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Marx, Wagner, Nietzsche - diese drei Denker haben das 19. wie das 20. Jahrhundert tief beeinflusst. Als Zeitgenossen, die sich wechselseitig mit Verehrung, Ablehnung oder Ignoranz gegenüberstanden, prägten sie eine Zeit von enormer wissenschaftlicher Vielfalt und gesellschaftlicher Dynamik. Ihre Antagonismen und Widersprüche führen ins Herz der deutschen Entwicklung. Herfried Münkler folgt diesen drei faszinierenden Gestalten und ruft damit eine ganze Epoche wach. Er schildert die verblüffenden Parallelen im Leben von Marx und Wagner: die Beteiligung an der 1848er-Revolution, Flucht,…mehr

Produktbeschreibung
Marx, Wagner, Nietzsche - diese drei Denker haben das 19. wie das 20. Jahrhundert tief beeinflusst. Als Zeitgenossen, die sich wechselseitig mit Verehrung, Ablehnung oder Ignoranz gegenüberstanden, prägten sie eine Zeit von enormer wissenschaftlicher Vielfalt und gesellschaftlicher Dynamik. Ihre Antagonismen und Widersprüche führen ins Herz der deutschen Entwicklung. Herfried Münkler folgt diesen drei faszinierenden Gestalten und ruft damit eine ganze Epoche wach. Er schildert die verblüffenden Parallelen im Leben von Marx und Wagner: die Beteiligung an der 1848er-Revolution, Flucht, Vertreibung und Exil, vielerlei Wirren und dann doch das Schaffen eines überragenden Werkes, die Bildung einer großen Anhängerschaft und die schwierige Verantwortung für das, was diese Anhängerschaft aus den Entwürfen gemacht hat. Nietzsche, der etwas Jüngere, ist dann ein philosophisches Ereignis, wie Marx prägt er Generationen. Alle drei sprengen die Konventionen der bürgerlichen Welt, erschaffen Neues - das aber dann zu einer anderen, unerwarteten Wirklichkeit wird: Das so vielversprechende, reiche deutsche 19. Jahrhundert geht über ins Zeitalter der Extreme, der politischen Katastrophen. - Ein aufregendes Buch über drei große Denker, die Signatur der modernen Welt und, nicht zuletzt, die Mentalität der Deutschen.
Autorenporträt
Herfried Münkler, geboren 1951, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Viele seiner Bücher gelten als Standardwerke, etwa 'Die Deutschen und ihre Mythen' (2009), das mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, sowie 'Der Große Krieg' (2013), 'Die neuen Deutschen' (2016), 'Der Dreißigjährige Krieg' (2017) oder 'Marx, Wagner, Nietzsche' (2021), die alle monatelang auf der 'Spiegel'-Bestsellerliste standen. Zuletzt erschien 'Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert', ebenfalls ein 'Spiegel'-Bestseller. Herfried Münkler wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Wissenschaftspreis der Aby-Warburg-Stiftung und dem Carl Friedrich von Siemens Fellowship.
Rezensionen
Münkler ist weit über die Universität und sein Fach hinaus eine intellektuelle Institution in der Bundesrepublik. Was er auch mit dem neuen Buch beweist. Neue Zürcher Zeitung 20211006

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Cord Aschenbrenner liest mit Gewinn, wie Herfried Münkler mit seinem Buch über Marx, Wagner und Nietzsche die Umbrüche des 19. Jahrhunderts vor Augen führt. Wirklich Neues erfährt er natürlich nicht über die drei Geistesgrößen, aber wie sich hier drei Männer auf je eigene Art gegen die Weltgeschichte stemmen, das führt ihm der Politikwissenschaftler imposant vor Augen. Und wenn Münkler ihre Ideen- und Gedankenwelt, ihre Werk, ihre Lebensumstände, Krankheiten und auch ihren Antisemitismus beleuchtet, stößt der Rezensent auf kluge Einsichten und einleuchtende Interpretationen. Münklers klare Prosa weiß Aschenbrenner dabei ebenso zu goutieren wie seine lakonischen Kommentare.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.08.2021

