"Wer groß denkt, muß groß irren."(Martin Heidegger)
Martin Heidegger, der aus dem Kleinen eines provinziellen Lebens kam, inszenierte sein Leben und Denken als schicksalhafte Suche eines Metaphysikers nach dem "Geheimnis des Großen". In dramatischen Rückfällen und stets neuen Anläufen erschien es dem einflussreichen Denker als Gott, Dasein, Sein, Nationalsozialismus, schließlich als Dichtung und als Technik.
Martin Heidegger, der aus dem Kleinen eines provinziellen Lebens kam, inszenierte sein Leben und Denken als schicksalhafte Suche eines Metaphysikers nach dem "Geheimnis des Großen". In dramatischen Rückfällen und stets neuen Anläufen erschien es dem einflussreichen Denker als Gott, Dasein, Sein, Nationalsozialismus, schließlich als Dichtung und als Technik.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.06.2004Dies reine nackte Dadadasein
Grammatische Witze: Oliver Jahraus hat in Heidegger den Nonsensedichter erkannt
Als eine „Einführung” getarnt und ohne es offen zu deklarieren, hat der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Oliver Jahraus eine philosophiegeschichtliche Leerstelle gefüllt. Er ist dem zwar amüsanten, aber doch recht vagen Hinweis in Rüdiger Safranskis Heidegger-Biographie gefolgt und hat breit ausgeführt, wie sehr die ersten und letzten Fragen dieses Meisterdenkers im Geist des Dadaismus gestellt und beantwortet worden sind. Auch wenn Dada nicht manifest in dieser Einführung auftaucht, so ist es doch latent anwesend in seiner Abwesenheit.
Es beginnt nicht zufällig 1918, als im „dadaistischen Manifest” der gewaltige Hokuspokus des Daseins gefeiert wird,das die Nerven jedes echten Dadaisten in Schwingung versetze. Auch Heidegger, gerade Privatdozent an der Freiburger Universität geworden, bringt gegen alle bildungsbürgerlichen Schlagworte von Ethik, Kultur und Innerlichkeit ein reines und nacktes „Da” in Stellung. Er will das Dasein für sich selbst wach machen, indem er das Präfix „da” zu einem eigenen Begriff erhöht: Im Sein des „Da” sei ein räumlich erschlossenes Seiendes, das Sinn habe und nur, insofern es Sinn habe, auch als Da-Sein da sei. Diese frühe räumliche Daseinsanalyse von Sein und Raum, die bereits Peter Sloterdijk in seinen „Sphären I / Blasen” als „keimhaft revolutionär” gelobt hat, wird dann zu Sein und Zeit verzeitlicht. Mit dadaistischem Sprachwitz kommentiert Jahraus die „grandiose” Leistung von Heideggers „Sein und Zeit” (1927): „Es ist die Zeit, die, da sie der Sinn von Sein ist und es dem Dasein um sein Sein geht, das Dasein erst zum Dasein macht.” So werde eine zeitliche Antwort auf eine räumliche Frage gegeben, die sich erst so als Frage nach dieser Antwort habe stellen lassen.
Ins Zentrum seines Buches hat Jahraus Heideggers Frage nach dem Sinn von Sein gestellt. Sie sei das Zentralmotiv seiner gesamten Philosophie, das sich in einer relbstreflexiven Schleife selbst in Frage stelle: „Die Frage nach dem Sinn von Sein ist zugleich der Sinn der Frage nach dem Sein.” Wie oder was ist das Sein? Wie kann man überhaupt nach dem Sein fragen und danach, „dass” es Sein ist? Man solle bei solchen Fragen auf die „sprachlich-grammatischen Fallstricke achten”, wenn man das alltäglich gebrauchte Verb „sein” zu einem philosophischen Fachbegriff „Sein” hypostasiere, der das Sein wie einen benannten Gegenstand vorspiegle.
