Produktdetails
- Verlag: Curtea Veche Publishing
- ISBN-13: 9786064414052
- Artikelnr.: 72017138
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Im Roman von Lauren Groff erkennt Rezensentin Juliane Liebert eine "feministische Vision weiblicher Autonomie in der Epoche der Kreuzzüge". Groff erzählt die Geschichte der 17-Jährigen Marie, gezeugt durch königliche Vergewaltigung. Die junge Frau muss in ein Kloster und verzweifelt über ihr Schicksal. Doch in der kirchlichen Welt der Frauen lernt sie, Gut von Böse zu unterscheiden und ergreift die Chance, sich selbst zu entdecken. Von vier Dingen ist Liebert besonders angetan: Dass dieser Roman keine historisierende Patina aufweise, sondern Groff der so stinkenden wie grausamen Welt sprachlich eine wohltuende "plastische Präsenz" zu geben vermag, dass die Dramaturgie dem Leben in der Abtei folgt, dass es nicht Not tut, die mutmaßlich historischen Frauen, die in der Geschichte auftauchen, als solche zu identifizieren und dass Männer nur Randfiguren sind. Zwar schrappe Groff manchmal nur haarscharf am Kitsch vorbei, schreibt die Rezensentin, aber die Sexszenen der Novizinnen findet sie so grandios, dass sie mit dem Satz schließt: "Cyndi Lauper hatte eben doch recht: Girls just wanna have fun."
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2022Insel der Frauen
Ein Leben ohne Männer ist sinnvoll: Lauren Groff erzählt von
der mittelalterlichen Dichterin Marie de France
VON JULIANE LIEBERT
Woran denkt man, wenn man die Wörter Mittelalter, Kloster und Roman hört? Richtig, an Umberto Eco. Mit ihrem Roman „Matrix“ aber schickt sich die amerikanische Schriftstellerin Lauren Groff an, das Monument beiseite zu schieben. Ihr Name der Rose lautet Marie. Und sie ist keine Rose. Sondern eine „Riesin“. Ein Bastard außerdem. In einer königlichen Vergewaltigung gezeugt: „In ihrem reizlosen angevinischen Gesicht liegt keinerlei Schönheit, nur Klugheit und noch ungezügelte Leidenschaft.“
Sie ist siebzehn, auf dem Weg in ein erbarmungswürdig heruntergekommenes englisches Kloster, wohin sie von ihrer großen, unerreichbaren Liebe, der glanzvollen Königin Eleonore, geschickt wurde. Besser gesagt: verbannt. Für ein lukratives Ehe-Arrangement zu hässlich. Ansonsten nutzlos. Bleibt das Kloster.
Marie empfindet sich als lebendig begraben. Sie reitet ihrem Schicksal entgegen, halb resigniert, halb wütend verzweifelt. Durch eine schmutzige, stinkende, meist grausame Welt, der Groffs Sprache eine plastische Präsenz verleiht. Keine Patina, nirgends. Stattdessen ein fremdes, wundes Jetzt. Die Ausdünstungen von kranken Körpern. Die beißende Kälte. Doch wo so genau empfunden wird, keimt bereits die Lust.
Keine Elendsexploitation also, auch wenn Groff durchaus ihre Freude am filmtauglichen Effekt zeigt, sondern vor allem eine Welt der Sinnlichkeit. Eine weibliche Welt, durchdrungen von Begehren. Männer kommen hier nur als bedrohliche Randfiguren vor. Als Schattengestalten. Das Zentrum des Romans ist Marie, umgeben von ihren Monnen
Dass Groff ihre Protagonistin von einer historischen Person her entwickelt, nämlich Marie de France, der ersten bekannten Dichterin in französischer, d.h. anglonormannischer Sprache, sei erwähnt, ist für den Verständnishorizont der Erzählung aber von untergeordneter Bedeutung. Über das Leben der historischen Marie ist praktisch nichts bekannt. Die Autorin schließt an die Theorie an, es könne sich um eine Äbtissin in Shaftesbury gehandelt haben.
Es gibt jedoch keine gesicherten biografischen Fakten, mit denen eine fiktionalisierte Figur kontrastieren oder korrespondieren könnte. „Matrix“ ist also weder ein Biopic, noch ein historischer Roman, auch wenn mit Eleonore von Aquitanien ein Popstar vormoderner Machtentfaltung in einer tragenden Nebenrolle auftritt. Aber der Stil zielt weniger auf Vergegenwärtigung von Vergangenheit, als er Kategorien wie „Mittelalter“ und „Moderne“ einfach konsequent zu ignorieren scheint.