Wahn, Wille, Wehe
Herfried Münkler setzt Leben und Wirken von Marx, Wagner und Nietzsche in Beziehung.
Warum er das tut, erschließt sich nicht immer
VON JOHAN SCHLOEMANN
Im leerer werdenden Feld zwischen Intellektualität und Politik ist Herfried Münkler der berühmteste Professor Deutschlands. An diesem Sonntag feiert er seinen 70. Geburtstag, und nicht nur deshalb muss man feststellen, dass er diesen Ruf ohne Zweifel verdient hat. Man kann nur bewundern, wie Münkler auch in den prosaischsten Zusammenhängen der Politikberatung auf einen großen ideengeschichtlichen Fundus zurückgreift, um Probleme seiner Zeit auf den Begriff zu bringen.
Jedes Forum freut sich, wenn Münkler kommt, er spricht mit leiser, suchender Eindringlichkeit, er ist nicht dogmatisch, aber präzise, er hilft bei der Orientierung, und man schätzt seine Mischung aus republikanischer Freundlichkeit und gnadenloser thukydideischer Illusionslosigkeit. Schon in seiner hessischen Jugend legte er dafür die Grundlagen, mit einer Mitgliedschaft bei den Jusos und einer altsprachlichen Gymnasialbildung. Von seiner gefeierten Frankfurter Machiavelli-Dissertation aus entfaltete sich sein langjähriges Wirken als Politikwissenschaftler im Herzen der Berliner Republik. Einflussreich sind Münklers Bücher wie „Die neuen Kriege“ (2002) oder „Imperien“ (2005), und in allen Konflikten, die ihm an der Universität auch persönlich zugesetzt haben, wahrte er stets, so der Titel eines weiteren Buches, „Mitte und Maß“.
Wie um seine geistige Offenheit und Neugier erneut zu demonstrieren, bringt Herfried Münkler pünktlich zum Geburtstag eine stoffreiche Monografie über drei sehr unterschiedliche Figuren des 19. Jahrhunderts heraus: Karl Marx, Richard Wagner und Friedrich Nietzsche. Drei Deutsche, die in der ganzen Welt Wirkung gezeigt haben, und zwar – eher schlagwortartig, wie Münkler in der Einleitung zugesteht – so: der eine als umwälzender Analytiker des Kapitalismus, der andere als Retter des Mythos für die Moderne und Erfinder des kunstreligiösen Gesamtkunstwerks, der dritte als Künder einer vor- oder postchristlichen, weltbejahenden „Vorstellung von individueller Freiheit“.
Zu diesem eher vorsichtigen, andeutenden Umgang mit den großen Folgen des Werks der drei Männer lässt sich eine passende Warnung von Karl Löwith anführen, der in seinem dasselbe Terrain beschreitenden Buch „Von Hegel zu Nietzsche“ (1939) von „der geschichtlichen Einsicht“ sprach, „dass die ,Wegbereiter‘ von jeher andern Wege bereiteten, die sie selber nicht gingen“.
Wenn Münklers Buch also zunächst vor allem eine historische Konstellation untersucht und wenn man dann am besten gleich zu Anfang fragt: Warum denn diese drei zusammen?, so lautet die Antwort dann am besten auch gleich ehrlicherweise: Die eigentliche Zusammenschau erbringt in diesem Buch leider nicht sehr viel. Außer, dass man durch die Kontraste eher die Unterschiede zwischen den dreien klarer vor Augen hat, gerade auch da, wo sich ihre Motive berühren.
