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Bisher hat sich Commissaire Daquin, Neuzugang aus Paris, bei der Marseiller Kripo wenig Freunde gemacht - zu intellektuell, zu unbestechlich, zu fremd. Aktuell überwachen er und sein Team rechtsextreme Splittergruppen, die im Verdacht stehen, an der Côte d'Azur paramilitärische Trainingslager zu unterhalten. In die Untersuchung zum Mord an einem algerischen Jugendlichen geraten sie eher zufällig. Kein Zufall ist hingegen die Schlampigkeit, mit der die zuständigen Kollegen ihre Ermittlung betreiben. Unter Überschreitung seiner Befugnisse und ohne Rücksicht auf Verluste verfolgt Daquin die von…mehr

Produktbeschreibung
Bisher hat sich Commissaire Daquin, Neuzugang aus Paris, bei der Marseiller Kripo wenig Freunde gemacht - zu intellektuell, zu unbestechlich, zu fremd.
Aktuell überwachen er und sein Team rechtsextreme Splittergruppen, die im Verdacht stehen, an der Côte d'Azur paramilitärische Trainingslager zu unterhalten. In die Untersuchung zum Mord an einem algerischen Jugendlichen geraten sie eher zufällig. Kein Zufall ist hingegen die Schlampigkeit, mit der die zuständigen Kollegen ihre Ermittlung betreiben. Unter Überschreitung seiner Befugnisse und ohne Rücksicht auf Verluste verfolgt Daquin die von ihnen ignorierten Fährten - und trifft mitten in ein Wespennest. Denn die verschiedenen Dienste der Marseiller Polizei sind nicht nur Meister der Mauschelei, sie führen auch einen gnadenlosen Krieg gegeneinander.

Mit "Marseille.73" setzt Dominique Manotti ihre Erkundung der Dunkelzonen in der jüngeren französischen Geschichte fort. Auch bei ihrem neusten Werk stützt sich die Historikerin auf präzise recherchierte Fakten: 1973 erlebte Frankreich eine rassistische Mordserie, der binnen sechs Monaten etwa fünfzig Araber, insbesondere Algerier, zum Opfer fielen. Zwanzig davon allein in Marseille, Epizentrum des rassistischen Terrorismus. Bewährt kantig-elegant und mit politischem Furor seziert Manotti eine komplexe Gemengelage und transformiert Realität in einen literarischen Film noir.
Autorenporträt
Dominique Manotti, geboren 1942, ist Historikerin. Sie lehrte an Pariser Universitäten Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit und war als Gewerkschafterin aktiv. Frustriert von der politischen Perspektivlosigkeit der Mitterrand-Ära begann sie mit fünfzig, Romane zu schreiben. Ihre literarischen Bezugspunkte sind nach eigener Aussage der US-Schriftsteller James Ellroy, die neuzeitliche Wirtschaftsgeschichte und die 68er-Bewegung. Diese eigenwillige Kombination führt zu Manottis auffälligem Stil: sachlich-journalistische Dichte, schlaglichtartig verknappt mit Härte und Noir-Eleganz. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Literaturpreisen geehrt, u._a. dem Duncan Lawrie International Dagger, dem Deutschen Krimipreis International, dem Prix Mystère de la Critique und der Trophée 813.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensentin Katharina Granzin hat dieses Buch über den Mord an einem jungen Algerier im Marseille von 1973 so gespannt wie interessiert gelesen, denn die Umstände - eine Serie von Morden an Algeriern, die zu Protesten gegen Rassismus führt, die in den Medien wiederum verurteilt werden - haben sie an die Ereignisse rund um die NSU-Morde erinnert. Außerdem gibt der Roman ihr zufolge mit seiner Aufarbeitung der Nachwirkungen des Algerienkrieges eine Ahnung davon, warum die "Antagonismen in der französischen Gesellschaft" so häufig mit Gewalt enden. Die gesellschaftskritische Perspektive, die Granzin an Manottis Werken so schätzt, kommt auch in diesem lakonischen Krimi wieder voll zur Geltung, lobt die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2021

Rassistische Hetze
Dominique Manotti rekapituliert ein explosives Jahr

Historische Politthriller haben Vorzüge, mit denen handelsübliche Detektivgeschichten nicht aufwarten können. Indem sie Wirklichkeit und Erfundenes miteinander verweben, erzeugen sie eine Textur, die, frei nach Aristoteles, das Besondere darstellt und das Allgemeine schildert. Der amerikanische Autor Ryan Gattis bezeichnet ein solches Erzählverfahren als "sourced fiction", auf Quellen basierende Fiktion. Auch Dominique Manotti, die 1942 in Paris geboren wurde und im Alter von fünfzig Jahren ihren erste Krimi schrieb, hängt in ihrem neuen Roman "Marseille.73" erdichtete Ereignisse an ein Gerüst aus geschichtlichen Fakten.

Wenn sie etwa mit Hilfe eines zitierten Zeitungsberichts darlegt, wie der Algerier Salah Bougrine einem Busfahrer der titelgebenden Hafenstadt im August 1973 die Kehle durchschneidet, muss sie dieses Verbrechen auf anschlussfähige Weise mit dem Plot verzahnen - zumal es im Süden des Landes danach zu einer Welle rassistischer Hetze kam. Kein Wunder, denn der Krieg zwischen Frankreich und Algerien endete zwar 1962, aber die Traumata des Konflikts waren auch zehn Jahre später noch nicht verarbeitet.

Der eigentliche Fall des Buchs ist der Mord an einem Algerier namens Malek, wobei das korrupte Justizsystem sich bestenfalls halbherzig dafür interessiert. Nur der aus Paris stammende Commissaire Daquin und seine Kollegen Grimbert und Delmas widmen sich der Sache mit dem nötigen Eifer. Ihre Recherchen sind gründlich, aber bei weitem nicht so gewissenhaft wie die der Autorin. In der Nachbemerkung heißt es, die Krise vom Sommer und Herbst 1973 habe in der "algerischen Bevölkerung von Marseille circa 15 Tote gefordert, rund 50 in ganz Frankreich". Der Stoff ist explosiv, wobei Manotti seine vielen Facetten in einem lakonischen, zuweilen geradezu telegrammartigen Stil aneinanderreiht. Damit wären wir bei einem Aspekt, der etlichen historischen Politthrillern ästhetisch den Garaus macht: Sie geraten zur Materialschlacht, weil zu viele Informationen aufeinander bezogen und gegeneinander abgewogen werden wollen.

Vom daraus resultierenden didaktischen Sound bleibt auch "Marseille.73" nicht verschont: "Dann, 1969, ist de Gaulle weg, und jetzt wissen alle, dass an der Regierung in Paris Politiker beteiligt sind, die mit Französisch-Algerien und der OAS sympathisieren. Daraufhin leben in Marseille die Spannungen zwischen den korsischen Altmeistern und den Pied-Noir-Herausforderern, die ihre Stunde für gekommen halten, auf allen Ebenen des Polizeiapparats wieder auf."

Die dokumentarische, von Abkürzungen und behördlichen Formalitäten gespickte Diktion könnte unkundige Leser an Belastungsgrenzen führen. Allerdings tragen ein Glossar und Erläuterungen zur Struktur der Polizei zum Verständnis bei. Dabei hätte dem Roman vor allem eine gröbere Schraffur gutgetan - weniger historische Einzelheiten, mehr Imagination. Der Teufel steckt nicht immer im Detail.

KAI SPANKE

Dominique Manotti:

"Marseille.73".

Aus dem Französischen von Iris Konopik.

Ariadne im Argument Verlag, Hamburg 2020.

400 S., geb., 23,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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