Augen. Texte zum Kino, Godard in seiner Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos. Ihre Dialoge berühren beinahe sämtliche Themen, die sich auch durch diese Bücher ziehen: die Frage nach dem Verhältnis zwischen Schrift und Bild, die Repräsentation dessen, das der Repräsentation entzogen scheint (Konzentrationslager und Inzest - aus ganz unterschiedlichen Gründen), Überlegungen zur Kindheit und zum Fernsehen. Dialoge wird mit einer Einführung, Kommentaren und einem Nachwort von Cyril Béghin begleitet.Marguerite Duras (1914-1996) französische Schriftstellerin, Drehbuchatuorin und Filmregisseurin. Jean-Luc Godard (geb. 1930) französisch-schweizerischer Filmemacher und Drehbuchautor. Cyril Béghin (geb. 1973) französischer Architekt und Filmkritiker, Redaktionsmitglied der Cahiers du cinéma.DialoguesThe three dialogues between Marguerite Duras and Jean-Luc Godard constitute a kind of parenthetical statement, an aside that opens in October 1979 continues in September or October 1980 and closes in December 1987. It is at once evidence of an in-depth relationship between the writer and film director and a self-contained story. Their second encounter took place after they had each published their reflections on cinema-Duras in her collection Green Eyes and Godard in his Introduction à une véritable histoire du cinéma. Their dialogues touch on almost all the themes that run through these books: the question of the relationship between the written word and the image, the representation of what is deemedto be beyond representation (concentration camps and incest-for different reasons), and reflections on childhood and on television. Dialogues is accompanied by an introduction, notes, and an afterword by Cyril Béghin.Marguerite Duras (1914-1996) was a French writer, screenwriter, and film director.Jean-Luc Godard (b. 1930) is a French Swiss director and screenwriter. Cyril Béghin (b. 1973) is a French film critic and a member of the Cahiers du cinéma editorial team.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Fritz Göttler muss gleich die Filme sehen, die Stimmen hören von der Duras und von Godard, wenn er die drei Gespräche im Band liest. Für ihn sind das Performances oder Denken in action. Für Göttler offenbaren sie, dass die beiden Künstler gleiche Resonanzräume haben, wenn sie über Projekte sprechen, Techniken ihrer Kunst, aber eben immer auch das Mystische antasten, das Vage und Subversive, und sie den Dialog zum Stottern bringen, wie Göttler es nennt. Hilfreich findet er die Kontexte, die Herausgeber Cyril Beghin mit seinen zahlreichen Anmerkungen eröffnet. Godard und Duras haben sich im Grunde nichts zu sagen, meint Göttler, und doch so wahnsinnig viel.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.05.2021Freies Spiel
Zwei französische Helden unterhalten
sich darüber, dass sie sich nichts
zu sagen haben: die umwerfenden
Dialoge zwischen Marguerite Duras
und Jean-Luc Godard
VON FRITZ GÖTTLER
Mitten im letzten dieser drei Dialoge sagt Marguerite Duras zu Godard: „Aber du lebst in einer Verdammnis, Jean-Luc.“ Von Anfang war klar, dass es hier nicht bloß um das Handwerk und die Techniken von Schreiben und Filmemachen geht, sondern dass diese Dialoge einen irrationalen, mystischen Unterton haben. Sie sorgt sich um ihn, das ist der Gestus einer Mütterlichkeit.
Sie haben sich nichts zu sagen, nicht im simplen, klassischen Sinn des Dialogisierens, und das bekunden sie lebhaft, Marguerite Duras, die Schriftstellerin, die auf der Höhe ihres Ruhms anfing, aus ihren Texten Filme zu machen oder Texte gleich als Filme zu schreiben, und Jean-Luc Godard, der Filmemacher, dessen Filme von Bruchstücken der literarischen Welt leben, die er in sie einbaute. Zwei französische Institutionen, egozentrisch, monomanisch. Zwei Stars des Kulturbetriebs in Frankreich, die gelernt hatten, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, sich aber im Gespräch miteinander spröde geben, zögerlich, den Eindruck einer professionellen Verschworenheit wollen sie vermeiden.
