"Diese Biographie ist ein Meisterinnenwerk."
Jury des Preises der Leipziger Buchmesse
Maria Theresia war durchdrungen von der Überzeugung, dass Gott ihr die Herrschaft über ein Riesenreich aufgebürdet und sie zugleich mit allen Fähigkeiten ausgestattet habe, dieser großen Aufgabe gerecht zu werden. So verfolgte sie als Königin und Kaiserin mit außerordentlichem Selbstbewusstsein und strenger Disziplin ihr Ziel, Ruhm und Größe des Hauses Habsburg zu verteidigen. Wie sich das Leben der Matriarchin gestaltete und welche Konflikte sie heraufbeschwor, als sie mit allen Mitteln versuchte, auch ihre Familie, den Hof, die Länder und ihre Untertanen dieser Maxime zu unterwerfen, hat die Historikerpreisträgerin Barbara Stollberg-Rilinger in dieser Biographie meisterhaft beschrieben.
Jury des Preises der Leipziger Buchmesse
Maria Theresia war durchdrungen von der Überzeugung, dass Gott ihr die Herrschaft über ein Riesenreich aufgebürdet und sie zugleich mit allen Fähigkeiten ausgestattet habe, dieser großen Aufgabe gerecht zu werden. So verfolgte sie als Königin und Kaiserin mit außerordentlichem Selbstbewusstsein und strenger Disziplin ihr Ziel, Ruhm und Größe des Hauses Habsburg zu verteidigen. Wie sich das Leben der Matriarchin gestaltete und welche Konflikte sie heraufbeschwor, als sie mit allen Mitteln versuchte, auch ihre Familie, den Hof, die Länder und ihre Untertanen dieser Maxime zu unterwerfen, hat die Historikerpreisträgerin Barbara Stollberg-Rilinger in dieser Biographie meisterhaft beschrieben.
"Barbara Stollberg-Rilinger hat diese Biografie unendlich genau recherchiert und geschichtliche Zusammenhänge hergestellt (...) Ich begann, das Buch (...) zu lesen - und konnte nicht aufhören damit."
Die ZEIT, Senta Berger
"Es ist ein ebenso kluges wie gescheites, wie vergnüglich zu lesendes Werk."
Denis Scheck, SWR
"Ihre Biografie ist wahnsinnig gut. Sie ist klug, quellenreich und wunderbar postheroisch."
Tania Martini, die tageszeitung
"Überzeugend konzipiert und glänzend geschrieben."
Cord Aschenbrenner, Neue Zürcher Zeitung
"Diese Biographie ist ein Meisterinnenwerk."
Jury des Preises der Leipziger Buchmesse
Die ZEIT, Senta Berger
"Es ist ein ebenso kluges wie gescheites, wie vergnüglich zu lesendes Werk."
Denis Scheck, SWR
"Ihre Biografie ist wahnsinnig gut. Sie ist klug, quellenreich und wunderbar postheroisch."
Tania Martini, die tageszeitung
"Überzeugend konzipiert und glänzend geschrieben."
Cord Aschenbrenner, Neue Zürcher Zeitung
"Diese Biographie ist ein Meisterinnenwerk."
Jury des Preises der Leipziger Buchmesse
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2017Die
Königin
Vor 300 Jahren wurde Maria Theresia
geboren. Zwei sehr unterschiedliche
Bücher nähern sich der Habsburgerin
VON RUDOLF NEUMAIER
Geschichten von Helden und Antihelden werden mit Superlativen geschrieben, und Heldinnen wiederum funkeln schon allein wegen ihrer Seltenheit in den von Männern dominierten Geschichtsbüchern am glamourösesten hervor. Bei der „edlen und erhabenen“ Maria Theresia handle es sich um eine der „größten Fürsten, die je eine Krone trugen“, heißt es im „Damen Conversations Lexikon“, erschienen im Jahr 1834. Bei ihr verbanden sich die „schönsten weiblichen Tugenden mit den glänzenden Eigenschaften, die eine Krone würdig zieren“.
Noch überschwänglicher schreibt drei Dekaden später der Historiker Alfred von Arneth von ihr, Staatsarchivdirektor in Wien. Sie habe in „höherem Maße als irgend ein Monarch vor oder nach ihr zum Wohle der österreichischen Länder gewirkt“ und diese zur „schönsten Blüthe“ geführt. Maria Theresias Persönlichkeit bilde die „glänzendste Erscheinung, von welcher die Geschichte Österreichs zu berichten weiß“. Die Habsburger Kaiser von Rudolf I. über Maximilian I. bis zu Karl V. – sie alle verblassten gegenüber dieser Heldin, die im 19. Jahrhundert zu einer Nationalheiligen avancierte. Zeit für eine Entheiligung, Entehrung, Entheldung? Jedenfalls für Klarstellungen.
Seit nahezu 200 Jahren, seit Ritter von Arneth, hat sich kein Historiker mehr ernsthaft und eingehend mit Leben und Wirken der Königin-Kaiserin beschäftigt. Im Jubiläumsjahr dieser Habsburgerin, die am
13. Mai 1717 geboren wurde, erscheinen nun Maria-Theresia-Bücher von zwei Biografinnen. Die Arbeit der Münsteraner Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger setzt in der Erforschung dieser Herrscherin und in der Bibliografie zu dieser Person auf Dauer einen Meilenstein. Eine wesentlich straffere Studie stammt von der französischen Philosophin Élisabeth Badinter.
Barbara Stollberg-Rilinger, Jahrgang 1955 und seit zwanzig Jahren Inhaberin des Lehrstuhls für Frühe Neuzeit in Münster, hat sich in der internationalen Historikerelite etabliert, indem sie mit ihren Studien über Herrscherrituale und ihre Bedeutung Macht- und Standessymbole sehr plastisch dechiffrierte. Unter anderem bekam sie den Leibniz-Preis und den Preis des Historischen Kollegs, und es würde keineswegs überraschen, wenn sie nun auch für ihre „Maria Theresia“, die ganz nebenbei eine Enzyklopädie des Lebens am Hof im 18. Jahrhundert mitliefert, Auszeichnungen erhielte. Die Superlative, die sich in diesem akribisch recherchierten und mehr als 1000 Seiten umfassenden Buch finden, lassen sich an einer Hand abzählen. Die Geschichte fasziniert trotzdem.
