Die Sonne scheint durch die geschnitzten Fensterläden, das Leder in den Bottichen der Gerber leuchtet in unterschiedlichsten Farben und erfüllt die Luft mit beißendem Geruch, Kamele ziehen durch die gewaltigen Dünen der Sahara, die überwältigende Gastfreundschaft. Der Ruf des Muezzins schalt über die Kasbah. Wir sind in Marokko angekommen, die Reise beginnt...
Tausende von Eindrücken, Bildern und Gefühlen werden mit diesem faszinierend schönen Bildband wach und bleiben als Erinnerungen...
Tausende von Eindrücken, Bildern und Gefühlen werden mit diesem faszinierend schönen Bildband wach und bleiben als Erinnerungen...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.04.2008Tausend und ein Marokko
Marie-Pascal Rauzier erfindet eigentlich ein Märchenland
Es ist ein bisschen so wie in den tausendundein Nächten der orientalischen Märchensammlung: Dem Adressaten der Geschichten wird eine phantastische Welt vorgegaukelt. Marie-Pascale Rauzier erzählt in dem Bildband „Marokko” von einem farbensatten und deshalb angeblich in vielerlei Beziehungen leuchtenden Land; es sind traumtrunkene Botschaften aus einer anderen Zeit, welche die französische Autorin verbreitet.
Allerdings gibt es in dem Märchenbuch immer wieder ein Erwachen, gibt es einen Morgen, an dem ein realer Tag hereinbricht und den Strom der nächtlichen Geschichten unterbricht. Auch Rauzier selbst taucht immer wieder auf und schildert einen kleinen Ausschnitt der Realität in dem arabischen Land. Die Autorin beschreibt eine Gegenwart, die gar so märchenhaft nicht immer ist. Deshalb taucht sie wohl auch immer wieder in das Reich der Phantasie ab, in welchem sich ein Schleier aus Sanftmut gnädig über mancherlei Dinge legt.
Marie-Pascale Rauzier beschwört ein Marokko, das es so nie gab und geben wird. Einen Garten Eden, in dem der Mensch – durchweg bescheiden und edelmütig – in schönstem Einklang mit der Natur lebt. Und warum auch nicht? Soll Rauzier ihre Leser ruhig verzaubern, soll sie sie entführen in ein Märchenland. Sie dürfen nur nicht den Fehler machen, dieses „Marokko” mit der Realität zu verwechseln.
Wobei es alles, was der Band zeigt, natürlich so auch gibt: die primitiven Handwerksstätten, die Viehmärkte, die schlichten Zwingburgen, die feingliedrigen Moscheebauten, die erhabene Weite der Wüste und des Meeres. Dies entspricht aber nicht einem getreuen Bild, sondern einer höheren Idee des Landes und seiner Gesellschaft, einer Utopie.
Ein ganzes Stück weiter als die teils recht floskelhafte Sprache Rauziers dringen die Bilder vor in jenes magische Marokko: Cécile Tréal und Jean-Michel Ruiz haben Momente der Entspannung oder der gelassenen Konzentration festgehalten. Die Menschen auf ihren Fotografien demonstrieren Selbstsicherheit, die meisten der leblosen Dinge zeugen von einer scheinbar unverfälschten Tradition. Viele der Aufnahmen drücken Würde aus und Stolz, voyeuristische Beobachtungen wird man unter den mehr als 300 Bildern nicht finden.
Es sind Szenen, nach denen man im Alltag gezielt suchen muss, weil sie inszeniert sind. Aber vermutlich stoßen sie gerade wegen ihrer Künstlichkeit doch zum Kern dessen vor, was dieses Land und seine Bewohner ausmacht. Ganz so, wie ja auch Märchen den Menschen verklausuliert auf seine Urgründe zurückführen.
„Marokko” ist ein Buch, an dem man sich schwerlich sattsehen kann – auch, weil es einem Blicke ermöglicht, die zumindest den europäischen Besuchern überwiegend verwehrt bleiben: Blicke ins Innere der Moscheen, in die Badeanstalten, in die Gärten und Höfe, in die Küchen der Privathäuser. Im Eingangskapitel beschreibt Marie-Pascale Rauzier die Farben Marokkos: das Malvenblau der Hauswände, das Indigoblau der Turbane, das Kobaltblau der Keramik. Dann das allgegenwärtige Weiß, gefolgt von den vielen Rot-, Orange- und Gelbtönen, dem Ocker und Grün. Und als man bereits misstrauisch wird, weil die Aufzählung beliebig zu werden dort, fällt auf, dass eine Farbe fehlt: Es gibt kein Grau in Marokko. Der Traum von einem Land. STEFAN FISCHER
MARIE-PASCALE RAUZIER: Marokko. Christian Verlag, München 2008. 272 Seiten, 24,95 Euro.
