Bei seinem Jugendfreund Johann Jakob von Willemer lernte Goethe Marianne Jung kennen. Sie war die "Pflegetochter" des reichen Frankfurter Bankiers, der die erst sechzehnjährige Schauspielerin und Tänzerin ihrer Mutter buchstäblich abgekauft und zu sich ins Haus geholt hatte. Die junge Frau war nicht nur "liebenswürdig" und "anmutig", sondern auch intelligent und so verführerisch, dass der junge Clemens Brentano sich spontan in sie verliebte und sie heiraten wollte.
Marianne war eine phantasievolle Erzählerin, sie spielte Klavier und sang hinreißend Goethes Lieder zur Gitarre. Sie ergänzten sich: der berühmte Dichter und seine schöne Interpretin.
Marianne wäre wohl zu jeder Verbindung mit Goethe bereit gewesen. Sie teilte nicht nur seine Liebe zum Orient, sondern antwortete seinen leidenschaftlichen Versen auch mit eigenen Liebesgedichten. Ein Wechselgesang entstand, ein Dialog in Gedichten, wie es ihn nie zuvor in der deutschen Literatur gegeben hatte. Goethe verlieh Marianne denNamen "Suleika", sie trafen sich heimlich und schrieben sich Liebesbriefe, deren chiffrierter Inhalt für die Umgebung nicht zu entschlüsseln war.
Aber Marianne war die Frau seines Freundes. Überraschend, sogar ohne Papiere und unter Angabe falscher Daten hatte sie ihren "Pflegevater" überstürzt geheiratet. Bisher war, trotz ihrer Begegnung mit Goethe, nur wenig über sie bekannt.
Dagmar von Gersdorff hat die Lebensgeschichte der Marianne von Willemer detailliert nachgezeichnet.
Marianne war eine phantasievolle Erzählerin, sie spielte Klavier und sang hinreißend Goethes Lieder zur Gitarre. Sie ergänzten sich: der berühmte Dichter und seine schöne Interpretin.
Marianne wäre wohl zu jeder Verbindung mit Goethe bereit gewesen. Sie teilte nicht nur seine Liebe zum Orient, sondern antwortete seinen leidenschaftlichen Versen auch mit eigenen Liebesgedichten. Ein Wechselgesang entstand, ein Dialog in Gedichten, wie es ihn nie zuvor in der deutschen Literatur gegeben hatte. Goethe verlieh Marianne denNamen "Suleika", sie trafen sich heimlich und schrieben sich Liebesbriefe, deren chiffrierter Inhalt für die Umgebung nicht zu entschlüsseln war.
Aber Marianne war die Frau seines Freundes. Überraschend, sogar ohne Papiere und unter Angabe falscher Daten hatte sie ihren "Pflegevater" überstürzt geheiratet. Bisher war, trotz ihrer Begegnung mit Goethe, nur wenig über sie bekannt.
Dagmar von Gersdorff hat die Lebensgeschichte der Marianne von Willemer detailliert nachgezeichnet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2003Nun entsagt mal schön!
Goethe und Marianne von Willemer / Von Hermann Kurzke
Eng ist das Leben fürwahr, aber die Hoffnung ist weit." Ein Kuß im Heidelberger Schloßgarten war der Höhepunkt von sechs Wochen der Nähe, auf die sechzehn Jahre der Ferne folgten. Die Unerfüllbarkeit entwickelte eine liebeskranke Gewalt, wie sie die Erfüllung niemals hätte haben können. Goethe war tief verliebt. Dennoch war da ein Etwas, das ihn bremste. Es war nicht die Moral und nicht allein der Verstand, was ihm sagte, daß es untunlich sei, als sechsundsechzigjähriger Witwer die dreißigjährige Ehefrau seines Freundes Johann Jakob von Willemer zu begehren. Es war sein Schicksalsgefühl, das unbeherrschbare Verstrickungen vorausahnte und ihn umkehren ließ, als seine Kutsche auf dem Weg von Weimar nach Frankfurt mit gebrochenem Rade liegenblieb. Das Zeichen bestärkte ihn in der Furcht, sein Leben würde aus der Balance geraten, wenn er dem Wink nicht gehorchte.