Wenn Münkler den Sinn der Gesamtbetrachtung des Dreigestirns Marx, Wagner, Nietzsche aus heutiger Perspektive benennen soll, finden sich denn auch nur Leerformeln: „Einer Welt im Umbruch entstammend, könnten sie zu Begleitern des 21. Jahrhunderts werden, ebenfalls einer Welt im Umbruch, wobei diese Begleitung eher eine der kritischen Infragestellung als eine selbstsicheren Wegweisung ist.“ Oder: „In ihrer Zeit wie unserer Gegenwart stehen sie für unterschiedliche Blickweisen auf Gesellschaft und Kultur.“ Nun denn, das ist kein großer Ertrag, und er fiele wohl auch nicht viel anders aus, wenn der Autor am Anfang des Jahrhunderts noch Hegel oder am Ende noch Sigmund Freud mit hineingenommen hätte.
Aber das ist gar nicht so schlimm, denn im Einzelnen erfährt man in diesem Buch sehr viel Interessantes. Herfried Münkler, selber gewiss kein Marxist im ideologischen Sinne, war seit 1993 mit der Fortführung der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften betraut. In diese Zeit, besonders nach dem Finanzcrash 2007/2008, fällt das Wieder-Ernstnehmen von Marx als Beschreiber der Krisenanfälligkeit des Kapitalismus, bei allen Fehlern seiner Prophetie. Zugleich hat Münkler zusammen mit Musikwissenschaftlern Seminare über Richard Wagner an der Humboldt-Universität veranstaltet. Aus diesem Material ergeben sich die ergiebigsten Vergleiche in diesem Buch.
So ist es faszinierend zuzuschauen, wie Münkler nicht nur Wagners Schriften, sondern auch dessen Musikdramen als politischer Denker durchforstet und etwa im mythischen Kosmos der Nibelungen „klasseninterne Auseinandersetzungen“ entdeckt – ein schönes Changieren zwischen Opernführer und politischer Ideengeschichte. Zum Beispiel stellt Münkler Wagners „Ring“ und Marx so gegenüber: „Wagners Bourgeoisie ist zu konservativ, um unter den von ihr geschaffenen Verhältnissen politisch überleben zu können; Marx’ Bourgeoisie hingegen ist zu revolutionär, um nicht der von ihr selbst angestoßenen Entwicklung zum Opfer zu fallen.“
Beide, Marx und Wagner, erlebten das Scheitern der deutschen Revolution von 1848/49 als prägende Erfahrung ihrer Generation. (Für den jüngeren Nietzsche waren es die Einigungskriege und die Reichsgründung 1871, die er erst patriotisch begrüßte, aber sehr bald als Bedrohung der Kultur ablehnte.) Dieses Trauma – Wagner war selbst in Dresden gegen die Fürstenherrschaft auf die Barrikaden gegangen – verarbeiteten beide aber sehr unterschiedlich: „Wagner hat auf den Umsturz der Gesellschaft verzichtet“, schreibt Münkler, „um an der Revolutionierung der Kunst festhalten zu können; Marx dagegen hat an der sozialen Revolution festgehalten, indem er den Umsturz in kleine Portionen zerlegte und in den sozioökonomischen Prozess einschrieb.“
Richard Wagner lehnte die Industrialisierung und das (von ihm antisemitisch diffamierte) Geldwesen des Kapitalismus ab, Marx sah beides als unvermeidlichen Fortschritt im Antagonismus zum Proletariat. Beide hatten immer wieder Geldsorgen (während Nietzsche spartanisch frühpensioniert lebte). Beide glaubten, dass die Gesellschaftsordnung ihrer Zeit zu überwinden sei, und sahen „die Geschichte“ als Macht an – aber Wagner erhoffte sich die Erneuerung durch Zerstörung als Restauration eines idealisierten Mittelalters, Marx glaubte demgegenüber an die Zukunft. Nicht an Erlösung, sondern Befreiung.