Wenn es von der im Alter geistesschwach gewordenen Schwester Wevua heißt, sie befinde sich „im Gleitflug durch die Zeiten“, denkt man unwillkürlich an die Erzählung selbst. Das ist unbedingt eine Stärke des Textes. Die Frauen in „Matrix“ sind unsere Geistesgenossinnen, auch wenn ihre Lebensumstände und ihre Ideen von Gott fremdartig bleiben dürfen.
Für die Sexszenen unter Frauen wählt Groff einen durchaus intensiv erotischen Ton, ganz frei von Schmonzettenhaftigkeit ist „Matrix“ nicht. Dass aber Orgasmen zu tieferen Einsichten als ein freudloses Gebet, das leuchtet unmittelbar ein: „Nichts ist mehr starr und eindeutig, nichts steht sich mehr unversöhnlich gegenüber. Das Gute und das Böse leben zusammen, die Dunkelheit und das Licht. Einander widersprechende Dinge können gleich wahr sein. Die Welt ist im Kern ein pulsierender Schrecken, ja. Doch zugleich ist sie im tiefsten Inneren voller Ekstase.“
Die feministische Vision weiblicher Autonomie in der Epoche der Kreuzzüge entfaltet sich nur einen Bogenschuss vom Kitsch entfernt und kulminiert gelegentlich in etwas zu üppig ausgemalten Schlüsselszenen. Auch zollt die Dramaturgie dem – Maries Gestaltungsfuror zum Trotz – monotonen Leben in geistlicher Abgeschiedenheit Tribut.
Da werden etwas unvermittelt die Jahre gerafft und die immergleichen Schwestern treten mit den immergleichen besonderen Kennzeichen in der immergleichen Funktion auf, solide Sidekicks auf der Heldinnenreise. Langweilig wird es aber nie. Schon weil über dem Geschehen drohend die Frage schwebt, ob Marie für ihren unerhörten Anspruch, sich als Frau ihren autonomen Herrschaftsraum zu schaffen, „eine Insel voller Frauen“, und sich sowohl als Anführerin als auch mit ihrer Poesie in die Geschichte einzuschreiben, irgendwann die Quittung des Patriarchats bekommt. Bleibt im Christentum doch kein Hochmut ungesühnt.
Doch weder Gottvater noch sein Stellvertreter auf Erden können etwas daran ändern, dass Lauren Groffs Marie de France bewiesen hat: Ein Leben ohne Männer ist möglich und sinnvoll. Oder wie es im Buch nach einem kurzen Scharmützel mit ein paar Neidern der Abtei heißt, bei dem ein Angreifer mittels eines Katzendarms enthauptet wird: „Marie muss den abgetrennten Kopf vor den Novizinnen in Sicherheit bringen, die damit reihum Judith spielen.“ Cyndi Lauper hatte eben doch recht: Girls just wanna have fun.
„Das Gute
und das Böse leben
zusammen.“
Lauren Groff:
Matrix.
Roman. Aus dem
Englischen von
Stefanie Jacobs.
Claassen Verlag,
Berlin 2022.
320 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ein Leben ohne Männer ist sinnvoll: Lauren Groff erzählt von
der mittelalterlichen Dichterin Marie de France
VON JULIANE LIEBERT
Woran denkt man, wenn man die Wörter Mittelalter, Kloster und Roman hört? Richtig, an Umberto Eco. Mit ihrem Roman „Matrix“ aber schickt sich die amerikanische Schriftstellerin Lauren Groff an, das Monument beiseite zu schieben. Ihr Name der Rose lautet Marie. Und sie ist keine Rose. Sondern eine „Riesin“. Ein Bastard außerdem. In einer königlichen Vergewaltigung gezeugt: „In ihrem reizlosen angevinischen Gesicht liegt keinerlei Schönheit, nur Klugheit und noch ungezügelte Leidenschaft.“
Sie ist siebzehn, auf dem Weg in ein erbarmungswürdig heruntergekommenes englisches Kloster, wohin sie von ihrer großen, unerreichbaren Liebe, der glanzvollen Königin Eleonore, geschickt wurde. Besser gesagt: verbannt. Für ein lukratives Ehe-Arrangement zu hässlich. Ansonsten nutzlos. Bleibt das Kloster.
Marie empfindet sich als lebendig begraben. Sie reitet ihrem Schicksal entgegen, halb resigniert, halb wütend verzweifelt. Durch eine schmutzige, stinkende, meist grausame Welt, der Groffs Sprache eine plastische Präsenz verleiht. Keine Patina, nirgends. Stattdessen ein fremdes, wundes Jetzt. Die Ausdünstungen von kranken Körpern. Die beißende Kälte. Doch wo so genau empfunden wird, keimt bereits die Lust.
