In »Mars« zeigt Asja Bakic eine Reihe einzigartiger Universen, in deren Mittelpunkt immer Frauen stehen, die vor die Aufgabe gestellt sind, der seltsamen Realität, die sie erleben, einen Sinn zu geben. Eine Frau wird von Tristessa und Zubrovka aus einer Art Vorhölle befreit, sobald sie eine Aufgabe erfüllt. Eine Meisterin der Täuschung wird mit jemandem konfrontiert, der ihr Geheimnis kennt. Eine Schriftstellerin soll einen Bestseller unter Pseudonym geschrieben haben, woran sie sich jedoch nicht erinnern kann. Abby scheint ihr Gedächtnis verloren zu haben, und doch weiß sie, dass mit ihrem misstrauischen Ehemann etwas nicht stimmt. Eine weitere muss auf dem Mars über ihr Verbrechen reflektieren, Autorin zu sein.Nicht nur das inhaltliche Konzept der Erzählungen ist beeindruckend, sondern auch die Methode: Gekonnt verwebt sie in das klassische Erzählmuster Elemente aus der Genre-Literatur - Horror, Science-Fiction und Fantasy. Entstanden sind so spannende, oft humorvolle Geschichten, die emanzipierend sind, ohne in politische Agitation zu verfallen. Publishers Weekly kürte die amerikanische Ausgabe von »Mars« 2019 zu einem der 25 besten Büchern des Jahres in den USA der Kategorie Belletristik.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Auch wenn die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schreiben und der Frage nach der eigenen Einzigartigkeit unter vielen Stimmen nichts Neues ist, liest Rezensent Tilman Spreckelsen "mit Interesse und Beteiligung" Asja Bakićs Erzählungen zu diesem Thema. Das liegt auch, vermutet er, an den "groteskenverliebten" Anlagen der Geschichten - etwa die über einer Schriftstellerin, die im Jenseits landet und von den Sekretärinnen erklärt bekommt, Gott sei aktuell nicht verfügbar, weil er "in der Badewanne ausgerutscht" sei, wie Spreckelsen Bakić zitiert. Auch die allegorischen Rahmungen der Geschichten, die gesellschaftliche, oft patriarchale Zusammenhänge klar werden lassen, findet der Kritiker interessant und mag auch, dass Texte zu keinem "Ende" finden und so im Kopf des Lesers nachhallen. Bakićs Plädoyer für ein "explosives", kompromissloses Schreiben, das auch vor den eigenen Lebenslügen nicht halt macht, wird für den Rezensenten hier spürbar.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2021Wer als Atheist stirbt, darf nicht auf ein Kartenspiel mit Gott hoffen
Dieses Buch soll ich geschrieben haben? Asja Bakics Erzählungsband "Mars" fragt danach, was uns so einzigartig macht
Wer als Erwachsener, lange Jahre nach dem Ende der Schulzeit, von einer Lehrerin träumt, der hat wahrscheinlich einiges aufzuarbeiten. Die namenlose Erzählerin von Asja Bakics Kurzgeschichte "Leidenschaften", eine Schriftstellerin, die im Schlaf ihrer Physiklehrerin begegnet, versucht jedenfalls, das einstige Verhältnis umzukehren und ihrerseits der "ausgesprochen klugen" Lehrerin etwas beizubringen, nämlich "dass die Physik im Grunde die Zukunft voraussagt, dass es die Aufgabe der Physik sei zu zeigen, dass sich zwei Körper mit der gleichen Ladung anziehen und nicht abstoßen". Die Lehrerin lässt das nicht gelten: Sie beharrt darauf, "dass in den Grundlagen der Physik festgeschrieben sei, dass sich Minus und Plus lieben und Minus und Minus abstoßen." Der Ausweg, den die Erzählerin trotz allem vorschlägt, bleibt im Traum ohne Antwort seitens der Lehrerin: "Und Plus und Plus?"