So blieb nur die Erinnerung. Für einen Poeten ist das nicht wenig, sondern viel. Nach Herzenslust treiben beide briefwechselnd einen Reliquienkult mit dem wenigen Erlebten, das die Erinnerung zu einem Privatmythos hinauffiebert. Wer liebt, sieht überall Ähnlichkeiten. Das geheimnisvolle Ginkgoblatt! Hudhud, der Wiedehopf und Liebesbote! Der Gott und die Bajadere! Hatem und Suleika! Wird eine Saite nur leise berührt, erklingt sogleich eine vieltönige Melodie. Der westöstliche Diwan wird zu einem chiffrierten Liebesgespräch, öffentlich geführt, aber mit einem privaten Nebensinn, nur dem Liebespaar entschlüsselbar.
Der reiche Frankfurter Bankier Willemer hatte im Frühjahr 1800 die bezaubernde Sängerin und Tänzerin Marianne Jung als Sechzehnjährige in sein Haus genommen, gegen eine hohe Summe, die er ihrer Mutter bezahlte. Er hatte sie (ohne Umschweife gesprochen) gekauft, weil sie ihm so gut gefiel. Sie war, wie Dagmar von Gersdorff herausgefunden hat, das uneheliche Kind einer verarmten Schauspielerin und eines holländischen Tanzmeisters, den sie ihr Leben lang verleugnete. Nach vierzehn Jahren des Zusammenseins kommt es zu einer merkwürdig überstürzten Hochzeit, ohne die benötigten Papiere vorzulegen, ohne die Fristen einzuhalten, unter Inkaufnahme hoher Strafgebühr. Vielleicht sollte das Verfahren zur Verschleierung ihrer Herkunft dienen, denn aus den Akten geht hervor, daß die der Behörde versprochenen Papiere der Marianne Jung, die in Wirklichkeit Marianne van Gangelt hätte heißen müssen, niemals nachgereicht wurden.
Die Ehe wurde geschlossen Ende September 1814, genau in der Zeit von Goethes erstem Besuch, als seine Verliebtheit zu keimen begann. Ob Goethe zu dieser Hochzeit riet, um Marianne vor sich in Sicherheit zu bringen? Und gleichzeitig den weiteren geselligen Verkehr mit ihr zu ermöglichen? Nicht unwahrscheinlich. Willemer nannte seine junge Frau "Mariane", nach der Schauspielerin aus Goethes Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre", in die sich Wilhelm verliebt, die aber aus Geldgründen ein Verhältnis zu einem reichen Kaufmann unterhält. Fatale Stimmigkeiten! Willemer brachte sich selbst damit in die Rolle dessen, der des Geldes wegen Mariannes Körper besaß, aber ihre Seele dem Konkurrenten überlassen mußte. Denn Marianne brachte ihm zwar Ehrerbietung und Dankbarkeit entgegen, aber geliebt hat sie ihren Wohltäter wohl nie.
Willemer gönnte Goethe seine Frau, ja, bot sie ihm geradezu an. Er sah, daß Marianne krank wurde ohne den Geliebten. Er lud Goethe nach Frankfurt ein, immer wieder, bis zur Würdelosigkeit, bis an den Rand der Kuppelei, aber Goethe wich aus, kam nicht. Nur einen Briefkontakt erlaubte er sich nach Jahren des Schweigens.
Sie war bereit, alles zu geben, er nicht. Marianne bescherte ihm eine Schaffenseuphorie, wie er sie lange nicht erlebt hatte. Ob er Zyniker genug war, das Dichten höher zu schätzen als das Leben? Dagmar von Gersdorff gestattet sich solche Fragen nicht. Sie führt den Leser ganz nah, so nah, wie es die Quellen irgend erlauben, an die Liebenden heran, verzichtet aber auf Theoriebildung und kritische Distanz zugunsten einer fast lyrischen Intensität. Die Stärke des Buches ist zugleich seine Grenze. Die Autorin setzt alles auf eine Karte. Sie blickt so gut wie ausschließlich auf diese Liebe. Der private Nebensinn des Dichtens wird zur Hauptsache. Daß der westöstliche Diwan nicht nur Liebesgeflüster ist, sondern zugleich eine tiefe und dankerfüllte Begegnung mit einer Hochkultur des Orients, wird zwar rhetorisch eingeräumt, aber psychologisch nicht berücksichtigt.