Maria Theresias Vater, Kaiser Karl VI., hatte schon frühzeitig eine Regelung getroffen, die seinen weiblichen Nachkommen den Vorrang vor etwa konkurrierenden Töchtern seines Bruders gab: die Pragmatische Sanktion. Dieses neue Habsburger Hausgesetz verschaffte Maria Theresia, deren einziger Bruder mit sieben Monaten gestorben war, die Nachfolge – und den anderen europäischen Mächten die Gelegenheit, das Haus Österreich mit allerlei Ansprüchen zu behelligen. Sie musste sich in einem achtjährigen Erbfolgekrieg behaupten, der Österreich allerdings die reiche Provinz Schlesien kostete.
„Die Tatsache, dass Maria Theresia eine Frau war, bedeutete für ihre Regentschaft Fluch und Segen zugleich“, schreibt Barbara Stollberg-Rilinger. Friedrich II., der misogyne Preuße, stellte seine Angriffe gegen Österreich zu Beginn jenes Krieges als gut gemeinte Schutzmaßnahme dar: Junger und strammer Kavalier springt seiner ebenso jungen Kollegin, einer Vertreterin des schwachen Geschlechts, zur Seite – blanker Zynismus.
Für eine 23-jährige, in politischen Dingen nicht allzu bewanderte Königstochter handelte die junge Habsburgerin erstaunlich, man möchte fast sagen märchenhaft kühn. Statt sich einschüchtern zu lassen, bot sie ihren Gegnern die Stirn – und das mit einer Armee, die ihr der Vater nach heutigem Verständnis im Zustand einer Gurkentruppe hinterlassen hatte. Wie selbstverständlich sah sie sich als exponiertes Wesen einer überirdischen Weltordnung. Die göttliche Vorsehung selbst hatte ihr diese Rolle zuerkannt, das Erbrecht galt ihr im wahrsten Wortsinn als heilig. Wer es infrage stellte, handelte in ihren Augen dieser von Gottes Gnade eingesetzten Ordnung und damit Gott selbst zuwider. Die Vorsehung zu verteidigen war ihrer Überzeugung nach ihr heiliger Auftrag. Sie wusste von Anfang an, dass sie Geschichte schreiben würde, welche Unbilden und Erfolge auch immer sie zu verzeichnen hätte. Diese Selbsteinschätzung begründete ihr Image von der standhaften Herrscherin.
Eine der vielen Titulierungen, die Maria Theresia im Laufe der Zeit zuteilwurden, lautet Reichshausfrau. Heute klingt sie alles andere als schmeichelhaft, sie verhöhnt ihre Distinktion. Ja, diese Frau war ein Familienmensch, und ja, sie kümmerte sich wohl stärker und beherzter um ihre Kinder, als die meisten männlichen Monarchen dies taten. Doch die Staatsgeschäfte standen bei ihr Tag für Tag im Vordergrund. Die Erzherzogin und spätere Königin gebar 16 Kinder. Es ist aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, wie eine Frau, die fast ununterbrochen schwanger ist, ein solches Vielvölkergebilde regieren kann. Maria Theresia schaffte es. Darauf haben schon immer alle verwiesen, die sie als Heldin verehren.
Bei Barbara Stollberg-Rilinger lernen die Leser eine Monarchin nicht nur in ihren privaten Gemächern und Gedankengängen kennen, bei dekadentem Zocken mit ihren Hofleuten um Tausende Gulden am Spieltisch und beim Vorbereiten der geliebten Schwiegertochter auf die Niederkunft, sondern auch in ihrem politischen Alltag. Sie war verschiedener Sprachen mächtig, verwendete aber in der Konversation mit ihrer Entourage ein Deutsch mit Wiener Einschlag. Schriftlich verständigte sie sich häufig auf Französisch, mitunter auf Italienisch.
Als die junge Königin im Jahr 1741 vor den ungarischen Ständen eine flammende Rede auf Lateinisch hielt und Unterstützung im Kampf gegen den nassforschen Preußenkönig Friedrich erbat, sollen die Magyaren begeistert die Säbel gezogen und gerufen haben, sie würden für die Königin sterben.
Grob gesagt, hat ihre vier Dekaden währende Regentschaft im Jahr 1740 trotz der widrigen äußeren Umstände gut begonnen. Doch je länger sie dauerte, desto schwerer tat sich Maria Theresia – und desto ungeschickter stellte sie sich an. Sie, die große Bewahrerin der alten Ordnung, hatte größte Schwierigkeiten mit der neuen Zeit und ihren geistigen Strömungen.
Aufklärung! Man kann bei Stollberg-Rilinger ungefähr nachempfinden, wie oft und immer öfter Maria Theresia die Hände über dem Kopf zusammenschlug, wenn sie mit dieser in ihren Augen misslichen „Modephilosophie“ konfrontiert war. Auch die Mode selbst missfiel ihr: „Bald zieht man gar nichts mehr an und läuft herum wie die Neger“, schrieb sie. Die Gesellschaft wandelte sich, und die Königin-Kaiserin wandelte sich nicht mit ihr, sondern bewegte sich in die Gegenrichtung.
Sie agierte am Anfang eher unkonventionell. Als ihr Johann Adolph Hasse 1744 nach einem Libretto von Pietro Metastasio eine Oper komponiert hatte, musste sie erst davon überzeugt werden, dass es nicht statthaft sei für eine Herrscherin, selbst darin aufzutreten. Als Jugendliche war Maria Theresia häufig auf der Bühne aufgetreten. Auch im Staatswesen traf sie überraschende Entscheidungen. Sie reformierte das Organigramm am Hof, mit der Abschaffung der Hofkanzleien im Mai 1749 per Handbillets aus dem Schloss Schönbrunn stieß sie einer Schar alter Amtsträger vor den Kopf.
Welche Stimmungen sie auslöste, verfolgt Stollberg-Rilinger gern in den Aufzeichnungen des Obersthofmeisters Johann Joseph von Khevenhüller, einer wunderbaren Quelle aus erster Hand. Khevenhüller war ein Höfling alter Schule, loyal bis zur Selbstverleugnung. Was er aber seinem Tagebuch anvertraute, war nicht immer nur schmeichelhaft für die Herrin. Es kam vor, dass die Monarchin Termine platzen ließ, weil „die Toilette nicht wohl gerathen und mann mit einem üblen Aufbutz in publico nicht erscheinen wollen“, schreibt Khevenhüller. Wobei Barbara Stollberg-Rilinger ihrer Hauptfigur deshalb nicht gleich einen Schönheitswahn andichten würde – vorschnelle Urteile sind ihr fremd. Vielmehr, sagt sie, habe Maria Theresia schlicht die Notwendigkeit erkannt, „den herrscherlichen Körper als solchen zu inszenieren. Der Habitus des Monarchen war eine Staatsangelegenheit.“
Élisabeth Badinter hingegen nimmt sich zum Beschreiben des historischen Kontextes selten Zeit. Sie schildert eine Frauengeschichte und produziert nahezu herzzerreißende Einschätzungen wie diese: „Der Konflikt zwischen Mutter und Herrscherin muss herzzerreißend gewesen sein“, nachdem die Königin ihren Sohn und Mitregenten düpiert hatte.
Zu den Aufgaben einer guten Herrscherin gehörte es zweifellos nicht, ihren Nachruhm durch die Vernichtung von Akten zu beeinflussen. Archivieren ließ sie nur, was ihr gefiel und womit sie gefallen konnte. Uneitel, wie die Maria-Theresia-Verehrer des 19. Jahrhunderts in ihren panegyrischen Lebensberichten schrieben, war diese Frau sicher nicht. Und großherzig gegen die kleinen Leute, die Armen und Beladenen, war sie auch nicht. Vielmehr, das arbeitet Stollberg-Rilinger klug heraus, handelte sie mit Gunst. Als Gegenleistung erwartete sie Loyalität.
Einen bemerkenswerten Ausschnitt dieses riesigen Gemäldes, das Barbara Stollberg-Rilinger um ihr Porträt der Habsburgerin herum malt, bildet die Beziehung Maria Theresias zu ihrem Mann Franz Stephan ab. So agil und temperamentvoll die Frau war, so träge erschien er. Aber sie liebte ihn, und zwar – so märchenhaft es auch klingt – von Kindheit an bis zu seinem Tod. Franz Stephan von Lothringen hatte einen schweren Stand am Wiener Hof: Sie war die Herrin, er hatte nichts zu melden. Bis sie ihm die Kaiserwürde verschaffte. Maria Theresia wurde selbst nie zur Kaiserin gekrönt, sie trug den Titel als Kaisergattin.
Badinter macht ein von Maria Theresia angestrebtes „Modell des bürgerlichen Ehepaars, wie es hätte prüder nicht sein können“ aus. Bei Stollberg-Rilinger dagegen lernt man, dass die Königin-Kaiserin überhaupt keinen Begriff von einer bürgerlichen Ehe hatte – dieses Modell entstand erst im nächsten Jahrhundert. Jedenfalls beruhte die Liebe in ihrer eigenartigen Intensität offenbar nicht auf Gegenseitigkeit. Franz Stephan erlaubte sich Seitensprünge, was letztendlich die notorische Keuschheitspolitik seiner Frau entfachte. Sie verbot Bälle und setzte Spitzel ein, die sexuellen Ausschweifungen im Volk nachspüren mussten.
Für eine Heldin war Maria Theresia zu verbissen. Sogar das „Damen Conversations Lexicon“ attestierte, ihr religiöser Eifer habe sie bisweilen zu Handlungen hingerissen, „die den Glanz ihres Andenkens trüben“.
Barbara Stollberg-Rilinger: Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie. Verlag C.H.Beck, München 2017. 1083 Seiten, 34 Euro. E-Book 28,99 Euro.
Élisabeth Badinter: Maria Theresia. Die Macht der Frau. Aus dem Französischen von Horst Brühmann und Petra Willim. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2017. 301 Seiten, 24 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Stollberg-Rilingers Biografie ist
ein Meilenstein – und für den
Preis der Buchmesse nominiert
Sie gebar sechzehn Kinder
und liebte ihren Mann zeitlebens
mit ungewöhnlicher Innigkeit
Élisabeth Badinter erzählt eine
Frauengeschichte und kommt zu
herzzerreißenden Einschätzungen
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Königin
Vor 300 Jahren wurde Maria Theresia
geboren. Zwei sehr unterschiedliche
Bücher nähern sich der Habsburgerin
VON RUDOLF NEUMAIER
Geschichten von Helden und Antihelden werden mit Superlativen geschrieben, und Heldinnen wiederum funkeln schon allein wegen ihrer Seltenheit in den von Männern dominierten Geschichtsbüchern am glamourösesten hervor. Bei der „edlen und erhabenen“ Maria Theresia handle es sich um eine der „größten Fürsten, die je eine Krone trugen“, heißt es im „Damen Conversations Lexikon“, erschienen im Jahr 1834. Bei ihr verbanden sich die „schönsten weiblichen Tugenden mit den glänzenden Eigenschaften, die eine Krone würdig zieren“.
Noch überschwänglicher schreibt drei Dekaden später der Historiker Alfred von Arneth von ihr, Staatsarchivdirektor in Wien. Sie habe in „höherem Maße als irgend ein Monarch vor oder nach ihr zum Wohle der österreichischen Länder gewirkt“ und diese zur „schönsten Blüthe“ geführt. Maria Theresias Persönlichkeit bilde die „glänzendste Erscheinung, von welcher die Geschichte Österreichs zu berichten weiß“. Die Habsburger Kaiser von Rudolf I. über Maximilian I. bis zu Karl V. – sie alle verblassten gegenüber dieser Heldin, die im 19. Jahrhundert zu einer Nationalheiligen avancierte. Zeit für eine Entheiligung, Entehrung, Entheldung? Jedenfalls für Klarstellungen.
Seit nahezu 200 Jahren, seit Ritter von Arneth, hat sich kein Historiker mehr ernsthaft und eingehend mit Leben und Wirken der Königin-Kaiserin beschäftigt. Im Jubiläumsjahr dieser Habsburgerin, die am
13. Mai 1717 geboren wurde, erscheinen nun Maria-Theresia-Bücher von zwei Biografinnen. Die Arbeit der Münsteraner Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger setzt in der Erforschung dieser Herrscherin und in der Bibliografie zu dieser Person auf Dauer einen Meilenstein. Eine wesentlich straffere Studie stammt von der französischen Philosophin Élisabeth Badinter.