Es fällt nicht schwer, diese Debatte auf die reale Situation der Erzählerin zu beziehen. Sie hat vor Kurzem die androgyne Vanja wiedergetroffen, die sie einst im Studium kennengelernt hatte. Damals, so erinnert sich die Erzählerin, bestand eine besondere Nähe zwischen ihnen, bis Vanja für einen Job in eine andere Stadt zog: "Sie prahlte sogar mit diesem Umzug als einer einmaligen Gelegenheit, ihr leeres Leben in Ordnung zu bringen", was die Erzählerin kränkt und sie veranlasst, auf Vanjas Nachrichten nicht mehr zu antworten. Nun aber, nach dem Wiedersehen, kreisen ihre Gedanken vollständig um die frühere Freundin, um das, was war - sie hatte einzig Vanja an sich herangelassen, während sie den Kontakt mit anderen mied -, und um das, was gegenwärtig zwischen ihnen sein könnte. Schließlich meint sie sogar, Vanja sei die wahre Autorin des anonym publizierten Romans "Leidenschaften", den alle, auch in ihrem eigenen Verlagshaus, ihr selbst zuschreiben. Und muss schließlich bei einem erneuten Treffen mit Vanja feststellen, dass sie sich offenbar in allem getäuscht hat - ganz besonders in der von ihr vermuteten einstigen Nähe zu ihrer Freundin.
Zehn Geschichten umfasst der im Original 2015 erschienene Erzählungsband "Mars" von Asja Bakic, der nun auch auf Deutsch vorliegt. Die Autorin, geboren 1982 in der bosnischen Stadt Tuzla, lebt heute in Zagreb, sie publizierte außer Kurzgeschichten Lyrik und Essays, literarische Formen also, die auch in den in "Mars" enthaltenen Texten bisweilen aufscheinen. Sosehr sie auf den ersten Blick von ihrer Handlung bestimmt sind und diese konsequent vorantreiben, so sehr kehren darin auch rätselhafte, verdichtete Bilder wieder, die zum Ansatz für die Diskussion grundsätzlicher Fragen werden, die sich aus dem Text ergeben. Keine dieser Geschichten findet tatsächlich ein Ende auf der Handlungsebene, und so enden sie auch nicht im Kopf des noch lange mit ihnen beschäftigten Lesers. Die Protagonisten erleben sich selbst in einem surrealen Zustand, der kaum einmal aufgelöst wird, aber sie jedes Mal mit schmerzhafter Konsequenz dazu zwingt, sich mit der eigenen Person und ihrer sozialen Existenz auseinanderzusetzen, oft genug verbunden mit der Frage, was denn in einer von Konformismus geprägten Welt so Einmaliges an gerade ihr sei.
Und was davon bleibt, wenn das Leben vorbei ist: Gleich die erste Geschichte, "Reise zum Durmitor", spielt im Jenseits, in dem sich eine Schriftstellerin mit den Sekretärinnen Tristessa und Zubrovka (Traurigkeit und Schnaps) auseinandersetzen muss. An Gott, den sie zu sehen verlangt, kommt sie nicht heran, er sei "in der Badewanne ausgerutscht", sagt Zubrovka, aber existiert hätte er ja sowieso nicht, wenigstens für die Erzählerin zu Lebzeiten: "Du kannst nicht Atheistin sein und mit dem Allmächtigen Karten spielen wollen, wenn du stirbst."
Was also bleibt einem dann übrig in einem, wie die Erzählerin anfangs glaubt, ganz und gar selbstgeschaffenen Jenseits? Und, wenn das stimmt: Ist dieses Jenseits nun Himmel oder Hölle? Das ist keine triviale Frage, auch nicht die nach unseren Erkenntniswerkzeugen, um sie zu beantworten - in Richard Volkmann-Leanders deutschem Kunstmärchen "Von Himmel und Hölle" glaubt sich ein reicher Mann, der sich im Jenseits die Fortführung seines irdischen Lebensstils wünscht, im Paradies, wo er sich aber nach ein paar Jahrhunderten gründlich langweilt, bis ihm auf seine Beschwerde hin mitgeteilt wird, dass er sich in tiefster Verdammnis befindet. Bakics Erzählerin dagegen bekommt von den Sekretärinnen des Totenreichs auf ihre Frage die Antwort: "Für die Menschen, die nicht schreiben können, ist das hier die Hölle, für die, die es mögen und beherrschen, ist es das Paradies."
Das klingt wie eine einfache Antwort, zumal für eine verstorbene Schriftstellerin, aber es fügt der mit dem Tod ohnehin einhergehenden Selbstprüfung eine weitere hinzu: Wer sagt denn, dass sie wirklich schreiben kann? Und wenn es sich in diesem gottfernen Jenseits im Kreis der Sekretärinnen wie eine Höllenfahrt anfühlt, heißt das denn nicht, dass sie sich über die einstige Berufung auf Erden gründlich täuschte? Zumal der nächste Tiefschlag nicht auf sich warten lässt. Als die Schriftstellerin in diesem unbestimmten Jenseits ihren Platz am Schreibtisch einnehmen will, muss sie sich von Zubrovka sagen lassen, dass sie, entgegen ihrer festen Annahme, nichts Besonderes ist und sich nichts auf ihr Handwerk einbilden soll: "Du bist nicht die erste, die an diesem Tisch sitzt und schreibt."
