Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 37,80 €
Produktdetails
  • Verlag: Kowalke
  • Seitenzahl: 169
  • Abmessung: 190mm
  • Gewicht: 292g
  • ISBN-13: 9783932191091
  • Artikelnr.: 25260510
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.02.2000

Wenn ein Zebra zärtlich wimmert
Satzflatterprosa: Der Debüt-Roman von Thomas Kunst

Es sehe so aus, heißt es in Thomas Manns "Entstehung des Doktor Faustus", als käme "auf dem Gebiet des Romans heute nur noch das in Betracht, was kein Roman mehr sei". Längst nicht mehr erwarten wir von jedem Buch mit diesem Etikett eine in sich gerundete und abgeschlossene Geschichte, durch die wir an der sicheren Hand eines Erzählers geführt werden. Der Leipziger Thomas Kunst macht in seinem ersten Roman besonders ausgiebig von der Mann'schen Lizenz Gebrauch. Eine "Leichtigkeit" nennt er, was im Untertitel Roman heißt. Und der Klappentext erläutert, dass es sich hier nur "dem Wesen nach" um einen Roman handele, der aus "einzelnen aber zusammenhängenden kapiteln" bestehe. Wo aber das Wesen west, wird es im Deutschen ernst und bedeutungsschwanger.

Kindheitserinnerungen spielen bei Kunst eine beträchtliche Rolle. In verstreuten Episoden skizziert er Erlebnisse aus einer Zeit, in der heranwachsende Kinder die Rätsel der Liebe entdecken wollen. Neidvoll blickt der junge Ich-Erzähler auf Martelli, der ihm Freund und Rivale zugleich ist. Denn Martelli kennt sich aus im wirklichen Leben und verkündet bereitwillig, was es mit den Frauen und dem lieben Gott so auf sich hat. Selbst Missy, die stille Liebe des Erzählers, deren Körper für ihn allmählich verheißungsvolle Formen annimmt, scheint zu Eroberungen von Martelli zu gehören; doch genau werden wir das wohl nie erfahren.

Thomas Kunst, 1999 Stipendiat der Villa Massimo, hat bislang vor allem Gedichte veröffentlicht, und so wechselt er auch hier immer wieder zwischen erzählenden und stärker lyrischen Partien, die vom Satzrhythmus und dem Klang der Worte bestimmt werden. Deshalb bleibt es am Ende eine müßige Frage, ob man "Martellis Untergewicht" nicht besser Prosagedicht, Erinnerungsmonolog oder eine Folge von Traumsequenzen nennen sollte.

Von geheimnisvollen Weltgegenden und noch geheimnisvolleren Frauen ist die Rede. Die schon erwähnte "Missy von den catholischen Inseln" gehört dazu, außerdem Leondess von den Schifferklavieren, Schli von den Jasmingläsern, und eine gewisse Yasoun taucht auch noch auf. Sind es reale Figuren oder Imaginationen des Erzählers? Auch das ist letztlich nicht wichtig, denn die Gesetze der Wirklichkeit sind hier außer Kraft gesetzt. Zwar weiß Kunst recht nüchtern von "verletzungsbedingten Kussarten" und von "Plastemäulern" zu berichten, gleich anschließend ereignen sich jedoch höchst surreale Vorgänge. Ein schwarzes Zebra schreibt seinem "lieben weißen Zebra" einen Brief, und der erwachsene Martelli bricht eine Frau in der Mitte durch, um sich anschließend mit ihrem Unterleib auf Wanderschaft zu machen. Dazwischen werden geographische Namen skandiert: Puan Klent, Ciscissi, Nelldalano, Aschtarak, Safschani und Diyarbakir. So lautet der oft variierte Refrain zu Martellis Reiseabenteuern.

Allerdings lässt der Erzähler keinen Zweifel daran, dass dieser tolle Kerl ganz und gar seiner Macht ausgeliefert ist. Mehrfach beschreibt er stolz, dass er Martelli "zu einer billigen, flachen Romanfigur degradiert" hat, um ihn auf eine fiktive Weltreise zu schicken. Sie soll den gefährlichen Mann von der zarten Missy fernhalten, in die beide so gerne "hineinkeimen" möchten. Haben wir bei diesem komplizierten Spiel des Autors mit seiner Erfindung also einen neuen Tristram Shandy vor uns oder einen Apostel der Selbstreflexivität?

Ungetrübtes Vergnügen stellt sich bei der Lektüre von Kunsts Roman dennoch nicht ein. Dafür wirkt alles zu angestrengt. Ganze Passagen bleiben austauschbar; seitenlange, atemlose Sätze wechseln mit kürzesten Abschnitten, ohne dass damit zumindest etwas für die Lust am poetischen Spiel gewonnen wäre. Gedichte und Prosapassagen im Flattersatz sind über den ganzen Text verstreut; die Berichte über Martellis imaginierte Reise erscheinen in kursiver Schrift; und mehrere rätselhafte Motti warten auf ihre Entschlüsselung.

Ärgerlich sind die Nachlässigkeiten des Verlags, der diesen Roman teils in neuer, teils in alter, teils in gar keiner Rechtschreibung gedruckt hat. Oder verbergen sich dahinter subtile Wortspiele? So mag die mehrfach beschworene "Wallachei" womöglich dem verborgenen Wunsch des Erzählers entstammen, seinen Titelhelden nicht nur in die Wüste zu schicken, sondern ihn zugleich noch seiner Männlichkeit zu berauben. Das gäbe dem Titel "Martellis Untergewicht" eine ganz neue Bedeutung.

SABINE DOERING

Thomas Kunst: "Martellis Untergewicht. Eine Leichtigkeit". Roman. Kowalke & Co. Verlag, Berlin 1999. 170 S., geb., 39,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr