Welche Bedeutung hatte das Wirtschaftsressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für die Geschichte der Bundesrepublik? Welche Leitbilder, Strukturen und Prinzipien prägten die journalistische Arbeit? Der Autor beleuchtet, wie eng die Zeitungsmacher mit Entscheidungsträgern aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit zusammenarbeiteten. Sowohl die FAZ als auch die Geschichte des Wirtschaftsjournalismus sind bisher kaum historisch kontextualisiert worden. Die Arbeit betritt damit Neuland. Exklusiv für das Projekt wurde das Hausarchiv der Zeitung geöffnet. So gelang es erstmals, einen Blick auf die bisher verborgenen Hintergründe der Berichterstattung zu werfen. In den 1950er und 1960er Jahren sensibilisierte das Wirtschaftsressort Politik, Wirtschaft und Wissenschaft für die Bedeutung von Öffentlichkeit. Für andere Medien war es Vorreiter in puncto Themensetzung und Gestaltung. In den 1970er Jahren wurde es zur publizistischen außerparlamentarischen Opposition zur sozialliberalen Wirtschaftspolitik durch seine konsequente pro-marktwirtschaftliche Haltung und zum medialen Interessenvertreter der Unternehmerschaft in der Bundesrepublik. Später war es Vorreiter bei der Popularisierung des Aktienmarktes. Das Wirtschaftsressort war von einem ordoliberalen Leitbild bestimmt, welches im Verlauf der Jahre um marktliberale Elemente erweitert wurde. Das Leitbild hatte Einfluss auf die Themensetzung, die Personalauswahl und die Organisation der Redaktion. Die Herausgeber und Redakteure pflegten intensive Kontakte zu Politikern, Unternehmern und Wissenschaftlern. So konnte das Wirtschaftsressort seine Wirkung auf alle Gesellschaftsbereiche entfalten und wurde dadurch selbst geprägt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2020Die F.A.Z.-Wirtschaft
Chronik der Jahre 1949 bis 1992
"Die Arbeit handelt von der Geschichte des Wirtschaftsressorts, weil es Teil des Leitmediums F.A.Z. ist und daher tiefgreifende Wirkung auf Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien entfalten konnte. Nicht die Auflage ist entscheidend für die Zuschreibung als Leitmedium, sondern Zitierhäufigkeit, Prestige und Nutzung durch Entscheidungsträger", schreibt Maximilian Kutzner in der Einführung seiner Arbeit über das Wirtschaftsressort dieser Zeitung in den Jahren 1949 bis 1992. Es ist die erste Chronik dieser Art, zumal es unabhängige Veröffentlichungen zu der Zeit ab den 1970er Jahren bislang gar nicht gab. Den älteren Lesern bietet das Buch ein Déjà-vu mit früheren Personen, Themen und Kontroversen. Dass die F.A.Z. bereits in den 1950er Jahren für die Marktwirtschaft eintrat und eine besondere Nähe zu Wirtschaftsminister Ludwig Erhard hatte, ist allgemein bekannt: "Erich Welter machte Vorschläge, wie Erhards Bild in der Öffentlichkeit verbessert werden könnte", heißt es über den Gründungsherausgeber. Das diente vor allem der Einführung des Kartellverbotsgesetzes. Zunächst folgte die Wirtschaftsredaktion einer streng ordoliberalen Linie, die insbesondere entlang der Lehre Walter Euckens definiert wurde. Damit war auch eine Abgrenzung zum Nationalsozialismus verbunden.
Die Unabhängigkeit der Zeitung wurde 1959 mit der Gründung der FAZIT-Stiftung manifestiert. Schon früh veröffentlichte das Ressort die Analysen von Wissenschaftlern, für die Professorenschaft war es eine "massenmediale Plattform". Für die Protestbewegung der 68er gab es, anders als im Feuilleton, keine Sympathien.
