In seiner künstlerischen wie auch akademischen Arbeit beschäftigt sich der Fotograf Matt Henry vornehmlich mit der amerikanischen Politik der 1960-er und -70-er Jahre. In seinen fotografischen Arbeiten schafft er fiktive Szenen, die einer lockeren Erzählstruktur folgen. Hierfür schreibt er eigens Storyboards und inszeniert die Bilder von Kostüm bis hin zur Requisite selbst. Henrys Umgang mit Licht und Farbe ist meisterlich; die perfekte Erscheinung seiner Protagonisten und Stillleben wirkt anziehend und ruft dennoch eine Ambiguität im Betrachter hervor, die ihn auffordert, seine eigene Fantasie spielen zu lassen und die Werke kritisch zu beleuchten.
Henrys Inszenierungen beziehen amerikanische Fotografie, Kino und Literatur der 1960er und -70er Jahre ein und untersuchen diese auf unterschwellige ideologische Anliegen. Den Künstler interessiert die gesellschaftliche Gegenbewegung jener Zeit und so beschäftigt sich sein erstes Buch, Short Stories, mit dem Aufstieg progressiver Politik vor dem Hintergrund kleinstädtischen Konservatismus. Henry präsentiert seine Geschichten wie durch eine Linse, die sie utopisch aber auch dystopisch lesbar macht.
Matt Henry (geb. 1978) ist in Nordwales aufgewachsen und lebt heute in Brighton, England. Seine Arbeiten wurden bisher in Europa, Asien und Nordamerika gezeigt. Henry wird von der Michael Hoppen Gallery (UK) repräsentiert.
Henrys Inszenierungen beziehen amerikanische Fotografie, Kino und Literatur der 1960er und -70er Jahre ein und untersuchen diese auf unterschwellige ideologische Anliegen. Den Künstler interessiert die gesellschaftliche Gegenbewegung jener Zeit und so beschäftigt sich sein erstes Buch, Short Stories, mit dem Aufstieg progressiver Politik vor dem Hintergrund kleinstädtischen Konservatismus. Henry präsentiert seine Geschichten wie durch eine Linse, die sie utopisch aber auch dystopisch lesbar macht.
Matt Henry (geb. 1978) ist in Nordwales aufgewachsen und lebt heute in Brighton, England. Seine Arbeiten wurden bisher in Europa, Asien und Nordamerika gezeigt. Henry wird von der Michael Hoppen Gallery (UK) repräsentiert.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hannes Vollmuth gerät beim Betrachten von Matt Henrys "Short Stories" ins Schwärmen. Und das, obwohl die Bilder vor allem Beklemmung auslösen, fährt der Kritiker fort: Die Fotos, die zwar meist in England aufgenommen wurden, aber amerikanisches Leben zwischen 1964 und 1974, genauer das Gefühl zwischen "Hippie-Utopie und Desillusion", inszenieren, erscheinen dem Rezensenten wie Filmstills aus einem unbekannten David Lynch-Film. Großartig, wie Henry mit feinem Gespür für Details und faszinierendem Hyperrealismus alte Motive neu belebt, lobt der Rezensent, dem die Bilder nicht zuletzt an Kurzgeschichten von Raymond Carver erinnern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.06.2016Mythen aus zweiter Hand
Matt Henry reinszeniert den amerikanischen Traum
Jeder halbwegs filmerfahrene Europäer kennt das Gefühl, Amerika schon gesehen zu haben, lange bevor er dort gewesen ist. Das Kino schreibt einem die Bilder ins Gedächtnis: die Motels, die endlosen Wüstenhighways und Tankstellen. Man muss deshalb beim Aufschlagen von Matt Henrys Fotobuch „Short Stories“ sofort an Filmstills denken, an Szenenbilder, die man zwar nie gesehen hat, von denen man aber annimmt, ein bisher unbekannter David-Lynch-Film habe sie ausgespuckt. Und liegt damit gar nicht so falsch: Die Bilder sind erfunden, nachgestellt, die meisten sogar in England, aber der Bildband erzählt trotzdem viel über Amerika.
Da rekelt sich eine Frau auf einem Sofa. Das Sofa steht in einem Motel und ist ziemlich runtergerockt. Vor dem Sofa kullern Jim-Beam-Flaschen und Cola-Dosen herum, was aber nicht weiter auffällt, denn: Die Frau ist nackt. Und sie trägt eine Maske, eine fies grinsende Richard-Nixon-Maske. Bizarr – so wie das hier ausgeleuchtet, arrangiert und in eine fotografische Totale gerückt ist.
Man kannte Matt Henry, 37, wohnhaft in britischen Brighton, bisher nicht in der Fotografie, sollte sich den Namen aber merken. Henry denkt sich doppelbödige Fotogeschichten aus, angesiedelt in einem Smalltown-Amerika von 1964 bis 1974, der „greatest decade in living history“ wie Henry im Vorwort schreibt, dem großartigsten Jahrzehnt der Zeitgeschichte.
Henry hat einen Abschluss in American Studies und nimmt es sehr genau mit der historischen Illusion. Er sammelt die Requisiten selbst und ist versessen auf Details, auf Zeitungsschlagzeilen, den passenden Nagellack, den Porno-Schnauzer. Das ist es aber nicht allein, was den Reiz dieser Bilder ausmacht.
