"Martin Salander" ist Kellers letzter Roman, der unvollendet blieb. In ihm legt der Schriftsteller eine politisch oder social moralische Entwicklung aus der akuten Misere heraus vor in Form eines paradoxen Erziehungsromans: Der unvernünftige Vater Martin Salander versagt als Bürge eines alten Schulfreundes, als liberaler Volkserzieher und als Vorstand eines fünfköpfigen Haushalts, doch letztendlich wird er von seinem klugen Sohn Arnold zur Räson gebracht.
Der Roman steht an der Wende vom poetischen Realismus zur modernen, vom Naturalismus geprägten Gesellschaftskritik; Keller verspottet hierin auch die eigenen liberalen Hoffnungen seiner früheren Jahre.
Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1901.
Der Roman steht an der Wende vom poetischen Realismus zur modernen, vom Naturalismus geprägten Gesellschaftskritik; Keller verspottet hierin auch die eigenen liberalen Hoffnungen seiner früheren Jahre.
Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1901.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2020Illusionsverluste
Noethen liest Gottfried Keller
Martin Salander ist ein tüchtiger Schweizer, der in der Ferne, in Brasilien, einiges Vermögen erwirbt, das allerdings ein Freund in der Heimat, der fiktiven Stadt Münsterburg, „ein falscher Schuft und Lump“, veruntreut. Nicht nur einmal, sondern zweimal. Doch Salander bringt die Familie wieder empor, geht in die Politik, muss erleben, wie die Ehe seiner beiden Töchter scheitert. Aber sein Sohn, ein nüchterner Kopf, hat Erfolg und bewahrt den Vater vor weiteren Fehlern. Nach vielen Wirren und dem Verlust mancher Illusionen registriert er verwundert, dass die jungen Leute, sein Sohn und dessen Freunde, nicht die Fähigkeit besitzen, „auf einer Idee zu beharren“, dass keiner von ihnen sich zum Lehrer oder Propheten aufschwingt, dass sie Phrasen meiden. Martin Salander hatte seine Laufbahn als Schulmann begonnen und lange versucht, erzieherisch zu wirken, nun scheint die Zeit über ihn hinweggegangen. Die Jünglinge halten sich die Welt offen und lassen sich „nicht in einen Tabaksbeutel stecken“. Der Alte versteht nicht alles sofort, was sie sagen, aber ihn freut, sein Herz erfrischt „der Hauch unverdorbener Ehrlichkeit“.
„Die Corruption des modernen Lebens“ wollte Gottfried Keller in seinem letzten Roman darstellen und dabei zeige, dass „auch eine republikanische Staatsform nicht davor schützt“. Allerdings wünschte er, auch die „Keime des Guten“ anzudeuten, die „Perspektive auf eine glückliche Zukunft zu öffnen“.
Für die Keller-Ausgabe des Sinus Verlages hat Ulrich Noethen den Roman vollständig eingelesen. Er trifft den gleichmäßigen, gelassenen, manchmal fast verstörend altväterlich wirkenden Erzählton Kellers ebenso wie die Ironie, er vergegenwärtigt das Komische, Lächerliche ebenso wie Idealismus, Illusionen, pädagogischen Überschwang. Zum Hörbuch gibt es, wie man es vom Sinus Verlag gewohnt ist, einen sorgfältig kommentierten Text des Werkes und eine Zeittafel.
JBY
Gottfried Keller: Martin Salander. Gelesen von Ulrich Noethen. 2 MP3 CD, 25 Stunden und 50 Minuten, 2 Textbücher, 59,80 Euro.
Der Dichter wollte
„die Corruption des modernen
Lebens“ darstellen
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Noethen liest Gottfried Keller
Martin Salander ist ein tüchtiger Schweizer, der in der Ferne, in Brasilien, einiges Vermögen erwirbt, das allerdings ein Freund in der Heimat, der fiktiven Stadt Münsterburg, „ein falscher Schuft und Lump“, veruntreut. Nicht nur einmal, sondern zweimal. Doch Salander bringt die Familie wieder empor, geht in die Politik, muss erleben, wie die Ehe seiner beiden Töchter scheitert. Aber sein Sohn, ein nüchterner Kopf, hat Erfolg und bewahrt den Vater vor weiteren Fehlern. Nach vielen Wirren und dem Verlust mancher Illusionen registriert er verwundert, dass die jungen Leute, sein Sohn und dessen Freunde, nicht die Fähigkeit besitzen, „auf einer Idee zu beharren“, dass keiner von ihnen sich zum Lehrer oder Propheten aufschwingt, dass sie Phrasen meiden. Martin Salander hatte seine Laufbahn als Schulmann begonnen und lange versucht, erzieherisch zu wirken, nun scheint die Zeit über ihn hinweggegangen. Die Jünglinge halten sich die Welt offen und lassen sich „nicht in einen Tabaksbeutel stecken“. Der Alte versteht nicht alles sofort, was sie sagen, aber ihn freut, sein Herz erfrischt „der Hauch unverdorbener Ehrlichkeit“.
„Die Corruption des modernen Lebens“ wollte Gottfried Keller in seinem letzten Roman darstellen und dabei zeige, dass „auch eine republikanische Staatsform nicht davor schützt“. Allerdings wünschte er, auch die „Keime des Guten“ anzudeuten, die „Perspektive auf eine glückliche Zukunft zu öffnen“.
Für die Keller-Ausgabe des Sinus Verlages hat Ulrich Noethen den Roman vollständig eingelesen. Er trifft den gleichmäßigen, gelassenen, manchmal fast verstörend altväterlich wirkenden Erzählton Kellers ebenso wie die Ironie, er vergegenwärtigt das Komische, Lächerliche ebenso wie Idealismus, Illusionen, pädagogischen Überschwang. Zum Hörbuch gibt es, wie man es vom Sinus Verlag gewohnt ist, einen sorgfältig kommentierten Text des Werkes und eine Zeittafel.
JBY
Gottfried Keller: Martin Salander. Gelesen von Ulrich Noethen. 2 MP3 CD, 25 Stunden und 50 Minuten, 2 Textbücher, 59,80 Euro.
Der Dichter wollte
„die Corruption des modernen
Lebens“ darstellen
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