Nach Sigrid Damm ("Christiane und Goethe") und Helmut Koopmann ("Goethe und Frau von Stein") haben wir nun in kurzen Abständen ein drittes und mutmaßlich wieder erfolgreiches Buch über Goethes Frauen. Ist das förderlich? Ist die Privatperspektive nicht bequem und billig, geboren aus dem Wunsch des Voyeurs, den Dichter herunterzuziehen ins Parterre der Gewöhnlichkeit? "Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität", schrieb Friedrich Schiller, und fügte spöttisch hinzu: "Diese muß es also wert sein, vor Welt und Nachwelt ausgestellt zu werden." Nicht nur Goethes Werk, auch seine Person hat etwas Paradigmatisches. Er brauchte seine Freiheit für die Kunst. Nur ihr gab er sich ganz. "Entbehrung ist ein leidiges Wesen", schreibt er an Marianne am 6. Oktober 1816. Der dauernde Schmerz des Verzichts wird umgesetzt in die Höllen und Paradiese der Kunst.
Dagmar von Gersdorff: "Marianne von Willemer und Goethe". Insel Verlag, Frankfurt am Main 2003. 302 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Goethe und Marianne von Willemer / Von Hermann Kurzke
Eng ist das Leben fürwahr, aber die Hoffnung ist weit." Ein Kuß im Heidelberger Schloßgarten war der Höhepunkt von sechs Wochen der Nähe, auf die sechzehn Jahre der Ferne folgten. Die Unerfüllbarkeit entwickelte eine liebeskranke Gewalt, wie sie die Erfüllung niemals hätte haben können. Goethe war tief verliebt. Dennoch war da ein Etwas, das ihn bremste. Es war nicht die Moral und nicht allein der Verstand, was ihm sagte, daß es untunlich sei, als sechsundsechzigjähriger Witwer die dreißigjährige Ehefrau seines Freundes Johann Jakob von Willemer zu begehren. Es war sein Schicksalsgefühl, das unbeherrschbare Verstrickungen vorausahnte und ihn umkehren ließ, als seine Kutsche auf dem Weg von Weimar nach Frankfurt mit gebrochenem Rade liegenblieb. Das Zeichen bestärkte ihn in der Furcht, sein Leben würde aus der Balance geraten, wenn er dem Wink nicht gehorchte.
So blieb nur die Erinnerung. Für einen Poeten ist das nicht wenig, sondern viel. Nach Herzenslust treiben beide briefwechselnd einen Reliquienkult mit dem wenigen Erlebten, das die Erinnerung zu einem Privatmythos hinauffiebert. Wer liebt, sieht überall Ähnlichkeiten. Das geheimnisvolle Ginkgoblatt! Hudhud, der Wiedehopf und Liebesbote! Der Gott und die Bajadere! Hatem und Suleika! Wird eine Saite nur leise berührt, erklingt sogleich eine vieltönige Melodie. Der westöstliche Diwan wird zu einem chiffrierten Liebesgespräch, öffentlich geführt, aber mit einem privaten Nebensinn, nur dem Liebespaar entschlüsselbar.
Der reiche Frankfurter Bankier Willemer hatte im Frühjahr 1800 die bezaubernde Sängerin und Tänzerin Marianne Jung als Sechzehnjährige in sein Haus genommen, gegen eine hohe Summe, die er ihrer Mutter bezahlte. Er hatte sie (ohne Umschweife gesprochen) gekauft, weil sie ihm so gut gefiel. Sie war, wie Dagmar von Gersdorff herausgefunden hat, das uneheliche Kind einer verarmten Schauspielerin und eines holländischen Tanzmeisters, den sie ihr Leben lang verleugnete. Nach vierzehn Jahren des Zusammenseins kommt es zu einer merkwürdig überstürzten Hochzeit, ohne die benötigten Papiere vorzulegen, ohne die Fristen einzuhalten, unter Inkaufnahme hoher Strafgebühr. Vielleicht sollte das Verfahren zur Verschleierung ihrer Herkunft dienen, denn aus den Akten geht hervor, daß die der Behörde versprochenen Papiere der Marianne Jung, die in Wirklichkeit Marianne van Gangelt hätte heißen müssen, niemals nachgereicht wurden.