Keine Elendsexploitation also, auch wenn Groff durchaus ihre Freude am filmtauglichen Effekt zeigt, sondern vor allem eine Welt der Sinnlichkeit. Eine weibliche Welt, durchdrungen von Begehren. Männer kommen hier nur als bedrohliche Randfiguren vor. Als Schattengestalten. Das Zentrum des Romans ist Marie, umgeben von ihren Monnen
Dass Groff ihre Protagonistin von einer historischen Person her entwickelt, nämlich Marie de France, der ersten bekannten Dichterin in französischer, d.h. anglonormannischer Sprache, sei erwähnt, ist für den Verständnishorizont der Erzählung aber von untergeordneter Bedeutung. Über das Leben der historischen Marie ist praktisch nichts bekannt. Die Autorin schließt an die Theorie an, es könne sich um eine Äbtissin in Shaftesbury gehandelt haben.
Es gibt jedoch keine gesicherten biografischen Fakten, mit denen eine fiktionalisierte Figur kontrastieren oder korrespondieren könnte. „Matrix“ ist also weder ein Biopic, noch ein historischer Roman, auch wenn mit Eleonore von Aquitanien ein Popstar vormoderner Machtentfaltung in einer tragenden Nebenrolle auftritt. Aber der Stil zielt weniger auf Vergegenwärtigung von Vergangenheit, als er Kategorien wie „Mittelalter“ und „Moderne“ einfach konsequent zu ignorieren scheint.
Wenn es von der im Alter geistesschwach gewordenen Schwester Wevua heißt, sie befinde sich „im Gleitflug durch die Zeiten“, denkt man unwillkürlich an die Erzählung selbst. Das ist unbedingt eine Stärke des Textes. Die Frauen in „Matrix“ sind unsere Geistesgenossinnen, auch wenn ihre Lebensumstände und ihre Ideen von Gott fremdartig bleiben dürfen.
Für die Sexszenen unter Frauen wählt Groff einen durchaus intensiv erotischen Ton, ganz frei von Schmonzettenhaftigkeit ist „Matrix“ nicht. Dass aber Orgasmen zu tieferen Einsichten als ein freudloses Gebet, das leuchtet unmittelbar ein: „Nichts ist mehr starr und eindeutig, nichts steht sich mehr unversöhnlich gegenüber. Das Gute und das Böse leben zusammen, die Dunkelheit und das Licht. Einander widersprechende Dinge können gleich wahr sein. Die Welt ist im Kern ein pulsierender Schrecken, ja. Doch zugleich ist sie im tiefsten Inneren voller Ekstase.“
Die feministische Vision weiblicher Autonomie in der Epoche der Kreuzzüge entfaltet sich nur einen Bogenschuss vom Kitsch entfernt und kulminiert gelegentlich in etwas zu üppig ausgemalten Schlüsselszenen. Auch zollt die Dramaturgie dem – Maries Gestaltungsfuror zum Trotz – monotonen Leben in geistlicher Abgeschiedenheit Tribut.
Da werden etwas unvermittelt die Jahre gerafft und die immergleichen Schwestern treten mit den immergleichen besonderen Kennzeichen in der immergleichen Funktion auf, solide Sidekicks auf der Heldinnenreise. Langweilig wird es aber nie. Schon weil über dem Geschehen drohend die Frage schwebt, ob Marie für ihren unerhörten Anspruch, sich als Frau ihren autonomen Herrschaftsraum zu schaffen, „eine Insel voller Frauen“, und sich sowohl als Anführerin als auch mit ihrer Poesie in die Geschichte einzuschreiben, irgendwann die Quittung des Patriarchats bekommt. Bleibt im Christentum doch kein Hochmut ungesühnt.
Doch weder Gottvater noch sein Stellvertreter auf Erden können etwas daran ändern, dass Lauren Groffs Marie de France bewiesen hat: Ein Leben ohne Männer ist möglich und sinnvoll. Oder wie es im Buch nach einem kurzen Scharmützel mit ein paar Neidern der Abtei heißt, bei dem ein Angreifer mittels eines Katzendarms enthauptet wird: „Marie muss den abgetrennten Kopf vor den Novizinnen in Sicherheit bringen, die damit reihum Judith spielen.“ Cyndi Lauper hatte eben doch recht: Girls just wanna have fun.
„Das Gute
und das Böse leben
zusammen.“
Lauren Groff:
Matrix.
Roman. Aus dem
Englischen von
Stefanie Jacobs.
Claassen Verlag,
Berlin 2022.
320 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Ein faszinierender Roman über weiblichen Ehrgeiz, kluge Machtpolitik und den Wunsch nach Freiheit.« Dorothea Westphal DLF Kultur Lesart 20220923