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'Ich antworte den Medien und begebe mich in ein Forschungsabenteuer. Ich erkläre nicht - ich erforsche', beschrieb der extravagante Begründer und Klassiker der Medienkritik seine Untersuchungsmethode. Die Biographie von Philip Marchand zeichnet den Weg und die Einsichten des 'wichtigsten Denkers seit Newton, Darwin, Freud, Einstein und Pawlow' (New York Times) nach, den zu verstehen heißt, unsere Mediengesellschaft zu verstehen.

Produktbeschreibung
'Ich antworte den Medien und begebe mich in ein Forschungsabenteuer. Ich erkläre nicht - ich erforsche', beschrieb der extravagante Begründer und Klassiker der Medienkritik seine Untersuchungsmethode. Die Biographie von Philip Marchand zeichnet den Weg und die Einsichten des 'wichtigsten Denkers seit Newton, Darwin, Freud, Einstein und Pawlow' (New York Times) nach, den zu verstehen heißt, unsere Mediengesellschaft zu verstehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2000

Die Plapperkrähe schickte Telegramme
Marshall McLuhans Jünger Philip Marchand macht hingegen viele Worte / Von Bernd Eilert

Auf Seite 69 dieser Biografie finden sich ein Hinweis auf Edgar Allan Poes berüchtigten Essay über "Die Methode der Komposition" eines Gedichts, ein längeres Zitat, in dem T. S. Eliot diese Doktrin zur "Auflösung der Sinnlichkeit" weiterführt, sowie eine der üblichen Generalisierungen McLuhans, der aus dieser zumindest umstrittenen Poetologie per Analogieschluss ableitet, dass man eigentlich jede Ursache erst begreifen könne, wenn man sich redlich bemüht habe, ihre "gesamten Wirkungen zu begreifen". Zwei altbackene Spekulationen und ein umständlich referiertes Gemeinplätzchen - fraglich, ob diese Ausbeute gereicht hätte, Marshall McLuhans Interesse so stark zu erregen, dass er weiter in seiner Biografie gelesen hätte.

Denn so ging McLuhans Lektüre-Test: die Seite 69 überprüfen, um auf Grund dieser Stichprobe zu entscheiden, ob auch der Rest so lesenswert wäre, dass er zumindest die rechten Seiten überflog. Auf die Art verleibte sich der Professor im Schnitt fünfunddreißig Bücher pro Woche ein, dazu unzählige Zeitschriften, aus denen er dann seine eigenen Werke collagierte. Ob diese meist kasuistischen Kommentare zu oft weit hergeholten Beispielen freilich vor seinem Leserauge Gnade gefunden hätten, bleibt zweifelhaft - stolz war er zugegebenermaßen auf keines seiner Bücher.

Wenn man heute Leser nach Marshall McLuhan fragt, wird man kaum einen jüngeren finden, der mit seinem Namen mehr verbindet als die Parole "The medium is the message". Auf diese mehrdeutige Erkenntnis ist McLuhans Botschaft seit 1958 nicht zuletzt von den Medien reduziert worden. Ihr Erfinder teilt dies Schicksal mit vielen namhaften Kollegen: Wittgensteins Schweigegebot, Adornos Auschwitz-Rüge, Marcuses eindimensionaler Mensch - was diese Philosophen von McLuhan unterscheidet, ist der Verdacht, dass sich für die Details seiner Spekulationen nicht einmal Spezialisten mehr interessieren. Kann die Biografie, die sein Schüler Philip Marchand geschrieben hat, das ändern?

Auf dem Schutzumschlag sehen wir McLuhans Porträtfoto, zwölfmal dasselbe in verschiedenen Einfärbungen, die wohl an Andy Warhols Siebdruck-Serien denken lassen sollen. Bei Andy Warhol denken wir auch gleich an seine Prophezeiung, jeder Mensch werde im Medienzeitalter wenigstens für fünf Minuten Berühmtheit erlangen können. McLuhan wollte berühmt werden. Unter dieser Voraussetzung ließe sich sein Leben erzählen: ein ehrgeiziger Provinzler, der in die Metropole kommt, dort herumgereicht wird, bis der Reiz seiner Neuheit sich abgenutzt hat. Was McLuhan von einem Balzacschen Romanhelden unterscheidet, ist schon das unpassende Alter: Er war Mitte fünfzig, als er endlich aus Kanada nach New York kam und dort eine Saison lang Aufsehen erregte.