Die fotografischen Reenactments besitzen auch eine Jeff-Wall-artige, hyperrealistische Bildwirkung. Die Szenen leuchten regelrecht, sind von einer überscharfen Brillanz. Was sie nicht haben, ist der Fotoschleier vergangener Jahrzehnte, der ja immer so wirkt, als stünde eine Wand zwischen damals und heute. Die Bilder fühlen sich also neu an, die Motive sind aber alt.
Henry geht es gar nicht darum, wie schön Amerika einmal war, damals in den Sechzigern. Und er zeigt auch nicht den Katzenjammer danach. Ihn interessieren die Momente dazwischen, die Kippmomente zwischen Hippie-Utopie und Desillusion. Da sucht beispielsweise ein Mann namens Troy nach der Liebe, gabelt ein blondes Mädchen auf und zahlt für diese Liebe am Ende doch mit Geld. Die Traurigkeit hängt schon vor dem Sex über dem Motelbett, zentnerschwer.
Es ist nicht zu viel gesagt, dass Henrys Fotos von einer Beklemmung leben. „Short Stories“ heißt sein Band, und tatsächlich lesen sich Henrys Bilder wie eine jener Kurzgeschichten von Raymond Carver, dem Großmeister der Beklemmung. Dieses Carver-hafte Gefühl wird hier so in Szene gesetzt: blauer Himmel, schicke Autos, billige Motels, verzweifelte Trucker und die verlorenen Illusionen des girl next door. Der amerikanische Traum im Schnelldurchlauf.
HANNES VOLLMUTH
Matt Henry: Short Stories. Kehrer Verlag, Heidelberg 2015. 112 Seiten, 39,90 Euro.
Foto: aus dem besprochenem Band
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Matt Henry reinszeniert den amerikanischen Traum
Jeder halbwegs filmerfahrene Europäer kennt das Gefühl, Amerika schon gesehen zu haben, lange bevor er dort gewesen ist. Das Kino schreibt einem die Bilder ins Gedächtnis: die Motels, die endlosen Wüstenhighways und Tankstellen. Man muss deshalb beim Aufschlagen von Matt Henrys Fotobuch „Short Stories“ sofort an Filmstills denken, an Szenenbilder, die man zwar nie gesehen hat, von denen man aber annimmt, ein bisher unbekannter David-Lynch-Film habe sie ausgespuckt. Und liegt damit gar nicht so falsch: Die Bilder sind erfunden, nachgestellt, die meisten sogar in England, aber der Bildband erzählt trotzdem viel über Amerika.
Da rekelt sich eine Frau auf einem Sofa. Das Sofa steht in einem Motel und ist ziemlich runtergerockt. Vor dem Sofa kullern Jim-Beam-Flaschen und Cola-Dosen herum, was aber nicht weiter auffällt, denn: Die Frau ist nackt. Und sie trägt eine Maske, eine fies grinsende Richard-Nixon-Maske. Bizarr – so wie das hier ausgeleuchtet, arrangiert und in eine fotografische Totale gerückt ist.
Man kannte Matt Henry, 37, wohnhaft in britischen Brighton, bisher nicht in der Fotografie, sollte sich den Namen aber merken. Henry denkt sich doppelbödige Fotogeschichten aus, angesiedelt in einem Smalltown-Amerika von 1964 bis 1974, der „greatest decade in living history“ wie Henry im Vorwort schreibt, dem großartigsten Jahrzehnt der Zeitgeschichte.
Henry hat einen Abschluss in American Studies und nimmt es sehr genau mit der historischen Illusion. Er sammelt die Requisiten selbst und ist versessen auf Details, auf Zeitungsschlagzeilen, den passenden Nagellack, den Porno-Schnauzer. Das ist es aber nicht allein, was den Reiz dieser Bilder ausmacht.
Die fotografischen Reenactments besitzen auch eine Jeff-Wall-artige, hyperrealistische Bildwirkung. Die Szenen leuchten regelrecht, sind von einer überscharfen Brillanz. Was sie nicht haben, ist der Fotoschleier vergangener Jahrzehnte, der ja immer so wirkt, als stünde eine Wand zwischen damals und heute. Die Bilder fühlen sich also neu an, die Motive sind aber alt.
Henry geht es gar nicht darum, wie schön Amerika einmal war, damals in den Sechzigern. Und er zeigt auch nicht den Katzenjammer danach. Ihn interessieren die Momente dazwischen, die Kippmomente zwischen Hippie-Utopie und Desillusion. Da sucht beispielsweise ein Mann namens Troy nach der Liebe, gabelt ein blondes Mädchen auf und zahlt für diese Liebe am Ende doch mit Geld. Die Traurigkeit hängt schon vor dem Sex über dem Motelbett, zentnerschwer.
Es ist nicht zu viel gesagt, dass Henrys Fotos von einer Beklemmung leben. „Short Stories“ heißt sein Band, und tatsächlich lesen sich Henrys Bilder wie eine jener Kurzgeschichten von Raymond Carver, dem Großmeister der Beklemmung. Dieses Carver-hafte Gefühl wird hier so in Szene gesetzt: blauer Himmel, schicke Autos, billige Motels, verzweifelte Trucker und die verlorenen Illusionen des girl next door. Der amerikanische Traum im Schnelldurchlauf.
HANNES VOLLMUTH
Matt Henry: Short Stories. Kehrer Verlag, Heidelberg 2015. 112 Seiten, 39,90 Euro.
Foto: aus dem besprochenem Band
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