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Dieter Jähnig befasst sich seit dem Anfang der 1970er Jahre mit Burckhardt und legt hier aus seinem reichen Erfahrungsschatz eine Reihe sich wechselseitig ergänzender Besprechungen exemplarischer Perspektiven auf Burckhardts "Entdeckungen der Welt und des Menschen" vor.Die teils neu, teils erstmals publizierten, bei verschiedenen Gelegenheiten entstandenen Beiträge zur Burckhardt-Rezeption möchten, so wie sie hier ausgewählt und zusammengestellt sind - einerseits umfassender als bei der isolieren Präsenz, andererseits aber auch kompakter als im Rahmen der anfänglichen Detailausbreitung-, ein Nebeneinander sein, das zugleich ein Ineinander ist.…mehr

Produktbeschreibung
Dieter Jähnig befasst sich seit dem Anfang der 1970er Jahre mit Burckhardt und legt hier aus seinem reichen Erfahrungsschatz eine Reihe sich wechselseitig ergänzender Besprechungen exemplarischer Perspektiven auf Burckhardts "Entdeckungen der Welt und des Menschen" vor.Die teils neu, teils erstmals publizierten, bei verschiedenen Gelegenheiten entstandenen Beiträge zur Burckhardt-Rezeption möchten, so wie sie hier ausgewählt und zusammengestellt sind - einerseits umfassender als bei der isolieren Präsenz, andererseits aber auch kompakter als im Rahmen der anfänglichen Detailausbreitung-, ein Nebeneinander sein, das zugleich ein Ineinander ist.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Dieter Jähnig, geboren 1926, Studium der Archäologie und Kunstgeschichte in Leipzig und Tübingen, 1974 Professor für Philosophie in Tübingen. Jähnigs Forschungsschwerpunkte sind Philosophiegeschichte, Kunstphilosophie, Geschichtsphilosophie, aussereuropäische Kulturen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2006

Wollen Sie den geistigen Überschuß verstehen?
Dieter Jähnig zieht die Summe seines jahrzehntelangen Nachdenkens über Jacob Burckhardt

Hier schreibt einer höchst informiert gegen den Mainstream des etablierten Burckhardt-Bildes an. In den Augen des Philosophen Dieter Jähnig ist der Kulturhistoriker Jacob Burckhardt kein rückwärts- gewandter Klassizist, eher schon ein Postmoderner.

Jacob Burckhardt gilt gemeinhin nicht als philosophischer Kopf. Es ist daher auch eher selten, daß sich Philosophen eingehender mit ihm beschäftigen. Eine rühmliche Ausnahme bildet Dieter Jähnig, Tübinger Emeritus, dessen Forschungen seit den frühen siebziger Jahren immer wieder das Denkgebäude des Basler Kunst- und Kulturhistorikers umkreisen.

Seine große Arbeit zu "Jacob Burckhardts Topologie der Künste" (mit dem sprechenden Obertitel "Kunstgeschichtliche Betrachtungen") ist zwar leider nach wie vor nur im Typoskript zugänglich. Doch nun liegt in einem Band der Begleitreihe zur neuen kritischen Burckhardt-Gesamtausgabe die Essenz seines jahrzehntelangen Nachdenkens über die Maßstäbe der Burckhardtschen Kunst- und Geschichtsbetrachtung vor. Der Band versammelt Veröffentlichtes und Unpubliziertes, den Leitfaden bildet der wohl wirkmächtigste Text Burckhardts: die von seinem Neffen Jacob Oeri postum bearbeiteten und unter dem Titel "Weltgeschichtliche Betrachtungen" herausgegebenen Vorlesungsmaterialien zum Basler Kolleg "Über das Studium der Geschichte".

Jähnig als ein Meister der Hermeneutik eröffnet dem Leser ganz neue Einblicke in diesen vermeintlich so gut bekannten Text. Sein Impetus ist die Erschließung von Burckhardts "Betrachtungs-Maßstäben", er möchte neue Beiträge leisten "zur Aufnahme des von Burckhardt in der Einleitung dieses Kollegs hervorgehobenen und im Ganzen seiner mündlichen und schriftlichen Arbeit praktizierten Anspruchs: ,Winke' zu geben ,zum Studium des Geschichtlichen in den verschiedenen Gebieten der geistigen Welt'." Hierbei bietet Jähnig immer wieder ungewöhnliche Perspektiven selbst auf hundertfach Zitiertes. So erfährt das berühmte Diktum Burckhardts: "Unser Ausgangspunct: vom einzigen bleibenden und für uns möglichen Centrum, vom duldenden, strebenden und handelnden Menschen wie er ist und immer war und sein wird" eine überraschende Neudeutung: Indem der Mensch nicht mehr das Zentrum der Geschichte als selbstbestimmt Handelnder einnimmt, sondern als Duldender und Leidender der Spannung von Autonomie und Schicksalsergebenheit gewissermaßen pathologisch ausgesetzt ist, verläßt Burckhardt hier in Jähnigs Interpretation "die Zentralperspektive des Humanismus".

An vielen Stellen schreibt Jähnig gegen den Mainstream des etablierten Burckhardt-Bildes an: So möchte er vor allem mit dem Vorurteil aufräumen, Burckhardt sei ein rückwärtsgewandter Klassizist gewesen, ein Kulturpessimist, für den Kunst einen gegenwartsabgewandten Fluchtraum darstellte. Er sieht die genuine Leistung Burckhardts darin, Kunst als ästhetische Manifestation mit zeitüberdauernder Gültigkeit gefaßt zu haben, die in jeder zukünftigen Zeit neu und anders gesehen werden kann. Obgleich in Burckhardts Augen Dokument ihrer Entstehungszeit, kann sie dennoch immer wieder direkt und unmittelbar erfahren werden; sie ist damit laut Jähnig für Burckhardt die "Erneuerung der Gegenwart in einer Zukunft eröffnenden Erinnerung". Jeder Betrachter geht mit dem Kunstwerk im Erkenntnisgenuß eine jeweils neue - wie Burckhardt es nennt "chemische" - Verbindung ein, die als Syntheseleistung die Summe ihrer Ingredienzien weit übersteigt.

Wie diese spezifische Verbindung im Einzelfall aussehen wird, ist (im Sinne von Burckhardts heftig kultiviertem, antiteleologischem Affekt) nie prognostizierbar. Jähnigs treffende Exegese: "Was kommt, hat nicht notwendig kommen müssen. Das jeweils wirklich Gewordene ist eine von verschiedenen, vielleicht sogar konträren Möglichkeiten. Die Blindheit, das Nichtsehenwollen dieses wesenhaften Dunkels der Geschichte, das dem Glanz des je und je Erscheinenden erst seine Farbe gibt, macht Burckhardt der ,Geschichtsphilosophie' ebenso wie der historischen Methodologie zum Vorwurf."

In diesem Kontext drängt sich eine erneute Behandlung der vieldiskutierten Frage nach dem Verhältnis von Burckhardt zu Hegel auf: Laut Jähnig treffen sich die beiden in der Einsicht, daß die Kunst ihrer Gegenwart den organischen Daseinszusammenhang mit dem Leben, der sie in früheren Zeiten auszeichnete, verloren habe. Doch aus der vergleichbaren Diagnose des Historischwerdens von Kunst ziehen sie ganz unterschiedliche Konsequenzen.

Während Hegel den Schritt von der Kunst zur Kunstwissenschaft als Fortschritt des Weltgeistes begrüßt, als notwendige Distanzierung und Historisierung im Dienste der Selbstvergewisserung, beschreitet Burckhardt einen gänzlich anderen Weg: Er versucht in seiner Vermittlungsbemühung von Kunstwerken der Vergangenheit und von Vergangenem überhaupt die Kluft zwischen dem gegenwärtigen Eigenen und dem vergangenen Fremden als Differenz aufrechtzuerhalten und damit einen belebend-spannungsreichen Bezug zwischen Gegenwärtigem und Geschichtlichem herzustellen. Annäherung im Verstehen ist für ihn nicht die klassifikatorische Abschließung und Ruhigstellung, sondern eine Erweiterung des Denkhorizonts, in dem Kunst zum Dynamisierungsfaktor geschichtlicher Prozesse wird.