Es ist diese Trias aus Schreiben, Zweifeln und Ringen um Einzigartigkeit unter vielen ähnlichen Personen, mit der es sehr viele der Erzählerinnen dieser Geschichtensammlung zu tun bekommen - eine Disposition, die in der Literatur historisch weder neu noch unter den Zeitgenossen exklusiv ist. Dennoch liest man darüber in Bakics Erzählungen mit Interesse und Beteiligung. Das ist nicht nur der Einbettung der individuellen Schicksale in oft allegorisch gefasste gesellschaftliche Verhältnisse geschuldet, in denen patriarchale Strukturen kenntlich gemacht werden. Es ist vor allem die anspielungsreiche, groteskenverliebte Weise, in der das geschieht, etwa in gleich mehreren Geschichten, in denen Wesen erzählen, die wissen, dass sie von Menschen geschaffen und damit reproduzierbar sind, die sich aber auch, ebenfalls wie viele der Erzählerinnen, dagegen auflehnen - etwa eine Androidin in einer bestechend radikalen Variation von Steve Watsons Thriller "Ich. Darf. Nicht. Schlafen".
Welche Rolle kann das Schreiben dabei spielen? Geht es darum, sich mit anderen zu verständigen oder eine Rolle in der Gesellschaft zu spielen, so würde man, Bakics Geschichten vor Augen, von der Autorschaft abraten. In "Die Unterwelt" etwa, dem letzten Text des Bandes, werden alle, die schreiben und davon nicht lassen wollen, zusammen mit ihren Bibliotheken geradewegs auf den Mars verbannt, wo ihnen offenbar alle Lust am Schreiben gründlich vergeht. Nur dass zugleich der Hunger nach dem Geschriebenen weiter vorhanden ist, auch unter denen, die das Schreibverbot durchsetzen.
"Ich schrieb so, wie ich dachte, und ich dachte explosiv", sagt die Erzählerin im Jenseits, und es scheint, dass sich das in der Isolation des Todes noch verstärkt: "Das Schreiben, das Staub ansetzt, gegenüber jenem Schreiben, das von den Toten erweckt. Es gab keinen Zweifel daran, welche dieser beiden Schreibarten mir besser gefiel." Es ist ein Plädoyer für eine Literatur, die einen Dialog mit dem Leser anbietet, dafür keine Kompromisse eingeht, aber trotzdem zugänglich bleibt, weil der Impuls für dieses Schreiben die Offenheit gegenüber der Umgebung ist. Was das schmerzliche Bemühen einschließt, sich von den eigenen Lebenslügen zu verabschieden.
Die Erzählerin in "Leidenschaften" träumt ein weiteres Mal von ihrer Physiklehrerin, die ihr erklärt, wie das Auge das einfallende Bild auf den Kopf stellt und das Gehirn es wieder umkehrt. Was davon gilt, entscheidet sich im Inneren der Erzählerin, dort, wo auch das Urteil über das Verhältnis zu Vanja entstand. "Einige Sekunden", schreibt sie, "wartete ich darauf, dass mein Gehirn das verkehrte Bild umdrehte." TILMAN SPRECKELSEN
Asja Bakic: "Mars". Erzählungen.
Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Verbrecher Verlag, Berlin 2021. 160 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dieses Buch soll ich geschrieben haben? Asja Bakics Erzählungsband "Mars" fragt danach, was uns so einzigartig macht
Wer als Erwachsener, lange Jahre nach dem Ende der Schulzeit, von einer Lehrerin träumt, der hat wahrscheinlich einiges aufzuarbeiten. Die namenlose Erzählerin von Asja Bakics Kurzgeschichte "Leidenschaften", eine Schriftstellerin, die im Schlaf ihrer Physiklehrerin begegnet, versucht jedenfalls, das einstige Verhältnis umzukehren und ihrerseits der "ausgesprochen klugen" Lehrerin etwas beizubringen, nämlich "dass die Physik im Grunde die Zukunft voraussagt, dass es die Aufgabe der Physik sei zu zeigen, dass sich zwei Körper mit der gleichen Ladung anziehen und nicht abstoßen". Die Lehrerin lässt das nicht gelten: Sie beharrt darauf, "dass in den Grundlagen der Physik festgeschrieben sei, dass sich Minus und Plus lieben und Minus und Minus abstoßen." Der Ausweg, den die Erzählerin trotz allem vorschlägt, bleibt im Traum ohne Antwort seitens der Lehrerin: "Und Plus und Plus?"