Diese profilschärfenden Vergleiche sind das Privileg des nachgeborenen Ideenhistorikers, hingegen haben die Zeitgenossen Karl Marx und Richard Wagner einander kaum wahrgenommen. Nur Marx war einmal genervt, dass wegen der ersten Bayreuther Festspiele 1876 die Hotels in Nürnberg ausgebucht waren, als er auf der Durchreise zur Kur in Karlsbad war: Man sagte ihm in Nürnberg, dass „die Stadt überschwemmt sei, teils infolge eines Müller- und Bäckerkongresses, teils durch Leute aus allen Weltteilen, die sich von dort zu dem Bayreuther Narrenfest des Staatsmusikanten Wagner begeben wollten“. Am Kurort angekommen, schrieb Marx noch einmal an Friedrich Engels: „Allüberall wird man mit der Frage gequält: Was denken Sie von Wagner?“ Antworten von Marx selbst auf diese Frage sind nicht überliefert, und von Wagner gibt es keinerlei Äußerung über Marx.
Ähnlich verhält es sich mit Marx und Nietzsche: Die geistig-politischen Antipoden – der eine Visionär der Massengesellschaft, der andere Verächter derselben – haben nicht voneinander Notiz genommen, bis Marx 1883 in London starb und Nietzsche 1889 in der Umnachtung landete. Nur indirekt findet man bei Nietzsche (in den „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ von 1874) Kritik am hegelianischen Denken – dieses führe zum „Götzendienste des Thatsächlichen“. Im 20. Jahrhundert wurde das Erbe dieser beiden bekanntlich auf unterschiedliche Weise angetreten und missbraucht, mit den Fluchtpunkten Stalinismus und Nationalsozialismus.
Bleibt das Paar Wagner/Nietzsche – die geläufige Geschichte der beiden, den „Fall Wagner“, erzählt Münkler auch noch einmal mit. Nietzsche, noch Philologieprofessor und beginnender Philosoph, war anfangs glühender Anhänger Wagners, er hoffte auf „das allmähliche Erwachen des dionysischen Geistes in unserer gegenwärtigen Welt“. Ein ganz neuer Kult der Kunst sollte Deutschland zum neuen Griechenland machen, eine Kunst, die getrieben sei von „den Müttern des Seins, deren Namen lauten: Wahn, Wille, Wehe“. Das schrieb Nietzsche 1872 in der „Geburt der Tragödie“, doch schon bald nach den ersten Festspielen in Bayreuth begann die Entfremdung zwischen beiden, die Nietzsche auf immer einsamere Höhen führte: „Denn ich hatte Niemanden gehabt als Richard Wagner.“
Scharfsinnig und kenntnisreich ist Herfried Münkler auch wieder in diesem Buch. Obwohl er im Lockdown endlich mal „große Ruhe“ zum Schreiben hatte, wie er sagt, bleibt beim Lesen immer wieder ein wenig unklar, was Exkurs und was Haupterzählung ist. Einen klugen Vortrag oder Aufsatz zum Thema „Möglichkeiten und Grenzen vergleichender Doxographie und Biographik“ könnte man sich von Herfried Münkler deshalb nun ebenfalls vorstellen. Wir werden ihm weiter zuhören.
Bei Wagner entdeckt
Münkler „klasseninterne
Auseinandersetzungen“
Im 20. Jahrhundert wurde das
Erbe von Marx und Nietzsche
unterschiedlich missbraucht
Herfried Münkler: Marx, Wagner, Nietzsche. Welt im Umbruch. Rowohlt Berlin, Berlin 2021.
720 Seiten, 34 Euro.
Sind die Wege, die sie bereitet haben, selbst nicht gegangen: Nietzsche, Marx, Wagner.
Fotos: Wikimedia commons, Imago
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2021