Barbara Stollberg-Rilinger, Jahrgang 1955 und seit zwanzig Jahren Inhaberin des Lehrstuhls für Frühe Neuzeit in Münster, hat sich in der internationalen Historikerelite etabliert, indem sie mit ihren Studien über Herrscherrituale und ihre Bedeutung Macht- und Standessymbole sehr plastisch dechiffrierte. Unter anderem bekam sie den Leibniz-Preis und den Preis des Historischen Kollegs, und es würde keineswegs überraschen, wenn sie nun auch für ihre „Maria Theresia“, die ganz nebenbei eine Enzyklopädie des Lebens am Hof im 18. Jahrhundert mitliefert, Auszeichnungen erhielte. Die Superlative, die sich in diesem akribisch recherchierten und mehr als 1000 Seiten umfassenden Buch finden, lassen sich an einer Hand abzählen. Die Geschichte fasziniert trotzdem.
Maria Theresias Vater, Kaiser Karl VI., hatte schon frühzeitig eine Regelung getroffen, die seinen weiblichen Nachkommen den Vorrang vor etwa konkurrierenden Töchtern seines Bruders gab: die Pragmatische Sanktion. Dieses neue Habsburger Hausgesetz verschaffte Maria Theresia, deren einziger Bruder mit sieben Monaten gestorben war, die Nachfolge – und den anderen europäischen Mächten die Gelegenheit, das Haus Österreich mit allerlei Ansprüchen zu behelligen. Sie musste sich in einem achtjährigen Erbfolgekrieg behaupten, der Österreich allerdings die reiche Provinz Schlesien kostete.
„Die Tatsache, dass Maria Theresia eine Frau war, bedeutete für ihre Regentschaft Fluch und Segen zugleich“, schreibt Barbara Stollberg-Rilinger. Friedrich II., der misogyne Preuße, stellte seine Angriffe gegen Österreich zu Beginn jenes Krieges als gut gemeinte Schutzmaßnahme dar: Junger und strammer Kavalier springt seiner ebenso jungen Kollegin, einer Vertreterin des schwachen Geschlechts, zur Seite – blanker Zynismus.
Für eine 23-jährige, in politischen Dingen nicht allzu bewanderte Königstochter handelte die junge Habsburgerin erstaunlich, man möchte fast sagen märchenhaft kühn. Statt sich einschüchtern zu lassen, bot sie ihren Gegnern die Stirn – und das mit einer Armee, die ihr der Vater nach heutigem Verständnis im Zustand einer Gurkentruppe hinterlassen hatte. Wie selbstverständlich sah sie sich als exponiertes Wesen einer überirdischen Weltordnung. Die göttliche Vorsehung selbst hatte ihr diese Rolle zuerkannt, das Erbrecht galt ihr im wahrsten Wortsinn als heilig. Wer es infrage stellte, handelte in ihren Augen dieser von Gottes Gnade eingesetzten Ordnung und damit Gott selbst zuwider. Die Vorsehung zu verteidigen war ihrer Überzeugung nach ihr heiliger Auftrag. Sie wusste von Anfang an, dass sie Geschichte schreiben würde, welche Unbilden und Erfolge auch immer sie zu verzeichnen hätte. Diese Selbsteinschätzung begründete ihr Image von der standhaften Herrscherin.
Eine der vielen Titulierungen, die Maria Theresia im Laufe der Zeit zuteilwurden, lautet Reichshausfrau. Heute klingt sie alles andere als schmeichelhaft, sie verhöhnt ihre Distinktion. Ja, diese Frau war ein Familienmensch, und ja, sie kümmerte sich wohl stärker und beherzter um ihre Kinder, als die meisten männlichen Monarchen dies taten. Doch die Staatsgeschäfte standen bei ihr Tag für Tag im Vordergrund. Die Erzherzogin und spätere Königin gebar 16 Kinder. Es ist aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, wie eine Frau, die fast ununterbrochen schwanger ist, ein solches Vielvölkergebilde regieren kann. Maria Theresia schaffte es. Darauf haben schon immer alle verwiesen, die sie als Heldin verehren.
Bei Barbara Stollberg-Rilinger lernen die Leser eine Monarchin nicht nur in ihren privaten Gemächern und Gedankengängen kennen, bei dekadentem Zocken mit ihren Hofleuten um Tausende Gulden am Spieltisch und beim Vorbereiten der geliebten Schwiegertochter auf die Niederkunft, sondern auch in ihrem politischen Alltag. Sie war verschiedener Sprachen mächtig, verwendete aber in der Konversation mit ihrer Entourage ein Deutsch mit Wiener Einschlag. Schriftlich verständigte sie sich häufig auf Französisch, mitunter auf Italienisch.
Als die junge Königin im Jahr 1741 vor den ungarischen Ständen eine flammende Rede auf Lateinisch hielt und Unterstützung im Kampf gegen den nassforschen Preußenkönig Friedrich erbat, sollen die Magyaren begeistert die Säbel gezogen und gerufen haben, sie würden für die Königin sterben.
Grob gesagt, hat ihre vier Dekaden währende Regentschaft im Jahr 1740 trotz der widrigen äußeren Umstände gut begonnen. Doch je länger sie dauerte, desto schwerer tat sich Maria Theresia – und desto ungeschickter stellte sie sich an. Sie, die große Bewahrerin der alten Ordnung, hatte größte Schwierigkeiten mit der neuen Zeit und ihren geistigen Strömungen.
Aufklärung! Man kann bei Stollberg-Rilinger ungefähr nachempfinden, wie oft und immer öfter Maria Theresia die Hände über dem Kopf zusammenschlug, wenn sie mit dieser in ihren Augen misslichen „Modephilosophie“ konfrontiert war. Auch die Mode selbst missfiel ihr: „Bald zieht man gar nichts mehr an und läuft herum wie die Neger“, schrieb sie. Die Gesellschaft wandelte sich, und die Königin-Kaiserin wandelte sich nicht mit ihr, sondern bewegte sich in die Gegenrichtung.
