Warum die Franzosen sich 1789 nicht länger von Aristokraten, Betbrüdern und königlichen Häuptern regieren lassen wollten, wird verstehen, wer dieses kleine Buch liest. Es erzählt von einem Skandal, in dem es 1785 nicht um hinterzogene Steuern oder falsche Kunstwerke ging, sondern um sündhaft teuren Schmuck. Ähnlichkeiten mit unseren Zeiten sind unübersehbar. Hier heißen die Akteure nur anders. Es treten auf: eine sozialgeschädigte Aufsteigerin, ein luxusvernarrter Kirchenfürst und eine shoppingverrückte Königin. In den Nebenrollen: vertrottelte Aristokraten, ein impotenter König, Bankrotteure am Rande des Nervenzusammenbruchs - und das Volk, das das alles mäßig lustig fand. Und so weht denn auch eine Ahnung von Blutdurst durch diese schlimme Geschichte.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Auch wenn die Geschichte um die "Halsband-Affäre" bekannt ist, hat Rezensent Helmut Mayer Benedetta Craveris Erzählung mit Gewinn gelesen. Eleganz und erzählerische Dichte attestiert der Kritiker der Autorin und Historikerin, die auf nur wenigen Seiten die ganze dramatische Geschichte um die Hochstaplerin Jeanne de la Motte und den Niedergang Marie Antoinettes zu entfalten weiß. Und auch wenn der Rezensent nicht viel Neues erfährt, bewundert er Craveris Talent, zahlreiche Aspekte - beginnend beim Rückblick auf Marie Antoinettes verhängnisvolle Fehler bis zur rasanten Verbreitung "pornografischer Libellen" in Paris - gekonnt zu verknüpfen. Und der umfangreiche Kommentar mit einer Vielzahl von Lektüreempfehlungen ringt dem Kritiker ohnehin große Anerkennung ab.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2015Der Kardinal kauft Diamanten für die Königin
Wie eine Hochstaplerin eine Staatskrise auslöste: Benedetta Craveri erzählt die Geschichte der "Halsbandaffäre"
Welch eine Geschichte! Viele Autoren haben sie erzählt, Historiker ihr und ihren Hauptfiguren stattliche Darstellungen gewidmet. Eine Geschichte, die gerade noch im Ancien Régime spielt und zeigt, welche Kräfte die französische Monarchie bereits zermahlen. Eine in der öffentlichen Meinung angeschlagene Königin wird endgültig medial vernichtet, ein König an ihrer Seite trifft in bester Absicht eine falsche Entscheidung nach der anderen, ein mit dem Hof von Versailles vertrauter Kardinal aus einer der ersten Familien Frankreichs agiert naiv wie ein junger Seminarist, eine wild entschlossene Abenteurerin knüpft unglaubliche Ränke, und ein hochstapelnder Okkultist ist auch mit dabei.
Die Geschichte trägt den Titel "Die Halsbandaffäre", und die italienische Autorin und Historikerin Benedetta Craveri erzählt sie, elegant und dicht, auf nicht einmal achtzig Seiten. In den Grundzügen läuft sie so ab: 1781 verschafft sich eine junge Frau Zutritt zum Hof von Versailles und zu Kardinal Rohan, als Großalmosenier des Königs höchster Kirchenmann Frankreichs. Diese Jeanne de la Motte, aus einer verarmten unehelichen Seitenlinie des Hauses Valois stammend, ist wild entschlossen, wenn schon nicht zu gesellschaftlichem Rang, so doch zu Reichtum zu gelangen.
Zu diesem Zweck gaukelt sie dem Kardinal vor, mit Marie Antoinette umzugehen, ja sogar Botschaften der Königin an Rohan zu bestellen. Was den Kardinal, den Marie Antoinette auf Weisung ihrer Mutter - die Vorgeschichte dazu spielt in Wien, wo Rohan französischer Gesandter war - seit Jahren gnadenlos schneidet, in den siebten Himmel versetzt. Er lässt sich einreden, dass die Königin ausgerechnet mit seiner Vermittlung bei Pariser Juwelieren einen sündhaft teuren Diamantschmuck kaufen möchte. Sogar zu einem kurzen Stelldichein im Park von Versailles kommt es, wo eine von Jeanne de la Motte aufgegabelte Gelegenheitsprostituierte die Königin mimt, der der Großalmosenier Ludwigs XVI., zum Anlass in bürgerliches Schwarz gekleidet, zu Füßen fällt.