Wanderungen im Drei-Riesen-Gebirge
Gelehrtes Vergnügen: Herfried Münkler versammelt Marx, Nietzsche und Wagner zum Geistergespräch

Um das Jahr 1870 notierte der Schweizer Historiker Jacob Burckhardt: "Die Geschichte liebt es bisweilen, sich auf einmal in einem Menschen zu verdichten." Er verurteilte diejenigen, die bei der Bewunderung solch "großer Individuen" vom "Bedürfnis der Unterwürfigkeit" angetrieben werden, doch in der Bereitschaft, sich "für Größe offenzuhalten", sah er eine "Bedingung höhern geistigen Glückes". Man könnte sagen, der Politikwissenschaftler und Ideenhistoriker Herfried Münkler sei ein Urgroßenkel Burckhardts, denn auch bei seinem Umgang mit Geistesgrößen überlagern sich Nüchternheit und Faszination. In seinem neuen Buch geht es gleich um deren drei, nämlich um die großen drei des neunzehnten Jahrhunderts in Deutschland: Richard Wagner (1813-1883), Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Nietzsche (1844-1900).

Man muss fast schon selbst ein Großer sein, um dieses Drei-Riesen-Gebirge zu durchwandern, ohne abzustürzen, und Münkler gelingt dies - mit kleinen Abstrichen - auf eindrucksvolle Weise. Er schreibt nicht drei Biographien, sondern bringt seine Hauptfiguren anhand zentraler Themen und geschichtlicher Ereignisse miteinander ins Gespräch. "Alle drei, Marx, Wagner und Nietzsche, haben versucht, sich auf dieses Jahrhundert einen Reim zu machen." Die formalen Mittel, die sie dabei einsetzten, gingen weit auseinander: Münkler lässt sie als Meister des Systems (Marx), der Polyphonie (Wagner) und des Aphorismus (Nietzsche) gegeneinander antreten, und ordnet ihnen drei Vorhaben zu: die kritische Analyse gesellschaftlicher Widersprüche, das Gesamtkunstwerk als Gegenbild zur Zerrissenheit und die Feier des souveränen Individuums.

Wer von Marx, Wagner und Nietzsche redet, darf nicht schweigen über drei Menschen, die sie überlebten und ihr Nachleben lange kontrollierten: Marx' Theorie wurde von Friedrich Engels nach dessen Tod geglättet und vereinfacht, Wagners Nachlass von seiner zweiten Frau Cosima zensiert, Nietzsches Nachlass von seiner Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche verfälscht, und beide Frauen suchten und fanden Hitlers Nähe. Münklers Buch markiert einen Höhepunkt in der langen Reihe von Versuchen, diese Überlagerungen abzutragen und zu den Originalen vorzustoßen. Er hält sich nicht nur bequem an die Hauptschriften, sondern greift in vorbildlicher Sorgfalt zurück auf Entwürfe und Vorstufen. Doch es geht in diesem Buch auch um die Menschen hinter den Gedanken. Das zeigt gleich das erste - und beste - Kapitel des Buches.

Bayreuth, August 1876. Das Großereignis naht. Das Festspielhaus wird mit der Uraufführung des "Rings des Nibelungen" eröffnet. Kaiser Wilhelm I. und König Ludwig II. haben ihr Kommen angekündigt, und Nietzsche ist als erster Wagner-Versteher natürlich auch eingeladen. Die Festspiele werden zu einem bitteren Erfolg. Wagner ärgert sich über schlechte Sänger und das tuschelnde Publikum: "Es war alles falsch", klagt er, und überdies werden ihn hinterher Schulden von 148 000 Mark drücken. Die vormals enge Beziehung zwischen Nietzsche und Wagner erleidet in diesem August einen Knacks. Nietzsche fühlt sich von Wagner vernachlässigt und von dem spätfeudalen Spektakel abgestoßen: "Ich erkannte Nichts wieder . . . Man hatte Wagner ins Deutsche übersetzt!"

Zwischendurch flüchtet Nietzsche in den Bayerischen Wald. Ein paar Kilometer weiter befindet sich zur gleichen Zeit der Dritte in diesem Bunde, der gar keiner ist: Karl Marx. Er kurt in Karlsbad und ärgert sich darüber, mit den anderen Gästen Konversation über das alles beherrschende Thema - "Was denken Sie von Wagner?" - pflegen zu müssen. Nur aus diesem Sommer, in dem Marx ihm nicht ausweichen konnte, sind ein paar verächtliche Bemerkungen über den "neudeutsch-preußischen Reichsmusikanten" überliefert. Neben die Entfremdung zwischen Wagner und Nietzsche tritt also die Fremdheit zwischen Marx und Wagner sowie auch diejenige zwischen Marx und Nietzsche. Sie hatten gemeinsame Bekannte, aber nie sind sie sich begegnet, nie haben sie sich gegenseitig in ihren Veröffentlichungen erwähnt. Münkler nützt die gescheiterten und verpassten Begegnungen vom Sommer 1876 als Sprungbrett, um seine drei Hauptfiguren in ein Spiel von Nähe und Ferne zu verwickeln, das er dann in den Folgekapiteln entfaltet. Ähnlichkeiten gibt es viele - und Unterschiede erst recht.