Auch das eher einseitige Bild Burckhardts als Modernitätskritikers und "Globalisierungsgegners" erfährt in Jähnigs Texten eine Revision. Denn Burckhardt sieht in der zunehmenden Beschleunigung der Welt auch die Chance der Horizonterweiterung und der Vervielfältigung von geistigen Kontaktmöglichkeiten im Rahmen der sich im neunzehnten Jahrhundert herausbildenden "Weltcultur". Seine Rezeptionshaltung gegenüber dem Geschichtlichen ist insofern innovativ, als sie um "moderne" Allseitigkeit bemüht ist.

Mehrere Texte behandeln die Frage, was das Spezifikum von Kunst im Kontext der von Burckhardt so genannten "Potenzen" Staat, Religion und Kultur ausmache. Hierbei betont er zu Recht, daß Kunst nur einen unter vielzahligen Faktoren der Kulturpotenz darstellt - umfaßt diese doch daneben so handfest-ökonomische Dinge wie Handel, Wirtschaft und Verkehr. Und auch innerhalb des Potenzen-Schemas dominiert die "Cultur" keineswegs den Staat oder die Religion, wie man es bei Burckhardt als Nestor der Kulturgeschichtsschreibung vermuten könnte.

Kunst ist im "Studium der Geschichte" keine museale Fluchtwelt für den Apolitischen mehr, wie sie es vielleicht im "Cicerone" noch war. Sie ist auch kein absoluter Zielpunkt kultureller Dynamik, sondern garantiert selbst erst eine "umfassende Beweglichkeit" historischer Prozesse. Sie ermöglicht als Kommunikationsvehikel vergangener Kulturleistungen ein Verstehen des "geistigen Überschusses" früherer Zeiten. Kunst ist somit kein Refugium mit Trostfunktion für Gegenwartsmüde, sondern Erkenntniskatalysator; mit Burckhardt zu sprechen: "Es handelt sich nicht ums Zurücksehnen, sondern ums Verständniß."

In dieser Betonung von Alterität, Differenz, Heterogenität und Unfixierbarkeit wird Burckhardt - insbesondere in Abgrenzung zu Hegel - für Jähnig unterderhand fast zu einem Postmodernen avant la lettre (jedoch ohne die explizite Verwendung dieses anachronistischen Terminus). Burckhardts "bunter" - um nicht zu sagen: "wilder" - Denkduktus ist von höchster Komplexität, er hält Gegensätze, Mehrdeutigkeiten und Paradoxa aus und erfährt die Dynamik des Geschichtlichen nicht als zielgerichtet, sondern als krisenhaften Generator für Neues.

CHRISTINE TAUBER

Dieter Jähnig: "Maßstäbe der Kunst- und Geschichtsbetrachtung Jacob Burckhardts". Schwabe Verlag, Basel, C. H. Beck Verlag, München 2006. 210 S., geb., 39,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Eine philosophische Deutung der Kunst- und Geschichtsbetrachtung Jacob Burckhardts findet Barbara von Reibnitz in diesem Band, der teils schon früher veröffentlichte, teils erstmals publizierte Studien von Dieter Jähnig zusammenstellt. Sie attestiert dem Autor, die spezifische Verbindung von Burckhardts Geschichts- und Kunstbetrachtung herauszuarbeiten und deren Sonderstellung in den Geschichtswissenschaften des 19. Jahrhunderts zu erhellen. Burckhardts Leistung sehe Jähnig darin, dass er den "Maßstab der Geschichte als Maßstab für die Frage, was Kunst ist", ins Spiel gebracht habe. Dass Jähnig auf eine Auseinandersetzung mit aktueller Forschungsliteratur verzichtet, fällt für Reibnitz nicht wirklich negativ ins Gewicht. Den Gewinn der Studien sieht sie in der "Genauigkeit der Auslegung", die Burckhardts "Weltgeschichtliche Betrachtungen" in den Horizont einer philosophisch geschärften Aufmerksamkeit rücke .

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