Das "Halsband", eigentlich eher eine Art Pektorale von zweitausendachthundert Karat, wird von Rohan im Namen der Königin bei den Juwelieren erstanden. Er überbringt es Jeanne, die es freilich nicht der Königin sendet, sondern die Diamanten von ihrem Komplizen in London verhökern lässt. Als die erste Rate fällig wird, die Rohan von der Königin erwartet, wird das Spiel für die Intrigantin schwieriger, aber nicht aussichtslos. Sie muss darauf bauen, dass Rohan sich nicht an die Königin wenden kann und selbst die astronomische Summe bezahlen wird, für die er im Namen der Königin gebürgt hat.
Als aber die Juweliere sich direkt an die Königin wenden, wird die Sache zur äußersten Bedrohung für den Kardinal und zur Staatsaffäre. Rohan steht zuerst einmal als Verräter da, und Ludwig beginnt - unter tatkräftiger Mithilfe rivalisierender Hoffraktionen - die Serie seiner Fehlentscheidungen. Er stellt Rohan vor die Wahl, sich der königlichen Entscheidung bedingungslos zu unterwerfen oder ein demütigendes Gerichtsverfahren vor dem Parlament, dem Gerichtshof von Paris, über sich ergehen zu lassen. Rohan setzt überraschend auf die riskante Karte, wählt den Prozess, setzt Ludwig unter Zugzwang - und zuletzt fällt das Parlament zwar die Urteile gegen Jeanne de la Motte und ihre Komplizen, stößt den König aber vor den Kopf, indem es die Absprachen mit dem Hof kurzerhand fallenlässt und Rohan freispricht.
Das Nachspiel, die Verbannung Rohans, machte die Sache nicht besser - die "neuen Männer" im Parlament hatten der Monarchie gezeigt, wie sich mit ihr umspringen ließ. Marie Antoinette, die ungeliebte Österreicherin, stand in den Augen der Öffentlichkeit als Schuldige da.
Es sind keine neuen Einblicke, die Benedetta Craveri präsentieren kann. Aber beeindruckend ist, wie viele Motive, die in dieser Geschichte zusammentreten, sie auf knappem Raum in ihrer Erzählung anklingen lässt. Das beginnt mit dem Rückblick auf Marie Antoinettes fatale Fehler, die die "schwarze Legende" der habgierigen, intriganten, sexuell ausschweifenden Fremden hervorbringen, für deren Ausgestaltung zuerst der Klatsch in Versailles und dann die nicht mehr abschwellende Flut der Schmähschriften und pornographischen Libellen in Paris sorgen. Und es endet bei einer bibliographischen Notiz, die nicht nur an die berühmtesten literarischen Interpreten der Geschichte erinnert, sondern auch knapp kommentierte Lektüreempfehlungen für jene gibt, die sich von ihr nicht so schnell losreißen können. Die unglückliche Österreicherin starb kaum acht Jahre später auf dem Schafott. Mit der Haltung einer Königin, wie Craveri anmerkt.
HELMUT MAYER
Benedetta Craveri:
"Marie Antoinette und
die Halsband-Affäre".
Aus dem Italienischen von Anna Leube. Berenberg Verlag, Berlin 2015. 79 S., Abb., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie eine Hochstaplerin eine Staatskrise auslöste: Benedetta Craveri erzählt die Geschichte der "Halsbandaffäre"
Welch eine Geschichte! Viele Autoren haben sie erzählt, Historiker ihr und ihren Hauptfiguren stattliche Darstellungen gewidmet. Eine Geschichte, die gerade noch im Ancien Régime spielt und zeigt, welche Kräfte die französische Monarchie bereits zermahlen. Eine in der öffentlichen Meinung angeschlagene Königin wird endgültig medial vernichtet, ein König an ihrer Seite trifft in bester Absicht eine falsche Entscheidung nach der anderen, ein mit dem Hof von Versailles vertrauter Kardinal aus einer der ersten Familien Frankreichs agiert naiv wie ein junger Seminarist, eine wild entschlossene Abenteurerin knüpft unglaubliche Ränke, und ein hochstapelnder Okkultist ist auch mit dabei.
Die Geschichte trägt den Titel "Die Halsbandaffäre", und die italienische Autorin und Historikerin Benedetta Craveri erzählt sie, elegant und dicht, auf nicht einmal achtzig Seiten. In den Grundzügen läuft sie so ab: 1781 verschafft sich eine junge Frau Zutritt zum Hof von Versailles und zu Kardinal Rohan, als Großalmosenier des Königs höchster Kirchenmann Frankreichs. Diese Jeanne de la Motte, aus einer verarmten unehelichen Seitenlinie des Hauses Valois stammend, ist wild entschlossen, wenn schon nicht zu gesellschaftlichem Rang, so doch zu Reichtum zu gelangen.