Manche Ähnlichkeiten sind prosaisch. Da ist Marx' Armut, die ihn und seine Familie trotz der Hilfe des Freundes und Fabrikantensohns Engels oft frieren und hungern lässt, Wagners Geldnot, die freilich durch Verschwendung verursacht und erst durch den bayerischen König Ludwig II. gelindert wird, und Nietzsches Geldmangel, den er mittels einer frugalen, alles andere als dionysischen Lebensführung erträgt.

Manche Ähnlichkeiten sind poetisch. Wagner, Marx und Nietzsche sind geeint in der Feier des Prometheus, den sie als Feuergott an der Seite Wotans, als Befreier der Menschheit, als großen Leidenden und Unruhestifter auferstehen lassen - wie Münkler in einem mythengeschichtlichen Kabinettstück zeigt. Darüber hinaus analysiert Münkler eine Reihe wechselnder Koalitionen und Kollisionen. Da ist die Kritik am Staat bei Marx ("Brutstätte" der "Fäulniß") und Nietzsche ("das kälteste aller kalten Ungeheuer"). Wagner und Nietzsche treten als Fortschrittsfeinde auf, Marx als Fortschrittsfreund. "Kapital" und "Ring" werden als kapitalismuskritische Werke hohen Ranges vergleichen. Alle drei befassen sich mit Goethe und Darwin. Marx und Wagner lernen Heine persönlich in Paris kennen und schätzen, Nietzsche bewundert ihn. Marx und Wagner lesen Proudhon und Feuerbach, sie pflegen Umgang mit dem Dichter Georg Herwegh und dem Anarchisten Bakunin. Marx und Wagner überbieten sich in der Verachtung Napoleons III., aber alle drei sind geeint in der Faszination für Napoleon I. und der Verachtung der "Philister". Marx leistet heimatlosen Einsatz für den Internationalismus, bei Wagner mündet der "Kampf gegen das Seßhaftwerden" in die Suche nach "Heimat" - ein Thema, das er im "Fliegenden Holländer" variiert -, Nietzsche praktiziert und reflektiert das "Nomadenleben". Marx beginnt als Theoretiker der Revolution und wird nach Münklers Lesart in späten Jahren fast zu einem Reformisten, der das ach so unzuverlässige Proletariat langsam, aber sicher an die Macht bringen will. Wagner wandelt sich vom Praktiker der Revolution (Dresden 1849) zum Komponisten der Restauration und feiert die "Liebe als revolution light" (Münkler). Nietzsche erschrickt 1871 über den "internationalen Hydrakopf" der revolutionären Massen, liebäugelt aber mit Revolten aller Art.

Beim Thema des Antisemitismus brilliert Münkler mit Umsicht und Einsicht. So bietet er eine differenzierte Analyse von Marx' Essay "Zur Judenfrage", schildert das unterkühlte Verhältnis des Atheisten Marx zur Religion seiner Ahnen (sein Großvater war Rabbiner, sein Vater hatte sich protestantisch taufen lassen) und verschweigt nicht, dass Marx Ferdinand Lassalle, seinen Konkurrenten um die Führung der Arbeiterbewegung, als "jüdischen Nigger" bezeichnet, der wohl "von den Negern abstammt, die sich dem Zug des Moses aus Ägypten anschlossen". Wagner kommt gerechterweise viel schlechter weg - mit seinem Hass auf den Konkurrenten Meyerbeer, aber auch mit der Schrift "Das Judenthum in der Musik" von 1850/1869 und den antisemitischen Invektiven der späten Jahre, unter denen seltsamerweise diejenige aus einem Brief an Ludwig II. unerwähnt bleibt, "dass ich die jüdische Race für den geborenen Feind der reinen Menschheit und alles Edlen in ihr halte". Nietzsches scharfe Polemik gegen den Antisemitismus (nicht nur) seines Schwagers wird von Münkler ebenso ernst genommen wie die These zur Rolle der Juden beim "Sklaven-Aufstand in der Moral".