Sie agierte am Anfang eher unkonventionell. Als ihr Johann Adolph Hasse 1744 nach einem Libretto von Pietro Metastasio eine Oper komponiert hatte, musste sie erst davon überzeugt werden, dass es nicht statthaft sei für eine Herrscherin, selbst darin aufzutreten. Als Jugendliche war Maria Theresia häufig auf der Bühne aufgetreten. Auch im Staatswesen traf sie überraschende Entscheidungen. Sie reformierte das Organigramm am Hof, mit der Abschaffung der Hofkanzleien im Mai 1749 per Handbillets aus dem Schloss Schönbrunn stieß sie einer Schar alter Amtsträger vor den Kopf.
Welche Stimmungen sie auslöste, verfolgt Stollberg-Rilinger gern in den Aufzeichnungen des Obersthofmeisters Johann Joseph von Khevenhüller, einer wunderbaren Quelle aus erster Hand. Khevenhüller war ein Höfling alter Schule, loyal bis zur Selbstverleugnung. Was er aber seinem Tagebuch anvertraute, war nicht immer nur schmeichelhaft für die Herrin. Es kam vor, dass die Monarchin Termine platzen ließ, weil „die Toilette nicht wohl gerathen und mann mit einem üblen Aufbutz in publico nicht erscheinen wollen“, schreibt Khevenhüller. Wobei Barbara Stollberg-Rilinger ihrer Hauptfigur deshalb nicht gleich einen Schönheitswahn andichten würde – vorschnelle Urteile sind ihr fremd. Vielmehr, sagt sie, habe Maria Theresia schlicht die Notwendigkeit erkannt, „den herrscherlichen Körper als solchen zu inszenieren. Der Habitus des Monarchen war eine Staatsangelegenheit.“
Élisabeth Badinter hingegen nimmt sich zum Beschreiben des historischen Kontextes selten Zeit. Sie schildert eine Frauengeschichte und produziert nahezu herzzerreißende Einschätzungen wie diese: „Der Konflikt zwischen Mutter und Herrscherin muss herzzerreißend gewesen sein“, nachdem die Königin ihren Sohn und Mitregenten düpiert hatte.
Zu den Aufgaben einer guten Herrscherin gehörte es zweifellos nicht, ihren Nachruhm durch die Vernichtung von Akten zu beeinflussen. Archivieren ließ sie nur, was ihr gefiel und womit sie gefallen konnte. Uneitel, wie die Maria-Theresia-Verehrer des 19. Jahrhunderts in ihren panegyrischen Lebensberichten schrieben, war diese Frau sicher nicht. Und großherzig gegen die kleinen Leute, die Armen und Beladenen, war sie auch nicht. Vielmehr, das arbeitet Stollberg-Rilinger klug heraus, handelte sie mit Gunst. Als Gegenleistung erwartete sie Loyalität.
Einen bemerkenswerten Ausschnitt dieses riesigen Gemäldes, das Barbara Stollberg-Rilinger um ihr Porträt der Habsburgerin herum malt, bildet die Beziehung Maria Theresias zu ihrem Mann Franz Stephan ab. So agil und temperamentvoll die Frau war, so träge erschien er. Aber sie liebte ihn, und zwar – so märchenhaft es auch klingt – von Kindheit an bis zu seinem Tod. Franz Stephan von Lothringen hatte einen schweren Stand am Wiener Hof: Sie war die Herrin, er hatte nichts zu melden. Bis sie ihm die Kaiserwürde verschaffte. Maria Theresia wurde selbst nie zur Kaiserin gekrönt, sie trug den Titel als Kaisergattin.
Badinter macht ein von Maria Theresia angestrebtes „Modell des bürgerlichen Ehepaars, wie es hätte prüder nicht sein können“ aus. Bei Stollberg-Rilinger dagegen lernt man, dass die Königin-Kaiserin überhaupt keinen Begriff von einer bürgerlichen Ehe hatte – dieses Modell entstand erst im nächsten Jahrhundert. Jedenfalls beruhte die Liebe in ihrer eigenartigen Intensität offenbar nicht auf Gegenseitigkeit. Franz Stephan erlaubte sich Seitensprünge, was letztendlich die notorische Keuschheitspolitik seiner Frau entfachte. Sie verbot Bälle und setzte Spitzel ein, die sexuellen Ausschweifungen im Volk nachspüren mussten.
Für eine Heldin war Maria Theresia zu verbissen. Sogar das „Damen Conversations Lexicon“ attestierte, ihr religiöser Eifer habe sie bisweilen zu Handlungen hingerissen, „die den Glanz ihres Andenkens trüben“.
Barbara Stollberg-Rilinger: Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie. Verlag C.H.Beck, München 2017. 1083 Seiten, 34 Euro. E-Book 28,99 Euro.
Élisabeth Badinter: Maria Theresia. Die Macht der Frau. Aus dem Französischen von Horst Brühmann und Petra Willim. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2017. 301 Seiten, 24 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Stollberg-Rilingers Biografie ist
ein Meilenstein – und für den
Preis der Buchmesse nominiert
Sie gebar sechzehn Kinder
und liebte ihren Mann zeitlebens
mit ungewöhnlicher Innigkeit
Élisabeth Badinter erzählt eine
Frauengeschichte und kommt zu
herzzerreißenden Einschätzungen
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2017Herrscherin, schöne Frau, liebende Mutter
Maria Theresia regierte nicht mit anderen Mitteln als die Männer. Sie versuchte, ihr physisches Geschlecht von ihrer Regentenrolle zu trennen. Aber sie bekam 16 Kinder. Wie wichtig und wie öffentlich diskutiert ihre Körperlichkeit und Fruchtbarkeit waren, gehört zu den vielen lesenswerten Details der Biographie von Barbara Stollberg-Rilinger
Von Wolfgang Schäuble
Als wir 2014 den Beginn des Ersten Weltkrieges vor hundert Jahren erinnerten und dabei das "Nie wieder!" besonders nachdrücklich bekräftigen wollten, belehrte uns der Krieg in der und um die Ukraine, dass der Verlauf der Geschichte unberechenbar bleibt und auch Orte und Regionen wieder prägt, deren Vergangenheit wie Gegenwart wir in Westeuropa bis heute nicht ausreichend kennen. Dann haben wir begonnen, uns einmal etwas näher mit der Geschichte von Europas Südosten und Osten zu beschäftigen, haben etwa "Bloodlands" vom amerikanischen Historiker Timothy Snyder gelesen und vielleicht ein Gefühl dafür entwickelt, dass wir in Westeuropa nicht immer so klug und souverän mit politischen Entwicklungen bei unseren ost- und südosteuropäischen Nachbarn und Partnern umgehen, wie wir es vielleicht könnten, wenn wir besser Bescheid wüssten über die Vorgeschichten mancher Besonderheit.