Die Ehe wurde geschlossen Ende September 1814, genau in der Zeit von Goethes erstem Besuch, als seine Verliebtheit zu keimen begann. Ob Goethe zu dieser Hochzeit riet, um Marianne vor sich in Sicherheit zu bringen? Und gleichzeitig den weiteren geselligen Verkehr mit ihr zu ermöglichen? Nicht unwahrscheinlich. Willemer nannte seine junge Frau "Mariane", nach der Schauspielerin aus Goethes Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre", in die sich Wilhelm verliebt, die aber aus Geldgründen ein Verhältnis zu einem reichen Kaufmann unterhält. Fatale Stimmigkeiten! Willemer brachte sich selbst damit in die Rolle dessen, der des Geldes wegen Mariannes Körper besaß, aber ihre Seele dem Konkurrenten überlassen mußte. Denn Marianne brachte ihm zwar Ehrerbietung und Dankbarkeit entgegen, aber geliebt hat sie ihren Wohltäter wohl nie.
Willemer gönnte Goethe seine Frau, ja, bot sie ihm geradezu an. Er sah, daß Marianne krank wurde ohne den Geliebten. Er lud Goethe nach Frankfurt ein, immer wieder, bis zur Würdelosigkeit, bis an den Rand der Kuppelei, aber Goethe wich aus, kam nicht. Nur einen Briefkontakt erlaubte er sich nach Jahren des Schweigens.
Sie war bereit, alles zu geben, er nicht. Marianne bescherte ihm eine Schaffenseuphorie, wie er sie lange nicht erlebt hatte. Ob er Zyniker genug war, das Dichten höher zu schätzen als das Leben? Dagmar von Gersdorff gestattet sich solche Fragen nicht. Sie führt den Leser ganz nah, so nah, wie es die Quellen irgend erlauben, an die Liebenden heran, verzichtet aber auf Theoriebildung und kritische Distanz zugunsten einer fast lyrischen Intensität. Die Stärke des Buches ist zugleich seine Grenze. Die Autorin setzt alles auf eine Karte. Sie blickt so gut wie ausschließlich auf diese Liebe. Der private Nebensinn des Dichtens wird zur Hauptsache. Daß der westöstliche Diwan nicht nur Liebesgeflüster ist, sondern zugleich eine tiefe und dankerfüllte Begegnung mit einer Hochkultur des Orients, wird zwar rhetorisch eingeräumt, aber psychologisch nicht berücksichtigt.
Nach Sigrid Damm ("Christiane und Goethe") und Helmut Koopmann ("Goethe und Frau von Stein") haben wir nun in kurzen Abständen ein drittes und mutmaßlich wieder erfolgreiches Buch über Goethes Frauen. Ist das förderlich? Ist die Privatperspektive nicht bequem und billig, geboren aus dem Wunsch des Voyeurs, den Dichter herunterzuziehen ins Parterre der Gewöhnlichkeit? "Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität", schrieb Friedrich Schiller, und fügte spöttisch hinzu: "Diese muß es also wert sein, vor Welt und Nachwelt ausgestellt zu werden." Nicht nur Goethes Werk, auch seine Person hat etwas Paradigmatisches. Er brauchte seine Freiheit für die Kunst. Nur ihr gab er sich ganz. "Entbehrung ist ein leidiges Wesen", schreibt er an Marianne am 6. Oktober 1816. Der dauernde Schmerz des Verzichts wird umgesetzt in die Höllen und Paradiese der Kunst.
Dagmar von Gersdorff: "Marianne von Willemer und Goethe". Insel Verlag, Frankfurt am Main 2003. 302 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Ein drittes Buch über Goethe und die Frauen, stöhnt Rezensent Hermann Kurzke und prophezeit Autorin Dagmar von Gersdorff einen ähnlichen Erfolg wie Sigrid Damm ("Christiane und Goethe") und Helmut Koopmann ("Goethe und Frau von Stein"). Die Autorin hat, wie Kurzke schreibt, einiges bisher Unbekannte über die junge Ehefrau von Goethes Freund Johann Jakob von Willemer herausgefunden, die einst vom alten Goethe sehr geliebt worden ist. So nah, wie es die Quellen "irgend erlauben", sieht der Rezensent die Autorin den Leser an die Liebenden heranführen. Zugunsten einer fast lyrischen Intensität sieht er sie außerdem auf kritische Distanz und Theoriebildung nahezu völlig verzichten. Und in der Stärke des Buches erkennt der Rezensent dann folgerichtig auch dessen Schwäche. Denn die Autorin blicke fast ausschließlich auf diese Liebe, bemängelt er und sieht mit seinem Männerblick dabei Goethes "privaten Nebensinn des Dichtens" ganz und gar zur Hauptsache werden.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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