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Elegant geschwungene Glasfassaden, vor denen auf glatten Asphaltstraßen schnittige Cabriolets dahingleiten - im Berlin der 1920er Jahre lässt sich das Lebensgefühl der Moderne zuallererst am Material der Bauten und Verkehrswege ablesen. Nach 1945, in der geteilten Stadt, wird die ideologische Debatte zwischen Ost und West nicht zuletzt an ihren Häuserfassaden ausgetragen: Vertikale, aufwärtsstrebende Fenster für den sozialistischen Menschen in der Stalinallee stehen dem schweifenden Blick aus den horizontal gelagerten Fenstern im Westberliner Hansaviertel gegenüber. Nach dem Fall der Mauer…mehr

Produktbeschreibung
Elegant geschwungene Glasfassaden, vor denen auf glatten Asphaltstraßen schnittige Cabriolets dahingleiten - im Berlin der 1920er Jahre lässt sich das Lebensgefühl der Moderne zuallererst am Material der Bauten und Verkehrswege ablesen. Nach 1945, in der geteilten Stadt, wird die ideologische Debatte zwischen Ost und West nicht zuletzt an ihren Häuserfassaden ausgetragen: Vertikale, aufwärtsstrebende Fenster für den sozialistischen Menschen in der Stalinallee stehen dem schweifenden Blick aus den horizontal gelagerten Fenstern im Westberliner Hansaviertel gegenüber. Nach dem Fall der Mauer musste sich die Stadt zwischen dem Wunsch, das alte Berlin zurückzugewinnen, dem Ringen um anspruchsvolle Architektur aus modernen Materialien und den Vorstellungen internationaler Investoren neu erfinden.Monika Wagner, renommierte Kunsthistorikerin und seit Langem maßgebliche Expertin für das Material in der modernen Kunst, betrachtet die Großstadt Berlin und ihre öffentlichen Räume in drei markanten geschichtlichen Momenten des 20. Jahrhunderts und fokussiert dabei die Oberflächen, die man zuerst wahrnimmt, berührt, betritt. Anhand des Stoffs, aus dem die Stadt besteht, sieht Wagner auch das urbane Leben in neuer Perspektive.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Monika Wagner lehrte von 1986 bis 2009 Kunstgeschichte an der Universität Hamburg. Daneben leitete sie das »Funkkolleg Moderne Kunst«. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Kunst der Moderne, der Geschichte und Theorie der Wahrnehmung. Seit Langem forscht sie über die Bedeutung des Materials in der Kunst, speziell des 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.2018

Glätte und Glanz schaffen Distanz
Berührungslust, Verletzungsangst: Monika Wagner beschreibt, wie Architektur den Seh- und Tastsinn anspricht

Der Aufstieg des Geistigen in der Kultur der Moderne führte zur Geringschätzung des Materiellen. Die neuen Reduktions-Architekten wollten von natürlichen Werkstoffen mit ihren Wachstums- und Bearbeitungsspuren nichts mehr wissen und bevorzugten die Makellosigkeit von gegossenem Eisen, Glas und Beton. Und an die Stelle der überlieferten Wertehierarchie der Minerale und Metalle mit ihren Zuschreibungen und Kräften setzten die zeitgenössischen Künstler traditionslose Rohstoffe von Kork bis Kiesel, um neue Werte jenseits des Zweckrationalen freizusetzen.

Die Hamburger Kunsthistorikerin Monika Wagner geht der spannenden Frage nach, wie Materialien in der Architektur den Tast- und Sehsinn affizieren und mit ihren "ästhetischen Codes" gesellschaftliche Distinktion schaffen. Dafür prägt sie den Begriff "soziale Oberflächen", die entweder gemeinschaftsbildend oder isolierend sind. Dies exemplifiziert die Autorin an zwei Leuchtturmprojekten des Kalten Krieges in Berlin, der Stalinallee und dem Hansaviertel.

Das Buch beginnt mit dem entfesselten Bewegungs- und Lichtkult im Berliner Städtebau nach 1920, als Mies van der Rohe, Mendelsohn oder die Gebrüder Luckhardt von einer Stadt ohne Steine träumten und Häuser wie gigantische Leitplanken entlang der Asphaltbänder aufstellten. Baukörper wurden mit horizontalisierenden Glasfassaden und reklamebunter Lichtmystik beinahe entmaterialisiert. Aber die Herstellung von Glätte und Glanz zwang das damals noch vorindustrielle Bauhandwerk zur Herausbildung einer neuen "Mechanofaktur".

Leider fehlen im Buch Hinweise auf die Raumtheorie Alois Riegls, der die historische Kunstentwicklung von der Gestaltung der haptisch-nahsichtigen Stofflichkeit des Materials hin zur optisch-fernsichtigen Flächigkeit beschrieb. In der Architekturblüte der Weimarer Republik dominierte zweifellos die berührungslose Distanzwahrnehmung, wobei Ladenpassagen zur letzten Schnittstelle zwischen Seh- und Tastsinn wurden. Aufschlussreich verweist die Autorin auf Benjamins Denkbild von der "Einfühlung in den Tauschwert" als Pendant zum Oberflächenkult dieser Designepoche.