Es fällt nicht schwer, diese Debatte auf die reale Situation der Erzählerin zu beziehen. Sie hat vor Kurzem die androgyne Vanja wiedergetroffen, die sie einst im Studium kennengelernt hatte. Damals, so erinnert sich die Erzählerin, bestand eine besondere Nähe zwischen ihnen, bis Vanja für einen Job in eine andere Stadt zog: "Sie prahlte sogar mit diesem Umzug als einer einmaligen Gelegenheit, ihr leeres Leben in Ordnung zu bringen", was die Erzählerin kränkt und sie veranlasst, auf Vanjas Nachrichten nicht mehr zu antworten. Nun aber, nach dem Wiedersehen, kreisen ihre Gedanken vollständig um die frühere Freundin, um das, was war - sie hatte einzig Vanja an sich herangelassen, während sie den Kontakt mit anderen mied -, und um das, was gegenwärtig zwischen ihnen sein könnte. Schließlich meint sie sogar, Vanja sei die wahre Autorin des anonym publizierten Romans "Leidenschaften", den alle, auch in ihrem eigenen Verlagshaus, ihr selbst zuschreiben. Und muss schließlich bei einem erneuten Treffen mit Vanja feststellen, dass sie sich offenbar in allem getäuscht hat - ganz besonders in der von ihr vermuteten einstigen Nähe zu ihrer Freundin.
Zehn Geschichten umfasst der im Original 2015 erschienene Erzählungsband "Mars" von Asja Bakic, der nun auch auf Deutsch vorliegt. Die Autorin, geboren 1982 in der bosnischen Stadt Tuzla, lebt heute in Zagreb, sie publizierte außer Kurzgeschichten Lyrik und Essays, literarische Formen also, die auch in den in "Mars" enthaltenen Texten bisweilen aufscheinen. Sosehr sie auf den ersten Blick von ihrer Handlung bestimmt sind und diese konsequent vorantreiben, so sehr kehren darin auch rätselhafte, verdichtete Bilder wieder, die zum Ansatz für die Diskussion grundsätzlicher Fragen werden, die sich aus dem Text ergeben. Keine dieser Geschichten findet tatsächlich ein Ende auf der Handlungsebene, und so enden sie auch nicht im Kopf des noch lange mit ihnen beschäftigten Lesers. Die Protagonisten erleben sich selbst in einem surrealen Zustand, der kaum einmal aufgelöst wird, aber sie jedes Mal mit schmerzhafter Konsequenz dazu zwingt, sich mit der eigenen Person und ihrer sozialen Existenz auseinanderzusetzen, oft genug verbunden mit der Frage, was denn in einer von Konformismus geprägten Welt so Einmaliges an gerade ihr sei.
Und was davon bleibt, wenn das Leben vorbei ist: Gleich die erste Geschichte, "Reise zum Durmitor", spielt im Jenseits, in dem sich eine Schriftstellerin mit den Sekretärinnen Tristessa und Zubrovka (Traurigkeit und Schnaps) auseinandersetzen muss. An Gott, den sie zu sehen verlangt, kommt sie nicht heran, er sei "in der Badewanne ausgerutscht", sagt Zubrovka, aber existiert hätte er ja sowieso nicht, wenigstens für die Erzählerin zu Lebzeiten: "Du kannst nicht Atheistin sein und mit dem Allmächtigen Karten spielen wollen, wenn du stirbst."
Was also bleibt einem dann übrig in einem, wie die Erzählerin anfangs glaubt, ganz und gar selbstgeschaffenen Jenseits? Und, wenn das stimmt: Ist dieses Jenseits nun Himmel oder Hölle? Das ist keine triviale Frage, auch nicht die nach unseren Erkenntniswerkzeugen, um sie zu beantworten - in Richard Volkmann-Leanders deutschem Kunstmärchen "Von Himmel und Hölle" glaubt sich ein reicher Mann, der sich im Jenseits die Fortführung seines irdischen Lebensstils wünscht, im Paradies, wo er sich aber nach ein paar Jahrhunderten gründlich langweilt, bis ihm auf seine Beschwerde hin mitgeteilt wird, dass er sich in tiefster Verdammnis befindet. Bakics Erzählerin dagegen bekommt von den Sekretärinnen des Totenreichs auf ihre Frage die Antwort: "Für die Menschen, die nicht schreiben können, ist das hier die Hölle, für die, die es mögen und beherrschen, ist es das Paradies."
