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Der Roman einer ungleichen Liebe: Rivi, die intellektuelle Studentin, ausgestattet mit einem etwas ungelenken Charme, und der ältere Yigal, der ihr auf Reisen nach Europa und Nordafrika die Welt zeigt. Yigal ist verheiratet und so können sie nur auf den Reisen zusammen sein - Rivi weiß, daß diese Beziehung bald zu Ende geht, aber vorher will sie noch einmal die Sonne im Bauch verspüren - so wie in Paris vor dem Bild von Matisse.

Produktbeschreibung
Der Roman einer ungleichen Liebe: Rivi, die intellektuelle Studentin, ausgestattet mit einem etwas ungelenken Charme, und der ältere Yigal, der ihr auf Reisen nach Europa und Nordafrika die Welt zeigt. Yigal ist verheiratet und so können sie nur auf den Reisen zusammen sein - Rivi weiß, daß diese Beziehung bald zu Ende geht, aber vorher will sie noch einmal die Sonne im Bauch verspüren - so wie in Paris vor dem Bild von Matisse.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.1997

Pygmalion im Centre Pompidou
Judith Katzir öffnet das Füllhorn des pädagogischen Eros

In der "Einbahnstraße der Traurigkeit" beginnt die Geschichte von Rivi und Yigal, im Angesicht des "Auges der Sonne", wie das letzte Kapitel überschrieben ist, endet sie. Dazwischen entfaltet sich ein Panorama des gegenwärtigen Israel, von der Historie grundiert. Die Familie der zweiundzwanzigjährigen Studentin Rivi lebt in der siebten Generation im Land. Sie kann sich relativ frei fühlen im Gegensatz zu ihrem so ungleichen Freund, der von sich sagt, er sei durch die Erfahrung des Holocaust zum Überleben erzogen worden. Der sechsundvierzigjährige verheiratete Mathematikdozent, den sie auf einer spontanen gemeinsamen Europa-Reise im "grünlich goldenen Licht Sienas" zu lieben beschließt, flüchtete als Kind mit seiner Mutter während der deutschen Besetzung Lublins in Richtung Rußland, den "Geschmack gefrorener Kartoffeln" im Mund. Sie kamen nach Kriegsende in ein Durchgangslager in Triest, wanderten nach Israel aus, dort gab die "polnische Mama" Yigal im Kibbuz ab. Die Erzählerin kontrastiert den Puderduft der sich entfernenden, vom Sohn schmerzlich vermißten Mutter mit dem Geschmack seiner ersten Orangen im Zitrushain der Gemeinschaftssiedlung: "Er verbirgt sich im grünen Schatten vor den Uringerüchen der Bettnässer, ihrem jiddischen Geschrei, vor dem Spott der Kibbuzkinder."

Farben, Gerüche, Geräusche, Geschmacksempfindungen dienen der 1963 geborenen Judith Katzir als synästhetische Umschaltstellen für die verschiedenen Erzählebenen ihrer überreichen Liebessuada. Die vitale Sprache, von Barbara Linner ohne Reibungsverluste aus dem Hebräischen ins Deutsche gebracht, ist inhaltlich geradezu abhängig von den mannigfachen Sinneseindrücken, denn die eigentliche Handlung wird durch kommentierende Rückblenden aus der personalen Erzählhaltung der "heutigen", inzwischen anderweitig gebundenen Rivi in ihrem Fortgang unterbrochen und für den Leser absehbar gemacht. Die ziellos in Tel Aviv herumjobbende Studentin erscheint für das unglücklich verlaufende, aber bereichernde Experiment geradezu vorherbestimmt, befindet sie sich doch "auf der Suche nach etwas, das sie nicht benennen konnte und von dem sie nur wußte, daß es das Wesentliche war".