Es ist eine große Freude, einem so klugen, gelehrten und gründlichen Autor wie Münkler bei seiner Gedankenreise zu folgen. Gelegentlich wird die Freude beim Lesen getrübt. Manches ist schief, manches kommt doppelt, und das Ende ist dünn. Bei Marx und Wagner ist Münkler sattelfester als bei Nietzsche. "Sonderlich differenziert ist Nietzsches Gesellschaftsanalyse nicht", schreibt Münkler mit Recht, aber etwas differenzierter hätte seine eigene Nietzsche-Analyse durchaus ausfallen dürfen. "An die Stelle gesellschaftlicher Veränderung tritt bei ihm die Selbstbehauptung des Individuums in der Massengesellschaft", so heißt es bei Münkler. Das passt nicht zu Nietzsches Appell: "Schrittweise lernen, das vermeintliche Individuum abzuwerfen! Die Irrthümer des ego entdecken! Über 'mich' und 'dich' hinaus!" Hätte Münkler nicht sogar Ähnlichkeiten zwischen Nietzsches und Marx' Kritik am Individualismus entdecken können? Stattdessen versucht er in einer charmanten Volte, aus Nietzsches "Verachtung des Mittelmäßigen" einen "Respekt vor der gesellschaftlichen Mitte" als Brutstätte des Besonderen herauszulesen - ein Thema, das ihm als Autor des Buches "Mitte und Maß" natürlich am Herzen liegt.

Manche Doubletten und Redundanzen hätten sich vermeiden lassen. Marx' schöne Pointe zum Übergang von "liberté, égalité, fraternité" zu "infanterie, cavallerie, artillerie" kommt doppelt, seine Faszination für Wagners "Schwarzalben" und "Lichtalben" drängt Münkler den Lesern mehrfach auf, und in den Kapiteln zu "Revolution und Reichsgründung" einerseits, zum "großen Umsturzprojekt" andererseits werden ähnliche Punkte abgehandelt. Wenn er hier gestrafft hätte, dann wäre mehr Platz gewesen für Themen, die er unter Wert abhandelt - zum Beispiel für die frappierenden Unterschiede in der Frauenfrage. Hier erwähnt Münkler manches, aber vieles auch nicht: wie sich zum Beispiel bei Wagner die Liebe zu den Frauen und zur Musik seltsam überlagern ("Die Musik ist ein Weib"), dass Marx' Brief vom 21. 6. 1856 an seine Frau Jenny zu den schönsten Liebesbriefen der Geschichte gehört oder wie sich Nietzsches desaströse Frauenbeziehungen in seiner Philosophie spiegeln ("Die Gefahr der Künstler liegt im Weibe").

Am Ende hätte man sich noch zehn knackige Seiten gewünscht, in denen Münkler - was für ihn ein Leichtes gewesen wäre - Lehren für die Gegenwart zieht. Er belässt es bei der eher vagen Auskunft, dass alle drei "zu Begleitern des 21. Jahrhunderts", einer neuen "Welt im Umbruch", werden können. Arg wortkarg bleibt er, wenn es um die Art dieses Begleitschutzes geht. Was haben die drei zum Beispiel zur aktuellen Krise der Demokratie zu sagen? Wie fruchtbar ist die von Münkler bei Marx diagnostizierte "radikaldemokratische Grundhaltung" oder Wagners "egalitär-demokratische" Vision des Festspiels? Und was hält er von Thomas Manns steiler These: "Nietzsche hat zur Demokratisierung Deutschlands stärker beigetragen als irgend jemand"? DIETER THOMÄ.

Herfried Münkler: "Marx - Wagner - Nietzsche".

Welt im Umbruch. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2021. 720 S., geb., 34,- Euro.

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