Wer nun noch mehr gegen diese bis heute im Westen Europas weit verbreitete Ahnungslosigkeit tun will, sollte sich nicht zuletzt die Geschichte des Hauses Habsburg vornehmen, das den südosteuropäischen Raum einst überspannte, und hierzu mit dem neuen Werk über die Kaiserin Maria Theresia (1717-1780) beginnen, verfasst von Barbara Stollberg-Rilinger, Lehrstuhlinhaberin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.
Wenn nicht alles täuscht, verschwindet die einstige zentraleuropäische, vor- und übernationale Macht des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, des "Alten Reiches", mit den Kaisern - seit dem 15. Jahrhundert - aus dem Hause Habsburg, mehr und mehr im Nebel des Vergessens. Wir sind noch immer geprägt von den Folgen des national orientierten Geschichtsbildes des 19. Jahrhunderts, nach dem der Untergang des Reiches und die Ausbildung der europäischen Nationalstaaten notwendig und richtig waren. Dabei hat es immer wieder Stimmen gegeben, die uns erinnert haben an die möglicherweise weiterhin oder wieder inspirierende Vorläuferschaft des vornationalen und nicht zentralistischen Reichsgebildes, und gerade auch der Habsburger Herrschaftsgebiete inner- und außerhalb des Reiches, für unsere heutige Europäische Union. Länder, Regionen, Religionen, Völker, Sprachen - in Vielfalt geeint und bis heute gerade in diesem südosteuropäischen habsburgischen Raum auch spürbar, für jeden, der die Städte dieses Raumes bereist.
Nun also diese Biographie, die mindestens so sehr ein Buch über die Zeit ist wie eines über die Frau. Über Maria Theresia hat Friedrich II., einer der männlichen Kollegen, die ihr ziemlich rücksichtslos zusetzten, nicht ohne Bewunderung geschrieben: "Einmal haben die Habsburger einen Mann, und dann ist es eine Frau!" Überraschend dabei der Hinweis, dass die beiden Rivalen im Reich einander nie persönlich begegnet sind - wie haben die Zeiten sich geändert, heute unvorstellbar, süffisant beklagter "Gipfelzirkus" hin oder her.
Maria Theresia, die Erbtochter, musste nach dem Tod ihres Vaters lange kämpfen, bis sie ihre juristisch zwar mögliche, politisch aber nur als Ausnahme - als "Staats-Gebrechen" - verstandene weibliche Herrschaft im Europa ihrer Zeit durchgesetzt hatte: Es dauerte mehrere Kriege - in der Anwendung der damals üblichen Mittel der Politik unterschied sie sich nicht von den Männern - und viele Kinder: 16 hatte sie in 19 Jahren im Alter von dann 39 geboren, zur Sicherung der Herrschaft ihres Hauses, die für sie so unsicher begonnen hatte. Die Nachweise, wie wichtig und wie öffentlich diskutiert in ihrer Zeit die Körperlichkeit der Herrscherin, ihre Fruchtbarkeit waren, gehören zu den vielen lesenswerten Passagen des Buches. Diese ungewöhnliche Kombination, die man in ihr sah, Herrscherin, schöne Frau, liebende Mutter - die war dann doch einzigartig und auch wieder ein Herrschaftsvorteil.
Maria Theresia selbst aber - und die Sprache ihrer Zeit - trennte ihr physisches Geschlecht von ihrer Regentenrolle. Sie war "Erzherzog" und zweifacher "König" - es gab keine weiblichen Sprachformen für die Herrschertitel. Sie war "Landesmutter" nur im Sinne des "Landesvaters": ein elterliches Herrschaftsverständnis. Aber die Staatsräson war geschlechtsneutral.
Kompliziert erscheinen aus heutiger Sicht die damaligen Herrschaftsstrukturen: Ihr Mann aus dem Hause Lothringen war als Franz I. Stephan Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Sie selbst verzichtete auf die für die Ehefrau eigentlich übliche Krönung zur Kaiserin, auch wenn man ihr so entgegentrat und wir sie bis heute so nennen. Der Kaiser hatte keine eigene Machtbasis; sie als Erzherzogin von Österreich und Königin von Ungarn und Böhmen schon. Dabei lagen die Länder der ungarischen Stephanskrone außerhalb des Heiligen Römischen Reiches, während Böhmen Teil des Reiches war.
Die Rollen wurden entsprechend getrennt, wie Stollberg-Rilinger es beschreibt: "Wenn auswärtige Botschafter ihre feierlichen Antritts- und Abschiedsaudienzen nahmen, empfing sie in der Regel zuerst Franz als Kaiser, dann Maria Theresia als Kaiserin und am Tag darauf noch einmal Maria Theresia, nun in ihrer Eigenschaft als Herrscherin der Erbländer." Ihr Mann war Kaiser und als Ehemann Mitregent der Erbländer, regierte aber nicht; das tat sie allein. Sie regierte wirklich persönlich, unermüdlich, ließ sich bis spät in der Nacht alles vorlegen: Gerichtsurteile, Vorträge, Depeschen, Briefe - und Berichte über die Entwicklung ihrer 16 Kinder.
Das Kapitel über die Erziehung am Hofe, über körperliche Disziplin und Manieren, regelmäßige Frömmigkeitsübungen und das strenge Tagesprogramm, ist eines der eindrücklichsten Kapitel des Buches. Kontrolle war großgeschrieben. Und selbst den erwachsenen Kindern schickte Maria Theresia am Ende noch Aufpasser in deren Ehen hinterher - wie im Fall ihrer Tochter Marie Antoinette sogar an den französischen Hof in Versailles.