Dreimal haben sie sich getroffen zwischen 1979 und 1987, die drei Gespräche sind nun auch auf Deutsch erschienen. Sie sind irritierend, subversiv, auch komisch. Die Ratlosigkeit, in die sie immer wieder münden, ist produktiv, so wollte das schon der Urdialogist Sokrates. Respekt ist auf beiden Seiten im Spiel und Verehrung, auch ein wenig Lobhudelei. Aber auch eine unerschütterliche Beharrlichkeit. Das Buch ist eingebettet in zwei Texte des Herausgebers Cyril Béghin, und er begleitet die Dialoge mit unzähligen Anmerkungen, die in jeder Hinsicht nützlich sind. Immer wenn die beiden etwas auf den Punkt bringen, reißt Béghin das wieder auf, indem er die Sätze in entsprechende Kontexte stellt, bei Duras oder Godard. Ein Meta-Dialog, der da erwächst, ein Rhizom, das erinnert an die Art, wie Roland Barthes seine Bücher baute. Es brauchte einen konkreten Anlass, um Duras herauszulocken. Godard erledigte das, als er sie um Mitarbeit bat, im Oktober 1979, für seinen Film „Sauve qui peut (la vie)“. Mit dem wollte er, nach Jahren des Rückzugs (ins Fernsehen, in die politische Arbeit in der Gruppe, in diverse Länder Europas und der Welt, in die Arbeitswelt, in die elektronischen neuen Medien) wieder ins Kino, auf die Leinwand zurück. Er hatte den Duras-Film „Le Camion“ gesehen, da sitzt sie mit Gérard Depardieu an einem Tisch in ihrem Haus in Neauphle-le-Château und sie lesen das Script eines Films mit einer Anhalterin und einem Laster vor, der nachts über Land fährt. Ein projektiver Film, im Zustand der Entstehung. Eine Form von continuity, die unterwegs bleibt zu einer fertigen Erzählung.
Für „Sauve qui peut ...“ sollte Duras in einer Unterrichtsstunde sprechen, sie wollte dann aber doch nicht vor der Klasse in Erscheinung treten, blieb im Nebenzimmer hocken. Godard holte das verweigerte Gespräch dann allein nach, das ergibt den ersten Dialog. Teile daraus und die ganze absurde Situation sind in „Sauve qui peut ...“ eingebaut. Jacques Dutronc spielt in dem Film einen Filmemacher, der Paul Godard heißt. Seine Freundin heißt Denise Rimbaud, sie wird gespielt von Nathalie Baye.
Denise ist eifrig auf dem Fahrrad unterwegs, auf Recherche für ein Buch. „Mit Zeitlupe und Standverlängerung stoppt Godard den Fluss der Bilder“, schrieb Frieda Grafe 1981. „Die stotternden Bilder halten Bemühung fest. Ihr Inneres wird sichtbar – was sonst verschluckt wird, damit die Illusion von Kontinuität im Dienst einer Erzählung entsteht ... Möglicherweise wird aus ihrem work in progress nie ein Buch, denn zur Definition des Imaginären gehört, dass sein schöpferischer Impuls sich nicht umsetzt in Objekte.“
Die zweite Begegnung Duras/Godard war ein Jahr später, da ging es um ein mögliches Projekt zum Thema Inzest; Duras erzählt offen, wie es ein Begehren gab zwischen ihren Brüdern und ihr, man überlegt auch, wie das Inzesttabu mit dem Ursprung des Tauschhandels zusammenhängt. Die dritte Begegnung war im Dezember 1987, in der TV-Sendung „Océaniques“, dieser Dialog, aufgenommen in Duras’ Wohnung in Paris, entspricht noch am ehesten einem Künstlergespräch, aber sie nehmen das Format lustvoll auseinander, bringen die Dialog-Maschine zum Ruckeln und Stottern.