Der verspielte Witz, dass Dada nichts bedeuten wollte und deshalb das Nichts feierte, hat dann vor allem durch Heideggers Apotheose des Nichts und seine „Kehre” zum Sein selbst seinen philosophischen Doppelgänger gefunden. Weil das Sein ein Absolutes und schlechthin Transzendentes sein soll, kann es sprachlich nicht dargestellt werden. Jede Benennung lasse das Sein nicht Sein sein. Jeder verobjektivierende Ausdruck evoziere seine Unzugreifbarkeit und Unsagbarkeit. So werde das Sein selbst zu einem Nichts, über das sich, streng genommen, wiederum nichts Sinnvolles aussagen lasse. Leider hat Jahraus nur nebenbei erwähnt, dass Heideggers eigentümliches philosophisches Lebenswerk etwas deutlichere Konturen gewinnen könnte, wenn man es mit Ludwig Wittgensteins Überwindung des philosophischen Unsinns vergleichen würde. Es wäre erhellend gewesen, Wittgensteins Kritik an all den Verhexungen des Verstandes zu folgen, die entstehen, wenn die Sprache feiert.
Man solle, Wittgenstein zufolge, nicht auf die „grammatischen Täuschungen” hereinfallen, auf die das große philosophische Pathos falle, wenn von „Sein” oder „Nichts” die Rede sei. Missdeutungen unserer Sprache spiegeln Tiefe nur vor. Deshalb empfinden wir einen „grammatischen Witz” als tief. (Und das ist ja die philosophische Tiefe.) Schade, dass Jahraus diese Un-Tiefe Heideggers nur latent zur Sprache brachte. Die Dadaisten haben doch manifestiert, wie Heidegger zu lesen sei, der sich selbst in seinem Spätwerk nicht zufällig der Dichtung und der Kunst zuwandte, um an ihnen zu verstehen, was Philosophie vergeblich zu verstehen suche, ganz im Sinne Wittgensteins: „Philosophie dürfe man eigentlich nur dichten.”
MANFRED GEIER
OLIVER JAHRAUS: Martin Heidegger. Eine Einführung. Philipp Reclam jun., Stuttgart 2004. 271 Seiten, 6,80 Euro.
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Grammatische Witze: Oliver Jahraus hat in Heidegger den Nonsensedichter erkannt
Als eine „Einführung” getarnt und ohne es offen zu deklarieren, hat der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Oliver Jahraus eine philosophiegeschichtliche Leerstelle gefüllt. Er ist dem zwar amüsanten, aber doch recht vagen Hinweis in Rüdiger Safranskis Heidegger-Biographie gefolgt und hat breit ausgeführt, wie sehr die ersten und letzten Fragen dieses Meisterdenkers im Geist des Dadaismus gestellt und beantwortet worden sind. Auch wenn Dada nicht manifest in dieser Einführung auftaucht, so ist es doch latent anwesend in seiner Abwesenheit.
Es beginnt nicht zufällig 1918, als im „dadaistischen Manifest” der gewaltige Hokuspokus des Daseins gefeiert wird,das die Nerven jedes echten Dadaisten in Schwingung versetze. Auch Heidegger, gerade Privatdozent an der Freiburger Universität geworden, bringt gegen alle bildungsbürgerlichen Schlagworte von Ethik, Kultur und Innerlichkeit ein reines und nacktes „Da” in Stellung. Er will das Dasein für sich selbst wach machen, indem er das Präfix „da” zu einem eigenen Begriff erhöht: Im Sein des „Da” sei ein räumlich erschlossenes Seiendes, das Sinn habe und nur, insofern es Sinn habe, auch als Da-Sein da sei. Diese frühe räumliche Daseinsanalyse von Sein und Raum, die bereits Peter Sloterdijk in seinen „Sphären I / Blasen” als „keimhaft revolutionär” gelobt hat, wird dann zu Sein und Zeit verzeitlicht. Mit dadaistischem Sprachwitz kommentiert Jahraus die „grandiose” Leistung von Heideggers „Sein und Zeit” (1927): „Es ist die Zeit, die, da sie der Sinn von Sein ist und es dem Dasein um sein Sein geht, das Dasein erst zum Dasein macht.” So werde eine zeitliche Antwort auf eine räumliche Frage gegeben, die sich erst so als Frage nach dieser Antwort habe stellen lassen.