Groß dann aber doch die Kluft zwischen größter Kontrolle und Aufmerksamkeit für die geistige, körperliche, charakterliche Entwicklung der Kinder, den Versuchen, auf sie einzuwirken, Tugenden und Fähigkeiten eines Herrschers zu erziehen, womit die Mutter freilich nur aus der Ferne über ständige schriftliche Instruktionen an die zahlreichen Erziehungsbeauftragten beschäftigt war - und dem weitgehenden Scheitern dieser Bemühungen, oder einfach dem Heranziehen ganz normaler Kinder, die den ungeheuren Ansprüchen der Mutter nicht genügen konnten und deren in ihren Augen zahllose Defizite sie erbarmungslos und in größter Ausführlichkeit in ihren Mitteilungen an die Erzieher beschrieb. Strafen - immerhin und doch schrecklich genug - tat man nicht körperlich, sondern zum Beispiel durch das Nichtfeiern von Geburts- und Namenstagen. Kindlicher Eigenwille musste gebrochen und die Kinder durften unter keinen Umständen wie Kinder behandelt werden.
Aber all diese dynastisch-erzieherischen Bemühungen konnten am Ende doch den Niedergang Habsburgs, den Aufstieg Preußens, die Übermacht Napoleons nicht verhindern. Die großen geschichtlichen Linien, die Grundströmungen von Wissenschaft und Technik, die Ideen von Freiheit und Gleichheit waren stärker als Tagespolitik, Machtgebaren und die Persönlichkeit des Einzelnen. In der Folge konnte Maria Theresia insgesamt nicht viel erreichen. Ihre Versuche, alles zu kontrollieren, waren letztlich vergeblich. Die historische Entwicklung ging über sie hinweg. Den Lauf der Geschichte konnte sie nicht nachhaltig beeinflussen.
Erstaunlich nüchtern beurteilt Stollberg-Rilinger auch die inneren Staatsreformen der aufgeklärten Monarchin, die Organisationsreformen zum Zweck einer effektiveren "Herrschaft aus der Ferne", die frühere Historiker so bewundert haben. Sie habe "einen neuen Staat aufgerichtet", hieß es lange - vernünftig, rational, vollendet durchgeplant, kontrolliert. Ganz sicher findet Stollberg-Rilinger dagegen nur zwei Folgen der Reformen: den Anstieg der Staatskosten und den Anstieg der Aktenflut. Man erreicht nicht, was man will, und das dann noch mit unerwünschten Nebenfolgen - eine Mahnung zur Demut in der Politik. Ein lehrreiches Buch, das im Frühjahr den Sachbuch-Preis der Leipziger Buchmesse verdient erhalten hat.
Wolfgang Schäuble, CDU, ist Bundesminister der Finanzen.
Barbara Stollberg-Rilinger, "Maria Theresia - Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie". Verlag C. H. Beck, 1083 Seiten, 34 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Maria Theresia regierte nicht mit anderen Mitteln als die Männer. Sie versuchte, ihr physisches Geschlecht von ihrer Regentenrolle zu trennen. Aber sie bekam 16 Kinder. Wie wichtig und wie öffentlich diskutiert ihre Körperlichkeit und Fruchtbarkeit waren, gehört zu den vielen lesenswerten Details der Biographie von Barbara Stollberg-Rilinger
Von Wolfgang Schäuble
Als wir 2014 den Beginn des Ersten Weltkrieges vor hundert Jahren erinnerten und dabei das "Nie wieder!" besonders nachdrücklich bekräftigen wollten, belehrte uns der Krieg in der und um die Ukraine, dass der Verlauf der Geschichte unberechenbar bleibt und auch Orte und Regionen wieder prägt, deren Vergangenheit wie Gegenwart wir in Westeuropa bis heute nicht ausreichend kennen. Dann haben wir begonnen, uns einmal etwas näher mit der Geschichte von Europas Südosten und Osten zu beschäftigen, haben etwa "Bloodlands" vom amerikanischen Historiker Timothy Snyder gelesen und vielleicht ein Gefühl dafür entwickelt, dass wir in Westeuropa nicht immer so klug und souverän mit politischen Entwicklungen bei unseren ost- und südosteuropäischen Nachbarn und Partnern umgehen, wie wir es vielleicht könnten, wenn wir besser Bescheid wüssten über die Vorgeschichten mancher Besonderheit.
Wer nun noch mehr gegen diese bis heute im Westen Europas weit verbreitete Ahnungslosigkeit tun will, sollte sich nicht zuletzt die Geschichte des Hauses Habsburg vornehmen, das den südosteuropäischen Raum einst überspannte, und hierzu mit dem neuen Werk über die Kaiserin Maria Theresia (1717-1780) beginnen, verfasst von Barbara Stollberg-Rilinger, Lehrstuhlinhaberin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.
Wenn nicht alles täuscht, verschwindet die einstige zentraleuropäische, vor- und übernationale Macht des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, des "Alten Reiches", mit den Kaisern - seit dem 15. Jahrhundert - aus dem Hause Habsburg, mehr und mehr im Nebel des Vergessens. Wir sind noch immer geprägt von den Folgen des national orientierten Geschichtsbildes des 19. Jahrhunderts, nach dem der Untergang des Reiches und die Ausbildung der europäischen Nationalstaaten notwendig und richtig waren. Dabei hat es immer wieder Stimmen gegeben, die uns erinnert haben an die möglicherweise weiterhin oder wieder inspirierende Vorläuferschaft des vornationalen und nicht zentralistischen Reichsgebildes, und gerade auch der Habsburger Herrschaftsgebiete inner- und außerhalb des Reiches, für unsere heutige Europäische Union. Länder, Regionen, Religionen, Völker, Sprachen - in Vielfalt geeint und bis heute gerade in diesem südosteuropäischen habsburgischen Raum auch spürbar, für jeden, der die Städte dieses Raumes bereist.
Nun also diese Biographie, die mindestens so sehr ein Buch über die Zeit ist wie eines über die Frau. Über Maria Theresia hat Friedrich II., einer der männlichen Kollegen, die ihr ziemlich rücksichtslos zusetzten, nicht ohne Bewunderung geschrieben: "Einmal haben die Habsburger einen Mann, und dann ist es eine Frau!" Überraschend dabei der Hinweis, dass die beiden Rivalen im Reich einander nie persönlich begegnet sind - wie haben die Zeiten sich geändert, heute unvorstellbar, süffisant beklagter "Gipfelzirkus" hin oder her.
Maria Theresia, die Erbtochter, musste nach dem Tod ihres Vaters lange kämpfen, bis sie ihre juristisch zwar mögliche, politisch aber nur als Ausnahme - als "Staats-Gebrechen" - verstandene weibliche Herrschaft im Europa ihrer Zeit durchgesetzt hatte: Es dauerte mehrere Kriege - in der Anwendung der damals üblichen Mittel der Politik unterschied sie sich nicht von den Männern - und viele Kinder: 16 hatte sie in 19 Jahren im Alter von dann 39 geboren, zur Sicherung der Herrschaft ihres Hauses, die für sie so unsicher begonnen hatte. Die Nachweise, wie wichtig und wie öffentlich diskutiert in ihrer Zeit die Körperlichkeit der Herrscherin, ihre Fruchtbarkeit waren, gehören zu den vielen lesenswerten Passagen des Buches. Diese ungewöhnliche Kombination, die man in ihr sah, Herrscherin, schöne Frau, liebende Mutter - die war dann doch einzigartig und auch wieder ein Herrschaftsvorteil.
Maria Theresia selbst aber - und die Sprache ihrer Zeit - trennte ihr physisches Geschlecht von ihrer Regentenrolle. Sie war "Erzherzog" und zweifacher "König" - es gab keine weiblichen Sprachformen für die Herrschertitel. Sie war "Landesmutter" nur im Sinne des "Landesvaters": ein elterliches Herrschaftsverständnis. Aber die Staatsräson war geschlechtsneutral.
Kompliziert erscheinen aus heutiger Sicht die damaligen Herrschaftsstrukturen: Ihr Mann aus dem Hause Lothringen war als Franz I. Stephan Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Sie selbst verzichtete auf die für die Ehefrau eigentlich übliche Krönung zur Kaiserin, auch wenn man ihr so entgegentrat und wir sie bis heute so nennen. Der Kaiser hatte keine eigene Machtbasis; sie als Erzherzogin von Österreich und Königin von Ungarn und Böhmen schon. Dabei lagen die Länder der ungarischen Stephanskrone außerhalb des Heiligen Römischen Reiches, während Böhmen Teil des Reiches war.
Die Rollen wurden entsprechend getrennt, wie Stollberg-Rilinger es beschreibt: "Wenn auswärtige Botschafter ihre feierlichen Antritts- und Abschiedsaudienzen nahmen, empfing sie in der Regel zuerst Franz als Kaiser, dann Maria Theresia als Kaiserin und am Tag darauf noch einmal Maria Theresia, nun in ihrer Eigenschaft als Herrscherin der Erbländer." Ihr Mann war Kaiser und als Ehemann Mitregent der Erbländer, regierte aber nicht; das tat sie allein. Sie regierte wirklich persönlich, unermüdlich, ließ sich bis spät in der Nacht alles vorlegen: Gerichtsurteile, Vorträge, Depeschen, Briefe - und Berichte über die Entwicklung ihrer 16 Kinder.
Das Kapitel über die Erziehung am Hofe, über körperliche Disziplin und Manieren, regelmäßige Frömmigkeitsübungen und das strenge Tagesprogramm, ist eines der eindrücklichsten Kapitel des Buches. Kontrolle war großgeschrieben. Und selbst den erwachsenen Kindern schickte Maria Theresia am Ende noch Aufpasser in deren Ehen hinterher - wie im Fall ihrer Tochter Marie Antoinette sogar an den französischen Hof in Versailles.
Groß dann aber doch die Kluft zwischen größter Kontrolle und Aufmerksamkeit für die geistige, körperliche, charakterliche Entwicklung der Kinder, den Versuchen, auf sie einzuwirken, Tugenden und Fähigkeiten eines Herrschers zu erziehen, womit die Mutter freilich nur aus der Ferne über ständige schriftliche Instruktionen an die zahlreichen Erziehungsbeauftragten beschäftigt war - und dem weitgehenden Scheitern dieser Bemühungen, oder einfach dem Heranziehen ganz normaler Kinder, die den ungeheuren Ansprüchen der Mutter nicht genügen konnten und deren in ihren Augen zahllose Defizite sie erbarmungslos und in größter Ausführlichkeit in ihren Mitteilungen an die Erzieher beschrieb. Strafen - immerhin und doch schrecklich genug - tat man nicht körperlich, sondern zum Beispiel durch das Nichtfeiern von Geburts- und Namenstagen. Kindlicher Eigenwille musste gebrochen und die Kinder durften unter keinen Umständen wie Kinder behandelt werden.
Aber all diese dynastisch-erzieherischen Bemühungen konnten am Ende doch den Niedergang Habsburgs, den Aufstieg Preußens, die Übermacht Napoleons nicht verhindern. Die großen geschichtlichen Linien, die Grundströmungen von Wissenschaft und Technik, die Ideen von Freiheit und Gleichheit waren stärker als Tagespolitik, Machtgebaren und die Persönlichkeit des Einzelnen. In der Folge konnte Maria Theresia insgesamt nicht viel erreichen. Ihre Versuche, alles zu kontrollieren, waren letztlich vergeblich. Die historische Entwicklung ging über sie hinweg. Den Lauf der Geschichte konnte sie nicht nachhaltig beeinflussen.
Erstaunlich nüchtern beurteilt Stollberg-Rilinger auch die inneren Staatsreformen der aufgeklärten Monarchin, die Organisationsreformen zum Zweck einer effektiveren "Herrschaft aus der Ferne", die frühere Historiker so bewundert haben. Sie habe "einen neuen Staat aufgerichtet", hieß es lange - vernünftig, rational, vollendet durchgeplant, kontrolliert. Ganz sicher findet Stollberg-Rilinger dagegen nur zwei Folgen der Reformen: den Anstieg der Staatskosten und den Anstieg der Aktenflut. Man erreicht nicht, was man will, und das dann noch mit unerwünschten Nebenfolgen - eine Mahnung zur Demut in der Politik. Ein lehrreiches Buch, das im Frühjahr den Sachbuch-Preis der Leipziger Buchmesse verdient erhalten hat.
Wolfgang Schäuble, CDU, ist Bundesminister der Finanzen.
Barbara Stollberg-Rilinger, "Maria Theresia - Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie". Verlag C. H. Beck, 1083 Seiten, 34 Euro
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