Duras fragt immer wieder konkret nach in diesen Dialogen, Godard antwortet gern ins Vage. Sie will ihn aus der Reserve locken und weiß schon, er hat gar keine. Ob er ihren „Vize-Konsul“ gelesen habe, fragt sie, oder „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Man spricht über die Kraft der Musik, Strawinsky und Bach. Godard erzählt von seinen Versuchen, Faulkners „Absalom, Absalom“ zu packen, und was Sartre für ihn bedeutete. Dieser sei kein Schriftsteller gewesen, urteilt Duras dagegen, „der Solschenizyn eines Landes ohne Gulag“, so hart kann Duras sein. Auch bei Claude Lanzmanns „Shoah“ sind sie verschiedener Meinung, Godard meint, der Film sei zu spät nach dem Ende des Holocaust gekommen. Duras versucht, ihm zu erklären, wieso er damals nicht den „Liebhaber“ verfilmen durfte, ihren späten Bestseller, und ob er das ernst gemeint hatte mit der Verfilmung von Kierkegaards „Tagebuch des Verführers“.
Ich liebe die Worte, sagt Godard, sie sind wie Kobolde. „Aber bei dir oder bei Beckett, da sind es Könige.“ Er will aber von Duras gar nichts über die Mysterien des Schreibens wissen, er schätzt sie, weil sie von außerhalb zum Kino gekommen ist. Das war großartig an der Nouvelle Vague, wie sie von Anfang an Literaten geliebt und verteidigt hatte, die vom Kino fasziniert waren und selbst Filme machten. Die bürgerliche Kritik hatte damals nur die Nasen gerümpft über die dilettierenden Schreiber, Sacha Guitry und Marcel Pagnol, Jean Cocteau und Duras – Godard und seine Freunde liebten sie, weil sie vorführten, dass es ein reines Kino nicht gibt, Kino ist immer unrein. Er sei das ganze Kino, hatte Godard in einer seiner enthusiastischen frühen Kritiken geschrieben, über einen der beiden amerikanischen Filmemacher, die ihn Bilder und Töne gelehrt hatten, nichts als das Kino, aber das, hatte er dann geseufzt, sei vielleicht nicht das ganze Kino. Das Kino und die Literatur, Godard und Duras, sie sind wie Vorder- und Rückseite einer Medaille, die nicht miteinander sprechen. Godards Kalauer prallen in diesen Dialogen auf die Tautologien von Duras. Die haben den gleichen Resonanzraum, besonders wenn Duras selbst ihre Sätze spricht, da macht sie Zeitlupe beim Sprechen, verbale Standverlängerung. Beide wollen das Wort aus dem Kontext des Bedeutens befreien, in dem es nur um Inhalte geht, ihm Eigenmächtigkeit wiedergeben. Und verhindern, dass die Bilder auf das gleiche rhetorische Niveau rutschen. „Nichts ist weniger geschrieben als der politische Diskurs der Macht ... Das heißt die Sprache der politischen Krämer, die Sprache der Propaganda. Der Schmierenkomödianten. Nichts steht dem wahrhaftigen Wort mehr entgegen als das.“
Die Bücher, die Godard in seine Filme einbringt, hat er nicht wirklich gelesen, er durchquert sie wie Landschaften beim Zugfahren. Der Wankelmut, den Duras bei ihm anspricht, könnte ein Defizit der Männer überhaupt sein. Es gibt etwas beim Schreiben, „in seinem Grundsatz, in seiner Definition, das dir unerträglich ist, etwas, das dich sowohl anzieht, als auch in die Flucht schlägt, etwas Unerträgliches. Du hältst nicht stand vor dem Geschriebenen.“ Das Kino ist gebrechlich, das weiß Godard, drei Beine nur hat ein Kamerastativ, und ein Tier mit drei Beinen hinkt.