Bücherecke
Ein Moment der Stille, des Gebets im Hof der Karaouine-Moschee in Fes. Sie ist das bekannteste Gotteshaus in Marokko und seit mehr als tausend Jahren eines der wichtigsten Geisteszentren des Islam. Foto: Tréal/Ruiz, Christian Verlag
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Marie-Pascal Rauzier erfindet eigentlich ein Märchenland
Es ist ein bisschen so wie in den tausendundein Nächten der orientalischen Märchensammlung: Dem Adressaten der Geschichten wird eine phantastische Welt vorgegaukelt. Marie-Pascale Rauzier erzählt in dem Bildband „Marokko” von einem farbensatten und deshalb angeblich in vielerlei Beziehungen leuchtenden Land; es sind traumtrunkene Botschaften aus einer anderen Zeit, welche die französische Autorin verbreitet.
Allerdings gibt es in dem Märchenbuch immer wieder ein Erwachen, gibt es einen Morgen, an dem ein realer Tag hereinbricht und den Strom der nächtlichen Geschichten unterbricht. Auch Rauzier selbst taucht immer wieder auf und schildert einen kleinen Ausschnitt der Realität in dem arabischen Land. Die Autorin beschreibt eine Gegenwart, die gar so märchenhaft nicht immer ist. Deshalb taucht sie wohl auch immer wieder in das Reich der Phantasie ab, in welchem sich ein Schleier aus Sanftmut gnädig über mancherlei Dinge legt.
Marie-Pascale Rauzier beschwört ein Marokko, das es so nie gab und geben wird. Einen Garten Eden, in dem der Mensch – durchweg bescheiden und edelmütig – in schönstem Einklang mit der Natur lebt. Und warum auch nicht? Soll Rauzier ihre Leser ruhig verzaubern, soll sie sie entführen in ein Märchenland. Sie dürfen nur nicht den Fehler machen, dieses „Marokko” mit der Realität zu verwechseln.
Wobei es alles, was der Band zeigt, natürlich so auch gibt: die primitiven Handwerksstätten, die Viehmärkte, die schlichten Zwingburgen, die feingliedrigen Moscheebauten, die erhabene Weite der Wüste und des Meeres. Dies entspricht aber nicht einem getreuen Bild, sondern einer höheren Idee des Landes und seiner Gesellschaft, einer Utopie.
Ein ganzes Stück weiter als die teils recht floskelhafte Sprache Rauziers dringen die Bilder vor in jenes magische Marokko: Cécile Tréal und Jean-Michel Ruiz haben Momente der Entspannung oder der gelassenen Konzentration festgehalten. Die Menschen auf ihren Fotografien demonstrieren Selbstsicherheit, die meisten der leblosen Dinge zeugen von einer scheinbar unverfälschten Tradition. Viele der Aufnahmen drücken Würde aus und Stolz, voyeuristische Beobachtungen wird man unter den mehr als 300 Bildern nicht finden.
Es sind Szenen, nach denen man im Alltag gezielt suchen muss, weil sie inszeniert sind. Aber vermutlich stoßen sie gerade wegen ihrer Künstlichkeit doch zum Kern dessen vor, was dieses Land und seine Bewohner ausmacht. Ganz so, wie ja auch Märchen den Menschen verklausuliert auf seine Urgründe zurückführen.
„Marokko” ist ein Buch, an dem man sich schwerlich sattsehen kann – auch, weil es einem Blicke ermöglicht, die zumindest den europäischen Besuchern überwiegend verwehrt bleiben: Blicke ins Innere der Moscheen, in die Badeanstalten, in die Gärten und Höfe, in die Küchen der Privathäuser. Im Eingangskapitel beschreibt Marie-Pascale Rauzier die Farben Marokkos: das Malvenblau der Hauswände, das Indigoblau der Turbane, das Kobaltblau der Keramik. Dann das allgegenwärtige Weiß, gefolgt von den vielen Rot-, Orange- und Gelbtönen, dem Ocker und Grün. Und als man bereits misstrauisch wird, weil die Aufzählung beliebig zu werden dort, fällt auf, dass eine Farbe fehlt: Es gibt kein Grau in Marokko. Der Traum von einem Land. STEFAN FISCHER
MARIE-PASCALE RAUZIER: Marokko. Christian Verlag, München 2008. 272 Seiten, 24,95 Euro.
Bücherecke
Ein Moment der Stille, des Gebets im Hof der Karaouine-Moschee in Fes. Sie ist das bekannteste Gotteshaus in Marokko und seit mehr als tausend Jahren eines der wichtigsten Geisteszentren des Islam. Foto: Tréal/Ruiz, Christian Verlag
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