Im Hauptteil fehlen Angaben über die politischen Verwerfungen zwischen der 1951 begonnenen Stalinallee (heute: Karl-Marx-Allee) und dem West-Berliner Spätzünder der "Interbau"-Ausstellung im Hansaviertel 1957. Lange als sowjetischer "Zuckerbäckerstil" verachtet, wird die denkmalswürdige Monumentalität und handwerkliche Finesse der Ostberliner Prachtstraße auch von Monika Wagner anerkannt. Mit Travertin, Muschelkalk, plastischer Baukeramik, sozial engagierten Bildprogrammen und aufwendiger tektonischer Gliederung habe die junge DDR "durch ungewöhnliche Materialvielfalt eine auf Nahsicht angelegte Texturierung der Oberflächen mit ihren taktilen Potenzialen" geschaffen. Die Autorin lobt die Stalinallee als "Manifestation der sozialistischen Gemeinschaft im Stadtbild", lässt aber die blutigen Konsequenzen des Arbeiteraufstandes 1953 unerwähnt

Ähnlich freischwebend über den Grundlagen der Nachkriegszeit beurteilt Wagner auch das Hansaviertel im Berliner Tiergarten. Entgegen ihrer Aussage war das Wohnquartier eben nicht "durch Bombardierungen weitgehend zerstört", sondern immerhin noch so weit erhalten, dass die Nachkriegsplaner das Terrain erst mit krachenden Enteignungsverfahren auf 57 der insgesamt 159 Grundstücke freiräumen mussten. Die aufgelöste Stadtlandschaft des Hansaviertels entwickelte sich dann zum Gegenstück zu den verachteten "Befehlsbauten" der Stalinallee. Dennoch erkennt die Autorin bei beiden Projekten große Gemeinsamkeiten der "erstaunlichen Materialvielfalt und taktilen Angebote".

Allerdings zeichnen die Straßenpflaster im Hansaviertel keine Bewegungsrichtungen nach wie im Osten, sondern streben in abstrakten Mustern auseinander; die Häuser stehen nicht Spalier, sondern wenden sich vollständig vom Straßenverlauf ab; und die Plätze zerfließen mangels räumlicher Fassung mit Grünflächen. Dieser Verwischung der Grenzen misst die Autorin mehr als nur optische, nämlich "somatische Qualitäten" bei, die ihren Höhepunkt in der Akademie der Künste erreichen.

Hier habe der Architekt Werner Düttmann mit Flusskieseln, Schiefer, Kupfer und Backstein eine "Versöhnung von Handwerk, Natur und Moderne" angestrebt. Heutigem Kunstempfinden dagegen fällt bei den rauhen und schartigen Oberflächen der Akademie eher das Gegenteil auf: das Auseinanderdriften von Materialität und Funktionalität, von Stofflichkeit und Handlichkeit, weil die rohen Stoffe weniger Berührungslust als Verletzungsangst wecken. Die Wiederkehr moderner Glätte konstatiert Wagner schließlich bei den "Veredelungsfurnieren" aus poliertem Marmor und Granit bei den Friedrichstadtpassagen nach 1990: "Der perfekte Glanz der Oberfläche dient als symbolische Schranke für unerwünschte Besucher." Sich aus der Distanz in den glitzernden Tauschwert einzufühlen scheint keine klassenlose Kulturtechnik mehr zu sein. Dass aber auch erwünschte Besucher ausbleiben und die luxuriösen Kellerpassagen leerlaufen, dürfte weniger eine Materialfrage als ein Center-Management-Fehler sein. Immerhin überzeugt Wagners Interpretation der in solchen Konsumhöhlen aufgestellten Kunst-am-Bau-Skulpturen aus Schrott als "Vanitas-Motiv der Gentrifizierung".

Wagners Buch über die Wiederentdeckung der Werkstoffe knüpft an die Gegenwartskunst an, wo Dinge in ihrer rohen Materialität aus dem hektischen Kreislauf des Substituierens und Bedeutens herausgerissen und in ihrer stummen Körperlichkeit gezeigt werden. Leider verfällt die Autorin beständig in das Lesen und Deuten von Gegenständen, die sie nicht phänomenologisch, physisch und sinnlich, sondern nur symbolisch als Stellvertreter für eine richtige Gesinnungsethik sieht. Da hätte der Kunstwissenschaft eine Anleihe bei der Poesie geholfen, wie sie Robert Gernhardt über die Akademie der Künste gedichtet hatte: "Sag an, wer hat dich damals erbaut, wovor hat euch damals gegraut?"

MICHAEL MÖNNINGER

Monika Wagner: "Marmor und Asphalt". Soziale Oberflächen im Berlin des 20. Jahrhunderts.

Wagenbach Verlag, Berlin 2018.

200 S., Abb., br., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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