Das klingt wie eine einfache Antwort, zumal für eine verstorbene Schriftstellerin, aber es fügt der mit dem Tod ohnehin einhergehenden Selbstprüfung eine weitere hinzu: Wer sagt denn, dass sie wirklich schreiben kann? Und wenn es sich in diesem gottfernen Jenseits im Kreis der Sekretärinnen wie eine Höllenfahrt anfühlt, heißt das denn nicht, dass sie sich über die einstige Berufung auf Erden gründlich täuschte? Zumal der nächste Tiefschlag nicht auf sich warten lässt. Als die Schriftstellerin in diesem unbestimmten Jenseits ihren Platz am Schreibtisch einnehmen will, muss sie sich von Zubrovka sagen lassen, dass sie, entgegen ihrer festen Annahme, nichts Besonderes ist und sich nichts auf ihr Handwerk einbilden soll: "Du bist nicht die erste, die an diesem Tisch sitzt und schreibt."
Es ist diese Trias aus Schreiben, Zweifeln und Ringen um Einzigartigkeit unter vielen ähnlichen Personen, mit der es sehr viele der Erzählerinnen dieser Geschichtensammlung zu tun bekommen - eine Disposition, die in der Literatur historisch weder neu noch unter den Zeitgenossen exklusiv ist. Dennoch liest man darüber in Bakics Erzählungen mit Interesse und Beteiligung. Das ist nicht nur der Einbettung der individuellen Schicksale in oft allegorisch gefasste gesellschaftliche Verhältnisse geschuldet, in denen patriarchale Strukturen kenntlich gemacht werden. Es ist vor allem die anspielungsreiche, groteskenverliebte Weise, in der das geschieht, etwa in gleich mehreren Geschichten, in denen Wesen erzählen, die wissen, dass sie von Menschen geschaffen und damit reproduzierbar sind, die sich aber auch, ebenfalls wie viele der Erzählerinnen, dagegen auflehnen - etwa eine Androidin in einer bestechend radikalen Variation von Steve Watsons Thriller "Ich. Darf. Nicht. Schlafen".
Welche Rolle kann das Schreiben dabei spielen? Geht es darum, sich mit anderen zu verständigen oder eine Rolle in der Gesellschaft zu spielen, so würde man, Bakics Geschichten vor Augen, von der Autorschaft abraten. In "Die Unterwelt" etwa, dem letzten Text des Bandes, werden alle, die schreiben und davon nicht lassen wollen, zusammen mit ihren Bibliotheken geradewegs auf den Mars verbannt, wo ihnen offenbar alle Lust am Schreiben gründlich vergeht. Nur dass zugleich der Hunger nach dem Geschriebenen weiter vorhanden ist, auch unter denen, die das Schreibverbot durchsetzen.
"Ich schrieb so, wie ich dachte, und ich dachte explosiv", sagt die Erzählerin im Jenseits, und es scheint, dass sich das in der Isolation des Todes noch verstärkt: "Das Schreiben, das Staub ansetzt, gegenüber jenem Schreiben, das von den Toten erweckt. Es gab keinen Zweifel daran, welche dieser beiden Schreibarten mir besser gefiel." Es ist ein Plädoyer für eine Literatur, die einen Dialog mit dem Leser anbietet, dafür keine Kompromisse eingeht, aber trotzdem zugänglich bleibt, weil der Impuls für dieses Schreiben die Offenheit gegenüber der Umgebung ist. Was das schmerzliche Bemühen einschließt, sich von den eigenen Lebenslügen zu verabschieden.
Die Erzählerin in "Leidenschaften" träumt ein weiteres Mal von ihrer Physiklehrerin, die ihr erklärt, wie das Auge das einfallende Bild auf den Kopf stellt und das Gehirn es wieder umkehrt. Was davon gilt, entscheidet sich im Inneren der Erzählerin, dort, wo auch das Urteil über das Verhältnis zu Vanja entstand. "Einige Sekunden", schreibt sie, "wartete ich darauf, dass mein Gehirn das verkehrte Bild umdrehte." TILMAN SPRECKELSEN
Asja Bakic: "Mars". Erzählungen.
Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Verbrecher Verlag, Berlin 2021. 160 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main