Die vorliegende interdisziplinäre Studie, die an wichtigen Schnittstellen zwischen Kunst- und Architekturtheorie, Anthropologie und Philosophie angesiedelt ist, gibt erstmals einen vertieften Überblick über schematische Darstellungen des menschlichen Körpers vom späten 19. bis zum frühen 21. Jahrhundert, in denen an einer einzelnen aufrecht stehenden, meist nackten Figur vermeintliche Standardmaße bzw. Maßverhältnisse des "ganzen" Menschen anschaulich gemacht werden sollten: Figurationen von Körpermaßen als deskriptive und/oder normative Konkretionen künstlerischer, anthropologischer, ergonomischer "Tatsachen", mit einer hinzugesetzten Skala versehen, unter ein Raster bzw. Liniennetz gesetzt oder auf einen Text mit quantifizierenden Angaben bezogen. Der Begriff "Maßfigur" wurde als Haupttitel gewählt, weil er die erörterten Theorien am klarsten zusammenfasst und sich eingängig mit dem Schlagwort vom "Menschlichen Maß" verbindet. Einen Schwerpunkt bildet die Architekturtheorie, denn kaum eine andere Kunstform hat schon vor der Moderne so viele menschliche Maßfiguren hervorgebracht und deren Verwendung im hier interessierenden Zeitraum so intensiv fortgeschrieben. Am Anfang der Arbeit stehen Proportionsdiskurse zwischen Künstlerausbildung, Medizin, Anthropologie und künstlerischer Praxis um 1900. Es folgen Untersuchungen über das zwiespältige Verhältnis der Klassischen Moderne zum akademischen Konzept der Figur, zum Proportionsdiskurs der Zwischenkriegszeit in Kunsttheorie und Kunstgeschichte (Gino Severini, Erwin Panofs¬ky, Oskar Schlemmer), zu Verbildlichungen des Maßdenkens totalitärer Systeme der 1930er und 40er Jahre, zum "Modulor" von Le Corbusier, zu den Maß- und Körpervorstellungen von Salvador Dalí, Mark Rothko, Joseph Beuys, Robert Morris und Bruce Nauman sowie zur "Gynometrie" in der feministischen Kunst seit den 1960er Jahren (VALIE EXPORT, ORLAN). Den Schluss markieren Studien zu postmodernen Metrologien, u.a. bei Jean-Paul Goude, Steve McQueenund Antony Gormley.