Ins Zentrum seines Buches hat Jahraus Heideggers Frage nach dem Sinn von Sein gestellt. Sie sei das Zentralmotiv seiner gesamten Philosophie, das sich in einer relbstreflexiven Schleife selbst in Frage stelle: „Die Frage nach dem Sinn von Sein ist zugleich der Sinn der Frage nach dem Sein.” Wie oder was ist das Sein? Wie kann man überhaupt nach dem Sein fragen und danach, „dass” es Sein ist? Man solle bei solchen Fragen auf die „sprachlich-grammatischen Fallstricke achten”, wenn man das alltäglich gebrauchte Verb „sein” zu einem philosophischen Fachbegriff „Sein” hypostasiere, der das Sein wie einen benannten Gegenstand vorspiegle.
Der verspielte Witz, dass Dada nichts bedeuten wollte und deshalb das Nichts feierte, hat dann vor allem durch Heideggers Apotheose des Nichts und seine „Kehre” zum Sein selbst seinen philosophischen Doppelgänger gefunden. Weil das Sein ein Absolutes und schlechthin Transzendentes sein soll, kann es sprachlich nicht dargestellt werden. Jede Benennung lasse das Sein nicht Sein sein. Jeder verobjektivierende Ausdruck evoziere seine Unzugreifbarkeit und Unsagbarkeit. So werde das Sein selbst zu einem Nichts, über das sich, streng genommen, wiederum nichts Sinnvolles aussagen lasse. Leider hat Jahraus nur nebenbei erwähnt, dass Heideggers eigentümliches philosophisches Lebenswerk etwas deutlichere Konturen gewinnen könnte, wenn man es mit Ludwig Wittgensteins Überwindung des philosophischen Unsinns vergleichen würde. Es wäre erhellend gewesen, Wittgensteins Kritik an all den Verhexungen des Verstandes zu folgen, die entstehen, wenn die Sprache feiert.
Man solle, Wittgenstein zufolge, nicht auf die „grammatischen Täuschungen” hereinfallen, auf die das große philosophische Pathos falle, wenn von „Sein” oder „Nichts” die Rede sei. Missdeutungen unserer Sprache spiegeln Tiefe nur vor. Deshalb empfinden wir einen „grammatischen Witz” als tief. (Und das ist ja die philosophische Tiefe.) Schade, dass Jahraus diese Un-Tiefe Heideggers nur latent zur Sprache brachte. Die Dadaisten haben doch manifestiert, wie Heidegger zu lesen sei, der sich selbst in seinem Spätwerk nicht zufällig der Dichtung und der Kunst zuwandte, um an ihnen zu verstehen, was Philosophie vergeblich zu verstehen suche, ganz im Sinne Wittgensteins: „Philosophie dürfe man eigentlich nur dichten.”
MANFRED GEIER
OLIVER JAHRAUS: Martin Heidegger. Eine Einführung. Philipp Reclam jun., Stuttgart 2004. 271 Seiten, 6,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dieses Buch über Martin Heidegger, das in der Reihe "Rowohlts Monografien" erscheint, findet nicht zuletzt deshalb Jürgen Busches Zustimmung, weil es sich nicht in das "Schlachtgetümmel" der Gegner oder Befürworter des Philosophen wirft. Die Monografie legt das Gewicht auf die Biografie Heideggers, weshalb sie auch Walter Biemels Band in derselben Reihe nicht ersetzt, sondern ergänzt, stellt der Rezensent klar. Die Schwierigkeiten des Biografen verortet Busche in der Quellenlage, von der er meint, dass sie zum Teil noch nicht aufgearbeitet, zum Teil die Quellen auch schlicht noch nicht entdeckt worden seien. Deswegen findet er es auch verständlich, dass sich der Autor hier vor allem auf die frühen Jahre Heideggers konzentriert, doch auch die Behandlung des "fatalen Rektorats" des Philosophen unter den Nazis lobt der Rezensent als "kompetent geschrieben". Dass Geier dagegen die Werkgeschichte nicht durch Biografisches erhellt, will er nicht kritisieren, weil es ihm "angesichts der Forschungslage" ganz "klug" erscheint. Nur dass die "Auseinandersetzung mit Ernst Jünger" gar nicht erwähnt wird, ist dem Rezensenten unverständlich, denn hier berührten sich doch "Werk und Biografie auf das Engste und keineswegs unproblematisch", wie er findet. Alles in allem aber lobt er dieses Buch und er befindet knapp, dass die Monografie "zum Erfreulichen gehört".
© Perlentaucher Medien GmbH
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