Ist dir kalt, fragt Duras, als nach einer Pause in der TV-Sendung Godard über den Tisch nach ihrer Hand langt. Nein, sagt er, ich wollte nur deine Hand berühren ... Für einen Moment liegen die Hände ineinander. Man muss diese Dialoge als Performance lesen, ein freies Spiel, Denken in Aktion – in Frankreich werden sie tatsächlich auch auf der Bühne von Akteuren gespielt. Man müsste die beiden sprechen hören, ihre Stimmen in Erinnerung rufen, müsste die Filme dazu sehen, „Le camion“ und „Sauve qui peut ... (la vie)“. „In meinen Filmen“„ sagt Duras, „gibt es niemanden, der spricht, nur Stimmen.“
Nichts steht dem wahrhaftigen
Wort mehr entgegen als der
politische Diskurs der Macht
Godard liest Bücher nicht,
er durchquert sie wie
Landschaften beim Zugfahren
Marguerite Duras, Jean-Luc Godard: Dialoge.
Mit einer Einführung und einem Nachwort von Cyril Béghin sowie einem
Beitrag von Jean Cléder. Aus dem Französischen von Tim Trzaskalik.
Spector Books, Leipzig 2021. 223 Seiten, 16 Euro.
Zwischen 1979 und 1987 haben sie sich dreimal
getroffen: Jean-Luc Godard (oben) und
Marguerite Duras. Fotos: Colette Fellous, Pierre-André
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Zwei französische Helden unterhalten
sich darüber, dass sie sich nichts
zu sagen haben: die umwerfenden
Dialoge zwischen Marguerite Duras
und Jean-Luc Godard
VON FRITZ GÖTTLER
Mitten im letzten dieser drei Dialoge sagt Marguerite Duras zu Godard: „Aber du lebst in einer Verdammnis, Jean-Luc.“ Von Anfang war klar, dass es hier nicht bloß um das Handwerk und die Techniken von Schreiben und Filmemachen geht, sondern dass diese Dialoge einen irrationalen, mystischen Unterton haben. Sie sorgt sich um ihn, das ist der Gestus einer Mütterlichkeit.
Sie haben sich nichts zu sagen, nicht im simplen, klassischen Sinn des Dialogisierens, und das bekunden sie lebhaft, Marguerite Duras, die Schriftstellerin, die auf der Höhe ihres Ruhms anfing, aus ihren Texten Filme zu machen oder Texte gleich als Filme zu schreiben, und Jean-Luc Godard, der Filmemacher, dessen Filme von Bruchstücken der literarischen Welt leben, die er in sie einbaute. Zwei französische Institutionen, egozentrisch, monomanisch. Zwei Stars des Kulturbetriebs in Frankreich, die gelernt hatten, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, sich aber im Gespräch miteinander spröde geben, zögerlich, den Eindruck einer professionellen Verschworenheit wollen sie vermeiden.
Dreimal haben sie sich getroffen zwischen 1979 und 1987, die drei Gespräche sind nun auch auf Deutsch erschienen. Sie sind irritierend, subversiv, auch komisch. Die Ratlosigkeit, in die sie immer wieder münden, ist produktiv, so wollte das schon der Urdialogist Sokrates. Respekt ist auf beiden Seiten im Spiel und Verehrung, auch ein wenig Lobhudelei. Aber auch eine unerschütterliche Beharrlichkeit. Das Buch ist eingebettet in zwei Texte des Herausgebers Cyril Béghin, und er begleitet die Dialoge mit unzähligen Anmerkungen, die in jeder Hinsicht nützlich sind. Immer wenn die beiden etwas auf den Punkt bringen, reißt Béghin das wieder auf, indem er die Sätze in entsprechende Kontexte stellt, bei Duras oder Godard. Ein Meta-Dialog, der da erwächst, ein Rhizom, das erinnert an die Art, wie Roland Barthes seine Bücher baute. Es brauchte einen konkreten Anlass, um Duras herauszulocken. Godard erledigte das, als er sie um Mitarbeit bat, im Oktober 1979, für seinen Film „Sauve qui peut (la vie)“. Mit dem wollte er, nach Jahren des Rückzugs (ins Fernsehen, in die politische Arbeit in der Gruppe, in diverse Länder Europas und der Welt, in die Arbeitswelt, in die elektronischen neuen Medien) wieder ins Kino, auf die Leinwand zurück. Er hatte den Duras-Film „Le Camion“ gesehen, da sitzt sie mit Gérard Depardieu an einem Tisch in ihrem Haus in Neauphle-le-Château und sie lesen das Script eines Films mit einer Anhalterin und einem Laster vor, der nachts über Land fährt. Ein projektiver Film, im Zustand der Entstehung. Eine Form von continuity, die unterwegs bleibt zu einer fertigen Erzählung.
Für „Sauve qui peut ...“ sollte Duras in einer Unterrichtsstunde sprechen, sie wollte dann aber doch nicht vor der Klasse in Erscheinung treten, blieb im Nebenzimmer hocken. Godard holte das verweigerte Gespräch dann allein nach, das ergibt den ersten Dialog. Teile daraus und die ganze absurde Situation sind in „Sauve qui peut ...“ eingebaut. Jacques Dutronc spielt in dem Film einen Filmemacher, der Paul Godard heißt. Seine Freundin heißt Denise Rimbaud, sie wird gespielt von Nathalie Baye.
Denise ist eifrig auf dem Fahrrad unterwegs, auf Recherche für ein Buch. „Mit Zeitlupe und Standverlängerung stoppt Godard den Fluss der Bilder“, schrieb Frieda Grafe 1981. „Die stotternden Bilder halten Bemühung fest. Ihr Inneres wird sichtbar – was sonst verschluckt wird, damit die Illusion von Kontinuität im Dienst einer Erzählung entsteht ... Möglicherweise wird aus ihrem work in progress nie ein Buch, denn zur Definition des Imaginären gehört, dass sein schöpferischer Impuls sich nicht umsetzt in Objekte.“
Die zweite Begegnung Duras/Godard war ein Jahr später, da ging es um ein mögliches Projekt zum Thema Inzest; Duras erzählt offen, wie es ein Begehren gab zwischen ihren Brüdern und ihr, man überlegt auch, wie das Inzesttabu mit dem Ursprung des Tauschhandels zusammenhängt. Die dritte Begegnung war im Dezember 1987, in der TV-Sendung „Océaniques“, dieser Dialog, aufgenommen in Duras’ Wohnung in Paris, entspricht noch am ehesten einem Künstlergespräch, aber sie nehmen das Format lustvoll auseinander, bringen die Dialog-Maschine zum Ruckeln und Stottern.
Duras fragt immer wieder konkret nach in diesen Dialogen, Godard antwortet gern ins Vage. Sie will ihn aus der Reserve locken und weiß schon, er hat gar keine. Ob er ihren „Vize-Konsul“ gelesen habe, fragt sie, oder „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Man spricht über die Kraft der Musik, Strawinsky und Bach. Godard erzählt von seinen Versuchen, Faulkners „Absalom, Absalom“ zu packen, und was Sartre für ihn bedeutete. Dieser sei kein Schriftsteller gewesen, urteilt Duras dagegen, „der Solschenizyn eines Landes ohne Gulag“, so hart kann Duras sein. Auch bei Claude Lanzmanns „Shoah“ sind sie verschiedener Meinung, Godard meint, der Film sei zu spät nach dem Ende des Holocaust gekommen. Duras versucht, ihm zu erklären, wieso er damals nicht den „Liebhaber“ verfilmen durfte, ihren späten Bestseller, und ob er das ernst gemeint hatte mit der Verfilmung von Kierkegaards „Tagebuch des Verführers“.