Das Verfahren der Vorausdeutungen und Nachbemerkungen verleiht dem sich entwickelnden und hinscheidenden amour fou zwischen der jungen Frau, die sich nicht als solche fühlt, "sondern einfach wie ein Mensch auf der Welt", und dem langhaarigen, grauweißbärtigen Familienvater etwas entschieden Deterministisches. Yigal versteht es nach Art von "My Fair Lady", die burschikose Studentin wie eine zweite Eliza Doolittle kulturell - und in diesem Fall auch sexuell - zu erwecken. Er führt sie in die Museen Italiens und Frankreichs, vor Tizians "Venus von Urbino", Botticellis "Der Frühling", schließlich in die Matisse-Ausstellung im Pariser Centre Pompidou. Als er ihr die Hand auf den Nacken legt und Picasso zitiert - "Matisse malt, als hätte er die Sonne im Bauch" -, bricht sich der pädagogische Eros endgültig Bahn. Nicht nur für Europäer mag dieses junge Glück vor alten Meistern klischeehaft wirken.

Zurück in Israel, erweisen sich für die erwachsener gewordene Rivi ihre bisherigen Zufluchtsorte wie der Garten von Tante Techiya, ein bewahrtes Kindheitsparadies der Blumen, Früchte und Salate, als trügerisch. Alles geht zu Ende, das Familiengefüge beginnt zu zerbröckeln, gleichzeitig erwacht in der Heldin die zukünftige Literatin. Die Autorin spart nicht mit Symbolträchtigem: Der geschäftsuntüchtige Buchhändler Golden, der am liebsten nur Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" ins Schaufenster stellen würde, muß seinen Laden schließen. Dann wird Rivis Mutter Carmela, eine blonde Schönheit mit "Müllerstochterlocken", nach einer zunächst erfolgreichen Krebsoperation am Auge von Metastasen heimgesucht; die Schilderung ihres langen Sterbens ist an Eindringlichkeit kaum zu überbieten.

Judith Katzir gilt seit dem Erscheinen ihres Erzählungsbandes "Fellinis Schuhe" 1990 als eine der interessantesten jüngeren Schriftstellerinnen Israels. Auch Shimon Peres zählt zu ihren Lesern, er lobt laut Klappentext an dem Matisse-Roman die "seltene Mischung aus Wagemut und Gefühl, aus Wahrheit und Phantasie, Qualität und Emotion". Tatsächlich versteht es die Autorin, so manche aus ihrem Füllhorn hervorquellende herzbedrückende Plattheit durch den Eindruck von tatsächlich Erlebtem auszugleichen.

Trotz aller universellen, Endgültigkeit verheißenden Vokabeln, mit denen Rivi ihr Verhältnis zu Yigal belegt, zeigt sich, daß der Utopie dieser Liebe kein Alltag entspricht. Von Reise zu Reise reduziert sich ihr gemeinsamer Tagesablauf. Die letzte dreiwöchige Fahrt nach Spanien nach einer von Yigal erzwungenen Abtreibung ist von der Ahnung der bevorstehenden Trennung überschattet, bis hin zu den Bettszenen. Bei aller Erdenschwere des Katzirschen Grundtenors entbehren manche von ihnen durchaus nicht der Ironie.

Die Charakterisierung von Ereignissen und Personen mit wenigen, sprachlich unverbrauchten Details ist eine der Stärken der Verfasserin, etwa wenn sie eine ältliche Bibliothekarin beschreibt - "ihre Wangen dunkler Karton, ihr Haar zu einer straffen Bananenfrisur zusammengefaßt, blickte sie einen wie eine strenge Richterin hinter ihrer schmalen Silberbrille an, von der eine Kette um ihren faltigen Hals herabhing, der Winter wie Sommer von einem Rollkragen umschlossen war, wohl damit er nicht völlig zerbröselte". Um prägnante Augenblicke und Wendepunkte atmosphärisch zu verdichten, wird zwischen Sie- und Ich-Form abgewechselt. Mit Hilfe dieses Wechsels zieht Rivi an einer Stelle auch Resümee: "Eine banale Geschichte, wird sie denken. Aber ich habe keine andere außer ihr." Sollte Judith Katzirs Geschichte tatsächlich banal sein, so ist sie es mit irritierender Qualität. KATRIN HILLGRUBER

Judith Katzir: "Matisse hat die Sonne im Bauch". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Barbara Linner. Ammann Verlag, Zürich 1997. 320 Seiten, geb., 42,- DM.

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