Hatte er das Zeug zu einer Dostojewski-Figur? Ein visionärer Gottsucher, der die teuflischen Massenmedien durch sein Opfer läutert und in den Dienst einer paradiesischen Zukunft stellt? Im Alterswerk finden sich Stilisierungsversuche, wenn McLuhan etwa den Computer als Weg zu einem Universalbewusstsein preist, "einer neuen Interpretation des mystischen Leibes Christi". McLuhan war ein strenger Katholik und der thomistischen Lehre der grundsätzlichen Kohärenz der Welt verpflichtet. Zweifel an seiner Tauglichkeit zum Märtyrer kommen allerdings, wenn man liest, wie er nach derselben Methode in einem Oben-ohne-Lokal das Verhältnis der Gäste zur Bedienung hochrechnet: "Wir sind ihre Kleider!" - solche überraschenden Pointen produzierte er am laufenden Band. "Fultons Dampfboot war ein Vorläufer des Minirocks. Wir müssen nicht mehr auf den Wind warten." Oder: Die Brille ist der erste Schritt zur Genmanipulation.

Wollte jemand eine seiner Ideen kritisieren, konterte er entwaffnend: "Wenn Ihnen das nicht gefällt, erzähle ich Ihnen etwas anderes." Aus solchen Auftritten ließe sich eine weitere Lesart gewinnen: McLuhan der Infotainer, der wie ein routinierter Standup-Comedian jedes Publikum auf seinem Niveau zu unterhalten verstand, selbst wenn er für einen windigen Witz gesicherte Gewissheiten kalt lächelnd verkaufen musste. Diese Deutung seines Wesens wäre mir besonders sympathisch - sie unterschlägt allerdings seine düsteren Seiten: vor allem seinen an Verfolgungswahn grenzenden Glauben daran, dass sein anfänglicher und sich später wiederholender Misserfolg von jenen geheimen Mächten gesteuert wurde, die ohnehin die Welt beherrschten: wahlweise Freimaurer, Juden, Rosenkreuzer, Homosexuelle, Feministinnen, CIA- oder KGB-Agenten et cetera. Den Sezessionskrieg etwa hielt er für einen Machtkampf zwischen den Sektionen Nord und Süd der amerikanischen Logenbrüder.

Öffentlich sagte er so etwas natürlich nicht, und auch als Aufstieg und Fall eines akademischen Karrieristen lässt sich McLuhans Biografie nacherzählen. Ausgerechnet diese glanzloseste aller denkbaren Deutungsmöglichkeiten hat sich Philip Marchand ausgesucht. Statt den Geist einer Zeit wieder zu beleben, der jeden provokativen Propheten zum Messias hochjubelte, und den historischen Hintergrund zu skizzieren, vor dem die Figur McLuhan ihre Ausstrahlung entwickeln konnte, verfolgt er die ermüdende Chronologie endloser universitärer Querelen und die Stationen verschlungener Bildungsgänge.

Auch McLuhans anregendste Ideen wirken in diesem Rahmen nicht sehr aufregend. Der Eindruck entsteht, dass seine beste darin bestand, sich überhaupt mit den in seinen Kreisen gern verachteten Massenmedien zu beschäftigen. Als er das auch noch ohne kulturpessimistische Vorbehalte tat, konnte er zum Vorsprecher des New-Age-Optimismus werden. Wobei seine kühnsten Verheißungen vom elektronisch befriedeten "globalen Dorf" nur ein wenig unheimlich sind: Könnten Computer nicht ebenso gut zu einer globalen Verdorftrottelung führen, indem sie körperliche wie geistige Unbeweglichkeit fördern und mit ihren Abfrage- und Ablagesystemen dem Ordnungssinn des ewigen Spießers in uns allen allzu weit entgegenkommen?

Solche Gefahren werden von McLuhan nicht gesehen oder hier zumindest nicht referiert. Dafür listet Marchand die tausend Projekte auf, die McLuhan nie zu Ende führte, sowie seine ständig wechselnden Wert- und Weltvorstellungen. Und das in einer Art, die sich vom "Telegrammstil" und dem "reißenden Fluss von Parabeln und Gleichnissen", den Neil Postman im Vorwort des Bandes McLuhan nachrühmt, und dessen "abrupten Interfaces", für die er berühmt war, recht unvorteilhaft unterscheidet.