Ich liebe die Worte, sagt Godard, sie sind wie Kobolde. „Aber bei dir oder bei Beckett, da sind es Könige.“ Er will aber von Duras gar nichts über die Mysterien des Schreibens wissen, er schätzt sie, weil sie von außerhalb zum Kino gekommen ist. Das war großartig an der Nouvelle Vague, wie sie von Anfang an Literaten geliebt und verteidigt hatte, die vom Kino fasziniert waren und selbst Filme machten. Die bürgerliche Kritik hatte damals nur die Nasen gerümpft über die dilettierenden Schreiber, Sacha Guitry und Marcel Pagnol, Jean Cocteau und Duras – Godard und seine Freunde liebten sie, weil sie vorführten, dass es ein reines Kino nicht gibt, Kino ist immer unrein. Er sei das ganze Kino, hatte Godard in einer seiner enthusiastischen frühen Kritiken geschrieben, über einen der beiden amerikanischen Filmemacher, die ihn Bilder und Töne gelehrt hatten, nichts als das Kino, aber das, hatte er dann geseufzt, sei vielleicht nicht das ganze Kino. Das Kino und die Literatur, Godard und Duras, sie sind wie Vorder- und Rückseite einer Medaille, die nicht miteinander sprechen. Godards Kalauer prallen in diesen Dialogen auf die Tautologien von Duras. Die haben den gleichen Resonanzraum, besonders wenn Duras selbst ihre Sätze spricht, da macht sie Zeitlupe beim Sprechen, verbale Standverlängerung. Beide wollen das Wort aus dem Kontext des Bedeutens befreien, in dem es nur um Inhalte geht, ihm Eigenmächtigkeit wiedergeben. Und verhindern, dass die Bilder auf das gleiche rhetorische Niveau rutschen. „Nichts ist weniger geschrieben als der politische Diskurs der Macht ... Das heißt die Sprache der politischen Krämer, die Sprache der Propaganda. Der Schmierenkomödianten. Nichts steht dem wahrhaftigen Wort mehr entgegen als das.“
Die Bücher, die Godard in seine Filme einbringt, hat er nicht wirklich gelesen, er durchquert sie wie Landschaften beim Zugfahren. Der Wankelmut, den Duras bei ihm anspricht, könnte ein Defizit der Männer überhaupt sein. Es gibt etwas beim Schreiben, „in seinem Grundsatz, in seiner Definition, das dir unerträglich ist, etwas, das dich sowohl anzieht, als auch in die Flucht schlägt, etwas Unerträgliches. Du hältst nicht stand vor dem Geschriebenen.“ Das Kino ist gebrechlich, das weiß Godard, drei Beine nur hat ein Kamerastativ, und ein Tier mit drei Beinen hinkt.
Ist dir kalt, fragt Duras, als nach einer Pause in der TV-Sendung Godard über den Tisch nach ihrer Hand langt. Nein, sagt er, ich wollte nur deine Hand berühren ... Für einen Moment liegen die Hände ineinander. Man muss diese Dialoge als Performance lesen, ein freies Spiel, Denken in Aktion – in Frankreich werden sie tatsächlich auch auf der Bühne von Akteuren gespielt. Man müsste die beiden sprechen hören, ihre Stimmen in Erinnerung rufen, müsste die Filme dazu sehen, „Le camion“ und „Sauve qui peut ... (la vie)“. „In meinen Filmen“„ sagt Duras, „gibt es niemanden, der spricht, nur Stimmen.“
Nichts steht dem wahrhaftigen
Wort mehr entgegen als der
politische Diskurs der Macht
Godard liest Bücher nicht,
er durchquert sie wie
Landschaften beim Zugfahren
Marguerite Duras, Jean-Luc Godard: Dialoge.
Mit einer Einführung und einem Nachwort von Cyril Béghin sowie einem
Beitrag von Jean Cléder. Aus dem Französischen von Tim Trzaskalik.
Spector Books, Leipzig 2021. 223 Seiten, 16 Euro.
Zwischen 1979 und 1987 haben sie sich dreimal
getroffen: Jean-Luc Godard (oben) und
Marguerite Duras. Fotos: Colette Fellous, Pierre-André
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de