In den 1970er Jahren wurden, vor allem durch Fritz Ullrich Fack, bestimmte Elemente keynesianischer Konzepte in die Tradition der Ordnungspolitik gestellt. Redakteure wie Jürgen Jeske oder Walter Kannengießer bemühten sich gleichzeitig um einen weniger akademisch orientierten Wirtschaftsteil. Der europäischen Einigung stand das Ressort offen gegenüber, allerdings nur solange marktwirtschaftliche Prinzipien gewahrt blieben. In den 70er und 80er Jahren wurde die F.A.Z. vielfach als "CDU-Zeitung" wahrgenommen, unter anderem, weil Jürgen Eick gegen die Gewerkschaften mobilisierte. Die Hoffnungen auf Reformen mit einem Kanzler Helmut Kohl zerschlugen sich, Staat und Wirtschaft wurden unter Hans D. Barbier wieder stärker als Antipoden betrachtet. Nach dem Zusammenbruch der DDR empfahl man Privatisierungen, die Kosten der Einheit wurden unterschätzt. Das äußerst lesenswerte Buch zeigt die geistigen Grundlagen des F.A.Z.-Wirtschaftsteils auf und erklärt: "Die Bedeutung der F.A.Z. als Leitmedium von Führungskräften in Politik, Wirtschaft und Kultur wirkt bis heute fort."
JOCHEN ZENTHÖFER
Maximilian Kutzner: Marktwirtschaft schreiben. Das Wirtschaftsressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1949 bis 1992, Mohr Siebeck, Tübingen 2019. 360 Seiten. 59 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Chronik der Jahre 1949 bis 1992
"Die Arbeit handelt von der Geschichte des Wirtschaftsressorts, weil es Teil des Leitmediums F.A.Z. ist und daher tiefgreifende Wirkung auf Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien entfalten konnte. Nicht die Auflage ist entscheidend für die Zuschreibung als Leitmedium, sondern Zitierhäufigkeit, Prestige und Nutzung durch Entscheidungsträger", schreibt Maximilian Kutzner in der Einführung seiner Arbeit über das Wirtschaftsressort dieser Zeitung in den Jahren 1949 bis 1992. Es ist die erste Chronik dieser Art, zumal es unabhängige Veröffentlichungen zu der Zeit ab den 1970er Jahren bislang gar nicht gab. Den älteren Lesern bietet das Buch ein Déjà-vu mit früheren Personen, Themen und Kontroversen. Dass die F.A.Z. bereits in den 1950er Jahren für die Marktwirtschaft eintrat und eine besondere Nähe zu Wirtschaftsminister Ludwig Erhard hatte, ist allgemein bekannt: "Erich Welter machte Vorschläge, wie Erhards Bild in der Öffentlichkeit verbessert werden könnte", heißt es über den Gründungsherausgeber. Das diente vor allem der Einführung des Kartellverbotsgesetzes. Zunächst folgte die Wirtschaftsredaktion einer streng ordoliberalen Linie, die insbesondere entlang der Lehre Walter Euckens definiert wurde. Damit war auch eine Abgrenzung zum Nationalsozialismus verbunden.
Die Unabhängigkeit der Zeitung wurde 1959 mit der Gründung der FAZIT-Stiftung manifestiert. Schon früh veröffentlichte das Ressort die Analysen von Wissenschaftlern, für die Professorenschaft war es eine "massenmediale Plattform". Für die Protestbewegung der 68er gab es, anders als im Feuilleton, keine Sympathien.
In den 1970er Jahren wurden, vor allem durch Fritz Ullrich Fack, bestimmte Elemente keynesianischer Konzepte in die Tradition der Ordnungspolitik gestellt. Redakteure wie Jürgen Jeske oder Walter Kannengießer bemühten sich gleichzeitig um einen weniger akademisch orientierten Wirtschaftsteil. Der europäischen Einigung stand das Ressort offen gegenüber, allerdings nur solange marktwirtschaftliche Prinzipien gewahrt blieben. In den 70er und 80er Jahren wurde die F.A.Z. vielfach als "CDU-Zeitung" wahrgenommen, unter anderem, weil Jürgen Eick gegen die Gewerkschaften mobilisierte. Die Hoffnungen auf Reformen mit einem Kanzler Helmut Kohl zerschlugen sich, Staat und Wirtschaft wurden unter Hans D. Barbier wieder stärker als Antipoden betrachtet. Nach dem Zusammenbruch der DDR empfahl man Privatisierungen, die Kosten der Einheit wurden unterschätzt. Das äußerst lesenswerte Buch zeigt die geistigen Grundlagen des F.A.Z.-Wirtschaftsteils auf und erklärt: "Die Bedeutung der F.A.Z. als Leitmedium von Führungskräften in Politik, Wirtschaft und Kultur wirkt bis heute fort."
JOCHEN ZENTHÖFER
Maximilian Kutzner: Marktwirtschaft schreiben. Das Wirtschaftsressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1949 bis 1992, Mohr Siebeck, Tübingen 2019. 360 Seiten. 59 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main