Mrs McLuhan wird uns zum Beispiel so vorgestellt: "Die humorvolle, charmante, kluge und elegante Frau stammte aus einer stolzen, alteingesessenen und angesehenen Südstaatenfamilie." Und als wäre das noch nicht genug, war sie zudem "klug, schön, feinfühlig und auf eine zurückhaltende, vornehme Art lebenslustig". Dreizehn Attribute bei einer Wiederholung auf einer Seite sind selbst für die beste Frau und das teuerste Telegramm entschieden zu viel. Weniger Beispiele finden sich glücklicherweise für Gleichnisse und Parabeln: Einmal "glich McLuhan einem nervösen Vollbluthengst", was aber nicht ausschließt, "dass er und der hl. Thomas auf einer Wellenlänge lagen".

McLuhan und sein Biograf lagen stilistisch weiter auseinander. Waren McLuhans Verallgemeinerungen bisweilen wenigstens verstiegen, hören sich Marchands Definitionen meist so platt an: "Die Jesuiten waren vielleicht engstirnig, aber in Latein machte ihnen niemand etwas vor." Oder: "Ihr seit langem andauerndes Bemühen, trotz Hass und Verfolgung die Selbstachtung zu wahren, hatte die Juden zu Egoisten werden lassen." McLuhan war bereits Egoist, bevor er sich verfolgt fühlte. Und auch dafür findet Marchand eine Erklärung: "Die Götter schienen ihm nicht mehr wohlgesonnen zu sein."

Auffällig ist, dass Marchands Sympathien sich synchron mit McLuhans Erfolgskurve verändern: Verteidigt er seinen Helden anfangs gegen durchaus bedenklich klingende Vorwürfe - McLuhan fühlte sich zeitweise zu faschistischen Führern wie Hitler und Franco hingezogen, weil sie seine antizivilisatorischen Neigungen teilten -, geht er mit dem erfolgsverwöhnten Medienstar eher rüde um: "Sogar Marshall McLuhan ließ sich so zum Schnell-Imbiss verarbeiten." Wobei das "sogar" schon beinah ironisch klingt.

Wenn Marchand dann allerdings abschließend behauptet: "Bis zum Tage seines Todes blieb er im Grund seines Herzens ein fröhlicher und liebevoller Mensch", ist mit diesem Nachruf die Grenze der Ironie so weit überschritten, dass nur Zynismus oder Ignoranz als Erklärung für eine solche Verfälschung dieses widersprüchlichen Charakters in Frage kommen. Was Marshall McLuhan war - Schamane oder Scharlatan, Tiefdenker oder Hochstapler, Medien-Guru oder Medien-Hype, geistreiches Genie oder armer Irrer, mittelalterlicher Mystiker oder modischer Multiplikator, "wichtigster Denker seit Newton, Darwin, Freud und Einstein" (New York Times) oder eine zeitweilige Ikone wie Carlos Castaneda, Erich von Däniken, Bhagwan oder Pater Leppich -, lässt sich zwar nach dieser Biografie noch nicht entscheiden. Sie macht aber immerhin klar, warum diese Entscheidung so schwer fällt, denn "wie viele Leute, die sich im Gespräch brillant auszudrücken vermögen, empfand McLuhan das Schreiben als langweilig und schwierig". Schwierig ist Philip Marchands Biografie nicht geschrieben.

Philip Marchand: "Marshall McLuhan". Botschafter der Medien. Biographie. Aus dem Amerikanischen von Martin Baltes, Fritz Böhler, Rainer Höltschl, Jürgen Reuß. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999. 432 S., Abb., geb., 58,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

In einer Doppelrezension, in der Bernhard Dotzler Stephan Füssels "Gutenberg und seine Wirkung" (Insel-Verlag) und die "Große Medienchronik" (Fink-Verlag) von Hans H. Hiebel, Heinz Hiebler, Karl Kogler und Herwig Waltisch bespricht, befasst sich Dotzler einleitend mit dem Leben und den Thesen des Medienwissenschaftlers McLuhan.
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