Zu diesem Zweck gaukelt sie dem Kardinal vor, mit Marie Antoinette umzugehen, ja sogar Botschaften der Königin an Rohan zu bestellen. Was den Kardinal, den Marie Antoinette auf Weisung ihrer Mutter - die Vorgeschichte dazu spielt in Wien, wo Rohan französischer Gesandter war - seit Jahren gnadenlos schneidet, in den siebten Himmel versetzt. Er lässt sich einreden, dass die Königin ausgerechnet mit seiner Vermittlung bei Pariser Juwelieren einen sündhaft teuren Diamantschmuck kaufen möchte. Sogar zu einem kurzen Stelldichein im Park von Versailles kommt es, wo eine von Jeanne de la Motte aufgegabelte Gelegenheitsprostituierte die Königin mimt, der der Großalmosenier Ludwigs XVI., zum Anlass in bürgerliches Schwarz gekleidet, zu Füßen fällt.
Das "Halsband", eigentlich eher eine Art Pektorale von zweitausendachthundert Karat, wird von Rohan im Namen der Königin bei den Juwelieren erstanden. Er überbringt es Jeanne, die es freilich nicht der Königin sendet, sondern die Diamanten von ihrem Komplizen in London verhökern lässt. Als die erste Rate fällig wird, die Rohan von der Königin erwartet, wird das Spiel für die Intrigantin schwieriger, aber nicht aussichtslos. Sie muss darauf bauen, dass Rohan sich nicht an die Königin wenden kann und selbst die astronomische Summe bezahlen wird, für die er im Namen der Königin gebürgt hat.
Als aber die Juweliere sich direkt an die Königin wenden, wird die Sache zur äußersten Bedrohung für den Kardinal und zur Staatsaffäre. Rohan steht zuerst einmal als Verräter da, und Ludwig beginnt - unter tatkräftiger Mithilfe rivalisierender Hoffraktionen - die Serie seiner Fehlentscheidungen. Er stellt Rohan vor die Wahl, sich der königlichen Entscheidung bedingungslos zu unterwerfen oder ein demütigendes Gerichtsverfahren vor dem Parlament, dem Gerichtshof von Paris, über sich ergehen zu lassen. Rohan setzt überraschend auf die riskante Karte, wählt den Prozess, setzt Ludwig unter Zugzwang - und zuletzt fällt das Parlament zwar die Urteile gegen Jeanne de la Motte und ihre Komplizen, stößt den König aber vor den Kopf, indem es die Absprachen mit dem Hof kurzerhand fallenlässt und Rohan freispricht.
Das Nachspiel, die Verbannung Rohans, machte die Sache nicht besser - die "neuen Männer" im Parlament hatten der Monarchie gezeigt, wie sich mit ihr umspringen ließ. Marie Antoinette, die ungeliebte Österreicherin, stand in den Augen der Öffentlichkeit als Schuldige da.
Es sind keine neuen Einblicke, die Benedetta Craveri präsentieren kann. Aber beeindruckend ist, wie viele Motive, die in dieser Geschichte zusammentreten, sie auf knappem Raum in ihrer Erzählung anklingen lässt. Das beginnt mit dem Rückblick auf Marie Antoinettes fatale Fehler, die die "schwarze Legende" der habgierigen, intriganten, sexuell ausschweifenden Fremden hervorbringen, für deren Ausgestaltung zuerst der Klatsch in Versailles und dann die nicht mehr abschwellende Flut der Schmähschriften und pornographischen Libellen in Paris sorgen. Und es endet bei einer bibliographischen Notiz, die nicht nur an die berühmtesten literarischen Interpreten der Geschichte erinnert, sondern auch knapp kommentierte Lektüreempfehlungen für jene gibt, die sich von ihr nicht so schnell losreißen können. Die unglückliche Österreicherin starb kaum acht Jahre später auf dem Schafott. Mit der Haltung einer Königin, wie Craveri anmerkt.
HELMUT MAYER
Benedetta Craveri:
"Marie Antoinette und
die Halsband-Affäre".
Aus dem Italienischen von Anna Leube. Berenberg Verlag, Berlin 2015. 79 S., Abb., geb., 20,- [Euro].
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